welche ihn necken, ärgern und quälen. Selbst seine nächsten Verwandten zanken sich beständig mit ihm herum. Wenn der Carancho, erzählt Darwin, ruhig auf einem Baumaste oder auf der Erde sitzt, so fliegt der Chimango oft lange um ihn herum, auf und nieder stoßend, und versucht, so oft er seinem Verwandten nahe gekommen ist, diesem einen Schnabelhieb zu versetzen, welchen letzterer seinerseits nach Kräften abzuwehren versucht. Mehr als alle übrigen Raubvögel ist der Carancho von Läusen geplagt. Sie bevölkern sein Gefieder in solcher Menge, daß man kaum im Stande ist, einen getödteten Vogel abzuziehen.
Aeußerst sonderbar und lächerlich ist die Stellung, welche der Carancho annimmt, wenn er schreit. Er legt den Kopf ganz auf den Rücken und schnarrt "Traaa", sodann erhebt er ihn und ruft "Rooo" mit einer krächzenden, heiseren Stimme, ähnlich dem Geknarr, welches entsteht, wenn Holz an Holz heftig angeschlagen oder gerieben wird. Dieser Schrei, welcher dem Vogel den Namen "Traro" ver- schafft hat, ist auf weithin hörbar, aber höchst unangenehm.
Der Carancho ist vom frühen Morgen bis gegen Sonnenuntergang ununterbrochen thätig und viel in Bewegung. Gegen Abend vereinigt er sich mit andern seiner Art und seinen treuen Genossen, den Aasgeiern, auf gewissen Schlafplätzen, am liebsten auf einzeln stehenden, alten Bäumen in der Steppe, wo er die untersten Aeste in Besitz nimmt. Zu solchen Bäumen kommt er aus einer Ent- fernung von fünf bis sechs Meilen herbei. Jn Ermangelung derselben bäumt er auf niederen Büschen auf oder setzt sich endlich auf passende Felsen und bezüglich Termitenhügel nieder.
Die zusammengehörigen Paare leben während des ganzen Jahres im engsten Verbande. Man erkennt sie auch dann, wenn Gesellschaften von ihnen sich vereinigt haben, an ihrem treuen Zusammen- halten. Die Brutzeit ist verschieden, je nach den Gegenden, welche der Carancho bewohnt. Jn Paraguay horstet er im Herbst, in Mittelamerika während der Frühlingsmonate. Der Horst wurde ebensowohl auf sehr hohen, als auf niederen Bäumen gefunden. Er ist ein großer, flacher Bau aus Reißig, dessen Nestmulde mit feinen Wurzeln, Gras und Mos ausgelegt ist. Die zwei Eier sind auf gilblichem Grunde braun und blutroth gefleckt. Die Jungen kommen in einem weißen Dunenkleide zur Welt, werden von ihren Eltern mit größter Sorgfalt erzogen und so lange sie der Hilfe bedürftig sind, in jeder Hinsicht unterstützt, bald aber verstoßen oder wenigstens mit Gleichgiltigkeit behandelt.
Ueber das Gefangenleben des Carancho liegen noch wenige Beobachtungen vor. Jn unsern Thiergärten gehört der Vogel, wie bemerkt, zu den seltenen Erscheinungen. Unser Thiergarten hat, aller Bemühungen ungeachtet, erst vor wenig Tagen einen lebenden Carancho erhalten können; vordem hatte ich ihn nur in London gesehen. Man erachtet es in Amerika nicht der Mühe werth, einen so häufigen und leicht zu erlangenden Vogel nach Europa zu senden, und deshalb erhalten wir ihn äußerst selten. Audubon berichtet von einem Pärchen, welches Strobel in der Nähe von Charleston ausgenommen hatte. Das Männchen zeigte sich oft außerordentlich herrschsüchtig gegen seine Schwester und ließ selten eine Gelegenheit vorübergehen, sie durch wiederholte und heftige Schläge zu quälen, wobei dann laute Schreie ausgestoßen wurden. Zuweilen wurde die Mißhandlung so arg, daß sich das arme Weibchen minutenlang auf den Rücken legte und zu ihrer Vertheidigung die Fänge vorstreckte. Auch das Weibchen schrie laut und unangenehm, aber nur das letztere warf beim Schreien den Kopf zurück. Jhrem Pfleger gegenüber zeigten sich die Carauchos keineswegs freundlich gesinnt. Wenn man sie mit der Hand ergriff, wehrten sie sich mit Schnabel und Klauen so ernsthaft, daß man sie gehen lassen mußte. Sie fraßen ebensogut todte als lebende Thiere, Ratten, Mäuse, Hühner verschiedener Arten und zeigten sich ebenso geschickt, wie Falken und Adler, wenn es galt, eine Beute mit den Klauen wegzutragen. Beim Kröpfen hielten sie ihre Nahrung mit den Klauen fest und würgten die abgerissenen Stücke sammt Muskeln, Haaren und Federn ohne Weiteres hinab. Sie fraßen viel auf einmal, konnten aber auch bequem tagelang hungern. Wasser war ihnen Bedürfniß; sie tranken sehr frühzeitig. Jm zweiten Frühjahr ging ihr Kleid in das der Alten über, die volle Schönheit erhielten sie aber erst später.
Die Fänger. Raubvögel. Geierfalken.
welche ihn necken, ärgern und quälen. Selbſt ſeine nächſten Verwandten zanken ſich beſtändig mit ihm herum. Wenn der Carancho, erzählt Darwin, ruhig auf einem Baumaſte oder auf der Erde ſitzt, ſo fliegt der Chimango oft lange um ihn herum, auf und nieder ſtoßend, und verſucht, ſo oft er ſeinem Verwandten nahe gekommen iſt, dieſem einen Schnabelhieb zu verſetzen, welchen letzterer ſeinerſeits nach Kräften abzuwehren verſucht. Mehr als alle übrigen Raubvögel iſt der Carancho von Läuſen geplagt. Sie bevölkern ſein Gefieder in ſolcher Menge, daß man kaum im Stande iſt, einen getödteten Vogel abzuziehen.
Aeußerſt ſonderbar und lächerlich iſt die Stellung, welche der Carancho annimmt, wenn er ſchreit. Er legt den Kopf ganz auf den Rücken und ſchnarrt „Traaa‟, ſodann erhebt er ihn und ruft „Rooo‟ mit einer krächzenden, heiſeren Stimme, ähnlich dem Geknarr, welches entſteht, wenn Holz an Holz heftig angeſchlagen oder gerieben wird. Dieſer Schrei, welcher dem Vogel den Namen „Traro‟ ver- ſchafft hat, iſt auf weithin hörbar, aber höchſt unangenehm.
Der Carancho iſt vom frühen Morgen bis gegen Sonnenuntergang ununterbrochen thätig und viel in Bewegung. Gegen Abend vereinigt er ſich mit andern ſeiner Art und ſeinen treuen Genoſſen, den Aasgeiern, auf gewiſſen Schlafplätzen, am liebſten auf einzeln ſtehenden, alten Bäumen in der Steppe, wo er die unterſten Aeſte in Beſitz nimmt. Zu ſolchen Bäumen kommt er aus einer Ent- fernung von fünf bis ſechs Meilen herbei. Jn Ermangelung derſelben bäumt er auf niederen Büſchen auf oder ſetzt ſich endlich auf paſſende Felſen und bezüglich Termitenhügel nieder.
Die zuſammengehörigen Paare leben während des ganzen Jahres im engſten Verbande. Man erkennt ſie auch dann, wenn Geſellſchaften von ihnen ſich vereinigt haben, an ihrem treuen Zuſammen- halten. Die Brutzeit iſt verſchieden, je nach den Gegenden, welche der Carancho bewohnt. Jn Paraguay horſtet er im Herbſt, in Mittelamerika während der Frühlingsmonate. Der Horſt wurde ebenſowohl auf ſehr hohen, als auf niederen Bäumen gefunden. Er iſt ein großer, flacher Bau aus Reißig, deſſen Neſtmulde mit feinen Wurzeln, Gras und Mos ausgelegt iſt. Die zwei Eier ſind auf gilblichem Grunde braun und blutroth gefleckt. Die Jungen kommen in einem weißen Dunenkleide zur Welt, werden von ihren Eltern mit größter Sorgfalt erzogen und ſo lange ſie der Hilfe bedürftig ſind, in jeder Hinſicht unterſtützt, bald aber verſtoßen oder wenigſtens mit Gleichgiltigkeit behandelt.
Ueber das Gefangenleben des Carancho liegen noch wenige Beobachtungen vor. Jn unſern Thiergärten gehört der Vogel, wie bemerkt, zu den ſeltenen Erſcheinungen. Unſer Thiergarten hat, aller Bemühungen ungeachtet, erſt vor wenig Tagen einen lebenden Carancho erhalten können; vordem hatte ich ihn nur in London geſehen. Man erachtet es in Amerika nicht der Mühe werth, einen ſo häufigen und leicht zu erlangenden Vogel nach Europa zu ſenden, und deshalb erhalten wir ihn äußerſt ſelten. Audubon berichtet von einem Pärchen, welches Strobel in der Nähe von Charleston ausgenommen hatte. Das Männchen zeigte ſich oft außerordentlich herrſchſüchtig gegen ſeine Schweſter und ließ ſelten eine Gelegenheit vorübergehen, ſie durch wiederholte und heftige Schläge zu quälen, wobei dann laute Schreie ausgeſtoßen wurden. Zuweilen wurde die Mißhandlung ſo arg, daß ſich das arme Weibchen minutenlang auf den Rücken legte und zu ihrer Vertheidigung die Fänge vorſtreckte. Auch das Weibchen ſchrie laut und unangenehm, aber nur das letztere warf beim Schreien den Kopf zurück. Jhrem Pfleger gegenüber zeigten ſich die Carauchos keineswegs freundlich geſinnt. Wenn man ſie mit der Hand ergriff, wehrten ſie ſich mit Schnabel und Klauen ſo ernſthaft, daß man ſie gehen laſſen mußte. Sie fraßen ebenſogut todte als lebende Thiere, Ratten, Mäuſe, Hühner verſchiedener Arten und zeigten ſich ebenſo geſchickt, wie Falken und Adler, wenn es galt, eine Beute mit den Klauen wegzutragen. Beim Kröpfen hielten ſie ihre Nahrung mit den Klauen feſt und würgten die abgeriſſenen Stücke ſammt Muskeln, Haaren und Federn ohne Weiteres hinab. Sie fraßen viel auf einmal, konnten aber auch bequem tagelang hungern. Waſſer war ihnen Bedürfniß; ſie tranken ſehr frühzeitig. Jm zweiten Frühjahr ging ihr Kleid in das der Alten über, die volle Schönheit erhielten ſie aber erſt ſpäter.
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[528/0560]
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welche ihn necken, ärgern und quälen. Selbſt ſeine nächſten Verwandten zanken ſich beſtändig mit
ihm herum. Wenn der Carancho, erzählt Darwin, ruhig auf einem Baumaſte oder auf der Erde
ſitzt, ſo fliegt der Chimango oft lange um ihn herum, auf und nieder ſtoßend, und verſucht, ſo
oft er ſeinem Verwandten nahe gekommen iſt, dieſem einen Schnabelhieb zu verſetzen, welchen letzterer
ſeinerſeits nach Kräften abzuwehren verſucht. Mehr als alle übrigen Raubvögel iſt der Carancho
von Läuſen geplagt. Sie bevölkern ſein Gefieder in ſolcher Menge, daß man kaum im Stande iſt,
einen getödteten Vogel abzuziehen.
Aeußerſt ſonderbar und lächerlich iſt die Stellung, welche der Carancho annimmt, wenn er ſchreit.
Er legt den Kopf ganz auf den Rücken und ſchnarrt „Traaa‟, ſodann erhebt er ihn und ruft „Rooo‟
mit einer krächzenden, heiſeren Stimme, ähnlich dem Geknarr, welches entſteht, wenn Holz an Holz
heftig angeſchlagen oder gerieben wird. Dieſer Schrei, welcher dem Vogel den Namen „Traro‟ ver-
ſchafft hat, iſt auf weithin hörbar, aber höchſt unangenehm.
Der Carancho iſt vom frühen Morgen bis gegen Sonnenuntergang ununterbrochen thätig und viel
in Bewegung. Gegen Abend vereinigt er ſich mit andern ſeiner Art und ſeinen treuen Genoſſen, den
Aasgeiern, auf gewiſſen Schlafplätzen, am liebſten auf einzeln ſtehenden, alten Bäumen in der
Steppe, wo er die unterſten Aeſte in Beſitz nimmt. Zu ſolchen Bäumen kommt er aus einer Ent-
fernung von fünf bis ſechs Meilen herbei. Jn Ermangelung derſelben bäumt er auf niederen Büſchen
auf oder ſetzt ſich endlich auf paſſende Felſen und bezüglich Termitenhügel nieder.
Die zuſammengehörigen Paare leben während des ganzen Jahres im engſten Verbande. Man
erkennt ſie auch dann, wenn Geſellſchaften von ihnen ſich vereinigt haben, an ihrem treuen Zuſammen-
halten. Die Brutzeit iſt verſchieden, je nach den Gegenden, welche der Carancho bewohnt. Jn
Paraguay horſtet er im Herbſt, in Mittelamerika während der Frühlingsmonate. Der Horſt wurde
ebenſowohl auf ſehr hohen, als auf niederen Bäumen gefunden. Er iſt ein großer, flacher Bau aus
Reißig, deſſen Neſtmulde mit feinen Wurzeln, Gras und Mos ausgelegt iſt. Die zwei Eier ſind auf
gilblichem Grunde braun und blutroth gefleckt. Die Jungen kommen in einem weißen Dunenkleide
zur Welt, werden von ihren Eltern mit größter Sorgfalt erzogen und ſo lange ſie der Hilfe
bedürftig ſind, in jeder Hinſicht unterſtützt, bald aber verſtoßen oder wenigſtens mit Gleichgiltigkeit
behandelt.
Ueber das Gefangenleben des Carancho liegen noch wenige Beobachtungen vor. Jn unſern
Thiergärten gehört der Vogel, wie bemerkt, zu den ſeltenen Erſcheinungen. Unſer Thiergarten hat,
aller Bemühungen ungeachtet, erſt vor wenig Tagen einen lebenden Carancho erhalten können; vordem
hatte ich ihn nur in London geſehen. Man erachtet es in Amerika nicht der Mühe werth, einen ſo
häufigen und leicht zu erlangenden Vogel nach Europa zu ſenden, und deshalb erhalten wir ihn äußerſt
ſelten. Audubon berichtet von einem Pärchen, welches Strobel in der Nähe von Charleston
ausgenommen hatte. Das Männchen zeigte ſich oft außerordentlich herrſchſüchtig gegen ſeine Schweſter
und ließ ſelten eine Gelegenheit vorübergehen, ſie durch wiederholte und heftige Schläge zu quälen,
wobei dann laute Schreie ausgeſtoßen wurden. Zuweilen wurde die Mißhandlung ſo arg, daß ſich das
arme Weibchen minutenlang auf den Rücken legte und zu ihrer Vertheidigung die Fänge vorſtreckte. Auch
das Weibchen ſchrie laut und unangenehm, aber nur das letztere warf beim Schreien den Kopf zurück.
Jhrem Pfleger gegenüber zeigten ſich die Carauchos keineswegs freundlich geſinnt. Wenn man ſie mit
der Hand ergriff, wehrten ſie ſich mit Schnabel und Klauen ſo ernſthaft, daß man ſie gehen laſſen
mußte. Sie fraßen ebenſogut todte als lebende Thiere, Ratten, Mäuſe, Hühner verſchiedener Arten
und zeigten ſich ebenſo geſchickt, wie Falken und Adler, wenn es galt, eine Beute mit den Klauen
wegzutragen. Beim Kröpfen hielten ſie ihre Nahrung mit den Klauen feſt und würgten die
abgeriſſenen Stücke ſammt Muskeln, Haaren und Federn ohne Weiteres hinab. Sie fraßen viel
auf einmal, konnten aber auch bequem tagelang hungern. Waſſer war ihnen Bedürfniß; ſie tranken
ſehr frühzeitig. Jm zweiten Frühjahr ging ihr Kleid in das der Alten über, die volle Schönheit
erhielten ſie aber erſt ſpäter.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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