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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
und Verwandten oder Herdenthieren im Gebirge finden sie immer reichliche Nahrung. Viele der
gedachten Thiere verlieren in Folge des Mangels oder sonstwie ihr Leben; die Stuten oder Kühe
bringen todte Junge zur Welt, und somit fehlt es selten an Aas. Unter Umständen stürzt sich der
Kondor auch auf ganz junge Lämmer und, wie Tschudi sagt, selbst auf gedrückte Pferde, denen er das
Fleisch rings um die Wunde wegfrißt, bis er in die Brusthöhle gelangt und so das große Thier wirklich
umbringt. Dem Jäger folgt der gierige Räuber stets. Beim Ausweiden der geschossenen Vicundas
oder Andeshirsche sieht man sich regelmäßig von Scharen von Kondoren umkreist, welche sich mit
gieriger Hast auf die weggeworfenen Eingeweide stürzen und dabei nicht die geringste Scheu vor dem
Menschen an den Tag legen. Ebenso sollen sie den jagenden Puma beobachten und die Ueberreste
seiner Tafel abräumen. "Wenn die Kondoren", sagt Darwin, "sich niederlassen und dann alle
plötzlich sich zusammen erheben, so weiß der Chilese, daß es der Puma war, welcher, die Leiche
bewachend, die Räuber hinwegtreibt." Jn der Zeit, wo die Schafe Junge haben, beobachtet der
Kondor auch die Herden sehr genau, und dann nimmt er gern die Gelegenheit wahr, junge Ziegen oder
Lämmer zu rauben. "Deshalb sind die Schäferhunde abgerichtet, herauszulaufen, so lange der Feind
in den Lüften ist, nach oben zu sehen und heftig zu bellen." Am Meeresstrande nähren sich die
Vögel von den durch die Flut ausgeworfenen großen Seesäugethieren, welche Südamerika in großer
Menge umschwärmen. Die menschlichen Wohnungen meiden sie stets, so wenig sie sonst auch vor den
Menschen sich zu fürchten scheinen. Doch greifen sie nicht einmal Kinder an; wenigstens gibt es kein
Beispiel, daß sie solche geraubt hätten. Oft schlafen, nach Humboldt, Kinder in der freien Luft,
während ihre Väter Schnee zum Verkauf in den tiefer gelegenen Städten sammeln, ohne daß diese
irgend welche Sorge bezüglich der Raublust der Kondors haben müßten. Die Jndianer versichern
einstimmig, daß die Raubvögel dem Menschen nicht gefährlich würden.

Bei der Mahlzeit verfahren die Kondoren genau wie andere Geier. "Zuerst", sagt Tschudi,
"werden diejenigen Theile, welche am wenigsten Widerstand bieten, weggerissen, besonders die Augen,
die Ohren, die Zunge und die weichhäutigen Theile um den After. Hier öffnen sie gewöhnlich ein
großes Loch, um in die Bauchhöhle zu gelangen. Wenn sich eine größere Anzahl dieser Vögel auf
einem Thiere versammelt, so reichen die natürlichen Oeffnungen nicht hin, um ihrem Heißhunger rasche
Befriedigung zu gewähren. Sie reißen sich also einen künstlichen Weg auf, gewöhnlich an der Brust
oder am Bauche. Die Jndianer behaupten, der Kondor wisse ganz genau, wo das Herz der Thiere
liege und suche dieses immer zuerst auf." Vollgefressen wird der Kondor träge und schwerfällig, und
auch er würgt, wenn er gezwungen auffliegen muß, die im Kropfe aufgespeicherte Nahrung heraus.
Jn einigen Gegenden, namentlich in dem höchsten Gebirgsgürtel, lassen sich die schmausenden nur mit
Mühe von ihrem Fraße vertreiben und kehren augenblicklich wieder zu demselben zurück. An der
Küste hingegen sind sie scheuer und vorsichtiger.

Die Brutzeit des Kondors fällt in unsere Winter- oder Frühlingsmonate. Der Horst steht auf
den unzugänglichsten Felsen der höchsten Cordillerenrücken, ist aber kaum Horst zu nennen; denn oft
legt das Weibchen seine zwei großen, auf gelblichweißem Grunde braun besprenkelten Eier auf den
nackten Boden. Die Jungen kommen in einem graulichen Dunenkleide zur Welt, wachsen langsam,
bleiben lange im Horste und werden auch nach dem Ausfliegen noch von ihren Eltern ernährt. Bei
Gefahr vertheidigen diese die Brut mit großem Muth. "Jm Mai 1841", sagt Tschudi, "verirrten
wir uns bei Verfolgung eines angeschossenen Hirsches in die steilen Kämme des Hochgebirges und
trafen kaum vier Fuß über uns auf drei brütende Weibchen, welche uns mit grausenerregendem
Gekrächze und mit den drohendsten Geberden empfingen, sodaß wir fürchten mußten, durch dieselben
von dem kaum zwei Fuß breiten Felsenkamme, auf dem wir uns befanden, in den Abgrund gestoßen
zu werden. Nur der schleunigste Rückzug auf einen breiteren Platz konnte uns retten."

Die Jndianer fangen viele Kondoren, weil es ihnen ein besonderes Vergnügen macht, die armen
Vögel nach Möglichkeit zu peinigen. Man füllt den Leib eines Aases mit betäubenden Kräutern an,
welche so heftig wirken, daß der Kondor nach dem Genusse des Fleisches wie betrunken umhertaumelt

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
und Verwandten oder Herdenthieren im Gebirge finden ſie immer reichliche Nahrung. Viele der
gedachten Thiere verlieren in Folge des Mangels oder ſonſtwie ihr Leben; die Stuten oder Kühe
bringen todte Junge zur Welt, und ſomit fehlt es ſelten an Aas. Unter Umſtänden ſtürzt ſich der
Kondor auch auf ganz junge Lämmer und, wie Tſchudi ſagt, ſelbſt auf gedrückte Pferde, denen er das
Fleiſch rings um die Wunde wegfrißt, bis er in die Bruſthöhle gelangt und ſo das große Thier wirklich
umbringt. Dem Jäger folgt der gierige Räuber ſtets. Beim Ausweiden der geſchoſſenen Vicuñas
oder Andeshirſche ſieht man ſich regelmäßig von Scharen von Kondoren umkreiſt, welche ſich mit
gieriger Haſt auf die weggeworfenen Eingeweide ſtürzen und dabei nicht die geringſte Scheu vor dem
Menſchen an den Tag legen. Ebenſo ſollen ſie den jagenden Puma beobachten und die Ueberreſte
ſeiner Tafel abräumen. „Wenn die Kondoren‟, ſagt Darwin, „ſich niederlaſſen und dann alle
plötzlich ſich zuſammen erheben, ſo weiß der Chileſe, daß es der Puma war, welcher, die Leiche
bewachend, die Räuber hinwegtreibt.‟ Jn der Zeit, wo die Schafe Junge haben, beobachtet der
Kondor auch die Herden ſehr genau, und dann nimmt er gern die Gelegenheit wahr, junge Ziegen oder
Lämmer zu rauben. „Deshalb ſind die Schäferhunde abgerichtet, herauszulaufen, ſo lange der Feind
in den Lüften iſt, nach oben zu ſehen und heftig zu bellen.‟ Am Meeresſtrande nähren ſich die
Vögel von den durch die Flut ausgeworfenen großen Seeſäugethieren, welche Südamerika in großer
Menge umſchwärmen. Die menſchlichen Wohnungen meiden ſie ſtets, ſo wenig ſie ſonſt auch vor den
Menſchen ſich zu fürchten ſcheinen. Doch greifen ſie nicht einmal Kinder an; wenigſtens gibt es kein
Beiſpiel, daß ſie ſolche geraubt hätten. Oft ſchlafen, nach Humboldt, Kinder in der freien Luft,
während ihre Väter Schnee zum Verkauf in den tiefer gelegenen Städten ſammeln, ohne daß dieſe
irgend welche Sorge bezüglich der Raubluſt der Kondors haben müßten. Die Jndianer verſichern
einſtimmig, daß die Raubvögel dem Menſchen nicht gefährlich würden.

Bei der Mahlzeit verfahren die Kondoren genau wie andere Geier. „Zuerſt‟, ſagt Tſchudi,
„werden diejenigen Theile, welche am wenigſten Widerſtand bieten, weggeriſſen, beſonders die Augen,
die Ohren, die Zunge und die weichhäutigen Theile um den After. Hier öffnen ſie gewöhnlich ein
großes Loch, um in die Bauchhöhle zu gelangen. Wenn ſich eine größere Anzahl dieſer Vögel auf
einem Thiere verſammelt, ſo reichen die natürlichen Oeffnungen nicht hin, um ihrem Heißhunger raſche
Befriedigung zu gewähren. Sie reißen ſich alſo einen künſtlichen Weg auf, gewöhnlich an der Bruſt
oder am Bauche. Die Jndianer behaupten, der Kondor wiſſe ganz genau, wo das Herz der Thiere
liege und ſuche dieſes immer zuerſt auf.‟ Vollgefreſſen wird der Kondor träge und ſchwerfällig, und
auch er würgt, wenn er gezwungen auffliegen muß, die im Kropfe aufgeſpeicherte Nahrung heraus.
Jn einigen Gegenden, namentlich in dem höchſten Gebirgsgürtel, laſſen ſich die ſchmauſenden nur mit
Mühe von ihrem Fraße vertreiben und kehren augenblicklich wieder zu demſelben zurück. An der
Küſte hingegen ſind ſie ſcheuer und vorſichtiger.

Die Brutzeit des Kondors fällt in unſere Winter- oder Frühlingsmonate. Der Horſt ſteht auf
den unzugänglichſten Felſen der höchſten Cordillerenrücken, iſt aber kaum Horſt zu nennen; denn oft
legt das Weibchen ſeine zwei großen, auf gelblichweißem Grunde braun beſprenkelten Eier auf den
nackten Boden. Die Jungen kommen in einem graulichen Dunenkleide zur Welt, wachſen langſam,
bleiben lange im Horſte und werden auch nach dem Ausfliegen noch von ihren Eltern ernährt. Bei
Gefahr vertheidigen dieſe die Brut mit großem Muth. „Jm Mai 1841‟, ſagt Tſchudi, „verirrten
wir uns bei Verfolgung eines angeſchoſſenen Hirſches in die ſteilen Kämme des Hochgebirges und
trafen kaum vier Fuß über uns auf drei brütende Weibchen, welche uns mit grauſenerregendem
Gekrächze und mit den drohendſten Geberden empfingen, ſodaß wir fürchten mußten, durch dieſelben
von dem kaum zwei Fuß breiten Felſenkamme, auf dem wir uns befanden, in den Abgrund geſtoßen
zu werden. Nur der ſchleunigſte Rückzug auf einen breiteren Platz konnte uns retten.‟

Die Jndianer fangen viele Kondoren, weil es ihnen ein beſonderes Vergnügen macht, die armen
Vögel nach Möglichkeit zu peinigen. Man füllt den Leib eines Aaſes mit betäubenden Kräutern an,
welche ſo heftig wirken, daß der Kondor nach dem Genuſſe des Fleiſches wie betrunken umhertaumelt

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[558/0590] Die Fänger. Raubvögel. Geier. und Verwandten oder Herdenthieren im Gebirge finden ſie immer reichliche Nahrung. Viele der gedachten Thiere verlieren in Folge des Mangels oder ſonſtwie ihr Leben; die Stuten oder Kühe bringen todte Junge zur Welt, und ſomit fehlt es ſelten an Aas. Unter Umſtänden ſtürzt ſich der Kondor auch auf ganz junge Lämmer und, wie Tſchudi ſagt, ſelbſt auf gedrückte Pferde, denen er das Fleiſch rings um die Wunde wegfrißt, bis er in die Bruſthöhle gelangt und ſo das große Thier wirklich umbringt. Dem Jäger folgt der gierige Räuber ſtets. Beim Ausweiden der geſchoſſenen Vicuñas oder Andeshirſche ſieht man ſich regelmäßig von Scharen von Kondoren umkreiſt, welche ſich mit gieriger Haſt auf die weggeworfenen Eingeweide ſtürzen und dabei nicht die geringſte Scheu vor dem Menſchen an den Tag legen. Ebenſo ſollen ſie den jagenden Puma beobachten und die Ueberreſte ſeiner Tafel abräumen. „Wenn die Kondoren‟, ſagt Darwin, „ſich niederlaſſen und dann alle plötzlich ſich zuſammen erheben, ſo weiß der Chileſe, daß es der Puma war, welcher, die Leiche bewachend, die Räuber hinwegtreibt.‟ Jn der Zeit, wo die Schafe Junge haben, beobachtet der Kondor auch die Herden ſehr genau, und dann nimmt er gern die Gelegenheit wahr, junge Ziegen oder Lämmer zu rauben. „Deshalb ſind die Schäferhunde abgerichtet, herauszulaufen, ſo lange der Feind in den Lüften iſt, nach oben zu ſehen und heftig zu bellen.‟ Am Meeresſtrande nähren ſich die Vögel von den durch die Flut ausgeworfenen großen Seeſäugethieren, welche Südamerika in großer Menge umſchwärmen. Die menſchlichen Wohnungen meiden ſie ſtets, ſo wenig ſie ſonſt auch vor den Menſchen ſich zu fürchten ſcheinen. Doch greifen ſie nicht einmal Kinder an; wenigſtens gibt es kein Beiſpiel, daß ſie ſolche geraubt hätten. Oft ſchlafen, nach Humboldt, Kinder in der freien Luft, während ihre Väter Schnee zum Verkauf in den tiefer gelegenen Städten ſammeln, ohne daß dieſe irgend welche Sorge bezüglich der Raubluſt der Kondors haben müßten. Die Jndianer verſichern einſtimmig, daß die Raubvögel dem Menſchen nicht gefährlich würden. Bei der Mahlzeit verfahren die Kondoren genau wie andere Geier. „Zuerſt‟, ſagt Tſchudi, „werden diejenigen Theile, welche am wenigſten Widerſtand bieten, weggeriſſen, beſonders die Augen, die Ohren, die Zunge und die weichhäutigen Theile um den After. Hier öffnen ſie gewöhnlich ein großes Loch, um in die Bauchhöhle zu gelangen. Wenn ſich eine größere Anzahl dieſer Vögel auf einem Thiere verſammelt, ſo reichen die natürlichen Oeffnungen nicht hin, um ihrem Heißhunger raſche Befriedigung zu gewähren. Sie reißen ſich alſo einen künſtlichen Weg auf, gewöhnlich an der Bruſt oder am Bauche. Die Jndianer behaupten, der Kondor wiſſe ganz genau, wo das Herz der Thiere liege und ſuche dieſes immer zuerſt auf.‟ Vollgefreſſen wird der Kondor träge und ſchwerfällig, und auch er würgt, wenn er gezwungen auffliegen muß, die im Kropfe aufgeſpeicherte Nahrung heraus. Jn einigen Gegenden, namentlich in dem höchſten Gebirgsgürtel, laſſen ſich die ſchmauſenden nur mit Mühe von ihrem Fraße vertreiben und kehren augenblicklich wieder zu demſelben zurück. An der Küſte hingegen ſind ſie ſcheuer und vorſichtiger. Die Brutzeit des Kondors fällt in unſere Winter- oder Frühlingsmonate. Der Horſt ſteht auf den unzugänglichſten Felſen der höchſten Cordillerenrücken, iſt aber kaum Horſt zu nennen; denn oft legt das Weibchen ſeine zwei großen, auf gelblichweißem Grunde braun beſprenkelten Eier auf den nackten Boden. Die Jungen kommen in einem graulichen Dunenkleide zur Welt, wachſen langſam, bleiben lange im Horſte und werden auch nach dem Ausfliegen noch von ihren Eltern ernährt. Bei Gefahr vertheidigen dieſe die Brut mit großem Muth. „Jm Mai 1841‟, ſagt Tſchudi, „verirrten wir uns bei Verfolgung eines angeſchoſſenen Hirſches in die ſteilen Kämme des Hochgebirges und trafen kaum vier Fuß über uns auf drei brütende Weibchen, welche uns mit grauſenerregendem Gekrächze und mit den drohendſten Geberden empfingen, ſodaß wir fürchten mußten, durch dieſelben von dem kaum zwei Fuß breiten Felſenkamme, auf dem wir uns befanden, in den Abgrund geſtoßen zu werden. Nur der ſchleunigſte Rückzug auf einen breiteren Platz konnte uns retten.‟ Die Jndianer fangen viele Kondoren, weil es ihnen ein beſonderes Vergnügen macht, die armen Vögel nach Möglichkeit zu peinigen. Man füllt den Leib eines Aaſes mit betäubenden Kräutern an, welche ſo heftig wirken, daß der Kondor nach dem Genuſſe des Fleiſches wie betrunken umhertaumelt

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 558. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/590>, abgerufen am 22.11.2024.