D'Orbigny versichert, im Jnnern der Wälder, d. h. fernab von den Flüssen, niemals eine Harpyie gesehen zu haben. Der Vogel kommt überall vor, ist jedoch nirgends häufig, wahrscheinlich nur deshalb, weil seine Federn seit uralter Zeit einen überaus geschätzten Schmuck der Jndianer bilden und er deswegen hart verfolgt wird. Nach D'Orbigny findet man ihn außer der Paarungszeit stets einzeln, gleichsam als fürchte er, selbst durch den Gatten in seinem Gewerbe beeinträchtigt zu werden. Nach Art des Habichts sieht man ihn selten auf hohen Bäumen, vielmehr regelmäßig auf den untern Aesten sitzen. Vonhieraus erhebt er sich mit kurzem, stoßweisen, aber pfeilschnellen Fluge zunächst senkrecht in die Höhe, kreist wenige Minuten und stürzt sich, wenn er so glücklich war, Beute zu erspähen, mit Gewalt auf diese herab. Er soll durchaus nicht scheu sein und den Menschen sehr nahe an sich herankommen lassen; doch gilt Dies wahrscheinlich nur für diejenigen Waldungen, in denen er wenig Gelegenheit hat, die Bekanntschaft seines furchtbarsten, wenn nicht alleinigen Feindes zu machen.
Soviel aus den verschiedenen Augaben hervorgeht, verschmäht die Harpyie kein höheres Wirbel- thier, vorausgesetzt, daß dasselbe durch seine Größe oder Wehrhaftigkeit nicht vor ihr geschützt ist. Einige Beobachter sind geneigt, zu glauben, daß sie nur Säugethiere und zwar vorzugsweise Affen und Faulthiere angreift; Tschudi aber beobachtete, daß sie auch Vögeln eifrig nachjagt. "Kein Raubvogel", sagt er, "wird von den Jndianern so sehr gefürchtet, wie die Harpyie. Jhre Größe, ihr Muth und ihre Verwegenheit machen sie in der That zu einem der gefährlichsten Feinde der Pflanzungen Perus, und sie wird deshalb, wo sie sich nur blicken läßt, mit der größten Wuth verfolgt. Jn vielen Waldgegenden ist es den Jndianern ganz unmöglich, Federvieh oder kleine Hunde zu halten, da dieser unersättliche Raubvogel dieselben mit bewunderungswürdiger Kühnheit entführt. Wir haben gesehen, daß eine Harpyie neben einem Jndianer, der kaum drei Schritte von seinen Hennen entfernt stand, auf eine derselben herunterstürzte und sie mit sich forttrug. Jn den Wäldern findet sie reichliche Nahrung an den zahlreichen Penelope- und Steißhühnern; sie richtet aber auch unter den Eichhörnchen, Beutelratten und Affen bedeutende Verwüstungen an. Wenn eine Schar dieser letzteren, besonders die Kapuziner, die Nähe einer Harpyie wittern, erheben sie ein klägliches Geschrei, flüchten sich alle womöglich auf einen Baum und suchen sich in dem dichtesten Laubwerk zu verstecken. Die hilflosen Thiere haben ihren Feinden gegenüber nur jämmerliche Klagetöne." Die Makusis versicherten Schomburgk, daß die Harpyie der größte Feind der Brüllaffen sei, Rehe und selbst Kinder fortschleppe, auch auf die Faulthiere Jagd mache und diese in Stücken von dem Aste reiße, an welchen sie sich angeklammert haben. Daß letztere Angabe sehr der Bestätigung bedarf, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Der Horst steht, nach Schomburgk, auf den höchsten Bäumen und hat die Größe eines Riesenstorch nestes. Nach Aussage der Jndianer wird es jahrelang benutzt. Die Eier scheinen noch nicht bekannt zu sein.
D'Orbigny erzählt, daß die Harpyie von den Jndianern sehr häufig aus dem Neste genommen, aufgezogen und gefangen gehalten werde, einzig und allein, um die geschätzten Federn auf leichtere Weise zu gewinnen, als Dies durch Erlegung des alten Vogels möglich. Derjenige Jndianer, welcher eine lebende Harpyie besitzt, ist ein angesehener Mann in den Augen der andern und deshalb sehr glücklich. Den Frauen fällt die Last zu, die Vögel zu füttern und bei den Wanderungen durch die Wälder zu tragen. Sobald die Gefangenen ausgefärbt sind, beginnt ihre Qual; denn der Eigenthümer reißt seinem Vogel zweimal im Jahre die Federn des Schwanzes und der Flügel aus, um seine Pfeile damit zu verzieren oder sich einen Kopfputz zu bereiten. Die Federn sind einer der wichtigsten Tauschgegenstände der Jndianer, und gewisse Stämme, welche als geschickte Jäger der Harpyie bekannt sind, gewinnen damit Alles, auf was ein Jndianer überhaupt Werth legt. Jn Peru wird dem glücklichen Jäger noch eine besondere Belohnung zuertheilt. "Gelingt es einem Jndianer", sagt Tschudi, "eine Harpyie zu erlegen, so geht er mit derselben von Hütte zu Hütte und sammelt seinen Zoll an Eiern, Hühnern, Mais u. s. w. ein." Bei den Wilden und den
Die Fänger. Raubvögel. Adler.
D’Orbigny verſichert, im Jnnern der Wälder, d. h. fernab von den Flüſſen, niemals eine Harpyie geſehen zu haben. Der Vogel kommt überall vor, iſt jedoch nirgends häufig, wahrſcheinlich nur deshalb, weil ſeine Federn ſeit uralter Zeit einen überaus geſchätzten Schmuck der Jndianer bilden und er deswegen hart verfolgt wird. Nach D’Orbigny findet man ihn außer der Paarungszeit ſtets einzeln, gleichſam als fürchte er, ſelbſt durch den Gatten in ſeinem Gewerbe beeinträchtigt zu werden. Nach Art des Habichts ſieht man ihn ſelten auf hohen Bäumen, vielmehr regelmäßig auf den untern Aeſten ſitzen. Vonhieraus erhebt er ſich mit kurzem, ſtoßweiſen, aber pfeilſchnellen Fluge zunächſt ſenkrecht in die Höhe, kreiſt wenige Minuten und ſtürzt ſich, wenn er ſo glücklich war, Beute zu erſpähen, mit Gewalt auf dieſe herab. Er ſoll durchaus nicht ſcheu ſein und den Menſchen ſehr nahe an ſich herankommen laſſen; doch gilt Dies wahrſcheinlich nur für diejenigen Waldungen, in denen er wenig Gelegenheit hat, die Bekanntſchaft ſeines furchtbarſten, wenn nicht alleinigen Feindes zu machen.
Soviel aus den verſchiedenen Augaben hervorgeht, verſchmäht die Harpyie kein höheres Wirbel- thier, vorausgeſetzt, daß daſſelbe durch ſeine Größe oder Wehrhaftigkeit nicht vor ihr geſchützt iſt. Einige Beobachter ſind geneigt, zu glauben, daß ſie nur Säugethiere und zwar vorzugsweiſe Affen und Faulthiere angreift; Tſchudi aber beobachtete, daß ſie auch Vögeln eifrig nachjagt. „Kein Raubvogel‟, ſagt er, „wird von den Jndianern ſo ſehr gefürchtet, wie die Harpyie. Jhre Größe, ihr Muth und ihre Verwegenheit machen ſie in der That zu einem der gefährlichſten Feinde der Pflanzungen Perus, und ſie wird deshalb, wo ſie ſich nur blicken läßt, mit der größten Wuth verfolgt. Jn vielen Waldgegenden iſt es den Jndianern ganz unmöglich, Federvieh oder kleine Hunde zu halten, da dieſer unerſättliche Raubvogel dieſelben mit bewunderungswürdiger Kühnheit entführt. Wir haben geſehen, daß eine Harpyie neben einem Jndianer, der kaum drei Schritte von ſeinen Hennen entfernt ſtand, auf eine derſelben herunterſtürzte und ſie mit ſich forttrug. Jn den Wäldern findet ſie reichliche Nahrung an den zahlreichen Penelope- und Steißhühnern; ſie richtet aber auch unter den Eichhörnchen, Beutelratten und Affen bedeutende Verwüſtungen an. Wenn eine Schar dieſer letzteren, beſonders die Kapuziner, die Nähe einer Harpyie wittern, erheben ſie ein klägliches Geſchrei, flüchten ſich alle womöglich auf einen Baum und ſuchen ſich in dem dichteſten Laubwerk zu verſtecken. Die hilfloſen Thiere haben ihren Feinden gegenüber nur jämmerliche Klagetöne.‟ Die Makuſis verſicherten Schomburgk, daß die Harpyie der größte Feind der Brüllaffen ſei, Rehe und ſelbſt Kinder fortſchleppe, auch auf die Faulthiere Jagd mache und dieſe in Stücken von dem Aſte reiße, an welchen ſie ſich angeklammert haben. Daß letztere Angabe ſehr der Beſtätigung bedarf, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Der Horſt ſteht, nach Schomburgk, auf den höchſten Bäumen und hat die Größe eines Rieſenſtorch neſtes. Nach Ausſage der Jndianer wird es jahrelang benutzt. Die Eier ſcheinen noch nicht bekannt zu ſein.
D’Orbigny erzählt, daß die Harpyie von den Jndianern ſehr häufig aus dem Neſte genommen, aufgezogen und gefangen gehalten werde, einzig und allein, um die geſchätzten Federn auf leichtere Weiſe zu gewinnen, als Dies durch Erlegung des alten Vogels möglich. Derjenige Jndianer, welcher eine lebende Harpyie beſitzt, iſt ein angeſehener Mann in den Augen der andern und deshalb ſehr glücklich. Den Frauen fällt die Laſt zu, die Vögel zu füttern und bei den Wanderungen durch die Wälder zu tragen. Sobald die Gefangenen ausgefärbt ſind, beginnt ihre Qual; denn der Eigenthümer reißt ſeinem Vogel zweimal im Jahre die Federn des Schwanzes und der Flügel aus, um ſeine Pfeile damit zu verzieren oder ſich einen Kopfputz zu bereiten. Die Federn ſind einer der wichtigſten Tauſchgegenſtände der Jndianer, und gewiſſe Stämme, welche als geſchickte Jäger der Harpyie bekannt ſind, gewinnen damit Alles, auf was ein Jndianer überhaupt Werth legt. Jn Peru wird dem glücklichen Jäger noch eine beſondere Belohnung zuertheilt. „Gelingt es einem Jndianer‟, ſagt Tſchudi, „eine Harpyie zu erlegen, ſo geht er mit derſelben von Hütte zu Hütte und ſammelt ſeinen Zoll an Eiern, Hühnern, Mais u. ſ. w. ein.‟ Bei den Wilden und den
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[470/0502]
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D’Orbigny verſichert, im Jnnern der Wälder, d. h. fernab von den Flüſſen, niemals eine Harpyie
geſehen zu haben. Der Vogel kommt überall vor, iſt jedoch nirgends häufig, wahrſcheinlich nur
deshalb, weil ſeine Federn ſeit uralter Zeit einen überaus geſchätzten Schmuck der Jndianer bilden und
er deswegen hart verfolgt wird. Nach D’Orbigny findet man ihn außer der Paarungszeit ſtets
einzeln, gleichſam als fürchte er, ſelbſt durch den Gatten in ſeinem Gewerbe beeinträchtigt zu werden.
Nach Art des Habichts ſieht man ihn ſelten auf hohen Bäumen, vielmehr regelmäßig auf den untern
Aeſten ſitzen. Vonhieraus erhebt er ſich mit kurzem, ſtoßweiſen, aber pfeilſchnellen Fluge zunächſt
ſenkrecht in die Höhe, kreiſt wenige Minuten und ſtürzt ſich, wenn er ſo glücklich war, Beute zu
erſpähen, mit Gewalt auf dieſe herab. Er ſoll durchaus nicht ſcheu ſein und den Menſchen ſehr nahe
an ſich herankommen laſſen; doch gilt Dies wahrſcheinlich nur für diejenigen Waldungen, in
denen er wenig Gelegenheit hat, die Bekanntſchaft ſeines furchtbarſten, wenn nicht alleinigen
Feindes zu machen.
Soviel aus den verſchiedenen Augaben hervorgeht, verſchmäht die Harpyie kein höheres Wirbel-
thier, vorausgeſetzt, daß daſſelbe durch ſeine Größe oder Wehrhaftigkeit nicht vor ihr geſchützt iſt.
Einige Beobachter ſind geneigt, zu glauben, daß ſie nur Säugethiere und zwar vorzugsweiſe Affen
und Faulthiere angreift; Tſchudi aber beobachtete, daß ſie auch Vögeln eifrig nachjagt. „Kein
Raubvogel‟, ſagt er, „wird von den Jndianern ſo ſehr gefürchtet, wie die Harpyie. Jhre Größe, ihr
Muth und ihre Verwegenheit machen ſie in der That zu einem der gefährlichſten Feinde der
Pflanzungen Perus, und ſie wird deshalb, wo ſie ſich nur blicken läßt, mit der größten Wuth verfolgt.
Jn vielen Waldgegenden iſt es den Jndianern ganz unmöglich, Federvieh oder kleine Hunde zu halten,
da dieſer unerſättliche Raubvogel dieſelben mit bewunderungswürdiger Kühnheit entführt. Wir
haben geſehen, daß eine Harpyie neben einem Jndianer, der kaum drei Schritte von ſeinen Hennen
entfernt ſtand, auf eine derſelben herunterſtürzte und ſie mit ſich forttrug. Jn den Wäldern
findet ſie reichliche Nahrung an den zahlreichen Penelope- und Steißhühnern; ſie richtet aber
auch unter den Eichhörnchen, Beutelratten und Affen bedeutende Verwüſtungen an. Wenn
eine Schar dieſer letzteren, beſonders die Kapuziner, die Nähe einer Harpyie wittern, erheben ſie ein
klägliches Geſchrei, flüchten ſich alle womöglich auf einen Baum und ſuchen ſich in dem dichteſten
Laubwerk zu verſtecken. Die hilfloſen Thiere haben ihren Feinden gegenüber nur jämmerliche
Klagetöne.‟ Die Makuſis verſicherten Schomburgk, daß die Harpyie der größte Feind der
Brüllaffen ſei, Rehe und ſelbſt Kinder fortſchleppe, auch auf die Faulthiere Jagd mache und
dieſe in Stücken von dem Aſte reiße, an welchen ſie ſich angeklammert haben. Daß letztere Angabe
ſehr der Beſtätigung bedarf, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.
Der Horſt ſteht, nach Schomburgk, auf den höchſten Bäumen und hat die Größe eines
Rieſenſtorch neſtes. Nach Ausſage der Jndianer wird es jahrelang benutzt. Die Eier ſcheinen
noch nicht bekannt zu ſein.
D’Orbigny erzählt, daß die Harpyie von den Jndianern ſehr häufig aus dem Neſte
genommen, aufgezogen und gefangen gehalten werde, einzig und allein, um die geſchätzten Federn auf
leichtere Weiſe zu gewinnen, als Dies durch Erlegung des alten Vogels möglich. Derjenige Jndianer,
welcher eine lebende Harpyie beſitzt, iſt ein angeſehener Mann in den Augen der andern und
deshalb ſehr glücklich. Den Frauen fällt die Laſt zu, die Vögel zu füttern und bei den Wanderungen
durch die Wälder zu tragen. Sobald die Gefangenen ausgefärbt ſind, beginnt ihre Qual; denn der
Eigenthümer reißt ſeinem Vogel zweimal im Jahre die Federn des Schwanzes und der Flügel aus,
um ſeine Pfeile damit zu verzieren oder ſich einen Kopfputz zu bereiten. Die Federn ſind einer der
wichtigſten Tauſchgegenſtände der Jndianer, und gewiſſe Stämme, welche als geſchickte Jäger der
Harpyie bekannt ſind, gewinnen damit Alles, auf was ein Jndianer überhaupt Werth legt. Jn
Peru wird dem glücklichen Jäger noch eine beſondere Belohnung zuertheilt. „Gelingt es einem
Jndianer‟, ſagt Tſchudi, „eine Harpyie zu erlegen, ſo geht er mit derſelben von Hütte zu Hütte
und ſammelt ſeinen Zoll an Eiern, Hühnern, Mais u. ſ. w. ein.‟ Bei den Wilden und den
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/502>, abgerufen am 22.11.2024.
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