Das letzte Mitglied der Adlerfamilie, welches wir hier erwähnen wollen, ist der durch Gestalt und Lebensweise gleich auffallende Fluß- oder Fischadler, Weißfuß oder Weißbauch, Mos- oder Fischweih, Fischraal etc. (Pandion Haliaetus). Er wird noch allgemein zu den Adlern gezählt, unterscheidet sich aber doch in vieler Hinsicht wesentlich von ihnen, und darf vielleicht als Verbindungsglied der Adler und Weihen betrachtet werden. Seine Kennzeichen bestehen kurz in Fol- gendem: Der Leib ist verhältnißmäßig klein, aber sehr kräftig gebaut; der Kopf ist mittelgroß, der ziemlich kurze Schnabel schon auf der Wachshaut gekrümmt, mit sehr großen Haken übergebogen; die Flügel sind so lang, daß sie den keineswegs kurzen Schwanz weit überragen, die dritte Schwinge ist die längste; die Beine sind sehr stark, kaum über die Ferse herab befiedert; der Fuß ist äußerst kräftig, mit dicken, aber kleinen Netzschuppen bekleidet; die verhältnißmäßig kurzen Zehen tragen scharfe, stark gekrümmte Nägel, und die äußerste Zehe kann vor- und rückwärts gewendet werden. Bezeichnend für den Flußadler ist außerdem sein glatt anliegendes fettiges Gefieder. Kopf und Nacken sind auf gelblich weißem Grunde schwarzbraun in die Länge gestreift und alle Federn hier scharf zugespitzt; der übrige Oberkörper ist braun, jede Feder lichter gerandet; der Schwanz ist braun und schwarz gebändert; der Unterkörper dagegen ist weiß oder gilblichweiß; auf der Brust bilden braune Federn ein Schild oder Halsband, welches zuweilen sehr deutlich hervortritt, zuweilen auch wiederum kaum merklich ist; vom Auge zur Halsmitte herab läuft ein dunkles Band. Das Auge ist hochgelb; die Wachs- und Fußhaut sind bleigrau, der Schnabel und die Krallen glänzend schwarz.
Der Flußadler ist sehr weit verbreitet. Er findet sich in ganz Europa, in dem größten Theile Asiens und an allen Flüssen Nord- und Westafrikas. Von vielen Naturforschern wird auch der in Amerika lebende Artverwandte nur als Spielart des europäischen betrachtet, und in der That sind die Unterschiede zwischen dem östlichen und dem westlichen Vogel äußerst gering. Jm Norden ist unser Fischadler überall Sommervogel, im Süden, wie es scheint, Strichvogel. Seine einseitige Jagd- weise bestimmt sein ganzes Leben: er nährt sich nämlich ausschließlich von Fischen und verschmäht jede andere Beute.
Jn unserm Vaterlande siedelt sich der mit Recht gehaßte und eifrig verfolgte Raubvogel selbstver- ständlich nur in wasserreichen Gegenden bleibend an. Er erscheint aber überall auf dem Zuge und findet selbst den kleinsten Teich noch immer seiner Beachtung werth. Sein Horst wird auf sehr alten hohen Bäumen aus starken Zweigen, Mos und dergleichen aufgebaut und im Mai mit zwei bis drei länglichen Eiern belegt, welche auf graukalkweißem Grunde überall mit blaßlehmrothen Flecken besetzt sind. Dieser Horst wird zum eigentlichen Standorte eines Fischadlerpaares. Vonhieraus durchstreift dasselbe ein weites Gebiet in ziemlich regelmäßiger Weise. Die langen Schwingen setzen den Fischadler in den Stand, große Strecken mit Leichtigkeit zu durchfliegen. Er schwebt zuerst in großer Höhe dahin, senkt sich dann über den Wasserspiegel tiefer herab und beginnt nun seine Fischjagd. So lange die Gewässer dampfen, erscheint er nicht über ihnen; gewöhnlich sieht man ihn erst in den Vor- mittagsstunden. Er kommt kreisend an, versichert sich durch sorgfältiges Spähen von der Gefahrlosig- keit, senkt sich hernieder und streicht nun in einer Höhe von ungefähr 60 Fuß über dem Wasser auf und nieder, hält auch wohl zeitweilig still, rüttelt wie ein Thurmfalk über einer Stelle, um einen etwa erspähten Fisch fester ins Auge zu fassen und schießt dann mit weit vorgestreckten Fängen in etwas schiefer Richtung mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit auf das Wasser nieder, verschwindet unter den Wellen, arbeitet sich aber rasch wieder empor, erhebt sich durch einige federnde Flügelschläge auf die Oberfläche des Wassers, schüttelt die Tropfen durch zuckende Bewegungen bestmöglichst ab und ver- läßt dann ein kleineres Gewässer, gleichviel ob er glücklich oder unglücklich war. Seine eigenthümliche Jagd macht es erklärlich, daß er sehr oft fehlstößt; deshalb leidet er aber durchaus keinen Mangel; denn er läßt sich durch wiederholtes Mißgeschick nicht abschrecken. Jm glücklichsten Falle schlägt er beide Fänge mit solcher Gewalt in den Rücken eines Fisches, daß er nicht im Stande ist, die Klauen augenblicklich wieder auszulösen: die Baschkiren nennen ihn deshalb bezeichnend "eiserne Kralle". Gar nicht selten geräth er in die größte Lebensgefahr, oder findet wirklich seinen Untergang, indem
Brehm, Thierleben. III. 31
Schreiſeeadler. Flußadler.
Das letzte Mitglied der Adlerfamilie, welches wir hier erwähnen wollen, iſt der durch Geſtalt und Lebensweiſe gleich auffallende Fluß- oder Fiſchadler, Weißfuß oder Weißbauch, Mos- oder Fiſchweih, Fiſchraal ꝛc. (Pandion Haliaëtus). Er wird noch allgemein zu den Adlern gezählt, unterſcheidet ſich aber doch in vieler Hinſicht weſentlich von ihnen, und darf vielleicht als Verbindungsglied der Adler und Weihen betrachtet werden. Seine Kennzeichen beſtehen kurz in Fol- gendem: Der Leib iſt verhältnißmäßig klein, aber ſehr kräftig gebaut; der Kopf iſt mittelgroß, der ziemlich kurze Schnabel ſchon auf der Wachshaut gekrümmt, mit ſehr großen Haken übergebogen; die Flügel ſind ſo lang, daß ſie den keineswegs kurzen Schwanz weit überragen, die dritte Schwinge iſt die längſte; die Beine ſind ſehr ſtark, kaum über die Ferſe herab befiedert; der Fuß iſt äußerſt kräftig, mit dicken, aber kleinen Netzſchuppen bekleidet; die verhältnißmäßig kurzen Zehen tragen ſcharfe, ſtark gekrümmte Nägel, und die äußerſte Zehe kann vor- und rückwärts gewendet werden. Bezeichnend für den Flußadler iſt außerdem ſein glatt anliegendes fettiges Gefieder. Kopf und Nacken ſind auf gelblich weißem Grunde ſchwarzbraun in die Länge geſtreift und alle Federn hier ſcharf zugeſpitzt; der übrige Oberkörper iſt braun, jede Feder lichter gerandet; der Schwanz iſt braun und ſchwarz gebändert; der Unterkörper dagegen iſt weiß oder gilblichweiß; auf der Bruſt bilden braune Federn ein Schild oder Halsband, welches zuweilen ſehr deutlich hervortritt, zuweilen auch wiederum kaum merklich iſt; vom Auge zur Halsmitte herab läuft ein dunkles Band. Das Auge iſt hochgelb; die Wachs- und Fußhaut ſind bleigrau, der Schnabel und die Krallen glänzend ſchwarz.
Der Flußadler iſt ſehr weit verbreitet. Er findet ſich in ganz Europa, in dem größten Theile Aſiens und an allen Flüſſen Nord- und Weſtafrikas. Von vielen Naturforſchern wird auch der in Amerika lebende Artverwandte nur als Spielart des europäiſchen betrachtet, und in der That ſind die Unterſchiede zwiſchen dem öſtlichen und dem weſtlichen Vogel äußerſt gering. Jm Norden iſt unſer Fiſchadler überall Sommervogel, im Süden, wie es ſcheint, Strichvogel. Seine einſeitige Jagd- weiſe beſtimmt ſein ganzes Leben: er nährt ſich nämlich ausſchließlich von Fiſchen und verſchmäht jede andere Beute.
Jn unſerm Vaterlande ſiedelt ſich der mit Recht gehaßte und eifrig verfolgte Raubvogel ſelbſtver- ſtändlich nur in waſſerreichen Gegenden bleibend an. Er erſcheint aber überall auf dem Zuge und findet ſelbſt den kleinſten Teich noch immer ſeiner Beachtung werth. Sein Horſt wird auf ſehr alten hohen Bäumen aus ſtarken Zweigen, Mos und dergleichen aufgebaut und im Mai mit zwei bis drei länglichen Eiern belegt, welche auf graukalkweißem Grunde überall mit blaßlehmrothen Flecken beſetzt ſind. Dieſer Horſt wird zum eigentlichen Standorte eines Fiſchadlerpaares. Vonhieraus durchſtreift daſſelbe ein weites Gebiet in ziemlich regelmäßiger Weiſe. Die langen Schwingen ſetzen den Fiſchadler in den Stand, große Strecken mit Leichtigkeit zu durchfliegen. Er ſchwebt zuerſt in großer Höhe dahin, ſenkt ſich dann über den Waſſerſpiegel tiefer herab und beginnt nun ſeine Fiſchjagd. So lange die Gewäſſer dampfen, erſcheint er nicht über ihnen; gewöhnlich ſieht man ihn erſt in den Vor- mittagsſtunden. Er kommt kreiſend an, verſichert ſich durch ſorgfältiges Spähen von der Gefahrloſig- keit, ſenkt ſich hernieder und ſtreicht nun in einer Höhe von ungefähr 60 Fuß über dem Waſſer auf und nieder, hält auch wohl zeitweilig ſtill, rüttelt wie ein Thurmfalk über einer Stelle, um einen etwa erſpähten Fiſch feſter ins Auge zu faſſen und ſchießt dann mit weit vorgeſtreckten Fängen in etwas ſchiefer Richtung mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit auf das Waſſer nieder, verſchwindet unter den Wellen, arbeitet ſich aber raſch wieder empor, erhebt ſich durch einige federnde Flügelſchläge auf die Oberfläche des Waſſers, ſchüttelt die Tropfen durch zuckende Bewegungen beſtmöglichſt ab und ver- läßt dann ein kleineres Gewäſſer, gleichviel ob er glücklich oder unglücklich war. Seine eigenthümliche Jagd macht es erklärlich, daß er ſehr oft fehlſtößt; deshalb leidet er aber durchaus keinen Mangel; denn er läßt ſich durch wiederholtes Mißgeſchick nicht abſchrecken. Jm glücklichſten Falle ſchlägt er beide Fänge mit ſolcher Gewalt in den Rücken eines Fiſches, daß er nicht im Stande iſt, die Klauen augenblicklich wieder auszulöſen: die Baſchkiren nennen ihn deshalb bezeichnend „eiſerne Kralle‟. Gar nicht ſelten geräth er in die größte Lebensgefahr, oder findet wirklich ſeinen Untergang, indem
Brehm, Thierleben. III. 31
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[481/0513]
Schreiſeeadler. Flußadler.
Das letzte Mitglied der Adlerfamilie, welches wir hier erwähnen wollen, iſt der durch Geſtalt
und Lebensweiſe gleich auffallende Fluß- oder Fiſchadler, Weißfuß oder Weißbauch,
Mos- oder Fiſchweih, Fiſchraal ꝛc. (Pandion Haliaëtus). Er wird noch allgemein zu den
Adlern gezählt, unterſcheidet ſich aber doch in vieler Hinſicht weſentlich von ihnen, und darf vielleicht
als Verbindungsglied der Adler und Weihen betrachtet werden. Seine Kennzeichen beſtehen kurz in Fol-
gendem: Der Leib iſt verhältnißmäßig klein, aber ſehr kräftig gebaut; der Kopf iſt mittelgroß, der
ziemlich kurze Schnabel ſchon auf der Wachshaut gekrümmt, mit ſehr großen Haken übergebogen; die
Flügel ſind ſo lang, daß ſie den keineswegs kurzen Schwanz weit überragen, die dritte Schwinge iſt
die längſte; die Beine ſind ſehr ſtark, kaum über die Ferſe herab befiedert; der Fuß iſt äußerſt kräftig,
mit dicken, aber kleinen Netzſchuppen bekleidet; die verhältnißmäßig kurzen Zehen tragen ſcharfe, ſtark
gekrümmte Nägel, und die äußerſte Zehe kann vor- und rückwärts gewendet werden. Bezeichnend für
den Flußadler iſt außerdem ſein glatt anliegendes fettiges Gefieder. Kopf und Nacken ſind auf gelblich
weißem Grunde ſchwarzbraun in die Länge geſtreift und alle Federn hier ſcharf zugeſpitzt; der übrige
Oberkörper iſt braun, jede Feder lichter gerandet; der Schwanz iſt braun und ſchwarz gebändert;
der Unterkörper dagegen iſt weiß oder gilblichweiß; auf der Bruſt bilden braune Federn ein Schild
oder Halsband, welches zuweilen ſehr deutlich hervortritt, zuweilen auch wiederum kaum merklich iſt;
vom Auge zur Halsmitte herab läuft ein dunkles Band. Das Auge iſt hochgelb; die Wachs- und
Fußhaut ſind bleigrau, der Schnabel und die Krallen glänzend ſchwarz.
Der Flußadler iſt ſehr weit verbreitet. Er findet ſich in ganz Europa, in dem größten Theile
Aſiens und an allen Flüſſen Nord- und Weſtafrikas. Von vielen Naturforſchern wird auch der in
Amerika lebende Artverwandte nur als Spielart des europäiſchen betrachtet, und in der That ſind
die Unterſchiede zwiſchen dem öſtlichen und dem weſtlichen Vogel äußerſt gering. Jm Norden iſt
unſer Fiſchadler überall Sommervogel, im Süden, wie es ſcheint, Strichvogel. Seine einſeitige Jagd-
weiſe beſtimmt ſein ganzes Leben: er nährt ſich nämlich ausſchließlich von Fiſchen und verſchmäht
jede andere Beute.
Jn unſerm Vaterlande ſiedelt ſich der mit Recht gehaßte und eifrig verfolgte Raubvogel ſelbſtver-
ſtändlich nur in waſſerreichen Gegenden bleibend an. Er erſcheint aber überall auf dem Zuge und
findet ſelbſt den kleinſten Teich noch immer ſeiner Beachtung werth. Sein Horſt wird auf ſehr alten
hohen Bäumen aus ſtarken Zweigen, Mos und dergleichen aufgebaut und im Mai mit zwei bis drei
länglichen Eiern belegt, welche auf graukalkweißem Grunde überall mit blaßlehmrothen Flecken
beſetzt ſind. Dieſer Horſt wird zum eigentlichen Standorte eines Fiſchadlerpaares. Vonhieraus
durchſtreift daſſelbe ein weites Gebiet in ziemlich regelmäßiger Weiſe. Die langen Schwingen ſetzen
den Fiſchadler in den Stand, große Strecken mit Leichtigkeit zu durchfliegen. Er ſchwebt zuerſt in großer
Höhe dahin, ſenkt ſich dann über den Waſſerſpiegel tiefer herab und beginnt nun ſeine Fiſchjagd. So
lange die Gewäſſer dampfen, erſcheint er nicht über ihnen; gewöhnlich ſieht man ihn erſt in den Vor-
mittagsſtunden. Er kommt kreiſend an, verſichert ſich durch ſorgfältiges Spähen von der Gefahrloſig-
keit, ſenkt ſich hernieder und ſtreicht nun in einer Höhe von ungefähr 60 Fuß über dem Waſſer auf und
nieder, hält auch wohl zeitweilig ſtill, rüttelt wie ein Thurmfalk über einer Stelle, um einen etwa
erſpähten Fiſch feſter ins Auge zu faſſen und ſchießt dann mit weit vorgeſtreckten Fängen in etwas
ſchiefer Richtung mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit auf das Waſſer nieder, verſchwindet unter
den Wellen, arbeitet ſich aber raſch wieder empor, erhebt ſich durch einige federnde Flügelſchläge auf
die Oberfläche des Waſſers, ſchüttelt die Tropfen durch zuckende Bewegungen beſtmöglichſt ab und ver-
läßt dann ein kleineres Gewäſſer, gleichviel ob er glücklich oder unglücklich war. Seine eigenthümliche
Jagd macht es erklärlich, daß er ſehr oft fehlſtößt; deshalb leidet er aber durchaus keinen Mangel;
denn er läßt ſich durch wiederholtes Mißgeſchick nicht abſchrecken. Jm glücklichſten Falle ſchlägt er
beide Fänge mit ſolcher Gewalt in den Rücken eines Fiſches, daß er nicht im Stande iſt, die Klauen
augenblicklich wieder auszulöſen: die Baſchkiren nennen ihn deshalb bezeichnend „eiſerne Kralle‟.
Gar nicht ſelten geräth er in die größte Lebensgefahr, oder findet wirklich ſeinen Untergang, indem
Brehm, Thierleben. III. 31
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/513>, abgerufen am 22.11.2024.
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