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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
im Oktober. Jm Januar schlüpfen die Jungen aus. Da die Vögel in zahlreichen Gesellschaften
leben, enthält oft eine Felsenwand soviel Horste, als sie bergen kann. Wie es scheint, leben die Mit-
glieder einer Ansiedlung im besten Einvernehmen unter einander. Jch habe in ein und derselben
Höhle bisweilen zwei bis drei Horste gesehen, einen dicht an dem andern. Mit Hilfe meiner Hotten-
totten habe ich mein Leben auf das Spiel gesetzt, um die Horste zu untersuchen. Jhre Umgebung ist
wirklich ekelhaft und der Gestank daselbst fast unerträglich. Dazu kommt, daß die Felsen von der
herbeigeschleppten Fleischmenge glatt und schlüpfrig geworden sind, sodaß man in Gefahr kommt, aus-
zugleiten und in die Tiefe zu stürzen. Jch kostete Eier des Ohrengeiers und fand sie ebenso wie die
des Gänsegeiers gut genug, um sie zu gebrauchen. Die jungen Geier entschlüpften dem Ei in einem
weißen Dunenkleide."

Jch glaube, daß vorstehende Beschreibung der Berichtigung bedarf. Höchst wahrscheinlich legt der
Ohrengeier nicht zwei oder drei Eier, sondern blos ein einziges, und sicherlich sind diese für Menschen
europäischer Abkunft gänzlich ungenießbar. Jn allem Uebrigen mag Le Vaillant Recht behalten.

Während meines längeren Aufenthaltes in Charthum jagte ich einen Monat lang tagtäglich
auf Geier, welche ich durch ausgelegtes Aas herbeilockte. Dieses bestand aus herrenlosen Hunden,
welche wir zuletzt nur mit größter Mühe erlegen konnten, weil wir durch unsere Jagden bald unter
allen Hunden bekannt und gefürchtet wurden. Jeder glücklich erbeutete Hund nun wurde auf einer
weiten Ebene hinter einen dort stehenden Erdwall ausgelegt und uns dadurch die Möglichkeit geboten,
an die schmausende Gesellschaft bis auf zwanzig Schritt heranzuschleichen. Bei diesen Jagden machte
ich die Beobachtung, welche ich weiter oben mitgetheilt habe. Es ist mir wiederholt gelungen, mit
Hilfe eines rasch gewechselten Gewehres vier Ohrengeier zu erlegen; ich habe einmal sogar vier von
ihnen mit einem Schusse niedergestreckt. Nebenbei wurden auch Fallen gestellt und zwar solche der
allereinfachsten Art; sie bewiesen sich aber als wirksam. Jch hatte nach kurzer Zeit eine ziemliche
Anzahl von Geiern beisammen. Unter diesen nun waren stets mehrere Ohrengeier, und sie wurden
bald meine Lieblinge. Sie betrugen sich in der Gefangenschaft von allem Anfang an ruhig und ver-
ständig, mir gegenüber furchtlos und in gewissem Sinne vertraulich, ganz im Gegensatz zu den Gänse-
geiern. Alle meine Gefangene waren an Stricke gefesselt; es fiel aber keinem von ihnen ein, die
Kraft ihres gewaltigen Schnabels an ihren Fesseln zu erproben. Schon am dritten Tage der
Gefangenschaft nahm der erste Ohrengeier, welchen ich gefangen hatte, Wasser zu sich; am vierten
Tage begann er eine vor ihm liegende Katze, welche er drei Tage verschmäht hatte, zu bearbeiten; am
fünften Tage fraß er bereits vor unsern Augen, und fortan achtete er gar nicht mehr auf mich, auch
wenn ich dicht neben ihm stand. Später nahm er mir die ihm vorgehaltene Nahrung aus der Hand.

Beim Fressen stellt sich der Ohrengeier auf seine gerade ausgestreckten Füße, legt alle Federn
glatt und nimmt eine vollkommen wagerechte Stellung an. Das vor ihm liegende Fleischstück wird
mit den Klauen festgehalten und dann mit einer Kraft mittelst des Schnabels bearbeitet, welche mit
dem Riesenkopfe durchaus im Einklange steht. Er verschlingt übrigens nur kleine Stückchen und
nagt die Knochen sorgfältig ab. Wasser ist auch ihm Bedürfniß, er trinkt viel und badet sich, wenn
er Dies haben kann, sehr regelmäßig. Jm Zorn sträubt er alle Federn und faucht dabei wie eine
Eule; dabei röthet sich der nackte Fleck am Hinterkopfe in auffallender Weise. Aergert er sich mehr
als gewöhnlich, so pflegt er das im Kropfe aufbewahrte Fleisch aufzufressen; er bricht es aber auch,
wenn die Ruhe eintritt, nach Art der Hunde wieder aus. Jn einem größeren Gesellschaftsbauer
benimmt er sich ebenso ruhig, wie in der Freiheit. Er ist sich seiner Stärke bewußt und läßt sich
durchaus Nichts gefallen, wird aber niemals zum angreifenden Theile. Unser Klima scheint leicht
von ihm ertragen zu werden, obgleich er ein großer Freund der Wärme ist. Wir halten die
Gefangenen des hamburger Gartens Sommer und Winter im Freien. Sie frieren bei strenger
Kälte allerdings und geben Dies durch heftiges Zittern kund; dafür aber erhalten sie etwas mehr zu
fressen als im Sommer und werden dadurch befähigt, allen Einwirkungen des ihnen so feindseligen
Himmels zu trotzen.

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
im Oktober. Jm Januar ſchlüpfen die Jungen aus. Da die Vögel in zahlreichen Geſellſchaften
leben, enthält oft eine Felſenwand ſoviel Horſte, als ſie bergen kann. Wie es ſcheint, leben die Mit-
glieder einer Anſiedlung im beſten Einvernehmen unter einander. Jch habe in ein und derſelben
Höhle bisweilen zwei bis drei Horſte geſehen, einen dicht an dem andern. Mit Hilfe meiner Hotten-
totten habe ich mein Leben auf das Spiel geſetzt, um die Horſte zu unterſuchen. Jhre Umgebung iſt
wirklich ekelhaft und der Geſtank daſelbſt faſt unerträglich. Dazu kommt, daß die Felſen von der
herbeigeſchleppten Fleiſchmenge glatt und ſchlüpfrig geworden ſind, ſodaß man in Gefahr kommt, aus-
zugleiten und in die Tiefe zu ſtürzen. Jch koſtete Eier des Ohrengeiers und fand ſie ebenſo wie die
des Gänſegeiers gut genug, um ſie zu gebrauchen. Die jungen Geier entſchlüpften dem Ei in einem
weißen Dunenkleide.‟

Jch glaube, daß vorſtehende Beſchreibung der Berichtigung bedarf. Höchſt wahrſcheinlich legt der
Ohrengeier nicht zwei oder drei Eier, ſondern blos ein einziges, und ſicherlich ſind dieſe für Menſchen
europäiſcher Abkunft gänzlich ungenießbar. Jn allem Uebrigen mag Le Vaillant Recht behalten.

Während meines längeren Aufenthaltes in Charthum jagte ich einen Monat lang tagtäglich
auf Geier, welche ich durch ausgelegtes Aas herbeilockte. Dieſes beſtand aus herrenloſen Hunden,
welche wir zuletzt nur mit größter Mühe erlegen konnten, weil wir durch unſere Jagden bald unter
allen Hunden bekannt und gefürchtet wurden. Jeder glücklich erbeutete Hund nun wurde auf einer
weiten Ebene hinter einen dort ſtehenden Erdwall ausgelegt und uns dadurch die Möglichkeit geboten,
an die ſchmauſende Geſellſchaft bis auf zwanzig Schritt heranzuſchleichen. Bei dieſen Jagden machte
ich die Beobachtung, welche ich weiter oben mitgetheilt habe. Es iſt mir wiederholt gelungen, mit
Hilfe eines raſch gewechſelten Gewehres vier Ohrengeier zu erlegen; ich habe einmal ſogar vier von
ihnen mit einem Schuſſe niedergeſtreckt. Nebenbei wurden auch Fallen geſtellt und zwar ſolche der
allereinfachſten Art; ſie bewieſen ſich aber als wirkſam. Jch hatte nach kurzer Zeit eine ziemliche
Anzahl von Geiern beiſammen. Unter dieſen nun waren ſtets mehrere Ohrengeier, und ſie wurden
bald meine Lieblinge. Sie betrugen ſich in der Gefangenſchaft von allem Anfang an ruhig und ver-
ſtändig, mir gegenüber furchtlos und in gewiſſem Sinne vertraulich, ganz im Gegenſatz zu den Gänſe-
geiern. Alle meine Gefangene waren an Stricke gefeſſelt; es fiel aber keinem von ihnen ein, die
Kraft ihres gewaltigen Schnabels an ihren Feſſeln zu erproben. Schon am dritten Tage der
Gefangenſchaft nahm der erſte Ohrengeier, welchen ich gefangen hatte, Waſſer zu ſich; am vierten
Tage begann er eine vor ihm liegende Katze, welche er drei Tage verſchmäht hatte, zu bearbeiten; am
fünften Tage fraß er bereits vor unſern Augen, und fortan achtete er gar nicht mehr auf mich, auch
wenn ich dicht neben ihm ſtand. Später nahm er mir die ihm vorgehaltene Nahrung aus der Hand.

Beim Freſſen ſtellt ſich der Ohrengeier auf ſeine gerade ausgeſtreckten Füße, legt alle Federn
glatt und nimmt eine vollkommen wagerechte Stellung an. Das vor ihm liegende Fleiſchſtück wird
mit den Klauen feſtgehalten und dann mit einer Kraft mittelſt des Schnabels bearbeitet, welche mit
dem Rieſenkopfe durchaus im Einklange ſteht. Er verſchlingt übrigens nur kleine Stückchen und
nagt die Knochen ſorgfältig ab. Waſſer iſt auch ihm Bedürfniß, er trinkt viel und badet ſich, wenn
er Dies haben kann, ſehr regelmäßig. Jm Zorn ſträubt er alle Federn und faucht dabei wie eine
Eule; dabei röthet ſich der nackte Fleck am Hinterkopfe in auffallender Weiſe. Aergert er ſich mehr
als gewöhnlich, ſo pflegt er das im Kropfe aufbewahrte Fleiſch aufzufreſſen; er bricht es aber auch,
wenn die Ruhe eintritt, nach Art der Hunde wieder aus. Jn einem größeren Geſellſchaftsbauer
benimmt er ſich ebenſo ruhig, wie in der Freiheit. Er iſt ſich ſeiner Stärke bewußt und läßt ſich
durchaus Nichts gefallen, wird aber niemals zum angreifenden Theile. Unſer Klima ſcheint leicht
von ihm ertragen zu werden, obgleich er ein großer Freund der Wärme iſt. Wir halten die
Gefangenen des hamburger Gartens Sommer und Winter im Freien. Sie frieren bei ſtrenger
Kälte allerdings und geben Dies durch heftiges Zittern kund; dafür aber erhalten ſie etwas mehr zu
freſſen als im Sommer und werden dadurch befähigt, allen Einwirkungen des ihnen ſo feindſeligen
Himmels zu trotzen.

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[572/0606] Die Fänger. Raubvögel. Geier. im Oktober. Jm Januar ſchlüpfen die Jungen aus. Da die Vögel in zahlreichen Geſellſchaften leben, enthält oft eine Felſenwand ſoviel Horſte, als ſie bergen kann. Wie es ſcheint, leben die Mit- glieder einer Anſiedlung im beſten Einvernehmen unter einander. Jch habe in ein und derſelben Höhle bisweilen zwei bis drei Horſte geſehen, einen dicht an dem andern. Mit Hilfe meiner Hotten- totten habe ich mein Leben auf das Spiel geſetzt, um die Horſte zu unterſuchen. Jhre Umgebung iſt wirklich ekelhaft und der Geſtank daſelbſt faſt unerträglich. Dazu kommt, daß die Felſen von der herbeigeſchleppten Fleiſchmenge glatt und ſchlüpfrig geworden ſind, ſodaß man in Gefahr kommt, aus- zugleiten und in die Tiefe zu ſtürzen. Jch koſtete Eier des Ohrengeiers und fand ſie ebenſo wie die des Gänſegeiers gut genug, um ſie zu gebrauchen. Die jungen Geier entſchlüpften dem Ei in einem weißen Dunenkleide.‟ Jch glaube, daß vorſtehende Beſchreibung der Berichtigung bedarf. Höchſt wahrſcheinlich legt der Ohrengeier nicht zwei oder drei Eier, ſondern blos ein einziges, und ſicherlich ſind dieſe für Menſchen europäiſcher Abkunft gänzlich ungenießbar. Jn allem Uebrigen mag Le Vaillant Recht behalten. Während meines längeren Aufenthaltes in Charthum jagte ich einen Monat lang tagtäglich auf Geier, welche ich durch ausgelegtes Aas herbeilockte. Dieſes beſtand aus herrenloſen Hunden, welche wir zuletzt nur mit größter Mühe erlegen konnten, weil wir durch unſere Jagden bald unter allen Hunden bekannt und gefürchtet wurden. Jeder glücklich erbeutete Hund nun wurde auf einer weiten Ebene hinter einen dort ſtehenden Erdwall ausgelegt und uns dadurch die Möglichkeit geboten, an die ſchmauſende Geſellſchaft bis auf zwanzig Schritt heranzuſchleichen. Bei dieſen Jagden machte ich die Beobachtung, welche ich weiter oben mitgetheilt habe. Es iſt mir wiederholt gelungen, mit Hilfe eines raſch gewechſelten Gewehres vier Ohrengeier zu erlegen; ich habe einmal ſogar vier von ihnen mit einem Schuſſe niedergeſtreckt. Nebenbei wurden auch Fallen geſtellt und zwar ſolche der allereinfachſten Art; ſie bewieſen ſich aber als wirkſam. Jch hatte nach kurzer Zeit eine ziemliche Anzahl von Geiern beiſammen. Unter dieſen nun waren ſtets mehrere Ohrengeier, und ſie wurden bald meine Lieblinge. Sie betrugen ſich in der Gefangenſchaft von allem Anfang an ruhig und ver- ſtändig, mir gegenüber furchtlos und in gewiſſem Sinne vertraulich, ganz im Gegenſatz zu den Gänſe- geiern. Alle meine Gefangene waren an Stricke gefeſſelt; es fiel aber keinem von ihnen ein, die Kraft ihres gewaltigen Schnabels an ihren Feſſeln zu erproben. Schon am dritten Tage der Gefangenſchaft nahm der erſte Ohrengeier, welchen ich gefangen hatte, Waſſer zu ſich; am vierten Tage begann er eine vor ihm liegende Katze, welche er drei Tage verſchmäht hatte, zu bearbeiten; am fünften Tage fraß er bereits vor unſern Augen, und fortan achtete er gar nicht mehr auf mich, auch wenn ich dicht neben ihm ſtand. Später nahm er mir die ihm vorgehaltene Nahrung aus der Hand. Beim Freſſen ſtellt ſich der Ohrengeier auf ſeine gerade ausgeſtreckten Füße, legt alle Federn glatt und nimmt eine vollkommen wagerechte Stellung an. Das vor ihm liegende Fleiſchſtück wird mit den Klauen feſtgehalten und dann mit einer Kraft mittelſt des Schnabels bearbeitet, welche mit dem Rieſenkopfe durchaus im Einklange ſteht. Er verſchlingt übrigens nur kleine Stückchen und nagt die Knochen ſorgfältig ab. Waſſer iſt auch ihm Bedürfniß, er trinkt viel und badet ſich, wenn er Dies haben kann, ſehr regelmäßig. Jm Zorn ſträubt er alle Federn und faucht dabei wie eine Eule; dabei röthet ſich der nackte Fleck am Hinterkopfe in auffallender Weiſe. Aergert er ſich mehr als gewöhnlich, ſo pflegt er das im Kropfe aufbewahrte Fleiſch aufzufreſſen; er bricht es aber auch, wenn die Ruhe eintritt, nach Art der Hunde wieder aus. Jn einem größeren Geſellſchaftsbauer benimmt er ſich ebenſo ruhig, wie in der Freiheit. Er iſt ſich ſeiner Stärke bewußt und läßt ſich durchaus Nichts gefallen, wird aber niemals zum angreifenden Theile. Unſer Klima ſcheint leicht von ihm ertragen zu werden, obgleich er ein großer Freund der Wärme iſt. Wir halten die Gefangenen des hamburger Gartens Sommer und Winter im Freien. Sie frieren bei ſtrenger Kälte allerdings und geben Dies durch heftiges Zittern kund; dafür aber erhalten ſie etwas mehr zu freſſen als im Sommer und werden dadurch befähigt, allen Einwirkungen des ihnen ſo feindſeligen Himmels zu trotzen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/606>, abgerufen am 22.11.2024.