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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Geier.
Trupps. Jch habe nie mehr als ihrer fünf zusammengesehen und glaube, daß der schweizer Beobachter,
welcher von funfzehn spricht, sich geirrt hat. Jedes Paar bewohnt ein Gebiet von mehreren Geviert-
meilen Flächenausdehnung und durchstreift dieses tagtäglich, ja sogar mit einer gewissen Regel-
mäßigkeit. Deshalb wird man da, wo es Bartgeier gibt, sicherlich Gelegenheit finden, den Vogel
zu beobachten.

Jn den Morgenstunden sieht man den Bartgeier selten oder nicht. Er scheint bis geraume Zeit
nach Sonnenaufgang auf seinem Schlafplatze zu verweilen. Etwa anderthalb Stunden nach Sonnen-
aufgang beginnt er das Durchstreifen seines Gebietes. Beide Gatten des Paares fliegen in nicht
allzu großer Entfernung von einander längs und über den hauptsächlichsten Zügen des Gebirges
dahin, gewöhnlich in einer Höhe von nicht mehr als etwa 150 Fuß über dem Boden. Sie fliegen
dem Gebirgszuge seiner ganzen Länge nach, kehren an der Spitze eines auslaufenden Berges auch
wohl um und suchen, in gleicher Weise dahinfliegend, die andere Seite ab. Wird der Hauptzug durch
Querthäler unterbrochen, so werden diese in derselben Höhe, welche der Vogel bisher innegehalten
hatte, überflogen, selten aber sogleich mit durchsucht; er scheint sich gar nicht um das unter ihnen
liegende Thal zu bekümmern. Ein gerade in seinem Zuge begriffener Bartgeier läßt sich nicht gern
durch Etwas aufhalten. Jch habe gesehen, daß einer dieser Vögel so nahe an den bewohnten
Gebäuden einer sogenannten Einsiedelei vorüberflog, daß man ihn von dem Fenster aus hätte mit
Schroten herabschießen können. Auch vor Menschen scheut er sich durchaus nicht: er ist mehrmals
dicht über uns dahingestrichen. Dasselbe sagt Adams: "Er ist keineswegs ein scheuer Vogel, sondern
fliegt, wenn er Futter sucht, oft auf wenige Ellen vor dem Menschen vorüber." Bei diesem Streichen
fliegt der Bartgeier äußerst schnell, ja förmlich stürmisch dahin, ohne jeden Flügelschlag, und seine
Gestalt erscheint dabei so zierlich, daß es ganz unmöglich ist, ihn mit irgend einem Geier oder Adler
zu verwechseln. Nur Unkundige können ihn für einen Schmuzgeier ansehen. Jch bin oft versucht
worden, den fernfliegenden Bartgeier für einen -- Wanderfalken zu halten, wenn ich, von der Falken-
gestalt getäuscht, mich augenblicklich nicht an die schnellen Flügelschläge des Edelfalken erinnerte.
Gurney sagt ungefähr Dasselbe: "Der Flug ähnelt so sehr dem größerer Falken, daß ich überrascht
und sörmlich getäuscht war, als ich den ersten geschossen und einen Geier in den Händen hatte."
Beim Fliegen läßt der Bartgeier seinen Blick nach allen Seiten hin schweifen, bis er etwas entdeckt
hat; dann beginnt er sofort seine Schraubenlinien über dem Gegenstande zu drehen, sein Genosse ver-
einigt sich sogleich mit ihm, und beide verweilen nun, oft lange beständig kreisend, über einer Stelle,
bevor sie ihre Wanderung fortsetzen. Zeigt sich das Gefundene der Mühe werth, so lassen sie sich
allgemach tiefer hernieder, setzen sich endlich auf den Boden und laufen nun wie Raben auf das
Gesuchte zu. Beim Fressen wählt der Bartgeier stets erhabene Punkte, am liebsten vorstehende Fels-
zacken oder wenigstens Felsplatten. Es scheint, daß ihm das Auffliegen schwer wird und er es
deshalb vorzieht, beim Abstreichen gleich eine gewisse Höhe zu haben, um von hier aus ohne Flügel-
schlag sich weiter fördern zu können; denn wenn er einmal schwebt, ist der geringste Luftzug genügend,
ihn in jede beliebige Höhe emporzuheben. Auf Felsen, welche Dies gestatten, sitzt der Vogel ziemlich
aufrecht, gewöhnlich aber wagerecht, wie der lange Schwanz es bedingt. Der Gang ist verhältniß-
mäßig gut, wenn auch noch immer ungeschickter, als der eines Raben, welchem der Geieradler auch
insofern ähnelt, als er schreitet und nicht hüpft.

"Wenn man", so habe ich im Jahre 1858 berichtet, "einen glaubwürdigen spanischen Jäger
fragt, was der Bartgeier fresse, wird er sicherlich keine Jagd-, Spuk-, Raub- und Mordgeschichten
wie der Schweizer von seinem Geieradler zum Besten geben, sondern einfach sagen, der Knochenzer-
brecher (Queberanta-huesos) frißt Aas, Kaninchen, Hasen und noch andere kleine Säugethiere,
hauptsächlich aber Knochen, welche er zerbricht, indem er sie aus bedeutender Höhe herab zur Tiefe
fallen läßt. Kein einziger Spanier, mit welchem wir in jagdlicher oder wissenschaftlicher Hinsicht
verkehrt haben, kannte den Bartgeier als berüchtigten Räuberhauptmann, wie der Schweizer den
seinigen. Man wußte mir, als ich nach dem Vogel fragte, welcher Ziegen und Schafe, Kinder und

Die Fänger. Raubvögel. Geier.
Trupps. Jch habe nie mehr als ihrer fünf zuſammengeſehen und glaube, daß der ſchweizer Beobachter,
welcher von funfzehn ſpricht, ſich geirrt hat. Jedes Paar bewohnt ein Gebiet von mehreren Geviert-
meilen Flächenausdehnung und durchſtreift dieſes tagtäglich, ja ſogar mit einer gewiſſen Regel-
mäßigkeit. Deshalb wird man da, wo es Bartgeier gibt, ſicherlich Gelegenheit finden, den Vogel
zu beobachten.

Jn den Morgenſtunden ſieht man den Bartgeier ſelten oder nicht. Er ſcheint bis geraume Zeit
nach Sonnenaufgang auf ſeinem Schlafplatze zu verweilen. Etwa anderthalb Stunden nach Sonnen-
aufgang beginnt er das Durchſtreifen ſeines Gebietes. Beide Gatten des Paares fliegen in nicht
allzu großer Entfernung von einander längs und über den hauptſächlichſten Zügen des Gebirges
dahin, gewöhnlich in einer Höhe von nicht mehr als etwa 150 Fuß über dem Boden. Sie fliegen
dem Gebirgszuge ſeiner ganzen Länge nach, kehren an der Spitze eines auslaufenden Berges auch
wohl um und ſuchen, in gleicher Weiſe dahinfliegend, die andere Seite ab. Wird der Hauptzug durch
Querthäler unterbrochen, ſo werden dieſe in derſelben Höhe, welche der Vogel bisher innegehalten
hatte, überflogen, ſelten aber ſogleich mit durchſucht; er ſcheint ſich gar nicht um das unter ihnen
liegende Thal zu bekümmern. Ein gerade in ſeinem Zuge begriffener Bartgeier läßt ſich nicht gern
durch Etwas aufhalten. Jch habe geſehen, daß einer dieſer Vögel ſo nahe an den bewohnten
Gebäuden einer ſogenannten Einſiedelei vorüberflog, daß man ihn von dem Fenſter aus hätte mit
Schroten herabſchießen können. Auch vor Menſchen ſcheut er ſich durchaus nicht: er iſt mehrmals
dicht über uns dahingeſtrichen. Daſſelbe ſagt Adams: „Er iſt keineswegs ein ſcheuer Vogel, ſondern
fliegt, wenn er Futter ſucht, oft auf wenige Ellen vor dem Menſchen vorüber.‟ Bei dieſem Streichen
fliegt der Bartgeier äußerſt ſchnell, ja förmlich ſtürmiſch dahin, ohne jeden Flügelſchlag, und ſeine
Geſtalt erſcheint dabei ſo zierlich, daß es ganz unmöglich iſt, ihn mit irgend einem Geier oder Adler
zu verwechſeln. Nur Unkundige können ihn für einen Schmuzgeier anſehen. Jch bin oft verſucht
worden, den fernfliegenden Bartgeier für einen — Wanderfalken zu halten, wenn ich, von der Falken-
geſtalt getäuſcht, mich augenblicklich nicht an die ſchnellen Flügelſchläge des Edelfalken erinnerte.
Gurney ſagt ungefähr Daſſelbe: „Der Flug ähnelt ſo ſehr dem größerer Falken, daß ich überraſcht
und ſörmlich getäuſcht war, als ich den erſten geſchoſſen und einen Geier in den Händen hatte.‟
Beim Fliegen läßt der Bartgeier ſeinen Blick nach allen Seiten hin ſchweifen, bis er etwas entdeckt
hat; dann beginnt er ſofort ſeine Schraubenlinien über dem Gegenſtande zu drehen, ſein Genoſſe ver-
einigt ſich ſogleich mit ihm, und beide verweilen nun, oft lange beſtändig kreiſend, über einer Stelle,
bevor ſie ihre Wanderung fortſetzen. Zeigt ſich das Gefundene der Mühe werth, ſo laſſen ſie ſich
allgemach tiefer hernieder, ſetzen ſich endlich auf den Boden und laufen nun wie Raben auf das
Geſuchte zu. Beim Freſſen wählt der Bartgeier ſtets erhabene Punkte, am liebſten vorſtehende Fels-
zacken oder wenigſtens Felsplatten. Es ſcheint, daß ihm das Auffliegen ſchwer wird und er es
deshalb vorzieht, beim Abſtreichen gleich eine gewiſſe Höhe zu haben, um von hier aus ohne Flügel-
ſchlag ſich weiter fördern zu können; denn wenn er einmal ſchwebt, iſt der geringſte Luftzug genügend,
ihn in jede beliebige Höhe emporzuheben. Auf Felſen, welche Dies geſtatten, ſitzt der Vogel ziemlich
aufrecht, gewöhnlich aber wagerecht, wie der lange Schwanz es bedingt. Der Gang iſt verhältniß-
mäßig gut, wenn auch noch immer ungeſchickter, als der eines Raben, welchem der Geieradler auch
inſofern ähnelt, als er ſchreitet und nicht hüpft.

„Wenn man‟, ſo habe ich im Jahre 1858 berichtet, „einen glaubwürdigen ſpaniſchen Jäger
fragt, was der Bartgeier freſſe, wird er ſicherlich keine Jagd-, Spuk-, Raub- und Mordgeſchichten
wie der Schweizer von ſeinem Geieradler zum Beſten geben, ſondern einfach ſagen, der Knochenzer-
brecher (Queberanta-huesos) frißt Aas, Kaninchen, Haſen und noch andere kleine Säugethiere,
hauptſächlich aber Knochen, welche er zerbricht, indem er ſie aus bedeutender Höhe herab zur Tiefe
fallen läßt. Kein einziger Spanier, mit welchem wir in jagdlicher oder wiſſenſchaftlicher Hinſicht
verkehrt haben, kannte den Bartgeier als berüchtigten Räuberhauptmann, wie der Schweizer den
ſeinigen. Man wußte mir, als ich nach dem Vogel fragte, welcher Ziegen und Schafe, Kinder und

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[546/0578] Die Fänger. Raubvögel. Geier. Trupps. Jch habe nie mehr als ihrer fünf zuſammengeſehen und glaube, daß der ſchweizer Beobachter, welcher von funfzehn ſpricht, ſich geirrt hat. Jedes Paar bewohnt ein Gebiet von mehreren Geviert- meilen Flächenausdehnung und durchſtreift dieſes tagtäglich, ja ſogar mit einer gewiſſen Regel- mäßigkeit. Deshalb wird man da, wo es Bartgeier gibt, ſicherlich Gelegenheit finden, den Vogel zu beobachten. Jn den Morgenſtunden ſieht man den Bartgeier ſelten oder nicht. Er ſcheint bis geraume Zeit nach Sonnenaufgang auf ſeinem Schlafplatze zu verweilen. Etwa anderthalb Stunden nach Sonnen- aufgang beginnt er das Durchſtreifen ſeines Gebietes. Beide Gatten des Paares fliegen in nicht allzu großer Entfernung von einander längs und über den hauptſächlichſten Zügen des Gebirges dahin, gewöhnlich in einer Höhe von nicht mehr als etwa 150 Fuß über dem Boden. Sie fliegen dem Gebirgszuge ſeiner ganzen Länge nach, kehren an der Spitze eines auslaufenden Berges auch wohl um und ſuchen, in gleicher Weiſe dahinfliegend, die andere Seite ab. Wird der Hauptzug durch Querthäler unterbrochen, ſo werden dieſe in derſelben Höhe, welche der Vogel bisher innegehalten hatte, überflogen, ſelten aber ſogleich mit durchſucht; er ſcheint ſich gar nicht um das unter ihnen liegende Thal zu bekümmern. Ein gerade in ſeinem Zuge begriffener Bartgeier läßt ſich nicht gern durch Etwas aufhalten. Jch habe geſehen, daß einer dieſer Vögel ſo nahe an den bewohnten Gebäuden einer ſogenannten Einſiedelei vorüberflog, daß man ihn von dem Fenſter aus hätte mit Schroten herabſchießen können. Auch vor Menſchen ſcheut er ſich durchaus nicht: er iſt mehrmals dicht über uns dahingeſtrichen. Daſſelbe ſagt Adams: „Er iſt keineswegs ein ſcheuer Vogel, ſondern fliegt, wenn er Futter ſucht, oft auf wenige Ellen vor dem Menſchen vorüber.‟ Bei dieſem Streichen fliegt der Bartgeier äußerſt ſchnell, ja förmlich ſtürmiſch dahin, ohne jeden Flügelſchlag, und ſeine Geſtalt erſcheint dabei ſo zierlich, daß es ganz unmöglich iſt, ihn mit irgend einem Geier oder Adler zu verwechſeln. Nur Unkundige können ihn für einen Schmuzgeier anſehen. Jch bin oft verſucht worden, den fernfliegenden Bartgeier für einen — Wanderfalken zu halten, wenn ich, von der Falken- geſtalt getäuſcht, mich augenblicklich nicht an die ſchnellen Flügelſchläge des Edelfalken erinnerte. Gurney ſagt ungefähr Daſſelbe: „Der Flug ähnelt ſo ſehr dem größerer Falken, daß ich überraſcht und ſörmlich getäuſcht war, als ich den erſten geſchoſſen und einen Geier in den Händen hatte.‟ Beim Fliegen läßt der Bartgeier ſeinen Blick nach allen Seiten hin ſchweifen, bis er etwas entdeckt hat; dann beginnt er ſofort ſeine Schraubenlinien über dem Gegenſtande zu drehen, ſein Genoſſe ver- einigt ſich ſogleich mit ihm, und beide verweilen nun, oft lange beſtändig kreiſend, über einer Stelle, bevor ſie ihre Wanderung fortſetzen. Zeigt ſich das Gefundene der Mühe werth, ſo laſſen ſie ſich allgemach tiefer hernieder, ſetzen ſich endlich auf den Boden und laufen nun wie Raben auf das Geſuchte zu. Beim Freſſen wählt der Bartgeier ſtets erhabene Punkte, am liebſten vorſtehende Fels- zacken oder wenigſtens Felsplatten. Es ſcheint, daß ihm das Auffliegen ſchwer wird und er es deshalb vorzieht, beim Abſtreichen gleich eine gewiſſe Höhe zu haben, um von hier aus ohne Flügel- ſchlag ſich weiter fördern zu können; denn wenn er einmal ſchwebt, iſt der geringſte Luftzug genügend, ihn in jede beliebige Höhe emporzuheben. Auf Felſen, welche Dies geſtatten, ſitzt der Vogel ziemlich aufrecht, gewöhnlich aber wagerecht, wie der lange Schwanz es bedingt. Der Gang iſt verhältniß- mäßig gut, wenn auch noch immer ungeſchickter, als der eines Raben, welchem der Geieradler auch inſofern ähnelt, als er ſchreitet und nicht hüpft. „Wenn man‟, ſo habe ich im Jahre 1858 berichtet, „einen glaubwürdigen ſpaniſchen Jäger fragt, was der Bartgeier freſſe, wird er ſicherlich keine Jagd-, Spuk-, Raub- und Mordgeſchichten wie der Schweizer von ſeinem Geieradler zum Beſten geben, ſondern einfach ſagen, der Knochenzer- brecher (Queberanta-huesos) frißt Aas, Kaninchen, Haſen und noch andere kleine Säugethiere, hauptſächlich aber Knochen, welche er zerbricht, indem er ſie aus bedeutender Höhe herab zur Tiefe fallen läßt. Kein einziger Spanier, mit welchem wir in jagdlicher oder wiſſenſchaftlicher Hinſicht verkehrt haben, kannte den Bartgeier als berüchtigten Räuberhauptmann, wie der Schweizer den ſeinigen. Man wußte mir, als ich nach dem Vogel fragte, welcher Ziegen und Schafe, Kinder und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/578>, abgerufen am 22.11.2024.