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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schopfgeier. Ohrengeier.
sind violett. Bei großer Aufregung röthen sich alle nackten Stellen des Kopfes und Halses mit
Ausnahme des Scheitels.

Der Ohrengeier ist über ganz Afrika verbreitet. Man begegnet ihm bereits in Oberegypten und
vonhieraus überall bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung hin, im Westen wie im Osten. Er ist
seltener, als seine Verwandten, kommt jedoch überall vor. Von Egypten aus soll er sich wiederholt
nach Südeuropa verflogen haben, man hat sogar behaupten wollen, daß er in Griechenland horstend
gefunden werde. Neuere Beobachtungen aber haben diese Angabe nicht bestätigt. Jn Jndien wird
er durch einen Verwandten, den Sukuni der Jndier oder Kahlkopfgeier (Otogyps cal-
vus
) vertreten.

Von Mittelnubien an südwärts vermißt man den Ohrengeier selten bei einem größeren Aase.
Er scheut sich nicht vor dem Menschen und kommt dreist bis in die Dörfer oder auf die Schlachtplätze
der Städte, obgleich er sich freilich nicht so zutraulich zeigt wie die kleineren Rabengeier. Auf dem
Aase spielt er stets den Alleinherrscher und vertreibt alle übrigen Geier, vielleicht mit Ausnahme der
bissigen Gänsegeier. Die Hunde, welche in ganz Nordostafrika das Gewerbe der Geier beeinträchtigen,
weiß er stets in Achtung zu erhalten. Ganz Dasselbe wird von seinem indischen Vertreter gesagt.
"Die Jndier", berichtet Jerdon, "nennen den Sukuni Königsgeier, weil ihn alle übrigen
fürchten und ihm stets das Feld räumen, wenn er sich zeigt." An Gefräßigkeit steht er unter allen
seinen Verwandten obenan, demungeachtet geberdet er sich nicht so gierig, wie seine langhälsigen Ver-
wandten. Aber seine Mahlzeit geht regelmäßig rasch von statten. Vier bis fünf Ohrengeier fressen
binnen fünf Minuten den größten Hund bis auf den Schädel und die Fußknochen rein auf. Von der
Stärke eines Ohrengeiers habe ich mich oft überzeugt. Ein einziger Biß von ihm zerschneidet die
dickste Lederhaut eines großen Thieres, und wenige Bissen genügen, um auf eine bedeutende Strecke
die Muskeln bloszulegen. Jch sah einen einzigen dieser Vögel eine ausgewachsene Ziege mit dem
Schnabel packen und mit größter Leichtigkeit fortziehen.

Nach jeder Mahlzeit fliegt der Ohrengeier dem nächsten Wasser zu, tränkt und putzt sich dort,
ruht aus, indem er sich wie die Hühner in den Sand legt und behaglich sonnt, und fliegt dann,
kreisend und oft große Strecken hin ohne Flügelschlag schwebend, seinen Schlafplätzen zu. Auch er
bevorzugt Bäume, und ich meinestheils habe ihn niemals auf Felsen schlafend gefunden. Zur Nacht-
ruhe wählt er sich nicht immer die größten Bäume aus, sondern begnügt sich mit jedem, der ihm
passend erscheint, oft mit einem kaum zehn Fuß hohen Mimosenstrauch. Hier sitzt er in sehr aufrechter
Haltung, wie ein Mann, den Kopf dicht eingezogen, den Schwanz schlaff herabhängend. Am Morgen
verweilt er wenigstens zwei Stunden nach Sonnenaufgang auf seinem Schlafplatze, und bis zum
Auffliegen ist er so wenig scheu, daß man ihn unterlaufen und selbst mit Schrot herunterschießen kann.
Als ich das erstemal von Mensa zurückkehrte, traf ich in einem wegen des durchführenden Weges
wenigstens einigermaßen belebten Thale eine Gesellschaft von etwa acht schlafenden Ohrengeiern an.
Die Vögel saßen so fest, daß ich um ihren Schlafbaum herum reiten konnte, ohne daß ich sie sich
erheben sah. Erst nachdem ich einen von ihnen niedergeschossen hatte, flogen sie auf; aber sie waren
noch so schlaftrunken, daß sie schon nach einer Entfernung von ungefähr 500 Schritten wieder auf-
bäumten. Die Ohrengeier erscheinen nie vor 10 Uhr Morgens auf dem Aase und verweilen daselbst
spätestens bis vier oder fünf Uhr Nachmittags. Man erkennt sie schon von Weitem an ihrem
ruhigen, schönen Fluge, namentlich aber dann, wenn sie von oben herabstreichen. Sie lassen sich
nämlich, wenn sie ein Aas aufgefunden haben, hunderte von Fußen senkrecht herabfallen, breiten dann
die Schwingen wieder und strecken die Ständer weit von sich und lassen sich dann vollends schief auf
das Aas herab. Hier halten sie sich, wie die Kuttengeier, vorzugsweise an die Muskeln. Die Ein-
geweide scheinen sie zu verschmähen.

Ueber die Fortpflanzung des Ohrengeiers weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts mitzutheilen
und muß deshalb Le Vaillant für mich reden lassen. "Der Ohrengeier", sagt dieser ausgezeichnete
Forscher, "nistet in Felshöhlen. Das Weibchen legt zwei, höchst selten drei weiße Eier und zwar

Schopfgeier. Ohrengeier.
ſind violett. Bei großer Aufregung röthen ſich alle nackten Stellen des Kopfes und Halſes mit
Ausnahme des Scheitels.

Der Ohrengeier iſt über ganz Afrika verbreitet. Man begegnet ihm bereits in Oberegypten und
vonhieraus überall bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung hin, im Weſten wie im Oſten. Er iſt
ſeltener, als ſeine Verwandten, kommt jedoch überall vor. Von Egypten aus ſoll er ſich wiederholt
nach Südeuropa verflogen haben, man hat ſogar behaupten wollen, daß er in Griechenland horſtend
gefunden werde. Neuere Beobachtungen aber haben dieſe Angabe nicht beſtätigt. Jn Jndien wird
er durch einen Verwandten, den Sukuni der Jndier oder Kahlkopfgeier (Otogyps cal-
vus
) vertreten.

Von Mittelnubien an ſüdwärts vermißt man den Ohrengeier ſelten bei einem größeren Aaſe.
Er ſcheut ſich nicht vor dem Menſchen und kommt dreiſt bis in die Dörfer oder auf die Schlachtplätze
der Städte, obgleich er ſich freilich nicht ſo zutraulich zeigt wie die kleineren Rabengeier. Auf dem
Aaſe ſpielt er ſtets den Alleinherrſcher und vertreibt alle übrigen Geier, vielleicht mit Ausnahme der
biſſigen Gänſegeier. Die Hunde, welche in ganz Nordoſtafrika das Gewerbe der Geier beeinträchtigen,
weiß er ſtets in Achtung zu erhalten. Ganz Daſſelbe wird von ſeinem indiſchen Vertreter geſagt.
„Die Jndier‟, berichtet Jerdon, „nennen den Sukuni Königsgeier, weil ihn alle übrigen
fürchten und ihm ſtets das Feld räumen, wenn er ſich zeigt.‟ An Gefräßigkeit ſteht er unter allen
ſeinen Verwandten obenan, demungeachtet geberdet er ſich nicht ſo gierig, wie ſeine langhälſigen Ver-
wandten. Aber ſeine Mahlzeit geht regelmäßig raſch von ſtatten. Vier bis fünf Ohrengeier freſſen
binnen fünf Minuten den größten Hund bis auf den Schädel und die Fußknochen rein auf. Von der
Stärke eines Ohrengeiers habe ich mich oft überzeugt. Ein einziger Biß von ihm zerſchneidet die
dickſte Lederhaut eines großen Thieres, und wenige Biſſen genügen, um auf eine bedeutende Strecke
die Muskeln bloszulegen. Jch ſah einen einzigen dieſer Vögel eine ausgewachſene Ziege mit dem
Schnabel packen und mit größter Leichtigkeit fortziehen.

Nach jeder Mahlzeit fliegt der Ohrengeier dem nächſten Waſſer zu, tränkt und putzt ſich dort,
ruht aus, indem er ſich wie die Hühner in den Sand legt und behaglich ſonnt, und fliegt dann,
kreiſend und oft große Strecken hin ohne Flügelſchlag ſchwebend, ſeinen Schlafplätzen zu. Auch er
bevorzugt Bäume, und ich meinestheils habe ihn niemals auf Felſen ſchlafend gefunden. Zur Nacht-
ruhe wählt er ſich nicht immer die größten Bäume aus, ſondern begnügt ſich mit jedem, der ihm
paſſend erſcheint, oft mit einem kaum zehn Fuß hohen Mimoſenſtrauch. Hier ſitzt er in ſehr aufrechter
Haltung, wie ein Mann, den Kopf dicht eingezogen, den Schwanz ſchlaff herabhängend. Am Morgen
verweilt er wenigſtens zwei Stunden nach Sonnenaufgang auf ſeinem Schlafplatze, und bis zum
Auffliegen iſt er ſo wenig ſcheu, daß man ihn unterlaufen und ſelbſt mit Schrot herunterſchießen kann.
Als ich das erſtemal von Menſa zurückkehrte, traf ich in einem wegen des durchführenden Weges
wenigſtens einigermaßen belebten Thale eine Geſellſchaft von etwa acht ſchlafenden Ohrengeiern an.
Die Vögel ſaßen ſo feſt, daß ich um ihren Schlafbaum herum reiten konnte, ohne daß ich ſie ſich
erheben ſah. Erſt nachdem ich einen von ihnen niedergeſchoſſen hatte, flogen ſie auf; aber ſie waren
noch ſo ſchlaftrunken, daß ſie ſchon nach einer Entfernung von ungefähr 500 Schritten wieder auf-
bäumten. Die Ohrengeier erſcheinen nie vor 10 Uhr Morgens auf dem Aaſe und verweilen daſelbſt
ſpäteſtens bis vier oder fünf Uhr Nachmittags. Man erkennt ſie ſchon von Weitem an ihrem
ruhigen, ſchönen Fluge, namentlich aber dann, wenn ſie von oben herabſtreichen. Sie laſſen ſich
nämlich, wenn ſie ein Aas aufgefunden haben, hunderte von Fußen ſenkrecht herabfallen, breiten dann
die Schwingen wieder und ſtrecken die Ständer weit von ſich und laſſen ſich dann vollends ſchief auf
das Aas herab. Hier halten ſie ſich, wie die Kuttengeier, vorzugsweiſe an die Muskeln. Die Ein-
geweide ſcheinen ſie zu verſchmähen.

Ueber die Fortpflanzung des Ohrengeiers weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts mitzutheilen
und muß deshalb Le Vaillant für mich reden laſſen. „Der Ohrengeier‟, ſagt dieſer ausgezeichnete
Forſcher, „niſtet in Felshöhlen. Das Weibchen legt zwei, höchſt ſelten drei weiße Eier und zwar

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[571/0605] Schopfgeier. Ohrengeier. ſind violett. Bei großer Aufregung röthen ſich alle nackten Stellen des Kopfes und Halſes mit Ausnahme des Scheitels. Der Ohrengeier iſt über ganz Afrika verbreitet. Man begegnet ihm bereits in Oberegypten und vonhieraus überall bis zum Vorgebirge der guten Hoffnung hin, im Weſten wie im Oſten. Er iſt ſeltener, als ſeine Verwandten, kommt jedoch überall vor. Von Egypten aus ſoll er ſich wiederholt nach Südeuropa verflogen haben, man hat ſogar behaupten wollen, daß er in Griechenland horſtend gefunden werde. Neuere Beobachtungen aber haben dieſe Angabe nicht beſtätigt. Jn Jndien wird er durch einen Verwandten, den Sukuni der Jndier oder Kahlkopfgeier (Otogyps cal- vus) vertreten. Von Mittelnubien an ſüdwärts vermißt man den Ohrengeier ſelten bei einem größeren Aaſe. Er ſcheut ſich nicht vor dem Menſchen und kommt dreiſt bis in die Dörfer oder auf die Schlachtplätze der Städte, obgleich er ſich freilich nicht ſo zutraulich zeigt wie die kleineren Rabengeier. Auf dem Aaſe ſpielt er ſtets den Alleinherrſcher und vertreibt alle übrigen Geier, vielleicht mit Ausnahme der biſſigen Gänſegeier. Die Hunde, welche in ganz Nordoſtafrika das Gewerbe der Geier beeinträchtigen, weiß er ſtets in Achtung zu erhalten. Ganz Daſſelbe wird von ſeinem indiſchen Vertreter geſagt. „Die Jndier‟, berichtet Jerdon, „nennen den Sukuni Königsgeier, weil ihn alle übrigen fürchten und ihm ſtets das Feld räumen, wenn er ſich zeigt.‟ An Gefräßigkeit ſteht er unter allen ſeinen Verwandten obenan, demungeachtet geberdet er ſich nicht ſo gierig, wie ſeine langhälſigen Ver- wandten. Aber ſeine Mahlzeit geht regelmäßig raſch von ſtatten. Vier bis fünf Ohrengeier freſſen binnen fünf Minuten den größten Hund bis auf den Schädel und die Fußknochen rein auf. Von der Stärke eines Ohrengeiers habe ich mich oft überzeugt. Ein einziger Biß von ihm zerſchneidet die dickſte Lederhaut eines großen Thieres, und wenige Biſſen genügen, um auf eine bedeutende Strecke die Muskeln bloszulegen. Jch ſah einen einzigen dieſer Vögel eine ausgewachſene Ziege mit dem Schnabel packen und mit größter Leichtigkeit fortziehen. Nach jeder Mahlzeit fliegt der Ohrengeier dem nächſten Waſſer zu, tränkt und putzt ſich dort, ruht aus, indem er ſich wie die Hühner in den Sand legt und behaglich ſonnt, und fliegt dann, kreiſend und oft große Strecken hin ohne Flügelſchlag ſchwebend, ſeinen Schlafplätzen zu. Auch er bevorzugt Bäume, und ich meinestheils habe ihn niemals auf Felſen ſchlafend gefunden. Zur Nacht- ruhe wählt er ſich nicht immer die größten Bäume aus, ſondern begnügt ſich mit jedem, der ihm paſſend erſcheint, oft mit einem kaum zehn Fuß hohen Mimoſenſtrauch. Hier ſitzt er in ſehr aufrechter Haltung, wie ein Mann, den Kopf dicht eingezogen, den Schwanz ſchlaff herabhängend. Am Morgen verweilt er wenigſtens zwei Stunden nach Sonnenaufgang auf ſeinem Schlafplatze, und bis zum Auffliegen iſt er ſo wenig ſcheu, daß man ihn unterlaufen und ſelbſt mit Schrot herunterſchießen kann. Als ich das erſtemal von Menſa zurückkehrte, traf ich in einem wegen des durchführenden Weges wenigſtens einigermaßen belebten Thale eine Geſellſchaft von etwa acht ſchlafenden Ohrengeiern an. Die Vögel ſaßen ſo feſt, daß ich um ihren Schlafbaum herum reiten konnte, ohne daß ich ſie ſich erheben ſah. Erſt nachdem ich einen von ihnen niedergeſchoſſen hatte, flogen ſie auf; aber ſie waren noch ſo ſchlaftrunken, daß ſie ſchon nach einer Entfernung von ungefähr 500 Schritten wieder auf- bäumten. Die Ohrengeier erſcheinen nie vor 10 Uhr Morgens auf dem Aaſe und verweilen daſelbſt ſpäteſtens bis vier oder fünf Uhr Nachmittags. Man erkennt ſie ſchon von Weitem an ihrem ruhigen, ſchönen Fluge, namentlich aber dann, wenn ſie von oben herabſtreichen. Sie laſſen ſich nämlich, wenn ſie ein Aas aufgefunden haben, hunderte von Fußen ſenkrecht herabfallen, breiten dann die Schwingen wieder und ſtrecken die Ständer weit von ſich und laſſen ſich dann vollends ſchief auf das Aas herab. Hier halten ſie ſich, wie die Kuttengeier, vorzugsweiſe an die Muskeln. Die Ein- geweide ſcheinen ſie zu verſchmähen. Ueber die Fortpflanzung des Ohrengeiers weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts mitzutheilen und muß deshalb Le Vaillant für mich reden laſſen. „Der Ohrengeier‟, ſagt dieſer ausgezeichnete Forſcher, „niſtet in Felshöhlen. Das Weibchen legt zwei, höchſt ſelten drei weiße Eier und zwar

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/605>, abgerufen am 25.11.2024.