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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.
dicht neben dem andern. Eine neue Erscheinung wird von dem einen oder dem andern gewöhnlich mit
Geschrei begrüßt, dabei beugt der Vogel wie andere Seeadler den Kopf weit nach hinten, schlägt den
Schwanz, fächerartig ausgebreitet, nach oben über die Flügel hinaus und stößt nun die lauten,
gellenden Töne mit aller Kraft aus der Brust hervor. Jedes Paar hat seine Lieblingssitze, und wenn
man diese ausgekundschaftet hat, kann man es mit aller Bestimmtheit zu der angegebenen Tageszeit
erwarten. Zur Nachtruhe erwählt der Schreiseeadler jedoch wieder dichtere Waldtheile, wo er sich dann
von den kreischenden Papageien, welche ebenfalls hier wohnen, in den Schlaf singen läßt. Vail-
lant
fand den Vogel scheu und vorsichtig; wir haben das Gegentheil beobachtet. Jm Sudahn
werden auch diese Seeadler niemals verfolgt, und so betrachten sie den Menschen höchstens mit Ver-
wunderung, niemals jedoch mit Furcht. Erst wiederholte Verfolgung macht sie scheu; wir haben
aber beobachtet, daß ein aufgebäumter Schreiseeadler eine Büchsenkugel an sich vorbeipfeifen ließ,
ohne aufzufliegen und diese Unvorsichtigkeit mit dem Tode büßen mußte, welchen ihm die zweite
Kugel brachte.

Die Nahrung besteht aus Fischen und Aas. Auf erstere stößt er, wie der Flußadler, aus hoher
Luft hernieder, letzteres besucht er, wenn er es am Lande entdeckt oder erhebt es aus dem Wasser, falls
es im Strom hinabschwimmt. Die Beute trägt er nach Jnseln hin, und hier, hart am Rande des
Wassers, verzehrt er sie. Wir sahen ihn einen Reiher eifrig verfolgen und beobachteten, daß er einen
von uns angeschossenen Milan verzehrte, glauben jedoch nicht, daß er ein großer Jäger auf höhere
Wirbelthiere ist, wie Vaillant Dies angibt, weil er Gazellenknochen unter den Resten seiner
Mahlzeit fand. Viel Vergnügen gewährte uns eine folgende Beobachtung. Ein Weibchen des Schrei-
seeadlers hatte einen großen Fisch erhoben und verzehrte ihn auf einer uns gegenüber liegenden Sand-
bank im blauen Strome. Mit Hilfe eines trefflichen Fernrohres konnten wir jede seiner Bewegungen
wahrnehmen. Der Fisch wurde zuerst abgehäutet und dann höchst sorgsam entfleischt. Während
dieser Beschäftigung erschien ein Krokodilwächter (Hyas aegyptiacus), nahete sich dem Adler
und begann die Mahlzeit mit ihm zu theilen. Es war höchst anziehend, das Benehmen des kleinen,
muthigen Schmarotzers zu beobachten. Blitzschnell kam er an die Tafel gelaufen, nahm sich rasch ein
paar Brocken und verzehrte sie in einiger Entfernung. Der Adler drehte dann und wann, scheinbar
mit einer gewissen Gutmüthigkeit, den Kopf nach ihm, machte aber keine Miene, ihn anzugreifen.
Demungeachtet zweifle ich nicht, daß der Krokodilwächter seine Sicherheit nur seiner Schnelligkeit und
Gewandtheit zu danken hatte. Sein Amt beim Krokodil mochte ihm wohl gelehrt haben, wie er sich
an großer Herren Tafel zu verhalten habe.

Gegen Raubvögel zeigt sich der Schreiseeadler durchaus nicht gutmüthig; namentlich die Geier
greift er mit Heftigkeit an, und Dank seiner größern Gewandtheit bleibt er regelmäßig Sieger.

Wahrscheinlich horstet unser Vogel im Sudahn zu Anfang der großen Regenzeit, während
welcher wir die Urwaldungen nicht besuchen konnten. Später, in den letzten Monaten unseres Jahres,
fanden wir keins der Paare horstend, und deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts über das
Brutgeschäft mitzutheilen. Nach Vaillant erbaut sich das Paar auf den Wipfeln hoher Bäume
oder auf Felsen einen großen Horst, welcher mit weichen Stoffen ausgefüttert wird, und das
Weibchen legt zwei oder drei reinweiße Eier. Weitere Angaben über die Fortpflanzungsgeschichte sind
mir nicht bekannt.

Jn der Gefangenschaft benimmt sich der Schreiseeadler wie seine übrigen Verwandten. Er wird
bald zahm und begrüßt seinen Gebieter durch sein laut gellendes Geschrei. Nach den bisherigen
Beobachtungen scheint er unser rauhes Klima ohne Beschwerde zu ertragen. Die Gefangenen der
Thiergärten zu Schönbrunn, Antwerpen und Frankfurt werden jahraus, jahrein im Freien gehalten.



Die Fänger. Raubvögel. Adler.
dicht neben dem andern. Eine neue Erſcheinung wird von dem einen oder dem andern gewöhnlich mit
Geſchrei begrüßt, dabei beugt der Vogel wie andere Seeadler den Kopf weit nach hinten, ſchlägt den
Schwanz, fächerartig ausgebreitet, nach oben über die Flügel hinaus und ſtößt nun die lauten,
gellenden Töne mit aller Kraft aus der Bruſt hervor. Jedes Paar hat ſeine Lieblingsſitze, und wenn
man dieſe ausgekundſchaftet hat, kann man es mit aller Beſtimmtheit zu der angegebenen Tageszeit
erwarten. Zur Nachtruhe erwählt der Schreiſeeadler jedoch wieder dichtere Waldtheile, wo er ſich dann
von den kreiſchenden Papageien, welche ebenfalls hier wohnen, in den Schlaf ſingen läßt. Vail-
lant
fand den Vogel ſcheu und vorſichtig; wir haben das Gegentheil beobachtet. Jm Sudahn
werden auch dieſe Seeadler niemals verfolgt, und ſo betrachten ſie den Menſchen höchſtens mit Ver-
wunderung, niemals jedoch mit Furcht. Erſt wiederholte Verfolgung macht ſie ſcheu; wir haben
aber beobachtet, daß ein aufgebäumter Schreiſeeadler eine Büchſenkugel an ſich vorbeipfeifen ließ,
ohne aufzufliegen und dieſe Unvorſichtigkeit mit dem Tode büßen mußte, welchen ihm die zweite
Kugel brachte.

Die Nahrung beſteht aus Fiſchen und Aas. Auf erſtere ſtößt er, wie der Flußadler, aus hoher
Luft hernieder, letzteres beſucht er, wenn er es am Lande entdeckt oder erhebt es aus dem Waſſer, falls
es im Strom hinabſchwimmt. Die Beute trägt er nach Jnſeln hin, und hier, hart am Rande des
Waſſers, verzehrt er ſie. Wir ſahen ihn einen Reiher eifrig verfolgen und beobachteten, daß er einen
von uns angeſchoſſenen Milan verzehrte, glauben jedoch nicht, daß er ein großer Jäger auf höhere
Wirbelthiere iſt, wie Vaillant Dies angibt, weil er Gazellenknochen unter den Reſten ſeiner
Mahlzeit fand. Viel Vergnügen gewährte uns eine folgende Beobachtung. Ein Weibchen des Schrei-
ſeeadlers hatte einen großen Fiſch erhoben und verzehrte ihn auf einer uns gegenüber liegenden Sand-
bank im blauen Strome. Mit Hilfe eines trefflichen Fernrohres konnten wir jede ſeiner Bewegungen
wahrnehmen. Der Fiſch wurde zuerſt abgehäutet und dann höchſt ſorgſam entfleiſcht. Während
dieſer Beſchäftigung erſchien ein Krokodilwächter (Hyas aegyptiacus), nahete ſich dem Adler
und begann die Mahlzeit mit ihm zu theilen. Es war höchſt anziehend, das Benehmen des kleinen,
muthigen Schmarotzers zu beobachten. Blitzſchnell kam er an die Tafel gelaufen, nahm ſich raſch ein
paar Brocken und verzehrte ſie in einiger Entfernung. Der Adler drehte dann und wann, ſcheinbar
mit einer gewiſſen Gutmüthigkeit, den Kopf nach ihm, machte aber keine Miene, ihn anzugreifen.
Demungeachtet zweifle ich nicht, daß der Krokodilwächter ſeine Sicherheit nur ſeiner Schnelligkeit und
Gewandtheit zu danken hatte. Sein Amt beim Krokodil mochte ihm wohl gelehrt haben, wie er ſich
an großer Herren Tafel zu verhalten habe.

Gegen Raubvögel zeigt ſich der Schreiſeeadler durchaus nicht gutmüthig; namentlich die Geier
greift er mit Heftigkeit an, und Dank ſeiner größern Gewandtheit bleibt er regelmäßig Sieger.

Wahrſcheinlich horſtet unſer Vogel im Sudahn zu Anfang der großen Regenzeit, während
welcher wir die Urwaldungen nicht beſuchen konnten. Später, in den letzten Monaten unſeres Jahres,
fanden wir keins der Paare horſtend, und deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts über das
Brutgeſchäft mitzutheilen. Nach Vaillant erbaut ſich das Paar auf den Wipfeln hoher Bäume
oder auf Felſen einen großen Horſt, welcher mit weichen Stoffen ausgefüttert wird, und das
Weibchen legt zwei oder drei reinweiße Eier. Weitere Angaben über die Fortpflanzungsgeſchichte ſind
mir nicht bekannt.

Jn der Gefangenſchaft benimmt ſich der Schreiſeeadler wie ſeine übrigen Verwandten. Er wird
bald zahm und begrüßt ſeinen Gebieter durch ſein laut gellendes Geſchrei. Nach den bisherigen
Beobachtungen ſcheint er unſer rauhes Klima ohne Beſchwerde zu ertragen. Die Gefangenen der
Thiergärten zu Schönbrunn, Antwerpen und Frankfurt werden jahraus, jahrein im Freien gehalten.



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[480/0512] Die Fänger. Raubvögel. Adler. dicht neben dem andern. Eine neue Erſcheinung wird von dem einen oder dem andern gewöhnlich mit Geſchrei begrüßt, dabei beugt der Vogel wie andere Seeadler den Kopf weit nach hinten, ſchlägt den Schwanz, fächerartig ausgebreitet, nach oben über die Flügel hinaus und ſtößt nun die lauten, gellenden Töne mit aller Kraft aus der Bruſt hervor. Jedes Paar hat ſeine Lieblingsſitze, und wenn man dieſe ausgekundſchaftet hat, kann man es mit aller Beſtimmtheit zu der angegebenen Tageszeit erwarten. Zur Nachtruhe erwählt der Schreiſeeadler jedoch wieder dichtere Waldtheile, wo er ſich dann von den kreiſchenden Papageien, welche ebenfalls hier wohnen, in den Schlaf ſingen läßt. Vail- lant fand den Vogel ſcheu und vorſichtig; wir haben das Gegentheil beobachtet. Jm Sudahn werden auch dieſe Seeadler niemals verfolgt, und ſo betrachten ſie den Menſchen höchſtens mit Ver- wunderung, niemals jedoch mit Furcht. Erſt wiederholte Verfolgung macht ſie ſcheu; wir haben aber beobachtet, daß ein aufgebäumter Schreiſeeadler eine Büchſenkugel an ſich vorbeipfeifen ließ, ohne aufzufliegen und dieſe Unvorſichtigkeit mit dem Tode büßen mußte, welchen ihm die zweite Kugel brachte. Die Nahrung beſteht aus Fiſchen und Aas. Auf erſtere ſtößt er, wie der Flußadler, aus hoher Luft hernieder, letzteres beſucht er, wenn er es am Lande entdeckt oder erhebt es aus dem Waſſer, falls es im Strom hinabſchwimmt. Die Beute trägt er nach Jnſeln hin, und hier, hart am Rande des Waſſers, verzehrt er ſie. Wir ſahen ihn einen Reiher eifrig verfolgen und beobachteten, daß er einen von uns angeſchoſſenen Milan verzehrte, glauben jedoch nicht, daß er ein großer Jäger auf höhere Wirbelthiere iſt, wie Vaillant Dies angibt, weil er Gazellenknochen unter den Reſten ſeiner Mahlzeit fand. Viel Vergnügen gewährte uns eine folgende Beobachtung. Ein Weibchen des Schrei- ſeeadlers hatte einen großen Fiſch erhoben und verzehrte ihn auf einer uns gegenüber liegenden Sand- bank im blauen Strome. Mit Hilfe eines trefflichen Fernrohres konnten wir jede ſeiner Bewegungen wahrnehmen. Der Fiſch wurde zuerſt abgehäutet und dann höchſt ſorgſam entfleiſcht. Während dieſer Beſchäftigung erſchien ein Krokodilwächter (Hyas aegyptiacus), nahete ſich dem Adler und begann die Mahlzeit mit ihm zu theilen. Es war höchſt anziehend, das Benehmen des kleinen, muthigen Schmarotzers zu beobachten. Blitzſchnell kam er an die Tafel gelaufen, nahm ſich raſch ein paar Brocken und verzehrte ſie in einiger Entfernung. Der Adler drehte dann und wann, ſcheinbar mit einer gewiſſen Gutmüthigkeit, den Kopf nach ihm, machte aber keine Miene, ihn anzugreifen. Demungeachtet zweifle ich nicht, daß der Krokodilwächter ſeine Sicherheit nur ſeiner Schnelligkeit und Gewandtheit zu danken hatte. Sein Amt beim Krokodil mochte ihm wohl gelehrt haben, wie er ſich an großer Herren Tafel zu verhalten habe. Gegen Raubvögel zeigt ſich der Schreiſeeadler durchaus nicht gutmüthig; namentlich die Geier greift er mit Heftigkeit an, und Dank ſeiner größern Gewandtheit bleibt er regelmäßig Sieger. Wahrſcheinlich horſtet unſer Vogel im Sudahn zu Anfang der großen Regenzeit, während welcher wir die Urwaldungen nicht beſuchen konnten. Später, in den letzten Monaten unſeres Jahres, fanden wir keins der Paare horſtend, und deshalb weiß ich aus eigener Erfahrung Nichts über das Brutgeſchäft mitzutheilen. Nach Vaillant erbaut ſich das Paar auf den Wipfeln hoher Bäume oder auf Felſen einen großen Horſt, welcher mit weichen Stoffen ausgefüttert wird, und das Weibchen legt zwei oder drei reinweiße Eier. Weitere Angaben über die Fortpflanzungsgeſchichte ſind mir nicht bekannt. Jn der Gefangenſchaft benimmt ſich der Schreiſeeadler wie ſeine übrigen Verwandten. Er wird bald zahm und begrüßt ſeinen Gebieter durch ſein laut gellendes Geſchrei. Nach den bisherigen Beobachtungen ſcheint er unſer rauhes Klima ohne Beſchwerde zu ertragen. Die Gefangenen der Thiergärten zu Schönbrunn, Antwerpen und Frankfurt werden jahraus, jahrein im Freien gehalten.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/512>, abgerufen am 22.11.2024.