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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Weihen.
reichen Flügen von funfzig bis zu zweihundert Stücken, und solche Reisegesellschaften scheinen während
des ganzen Winters zusammenzuhalten. Bei Toledo beobachteten wir mitten im Winter einen Flug,
welcher mindestens achtzig Stück zählte, in inniger Verbindung, bei Tage gemeinschaftlich jagend,
nachts ein kleines Wäldchen am Ufer des Tajo zum Schlafplatz erwählend, während zur Sommerszeit
in derselben Gegend der Königsweih höchstens paarweise getroffen wird. Nach Nordwestafrika streicht
unser Raubvogel oft hinüber, in Egypten aber kann er nur ausnahmsweise vorkommen; ich
wenigstens habe ihn bei meinen vielen Jagden niemals beobachtet.

Jn früheren Zeiten spielte der Königsweih dieselbe Rolle, welche gegenwärtig Schmarotzermilan
und Gowinda übernommen haben. "Jn den Tagen König Heinrichs VIII.", sagt Pennant,
"schwärmten über die britische Hauptstadt viele Milane umher, welche von den verschiedenen Aus-
wurfsstoffen in den Straßen herbeigezogen worden und so furchtlos waren, daß sie ihre Beute inmitten
des größten Getümmels anfhoben. Es war verboten, sie zu tödten."

Der Königsweih ist nichts weniger, als ein königlicher Vogel. Er ist träge, ziemlich schwerfällig
und abscheulich feig. Sein Flug ist langsam, aber ungemein anhaltend, sanft schwimmend, zuweilen
Viertelstunden lang durch keinen Flügelschlag unterbrochen und dann nur durch den breiten Schwanz
geregelt. Er hebt den Vogel, scheinbar ohne jegliche Anstrengung, zu ungemessenen Höhen empor
und trägt ihn ein anderes Mal große Strecken weit, dicht über den Boden dahin. Der Gang ist
schlecht, mehr ein Hüpfen, als ein Schreiten; aufgebäumt gleicht der Königsweih dem besprochenen
Verwandten. Diesem ähnelt er auch hinsichtlich der Ausbildung seiner Sinne und bezüglich seiner
geistigen Fähigkeiten. Auch er ist klug und selbst listig, aber erbärmlich feig, faul und schamlos dreist.
Seine Stimme ist wenig anmuthig, langgezogen und lachend meckernd; die Silben "Hihihiää"
geben sie ungefähr wieder. Zur Begattungszeit hört man ein eigenthümliches Getriller, welches
außerdem wohl auch hohes Wohlbehagen verkündet.

Kleine Säugethiere und noch nicht flugfähige Vögel, Echsen, Schlangen, Frösche und Kröten,
Heuschrecken, Käfer und Regenwürmer bilden die Nahrung des Königsweih. Jn den Bauergehöften
raubt er junge Küchlein weg; den Gänsehirten macht er Sorgen; den Jäger erbittert er wegen seiner
Angriffe auf junge Hasen oder auf Rebhühner; den Edelfalken treibt er durch schamloses Betteln die
erworbene Beute ab. Aller dieser Sünden ungeachtet, gehört er zu den nützlichsten Vögeln unseres
Vaterlandes. Wenn eine Mäusepest die Felder heimsucht, wenn die gefräßigen Nager zu Milliarden
sich vermehren, dann stellt sich auch der Königsweih ein, und nunmehr lebt er wochenlang herrlich und
in Freuden; denn Dutzende von Mäusen bluten tagtäglich unter seinen Klauen. Rechnet man ihm
die Vertilgung der gedachten schädlichen Nagethiere und seine Jagd auf verderbliche Kerbthiere
gebührend an, so muß man zu dem Schlusse kommen, daß ihm ein junges Häschen oder Gänslein
wenigstens nicht zu mißgönnen ist. Wäre er minder frech, bettelte er nicht so unverschämt und
zwänge er dadurch die Edelfalken nicht, mehr zu rauben, als sie bedürfen, wir würden ihnen einen
Ehrenplatz unter den natürlichen Wohlfahrtswächtern unserer Felder anweisen. Aber der Arme
sündigt eben zu oft vor den Augen des Menschen, und die Sünde ist nicht blos der Leute, sondern
auch der Vögel Verderben.

Hinsichtlich des Fortpflanzungsgeschäfts gilt fast Dasselbe, was ich von dem Milan berichtete; doch
liebt es der Königsweih noch mehr als jener, sein Nest mit Lumpen und Papier verschiedener Art
auszukleiden, und nicht immer erwählt er sich dazu die saubersten Lumpen oder Fetzen. Baron
König-Warthausen, ein eifriger Naturforscher, versichert, daß die Untersuchung des Horstes
zuweilen recht unerquicklich werden könne, weil der Königsweih die benöthigten Zeitungspapiere oft in
ekelhaftem Zustande auflese. Wenn der Vogel es haben kann, nimmt er mit einem alten Krähenneste
oder Falkenhorste vorlieb, sonst führt er den Bau selbst aus. Das Gelege pflegt zu Ende Aprils
vollständig zu sein; es enthält regelmäßig zwei, seltener drei Eier, welche auf weißlichem Grunde mit
röthlichen Flecken bedeckt sind. Das Weibchen brütet allein, das Männchen sorgt für die Nahrung.
Die Jungen werden von beiden Eltern in derselben Weise erzogen, wie die jungen Milane.

Die Fänger. Raubvögel. Weihen.
reichen Flügen von funfzig bis zu zweihundert Stücken, und ſolche Reiſegeſellſchaften ſcheinen während
des ganzen Winters zuſammenzuhalten. Bei Toledo beobachteten wir mitten im Winter einen Flug,
welcher mindeſtens achtzig Stück zählte, in inniger Verbindung, bei Tage gemeinſchaftlich jagend,
nachts ein kleines Wäldchen am Ufer des Tajo zum Schlafplatz erwählend, während zur Sommerszeit
in derſelben Gegend der Königsweih höchſtens paarweiſe getroffen wird. Nach Nordweſtafrika ſtreicht
unſer Raubvogel oft hinüber, in Egypten aber kann er nur ausnahmsweiſe vorkommen; ich
wenigſtens habe ihn bei meinen vielen Jagden niemals beobachtet.

Jn früheren Zeiten ſpielte der Königsweih dieſelbe Rolle, welche gegenwärtig Schmarotzermilan
und Gowinda übernommen haben. „Jn den Tagen König Heinrichs VIII.‟, ſagt Pennant,
„ſchwärmten über die britiſche Hauptſtadt viele Milane umher, welche von den verſchiedenen Aus-
wurfsſtoffen in den Straßen herbeigezogen worden und ſo furchtlos waren, daß ſie ihre Beute inmitten
des größten Getümmels anfhoben. Es war verboten, ſie zu tödten.‟

Der Königsweih iſt nichts weniger, als ein königlicher Vogel. Er iſt träge, ziemlich ſchwerfällig
und abſcheulich feig. Sein Flug iſt langſam, aber ungemein anhaltend, ſanft ſchwimmend, zuweilen
Viertelſtunden lang durch keinen Flügelſchlag unterbrochen und dann nur durch den breiten Schwanz
geregelt. Er hebt den Vogel, ſcheinbar ohne jegliche Anſtrengung, zu ungemeſſenen Höhen empor
und trägt ihn ein anderes Mal große Strecken weit, dicht über den Boden dahin. Der Gang iſt
ſchlecht, mehr ein Hüpfen, als ein Schreiten; aufgebäumt gleicht der Königsweih dem beſprochenen
Verwandten. Dieſem ähnelt er auch hinſichtlich der Ausbildung ſeiner Sinne und bezüglich ſeiner
geiſtigen Fähigkeiten. Auch er iſt klug und ſelbſt liſtig, aber erbärmlich feig, faul und ſchamlos dreiſt.
Seine Stimme iſt wenig anmuthig, langgezogen und lachend meckernd; die Silben „Hihihiää‟
geben ſie ungefähr wieder. Zur Begattungszeit hört man ein eigenthümliches Getriller, welches
außerdem wohl auch hohes Wohlbehagen verkündet.

Kleine Säugethiere und noch nicht flugfähige Vögel, Echſen, Schlangen, Fröſche und Kröten,
Heuſchrecken, Käfer und Regenwürmer bilden die Nahrung des Königsweih. Jn den Bauergehöften
raubt er junge Küchlein weg; den Gänſehirten macht er Sorgen; den Jäger erbittert er wegen ſeiner
Angriffe auf junge Haſen oder auf Rebhühner; den Edelfalken treibt er durch ſchamloſes Betteln die
erworbene Beute ab. Aller dieſer Sünden ungeachtet, gehört er zu den nützlichſten Vögeln unſeres
Vaterlandes. Wenn eine Mäuſepeſt die Felder heimſucht, wenn die gefräßigen Nager zu Milliarden
ſich vermehren, dann ſtellt ſich auch der Königsweih ein, und nunmehr lebt er wochenlang herrlich und
in Freuden; denn Dutzende von Mäuſen bluten tagtäglich unter ſeinen Klauen. Rechnet man ihm
die Vertilgung der gedachten ſchädlichen Nagethiere und ſeine Jagd auf verderbliche Kerbthiere
gebührend an, ſo muß man zu dem Schluſſe kommen, daß ihm ein junges Häschen oder Gänslein
wenigſtens nicht zu mißgönnen iſt. Wäre er minder frech, bettelte er nicht ſo unverſchämt und
zwänge er dadurch die Edelfalken nicht, mehr zu rauben, als ſie bedürfen, wir würden ihnen einen
Ehrenplatz unter den natürlichen Wohlfahrtswächtern unſerer Felder anweiſen. Aber der Arme
ſündigt eben zu oft vor den Augen des Menſchen, und die Sünde iſt nicht blos der Leute, ſondern
auch der Vögel Verderben.

Hinſichtlich des Fortpflanzungsgeſchäfts gilt faſt Daſſelbe, was ich von dem Milan berichtete; doch
liebt es der Königsweih noch mehr als jener, ſein Neſt mit Lumpen und Papier verſchiedener Art
auszukleiden, und nicht immer erwählt er ſich dazu die ſauberſten Lumpen oder Fetzen. Baron
König-Warthauſen, ein eifriger Naturforſcher, verſichert, daß die Unterſuchung des Horſtes
zuweilen recht unerquicklich werden könne, weil der Königsweih die benöthigten Zeitungspapiere oft in
ekelhaftem Zuſtande aufleſe. Wenn der Vogel es haben kann, nimmt er mit einem alten Krähenneſte
oder Falkenhorſte vorlieb, ſonſt führt er den Bau ſelbſt aus. Das Gelege pflegt zu Ende Aprils
vollſtändig zu ſein; es enthält regelmäßig zwei, ſeltener drei Eier, welche auf weißlichem Grunde mit
röthlichen Flecken bedeckt ſind. Das Weibchen brütet allein, das Männchen ſorgt für die Nahrung.
Die Jungen werden von beiden Eltern in derſelben Weiſe erzogen, wie die jungen Milane.

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[494/0526] Die Fänger. Raubvögel. Weihen. reichen Flügen von funfzig bis zu zweihundert Stücken, und ſolche Reiſegeſellſchaften ſcheinen während des ganzen Winters zuſammenzuhalten. Bei Toledo beobachteten wir mitten im Winter einen Flug, welcher mindeſtens achtzig Stück zählte, in inniger Verbindung, bei Tage gemeinſchaftlich jagend, nachts ein kleines Wäldchen am Ufer des Tajo zum Schlafplatz erwählend, während zur Sommerszeit in derſelben Gegend der Königsweih höchſtens paarweiſe getroffen wird. Nach Nordweſtafrika ſtreicht unſer Raubvogel oft hinüber, in Egypten aber kann er nur ausnahmsweiſe vorkommen; ich wenigſtens habe ihn bei meinen vielen Jagden niemals beobachtet. Jn früheren Zeiten ſpielte der Königsweih dieſelbe Rolle, welche gegenwärtig Schmarotzermilan und Gowinda übernommen haben. „Jn den Tagen König Heinrichs VIII.‟, ſagt Pennant, „ſchwärmten über die britiſche Hauptſtadt viele Milane umher, welche von den verſchiedenen Aus- wurfsſtoffen in den Straßen herbeigezogen worden und ſo furchtlos waren, daß ſie ihre Beute inmitten des größten Getümmels anfhoben. Es war verboten, ſie zu tödten.‟ Der Königsweih iſt nichts weniger, als ein königlicher Vogel. Er iſt träge, ziemlich ſchwerfällig und abſcheulich feig. Sein Flug iſt langſam, aber ungemein anhaltend, ſanft ſchwimmend, zuweilen Viertelſtunden lang durch keinen Flügelſchlag unterbrochen und dann nur durch den breiten Schwanz geregelt. Er hebt den Vogel, ſcheinbar ohne jegliche Anſtrengung, zu ungemeſſenen Höhen empor und trägt ihn ein anderes Mal große Strecken weit, dicht über den Boden dahin. Der Gang iſt ſchlecht, mehr ein Hüpfen, als ein Schreiten; aufgebäumt gleicht der Königsweih dem beſprochenen Verwandten. Dieſem ähnelt er auch hinſichtlich der Ausbildung ſeiner Sinne und bezüglich ſeiner geiſtigen Fähigkeiten. Auch er iſt klug und ſelbſt liſtig, aber erbärmlich feig, faul und ſchamlos dreiſt. Seine Stimme iſt wenig anmuthig, langgezogen und lachend meckernd; die Silben „Hihihiää‟ geben ſie ungefähr wieder. Zur Begattungszeit hört man ein eigenthümliches Getriller, welches außerdem wohl auch hohes Wohlbehagen verkündet. Kleine Säugethiere und noch nicht flugfähige Vögel, Echſen, Schlangen, Fröſche und Kröten, Heuſchrecken, Käfer und Regenwürmer bilden die Nahrung des Königsweih. Jn den Bauergehöften raubt er junge Küchlein weg; den Gänſehirten macht er Sorgen; den Jäger erbittert er wegen ſeiner Angriffe auf junge Haſen oder auf Rebhühner; den Edelfalken treibt er durch ſchamloſes Betteln die erworbene Beute ab. Aller dieſer Sünden ungeachtet, gehört er zu den nützlichſten Vögeln unſeres Vaterlandes. Wenn eine Mäuſepeſt die Felder heimſucht, wenn die gefräßigen Nager zu Milliarden ſich vermehren, dann ſtellt ſich auch der Königsweih ein, und nunmehr lebt er wochenlang herrlich und in Freuden; denn Dutzende von Mäuſen bluten tagtäglich unter ſeinen Klauen. Rechnet man ihm die Vertilgung der gedachten ſchädlichen Nagethiere und ſeine Jagd auf verderbliche Kerbthiere gebührend an, ſo muß man zu dem Schluſſe kommen, daß ihm ein junges Häschen oder Gänslein wenigſtens nicht zu mißgönnen iſt. Wäre er minder frech, bettelte er nicht ſo unverſchämt und zwänge er dadurch die Edelfalken nicht, mehr zu rauben, als ſie bedürfen, wir würden ihnen einen Ehrenplatz unter den natürlichen Wohlfahrtswächtern unſerer Felder anweiſen. Aber der Arme ſündigt eben zu oft vor den Augen des Menſchen, und die Sünde iſt nicht blos der Leute, ſondern auch der Vögel Verderben. Hinſichtlich des Fortpflanzungsgeſchäfts gilt faſt Daſſelbe, was ich von dem Milan berichtete; doch liebt es der Königsweih noch mehr als jener, ſein Neſt mit Lumpen und Papier verſchiedener Art auszukleiden, und nicht immer erwählt er ſich dazu die ſauberſten Lumpen oder Fetzen. Baron König-Warthauſen, ein eifriger Naturforſcher, verſichert, daß die Unterſuchung des Horſtes zuweilen recht unerquicklich werden könne, weil der Königsweih die benöthigten Zeitungspapiere oft in ekelhaftem Zuſtande aufleſe. Wenn der Vogel es haben kann, nimmt er mit einem alten Krähenneſte oder Falkenhorſte vorlieb, ſonſt führt er den Bau ſelbſt aus. Das Gelege pflegt zu Ende Aprils vollſtändig zu ſein; es enthält regelmäßig zwei, ſeltener drei Eier, welche auf weißlichem Grunde mit röthlichen Flecken bedeckt ſind. Das Weibchen brütet allein, das Männchen ſorgt für die Nahrung. Die Jungen werden von beiden Eltern in derſelben Weiſe erzogen, wie die jungen Milane.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/526>, abgerufen am 22.11.2024.