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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Mäusebussard.
es handelt sich hier nur um den Nutzen und zwar um einen Nutzen, welcher uns alle unmittelbar angeht,
weil wir alle des täglichen Brodes bedürfen. Gelegentlich der Beschreibung der Mäuse und ihres
Treibens ist erwähnt worden, wie machtlos wir den kleinen Nagethieren gegenüberstehen, wie unfähig
wir sind, uns durch eigene Kraft und Anstrengung vor ihnen zu schützen, wie große Summen wir
aufwenden müssen, um nur Das zu leisten, was ein einziger Bussard vollbringt -- und von diesen
Vögeln hat der Herr Doktor gegen vierhundert schießen helfen!
Es ist unnöthig,
darüber noch weiter ein Wort zu verlieren, der Mann hat sich selbst gebrandmarkt! Jeder Vernünftige
aber wird einsehen, daß er verpflichtet ist, dem Treiben der Genossen des Herrn Doktors mit aller Ent-
schiedenheit entgegenzutreten und nach seinen Kräften zur Heiligsprechung der nützlichen Vögel mitzuwirken.

Jch will aber die Naturgeschichte der Bussarde mit diesen Worten nicht beschließen, sondern
unsern Lenz noch einiges erzählen lassen von seinen Beobachtungen, welche er an gefangenen
Bussarden angestellt hat, um die Heldenthaten unserer Vögel dem giftigen Gewürm gegenüber kennen
zu lernen. "Am 26. Juni, da meine Busaare, die ich ganz jung bekommen und aufgezogen hatte, erst
etwa zwei Drittel ihrer Größe erreicht hatten, waren ihnen bis dahin nur Fleischstücke, Mäuse, Frösche
und kleine Vögel zur Nahrung gereicht worden, aber noch keine Schlange zu Gesicht gekommen. Da
ließ ich einmal zufällig, ohne die Busaare zu beachten, in einer großen Stube eine Ringelnatter
laufen, die etwa vier Fuß lang war, und die ich Fremden zeigen wollte, welche mich gerade besuchten.
Hinter den Fremden saßen die Busaare. Kaum hatten sie die losgelassene Schlange bemerkt, als sie
augenblicklich zwischen den Fremden hin auf das ungeheure Thier losstürzten, um es zu packen. Die
Schlange ringelte sich zusammen, zischte drohend, und sperrte den Rachen kampffertig den beiden
Feinden entgegen. Jch hatte sogleich den Fuß zwischen diese und die Schlange gesetzt, und drängte
die Vögel, welche immer wieder dtauf los wollten, zurück. Jetzt nahm ich die Ringelnatter, welche
ich wegen ihrer Größe noch aufsparen wollte, weg, und brachte dagegen dem einen Busaar eine andre
von etwa 21/2 Fuß Länge. Ohne Bedenken griff er sie im Augenblicke mitten am Leibe. Sie zischte
verzweiflungsvoll, sperrte wüthend den Nachen weit auf, und umschlang seine beiden Füße so fest, daß
er wankte und sich auf Schwanz und Flügel stützen mußte, um nicht zu fallen. Ohne sich an ihre
Bewegungen zu kehren, arbeitete er fortwährend mit der Schnabelspitze an der Mitte ihres Leibes,
bedurfte aber doch wohl zwölf Minuten, bevor er die zähe Haut zu zerreißen vermochte; sobald er Dies
aber durchgesetzt hatte, benutzte er das entstandene Loch, um weiter zu fressen, zerriß die Schlange endlich
in Stücke und verschlang diese einzeln. Eins von den Stücken war über einen Fuß lang und er hatte
große Mühe, das Ding hinunter zu würgen. Als er fertig war, gab ich seinem Bruder, der bisher
dem Schmause mit kummervollem Blicke zugesehen hatte und von mir an der Theilnahme verhindert
worden war, eine ebenso große Ringelnatter; er war aber stärker als jener, überwältigte sie schneller,
zerriß sie in der Mitte und verschlang sie in zwei langen, sich immerwährend krümmenden Stücken.
Zumal suchte der Kopf, welcher das Ende des einen Stücks ausmachte, immer wieder aus dem
Schnabel hervorzukriechen, was dem Vogel viel Mühe verursachte, weil er immer wieder von neuem
anfangen mußte zu schlucken. Endlich bändigte er den Kopf dadurch, daß er den zweiten Theil der
Ratter mit dem Schnabel packte, schluckte und wie einen Pfropf auf den ersten, den Kopf enthaltenden
Theil setzte. Nun war er fertig und sah sich, wie auch der andre, nach mehr um; es wurde aber nichts
gereicht; auch war es schon spät Abends, und die Vögel begaben sich endlich zur Ruhe. Am folgenden
Morgen suchte ich sie sogleich auf und fand, daß der eine den Schmaus verdaut, der andre ihn aber
wieder ausgespien hatte. Die Vögel erwachten, als ich zu ihnen trat, und derjenige, welcher gespien
hatte, verschluckte nun sogleich die ganze Mahlzeit nochmals mit großer Begierde, ein Beweis, wie
angenehm ihnen diese Nahrung ist. Von jetzt an wurde flott gelebt, und fast täglich fette Blind-
schleichen und Ringelnattern aufgetischt, die immer gleich ohne weiteres gepackt und gefressen wurden;
die kleineren wurden ganz und lebendig, die größeren stückweis verschluckt."

"Der 20. Juli ward nun zum ersten Kampfe mit einer Kreuzotter bestimmt. Eine Menge
Zuschauer hatten sich versammelt, wodurch jedoch die Busaare etwas scheu wurden. Jch trennte sie,

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Mäuſebuſſard.
es handelt ſich hier nur um den Nutzen und zwar um einen Nutzen, welcher uns alle unmittelbar angeht,
weil wir alle des täglichen Brodes bedürfen. Gelegentlich der Beſchreibung der Mäuſe und ihres
Treibens iſt erwähnt worden, wie machtlos wir den kleinen Nagethieren gegenüberſtehen, wie unfähig
wir ſind, uns durch eigene Kraft und Anſtrengung vor ihnen zu ſchützen, wie große Summen wir
aufwenden müſſen, um nur Das zu leiſten, was ein einziger Buſſard vollbringt — und von dieſen
Vögeln hat der Herr Doktor gegen vierhundert ſchießen helfen!
Es iſt unnöthig,
darüber noch weiter ein Wort zu verlieren, der Mann hat ſich ſelbſt gebrandmarkt! Jeder Vernünftige
aber wird einſehen, daß er verpflichtet iſt, dem Treiben der Genoſſen des Herrn Doktors mit aller Ent-
ſchiedenheit entgegenzutreten und nach ſeinen Kräften zur Heiligſprechung der nützlichen Vögel mitzuwirken.

Jch will aber die Naturgeſchichte der Buſſarde mit dieſen Worten nicht beſchließen, ſondern
unſern Lenz noch einiges erzählen laſſen von ſeinen Beobachtungen, welche er an gefangenen
Buſſarden angeſtellt hat, um die Heldenthaten unſerer Vögel dem giftigen Gewürm gegenüber kennen
zu lernen. „Am 26. Juni, da meine Busaare, die ich ganz jung bekommen und aufgezogen hatte, erſt
etwa zwei Drittel ihrer Größe erreicht hatten, waren ihnen bis dahin nur Fleiſchſtücke, Mäuſe, Fröſche
und kleine Vögel zur Nahrung gereicht worden, aber noch keine Schlange zu Geſicht gekommen. Da
ließ ich einmal zufällig, ohne die Busaare zu beachten, in einer großen Stube eine Ringelnatter
laufen, die etwa vier Fuß lang war, und die ich Fremden zeigen wollte, welche mich gerade beſuchten.
Hinter den Fremden ſaßen die Busaare. Kaum hatten ſie die losgelaſſene Schlange bemerkt, als ſie
augenblicklich zwiſchen den Fremden hin auf das ungeheure Thier losſtürzten, um es zu packen. Die
Schlange ringelte ſich zuſammen, ziſchte drohend, und ſperrte den Rachen kampffertig den beiden
Feinden entgegen. Jch hatte ſogleich den Fuß zwiſchen dieſe und die Schlange geſetzt, und drängte
die Vögel, welche immer wieder dtauf los wollten, zurück. Jetzt nahm ich die Ringelnatter, welche
ich wegen ihrer Größe noch aufſparen wollte, weg, und brachte dagegen dem einen Busaar eine andre
von etwa 2½ Fuß Länge. Ohne Bedenken griff er ſie im Augenblicke mitten am Leibe. Sie ziſchte
verzweiflungsvoll, ſperrte wüthend den Nachen weit auf, und umſchlang ſeine beiden Füße ſo feſt, daß
er wankte und ſich auf Schwanz und Flügel ſtützen mußte, um nicht zu fallen. Ohne ſich an ihre
Bewegungen zu kehren, arbeitete er fortwährend mit der Schnabelſpitze an der Mitte ihres Leibes,
bedurfte aber doch wohl zwölf Minuten, bevor er die zähe Haut zu zerreißen vermochte; ſobald er Dies
aber durchgeſetzt hatte, benutzte er das entſtandene Loch, um weiter zu freſſen, zerriß die Schlange endlich
in Stücke und verſchlang dieſe einzeln. Eins von den Stücken war über einen Fuß lang und er hatte
große Mühe, das Ding hinunter zu würgen. Als er fertig war, gab ich ſeinem Bruder, der bisher
dem Schmauſe mit kummervollem Blicke zugeſehen hatte und von mir an der Theilnahme verhindert
worden war, eine ebenſo große Ringelnatter; er war aber ſtärker als jener, überwältigte ſie ſchneller,
zerriß ſie in der Mitte und verſchlang ſie in zwei langen, ſich immerwährend krümmenden Stücken.
Zumal ſuchte der Kopf, welcher das Ende des einen Stücks ausmachte, immer wieder aus dem
Schnabel hervorzukriechen, was dem Vogel viel Mühe verurſachte, weil er immer wieder von neuem
anfangen mußte zu ſchlucken. Endlich bändigte er den Kopf dadurch, daß er den zweiten Theil der
Ratter mit dem Schnabel packte, ſchluckte und wie einen Pfropf auf den erſten, den Kopf enthaltenden
Theil ſetzte. Nun war er fertig und ſah ſich, wie auch der andre, nach mehr um; es wurde aber nichts
gereicht; auch war es ſchon ſpät Abends, und die Vögel begaben ſich endlich zur Ruhe. Am folgenden
Morgen ſuchte ich ſie ſogleich auf und fand, daß der eine den Schmaus verdaut, der andre ihn aber
wieder ausgeſpien hatte. Die Vögel erwachten, als ich zu ihnen trat, und derjenige, welcher geſpien
hatte, verſchluckte nun ſogleich die ganze Mahlzeit nochmals mit großer Begierde, ein Beweis, wie
angenehm ihnen dieſe Nahrung iſt. Von jetzt an wurde flott gelebt, und faſt täglich fette Blind-
ſchleichen und Ringelnattern aufgetiſcht, die immer gleich ohne weiteres gepackt und gefreſſen wurden;
die kleineren wurden ganz und lebendig, die größeren ſtückweis verſchluckt.‟

„Der 20. Juli ward nun zum erſten Kampfe mit einer Kreuzotter beſtimmt. Eine Menge
Zuſchauer hatten ſich verſammelt, wodurch jedoch die Busaare etwas ſcheu wurden. Jch trennte ſie,

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[515/0547] Mäuſebuſſard. es handelt ſich hier nur um den Nutzen und zwar um einen Nutzen, welcher uns alle unmittelbar angeht, weil wir alle des täglichen Brodes bedürfen. Gelegentlich der Beſchreibung der Mäuſe und ihres Treibens iſt erwähnt worden, wie machtlos wir den kleinen Nagethieren gegenüberſtehen, wie unfähig wir ſind, uns durch eigene Kraft und Anſtrengung vor ihnen zu ſchützen, wie große Summen wir aufwenden müſſen, um nur Das zu leiſten, was ein einziger Buſſard vollbringt — und von dieſen Vögeln hat der Herr Doktor gegen vierhundert ſchießen helfen! Es iſt unnöthig, darüber noch weiter ein Wort zu verlieren, der Mann hat ſich ſelbſt gebrandmarkt! Jeder Vernünftige aber wird einſehen, daß er verpflichtet iſt, dem Treiben der Genoſſen des Herrn Doktors mit aller Ent- ſchiedenheit entgegenzutreten und nach ſeinen Kräften zur Heiligſprechung der nützlichen Vögel mitzuwirken. Jch will aber die Naturgeſchichte der Buſſarde mit dieſen Worten nicht beſchließen, ſondern unſern Lenz noch einiges erzählen laſſen von ſeinen Beobachtungen, welche er an gefangenen Buſſarden angeſtellt hat, um die Heldenthaten unſerer Vögel dem giftigen Gewürm gegenüber kennen zu lernen. „Am 26. Juni, da meine Busaare, die ich ganz jung bekommen und aufgezogen hatte, erſt etwa zwei Drittel ihrer Größe erreicht hatten, waren ihnen bis dahin nur Fleiſchſtücke, Mäuſe, Fröſche und kleine Vögel zur Nahrung gereicht worden, aber noch keine Schlange zu Geſicht gekommen. Da ließ ich einmal zufällig, ohne die Busaare zu beachten, in einer großen Stube eine Ringelnatter laufen, die etwa vier Fuß lang war, und die ich Fremden zeigen wollte, welche mich gerade beſuchten. Hinter den Fremden ſaßen die Busaare. Kaum hatten ſie die losgelaſſene Schlange bemerkt, als ſie augenblicklich zwiſchen den Fremden hin auf das ungeheure Thier losſtürzten, um es zu packen. Die Schlange ringelte ſich zuſammen, ziſchte drohend, und ſperrte den Rachen kampffertig den beiden Feinden entgegen. Jch hatte ſogleich den Fuß zwiſchen dieſe und die Schlange geſetzt, und drängte die Vögel, welche immer wieder dtauf los wollten, zurück. Jetzt nahm ich die Ringelnatter, welche ich wegen ihrer Größe noch aufſparen wollte, weg, und brachte dagegen dem einen Busaar eine andre von etwa 2½ Fuß Länge. Ohne Bedenken griff er ſie im Augenblicke mitten am Leibe. Sie ziſchte verzweiflungsvoll, ſperrte wüthend den Nachen weit auf, und umſchlang ſeine beiden Füße ſo feſt, daß er wankte und ſich auf Schwanz und Flügel ſtützen mußte, um nicht zu fallen. Ohne ſich an ihre Bewegungen zu kehren, arbeitete er fortwährend mit der Schnabelſpitze an der Mitte ihres Leibes, bedurfte aber doch wohl zwölf Minuten, bevor er die zähe Haut zu zerreißen vermochte; ſobald er Dies aber durchgeſetzt hatte, benutzte er das entſtandene Loch, um weiter zu freſſen, zerriß die Schlange endlich in Stücke und verſchlang dieſe einzeln. Eins von den Stücken war über einen Fuß lang und er hatte große Mühe, das Ding hinunter zu würgen. Als er fertig war, gab ich ſeinem Bruder, der bisher dem Schmauſe mit kummervollem Blicke zugeſehen hatte und von mir an der Theilnahme verhindert worden war, eine ebenſo große Ringelnatter; er war aber ſtärker als jener, überwältigte ſie ſchneller, zerriß ſie in der Mitte und verſchlang ſie in zwei langen, ſich immerwährend krümmenden Stücken. Zumal ſuchte der Kopf, welcher das Ende des einen Stücks ausmachte, immer wieder aus dem Schnabel hervorzukriechen, was dem Vogel viel Mühe verurſachte, weil er immer wieder von neuem anfangen mußte zu ſchlucken. Endlich bändigte er den Kopf dadurch, daß er den zweiten Theil der Ratter mit dem Schnabel packte, ſchluckte und wie einen Pfropf auf den erſten, den Kopf enthaltenden Theil ſetzte. Nun war er fertig und ſah ſich, wie auch der andre, nach mehr um; es wurde aber nichts gereicht; auch war es ſchon ſpät Abends, und die Vögel begaben ſich endlich zur Ruhe. Am folgenden Morgen ſuchte ich ſie ſogleich auf und fand, daß der eine den Schmaus verdaut, der andre ihn aber wieder ausgeſpien hatte. Die Vögel erwachten, als ich zu ihnen trat, und derjenige, welcher geſpien hatte, verſchluckte nun ſogleich die ganze Mahlzeit nochmals mit großer Begierde, ein Beweis, wie angenehm ihnen dieſe Nahrung iſt. Von jetzt an wurde flott gelebt, und faſt täglich fette Blind- ſchleichen und Ringelnattern aufgetiſcht, die immer gleich ohne weiteres gepackt und gefreſſen wurden; die kleineren wurden ganz und lebendig, die größeren ſtückweis verſchluckt.‟ „Der 20. Juli ward nun zum erſten Kampfe mit einer Kreuzotter beſtimmt. Eine Menge Zuſchauer hatten ſich verſammelt, wodurch jedoch die Busaare etwas ſcheu wurden. Jch trennte ſie, 33*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/547>, abgerufen am 25.11.2024.