Die geistigen Fähigkeiten scheinen wohl entwickelt zu sein. Der Bussard dürfte blos von Dem für dumm gehalten werden, welcher sich blos oberflächlich mit ihm beschäftigte. Sowohl der freilebende, wie der gefangene gibt oft genug Beweise großer Klugheit, List und Verschlagenheit.
Ende Aprils oder zu Anfang des Mai bezieht der Bussard seinen alten Horst wieder oder erbaut sich einen neuen. Er erwählt hierzu einen ihm passenden Baum in Laub- oder Nadelwäldern, trägt stärkere Zweige zusammen, welche nach obenhin immer dünner und zuletzt mit großer Sorgfalt aus- gewählt zu werden pflegen, sodaß die flache Vertiefung mit zarten, grünen Reisern ausgeschmückt erscheint. Der ganze Bau hält ungefähr zwei Fuß im Durchmesser. Zuweilen füttert der Bussard die Mulde auch mit Mos, Thierhaaren und andern weichen Stossen aus. Oft richtet er sich auch nur ein einzelnes Krähen- oder Rabennest her. Das Gelege besteht aus drei bis vier Eiern, welche auf grünlichweißem Grunde hellbraun gefleckt sind. Das Weibchen scheint allein zu brüten; die Jungen aber werden vor und nach dem Ausfliegen von beiden Eltern gemeinschaftlich ernährt.
Der Vorsteher des Museums eines unserer Kleinstaaten theilt der thierkundigen Lesewelt mit, daß er im Frühjahre 1854 vor der Krähenhütte tagtäglich vierzehn bis funfzehn Bussarde erlegt habe und daß auf drei Krähenhütten der Umgegend um diese Zeit gegen 400 Stück "dieser Raubvögel" geschossen worden seien. Es liegt leider kein Entschuldigungsgrund der schmachvollen Handlungsweise dieses Mannes vor; denn derselbe ist wiederholt als Naturforscher aufgetreten: von Nichtkenntniß des Frevels, welchen er beging, ist also nicht zu reden. Wenn ein roher Bauer, welcher eben gelernt hat, ein Gewehr zu handhaben, einen Bussard todtschießt, weil er in ihm einen Geier sieht, so ist Das, wenn auch nicht zu entschuldigen, so doch zu begreifen; wenn aber ein Mann, welcher seiner Stellung halber doch mindestens eine Naturgeschichte der Vögel gelesen haben muß, sich eines derartigen Verbrechens schuldig macht, so verdient er als abschreckendes Beispiel öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Die Bussarde sind neben unsern Eulen und neben den Thurmfalken die nützlichsten unserer Raubvögel; sie gehören zu den nützlichsten Thieren überhaupt. Jhr Nutzen läßt sich kaum berechnen, obgleich man ganz bestimmte Zahlenangaben zu Grunde legen kann. Hauptnahrung dieser Vögel bleiben unter allen Umständen Mäuse und zwar diejenigen Arten, welche dem Land- und Forstbau am allerempfindlichsten schaden. Von diesen Mäusen verzehrt ein Bussard, wenn er es haben kann, vierzig bis funfzig Stück an einem Tage: Blasius hat dreißig Stück aus dem Magen eines einzigen gezogen, Martin hat etwa hundert Bussarde geöffnet und in aller Kröpfen nur Mäuse gefunden. "Rechnen wir", sagt Lenz, "auf jeden Bussard im Durchschnitt täglich zehn Mäuse, so macht das für das Jahr 3650 Stück"; wir können aber mindestens dreißig Mäuse auf einen Bussard rechnen und haben es also mit wenigstens 10,000 Stück schädlicher Nagethiere zu thun, welche von einem einzigen dieser heiligen Vögel vertilgt werden. Aber auch der Bussard findet, daß es nicht gut sei, allein zu sein. Er wählt sich eine Gefährtin und erzeugt mit ihr Junge. Drei Junge bilden schon eine Familie von fünf Stücken, welche ihre Thätigkeit einem kleinen Gebiet widmet, einem großen Feld- stück etwa, höchstens dem Theile einer Flur. Diese fünf vernichten vielleicht nur 50,000 Mäuse unmittelbar, aber sie vernichten in ihnen die Eltern von funfzigmal soviel Nachkommen!
Und solche Vögel hat der Herr Doktor, der Herr Vorstand eines Museums, der Vertreter der Thierkunde in einer Residenzstadt dutzendweise erlegt!
Aber mehr noch. Der Bussard begnügt sich nicht mit Mäusen allein; er macht auch Jagd auf Ratten, auf Hamster, auf Schlangen und Kerbthiere. Er ist es, welcher die Kreuzotter im Schach hält. Man hat ihm nachgesagt, daß er einen jungen Hasen oder ein Nebhuhn auch nicht verschmähe, und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß er dieses oder jenen wegnimmt, wenn er es kann. Ebenso gewiß aber ist es, daß er einen nur mittelgroßen Hasen nicht mehr angreift, daß er nur bei Tage jagt, wo der Hase möglichst verborgen im Lager liegt, und daß er ein gesundes Rebhuhn oder irgend welchen andern Vogel nicht zu fangen vermag. Er bittet sich auch bei dem Wanderfalken zu Gaste, indem er diesem eine eben gefangene Beute abjagt; aber auch Dies geschieht nur ausnahmsweise, nicht regelmäßig. Der Schaden also, von welchem man gesprochen hat, verdient gar nicht der Erwähnung;
Die Fänger. Raubvögel. Buſſarde.
Die geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen wohl entwickelt zu ſein. Der Buſſard dürfte blos von Dem für dumm gehalten werden, welcher ſich blos oberflächlich mit ihm beſchäftigte. Sowohl der freilebende, wie der gefangene gibt oft genug Beweiſe großer Klugheit, Liſt und Verſchlagenheit.
Ende Aprils oder zu Anfang des Mai bezieht der Buſſard ſeinen alten Horſt wieder oder erbaut ſich einen neuen. Er erwählt hierzu einen ihm paſſenden Baum in Laub- oder Nadelwäldern, trägt ſtärkere Zweige zuſammen, welche nach obenhin immer dünner und zuletzt mit großer Sorgfalt aus- gewählt zu werden pflegen, ſodaß die flache Vertiefung mit zarten, grünen Reiſern ausgeſchmückt erſcheint. Der ganze Bau hält ungefähr zwei Fuß im Durchmeſſer. Zuweilen füttert der Buſſard die Mulde auch mit Mos, Thierhaaren und andern weichen Stoſſen aus. Oft richtet er ſich auch nur ein einzelnes Krähen- oder Rabenneſt her. Das Gelege beſteht aus drei bis vier Eiern, welche auf grünlichweißem Grunde hellbraun gefleckt ſind. Das Weibchen ſcheint allein zu brüten; die Jungen aber werden vor und nach dem Ausfliegen von beiden Eltern gemeinſchaftlich ernährt.
Der Vorſteher des Muſeums eines unſerer Kleinſtaaten theilt der thierkundigen Leſewelt mit, daß er im Frühjahre 1854 vor der Krähenhütte tagtäglich vierzehn bis funfzehn Buſſarde erlegt habe und daß auf drei Krähenhütten der Umgegend um dieſe Zeit gegen 400 Stück „dieſer Raubvögel‟ geſchoſſen worden ſeien. Es liegt leider kein Entſchuldigungsgrund der ſchmachvollen Handlungsweiſe dieſes Mannes vor; denn derſelbe iſt wiederholt als Naturforſcher aufgetreten: von Nichtkenntniß des Frevels, welchen er beging, iſt alſo nicht zu reden. Wenn ein roher Bauer, welcher eben gelernt hat, ein Gewehr zu handhaben, einen Buſſard todtſchießt, weil er in ihm einen Geier ſieht, ſo iſt Das, wenn auch nicht zu entſchuldigen, ſo doch zu begreifen; wenn aber ein Mann, welcher ſeiner Stellung halber doch mindeſtens eine Naturgeſchichte der Vögel geleſen haben muß, ſich eines derartigen Verbrechens ſchuldig macht, ſo verdient er als abſchreckendes Beiſpiel öffentlich an den Pranger geſtellt zu werden. Die Buſſarde ſind neben unſern Eulen und neben den Thurmfalken die nützlichſten unſerer Raubvögel; ſie gehören zu den nützlichſten Thieren überhaupt. Jhr Nutzen läßt ſich kaum berechnen, obgleich man ganz beſtimmte Zahlenangaben zu Grunde legen kann. Hauptnahrung dieſer Vögel bleiben unter allen Umſtänden Mäuſe und zwar diejenigen Arten, welche dem Land- und Forſtbau am allerempfindlichſten ſchaden. Von dieſen Mäuſen verzehrt ein Buſſard, wenn er es haben kann, vierzig bis funfzig Stück an einem Tage: Blaſius hat dreißig Stück aus dem Magen eines einzigen gezogen, Martin hat etwa hundert Buſſarde geöffnet und in aller Kröpfen nur Mäuſe gefunden. „Rechnen wir‟, ſagt Lenz, „auf jeden Buſſard im Durchſchnitt täglich zehn Mäuſe, ſo macht das für das Jahr 3650 Stück‟; wir können aber mindeſtens dreißig Mäuſe auf einen Buſſard rechnen und haben es alſo mit wenigſtens 10,000 Stück ſchädlicher Nagethiere zu thun, welche von einem einzigen dieſer heiligen Vögel vertilgt werden. Aber auch der Buſſard findet, daß es nicht gut ſei, allein zu ſein. Er wählt ſich eine Gefährtin und erzeugt mit ihr Junge. Drei Junge bilden ſchon eine Familie von fünf Stücken, welche ihre Thätigkeit einem kleinen Gebiet widmet, einem großen Feld- ſtück etwa, höchſtens dem Theile einer Flur. Dieſe fünf vernichten vielleicht nur 50,000 Mäuſe unmittelbar, aber ſie vernichten in ihnen die Eltern von funfzigmal ſoviel Nachkommen!
Und ſolche Vögel hat der Herr Doktor, der Herr Vorſtand eines Muſeums, der Vertreter der Thierkunde in einer Reſidenzſtadt dutzendweiſe erlegt!
Aber mehr noch. Der Buſſard begnügt ſich nicht mit Mäuſen allein; er macht auch Jagd auf Ratten, auf Hamſter, auf Schlangen und Kerbthiere. Er iſt es, welcher die Kreuzotter im Schach hält. Man hat ihm nachgeſagt, daß er einen jungen Haſen oder ein Nebhuhn auch nicht verſchmähe, und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß er dieſes oder jenen wegnimmt, wenn er es kann. Ebenſo gewiß aber iſt es, daß er einen nur mittelgroßen Haſen nicht mehr angreift, daß er nur bei Tage jagt, wo der Haſe möglichſt verborgen im Lager liegt, und daß er ein geſundes Rebhuhn oder irgend welchen andern Vogel nicht zu fangen vermag. Er bittet ſich auch bei dem Wanderfalken zu Gaſte, indem er dieſem eine eben gefangene Beute abjagt; aber auch Dies geſchieht nur ausnahmsweiſe, nicht regelmäßig. Der Schaden alſo, von welchem man geſprochen hat, verdient gar nicht der Erwähnung;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0546"n="514"/><fwplace="top"type="header">Die Fänger. Raubvögel. Buſſarde.</fw><lb/><p>Die geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen wohl entwickelt zu ſein. Der Buſſard dürfte blos von Dem<lb/>
für dumm gehalten werden, welcher ſich blos oberflächlich mit ihm beſchäftigte. Sowohl der<lb/>
freilebende, wie der gefangene gibt oft genug Beweiſe großer Klugheit, Liſt und Verſchlagenheit.</p><lb/><p>Ende Aprils oder zu Anfang des Mai bezieht der Buſſard ſeinen alten Horſt wieder oder erbaut<lb/>ſich einen neuen. Er erwählt hierzu einen ihm paſſenden Baum in Laub- oder Nadelwäldern, trägt<lb/>ſtärkere Zweige zuſammen, welche nach obenhin immer dünner und zuletzt mit großer Sorgfalt aus-<lb/>
gewählt zu werden pflegen, ſodaß die flache Vertiefung mit zarten, grünen Reiſern ausgeſchmückt<lb/>
erſcheint. Der ganze Bau hält ungefähr zwei Fuß im Durchmeſſer. Zuweilen füttert der Buſſard<lb/>
die Mulde auch mit Mos, Thierhaaren und andern weichen Stoſſen aus. Oft richtet er ſich auch nur<lb/>
ein einzelnes Krähen- oder Rabenneſt her. Das Gelege beſteht aus drei bis vier Eiern, welche auf<lb/>
grünlichweißem Grunde hellbraun gefleckt ſind. Das Weibchen ſcheint allein zu brüten; die Jungen<lb/>
aber werden vor und nach dem Ausfliegen von beiden Eltern gemeinſchaftlich ernährt.</p><lb/><p>Der Vorſteher des Muſeums eines unſerer Kleinſtaaten theilt der thierkundigen Leſewelt mit, daß<lb/>
er im Frühjahre 1854 vor der Krähenhütte tagtäglich vierzehn bis funfzehn Buſſarde erlegt habe und<lb/>
daß auf drei Krähenhütten der Umgegend um dieſe Zeit gegen 400 Stück „dieſer Raubvögel‟<lb/>
geſchoſſen worden ſeien. Es liegt leider kein Entſchuldigungsgrund der ſchmachvollen Handlungsweiſe<lb/>
dieſes Mannes vor; denn derſelbe iſt wiederholt als Naturforſcher aufgetreten: von Nichtkenntniß des<lb/>
Frevels, welchen er beging, iſt alſo nicht zu reden. Wenn ein roher Bauer, welcher eben gelernt hat,<lb/>
ein Gewehr zu handhaben, einen Buſſard todtſchießt, weil er in ihm einen Geier ſieht, ſo iſt Das,<lb/>
wenn auch nicht zu entſchuldigen, ſo doch zu begreifen; wenn aber ein Mann, welcher ſeiner Stellung<lb/>
halber doch mindeſtens <hirendition="#g">eine</hi> Naturgeſchichte der Vögel geleſen haben muß, ſich eines derartigen<lb/>
Verbrechens ſchuldig macht, ſo verdient er als abſchreckendes Beiſpiel öffentlich an den Pranger geſtellt<lb/>
zu werden. Die Buſſarde ſind neben unſern Eulen und neben den Thurmfalken die nützlichſten unſerer<lb/>
Raubvögel; ſie gehören zu den nützlichſten Thieren überhaupt. Jhr Nutzen läßt ſich kaum berechnen,<lb/>
obgleich man ganz beſtimmte Zahlenangaben zu Grunde legen kann. Hauptnahrung dieſer Vögel<lb/>
bleiben unter allen Umſtänden Mäuſe und zwar diejenigen Arten, welche dem Land- und Forſtbau<lb/>
am allerempfindlichſten ſchaden. Von dieſen Mäuſen verzehrt ein Buſſard, wenn er es haben kann,<lb/>
vierzig bis funfzig Stück an einem Tage: <hirendition="#g">Blaſius</hi> hat dreißig Stück aus dem Magen eines einzigen<lb/>
gezogen, <hirendition="#g">Martin</hi> hat etwa hundert Buſſarde geöffnet und in aller Kröpfen nur Mäuſe gefunden.<lb/>„Rechnen wir‟, ſagt <hirendition="#g">Lenz,</hi>„auf jeden Buſſard im Durchſchnitt täglich zehn Mäuſe, ſo macht das für<lb/>
das Jahr 3650 Stück‟; wir können aber mindeſtens dreißig Mäuſe auf einen Buſſard rechnen und<lb/>
haben es alſo mit wenigſtens 10,000 Stück ſchädlicher Nagethiere zu thun, welche von einem einzigen<lb/>
dieſer heiligen Vögel vertilgt werden. Aber auch der Buſſard findet, daß es nicht gut ſei, allein zu<lb/>ſein. Er wählt ſich eine Gefährtin und erzeugt mit ihr Junge. Drei Junge bilden ſchon eine<lb/>
Familie von fünf Stücken, welche ihre Thätigkeit einem kleinen Gebiet widmet, einem großen Feld-<lb/>ſtück etwa, höchſtens dem Theile einer Flur. Dieſe fünf vernichten vielleicht nur 50,000 Mäuſe<lb/>
unmittelbar, aber ſie vernichten in ihnen die Eltern von funfzigmal ſoviel Nachkommen!</p><lb/><p><hirendition="#g">Und ſolche Vögel hat der Herr Doktor, der Herr Vorſtand eines Muſeums, der<lb/>
Vertreter der Thierkunde in einer Reſidenzſtadt dutzendweiſe erlegt!</hi></p><lb/><p>Aber mehr noch. Der Buſſard begnügt ſich nicht mit Mäuſen allein; er macht auch Jagd auf<lb/>
Ratten, auf Hamſter, auf Schlangen und Kerbthiere. Er iſt es, welcher die Kreuzotter im Schach<lb/>
hält. Man hat ihm nachgeſagt, daß er einen jungen Haſen oder ein Nebhuhn auch nicht verſchmähe,<lb/>
und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß er dieſes oder jenen wegnimmt, wenn er es kann. Ebenſo<lb/>
gewiß aber iſt es, daß er einen nur mittelgroßen Haſen nicht mehr angreift, daß er nur bei Tage<lb/>
jagt, wo der Haſe möglichſt verborgen im Lager liegt, und daß er ein geſundes Rebhuhn oder irgend<lb/>
welchen andern Vogel nicht zu fangen vermag. Er bittet ſich auch bei dem Wanderfalken zu Gaſte,<lb/>
indem er dieſem eine eben gefangene Beute abjagt; aber auch Dies geſchieht nur ausnahmsweiſe, nicht<lb/>
regelmäßig. Der Schaden alſo, von welchem man geſprochen hat, verdient gar nicht der Erwähnung;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[514/0546]
Die Fänger. Raubvögel. Buſſarde.
Die geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen wohl entwickelt zu ſein. Der Buſſard dürfte blos von Dem
für dumm gehalten werden, welcher ſich blos oberflächlich mit ihm beſchäftigte. Sowohl der
freilebende, wie der gefangene gibt oft genug Beweiſe großer Klugheit, Liſt und Verſchlagenheit.
Ende Aprils oder zu Anfang des Mai bezieht der Buſſard ſeinen alten Horſt wieder oder erbaut
ſich einen neuen. Er erwählt hierzu einen ihm paſſenden Baum in Laub- oder Nadelwäldern, trägt
ſtärkere Zweige zuſammen, welche nach obenhin immer dünner und zuletzt mit großer Sorgfalt aus-
gewählt zu werden pflegen, ſodaß die flache Vertiefung mit zarten, grünen Reiſern ausgeſchmückt
erſcheint. Der ganze Bau hält ungefähr zwei Fuß im Durchmeſſer. Zuweilen füttert der Buſſard
die Mulde auch mit Mos, Thierhaaren und andern weichen Stoſſen aus. Oft richtet er ſich auch nur
ein einzelnes Krähen- oder Rabenneſt her. Das Gelege beſteht aus drei bis vier Eiern, welche auf
grünlichweißem Grunde hellbraun gefleckt ſind. Das Weibchen ſcheint allein zu brüten; die Jungen
aber werden vor und nach dem Ausfliegen von beiden Eltern gemeinſchaftlich ernährt.
Der Vorſteher des Muſeums eines unſerer Kleinſtaaten theilt der thierkundigen Leſewelt mit, daß
er im Frühjahre 1854 vor der Krähenhütte tagtäglich vierzehn bis funfzehn Buſſarde erlegt habe und
daß auf drei Krähenhütten der Umgegend um dieſe Zeit gegen 400 Stück „dieſer Raubvögel‟
geſchoſſen worden ſeien. Es liegt leider kein Entſchuldigungsgrund der ſchmachvollen Handlungsweiſe
dieſes Mannes vor; denn derſelbe iſt wiederholt als Naturforſcher aufgetreten: von Nichtkenntniß des
Frevels, welchen er beging, iſt alſo nicht zu reden. Wenn ein roher Bauer, welcher eben gelernt hat,
ein Gewehr zu handhaben, einen Buſſard todtſchießt, weil er in ihm einen Geier ſieht, ſo iſt Das,
wenn auch nicht zu entſchuldigen, ſo doch zu begreifen; wenn aber ein Mann, welcher ſeiner Stellung
halber doch mindeſtens eine Naturgeſchichte der Vögel geleſen haben muß, ſich eines derartigen
Verbrechens ſchuldig macht, ſo verdient er als abſchreckendes Beiſpiel öffentlich an den Pranger geſtellt
zu werden. Die Buſſarde ſind neben unſern Eulen und neben den Thurmfalken die nützlichſten unſerer
Raubvögel; ſie gehören zu den nützlichſten Thieren überhaupt. Jhr Nutzen läßt ſich kaum berechnen,
obgleich man ganz beſtimmte Zahlenangaben zu Grunde legen kann. Hauptnahrung dieſer Vögel
bleiben unter allen Umſtänden Mäuſe und zwar diejenigen Arten, welche dem Land- und Forſtbau
am allerempfindlichſten ſchaden. Von dieſen Mäuſen verzehrt ein Buſſard, wenn er es haben kann,
vierzig bis funfzig Stück an einem Tage: Blaſius hat dreißig Stück aus dem Magen eines einzigen
gezogen, Martin hat etwa hundert Buſſarde geöffnet und in aller Kröpfen nur Mäuſe gefunden.
„Rechnen wir‟, ſagt Lenz, „auf jeden Buſſard im Durchſchnitt täglich zehn Mäuſe, ſo macht das für
das Jahr 3650 Stück‟; wir können aber mindeſtens dreißig Mäuſe auf einen Buſſard rechnen und
haben es alſo mit wenigſtens 10,000 Stück ſchädlicher Nagethiere zu thun, welche von einem einzigen
dieſer heiligen Vögel vertilgt werden. Aber auch der Buſſard findet, daß es nicht gut ſei, allein zu
ſein. Er wählt ſich eine Gefährtin und erzeugt mit ihr Junge. Drei Junge bilden ſchon eine
Familie von fünf Stücken, welche ihre Thätigkeit einem kleinen Gebiet widmet, einem großen Feld-
ſtück etwa, höchſtens dem Theile einer Flur. Dieſe fünf vernichten vielleicht nur 50,000 Mäuſe
unmittelbar, aber ſie vernichten in ihnen die Eltern von funfzigmal ſoviel Nachkommen!
Und ſolche Vögel hat der Herr Doktor, der Herr Vorſtand eines Muſeums, der
Vertreter der Thierkunde in einer Reſidenzſtadt dutzendweiſe erlegt!
Aber mehr noch. Der Buſſard begnügt ſich nicht mit Mäuſen allein; er macht auch Jagd auf
Ratten, auf Hamſter, auf Schlangen und Kerbthiere. Er iſt es, welcher die Kreuzotter im Schach
hält. Man hat ihm nachgeſagt, daß er einen jungen Haſen oder ein Nebhuhn auch nicht verſchmähe,
und es unterliegt gar keinem Zweifel, daß er dieſes oder jenen wegnimmt, wenn er es kann. Ebenſo
gewiß aber iſt es, daß er einen nur mittelgroßen Haſen nicht mehr angreift, daß er nur bei Tage
jagt, wo der Haſe möglichſt verborgen im Lager liegt, und daß er ein geſundes Rebhuhn oder irgend
welchen andern Vogel nicht zu fangen vermag. Er bittet ſich auch bei dem Wanderfalken zu Gaſte,
indem er dieſem eine eben gefangene Beute abjagt; aber auch Dies geſchieht nur ausnahmsweiſe, nicht
regelmäßig. Der Schaden alſo, von welchem man geſprochen hat, verdient gar nicht der Erwähnung;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/546>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.