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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Adler.
dumpferen Lauten; auf sie folgen dann regelmäßig länger gehaltene; das Ende ist langgezogen und
gellend. Jch glaube, das Ganze durch die Silben: "Wewwe, wewwe, we, we, we, wie, wieh,
wiiiiiii" ziemlich richtig wiedergeben zu können.

Mit dem Wärter hat unser Schopfadler noch keine Freundschaft geschlossen. Er begrüßt ihn
zwar, wenn er ihn einige Zeit lang nicht gesehen hat, weicht aber allen Versuchen desselben, ein
Freundschaftsverhältniß herheizuführen, mit ersichtlicher Abneigung aus. Wie er sich verwandten
Vögeln gegenüber benimmt, weiß ich nicht; viel Gutes traue ich ihm jedoch nicht zu. Schwache
Säugethiere, welche in seinen Käfig gebracht werden, betrachtet er lange Zeit aufmerksam; er glättet
dabei sein Gefieder, legt die Holle nieder, trippelt auf der Sitzstange unruhig hin und her und dreht
und wendet den Kopf fast wie eine Eule unter ähnlichen Umständen. Nachdem er schließlich seiner
Neugier Genüge gethan, geht er zum Angriff über, läßt sich auf den Boden herab, schreitet auf das
zur Beute erkorne Thier zu, greift rasch mit dem einen Fange nach ihm, prallt aber anfangs erschreckt
zurück, wenn dieses sich regt. Nach und nach wird er dreister; die rücksichtslose Raublust der Edel-
adler bekundet er jedoch nicht; er ist auch weit ungeschickter, als diese, besinnt sich lange, ehe er einen
neuen Angriff beginnt und führt denselben auffallend schwerfällig aus. Doch mag es sein, daß ihn
die Enge des Käfigs als unbesiegliches Hinderniß erscheint und er sich da, wo er in altgewohnter
Weise fliegend angreifen kann, ganz anders zeigen würde. Es scheint mir, als fehle ihm die Klugheit
der Edeladler, welche ähnliche Hemmnisse sehr wohl zu überwinden weiß.



Jm Süden Amerikas wird der Schopfadler durch mehrere Verwandte vertreten, welche wir
zum Unterschiede Würgadler nennen wollen. Sie bilden die Sippe Pternura. Jhre Kennzeichen
liegen in den verhältnißmäßig langen Flügeln, in denen die fünfte Schwinge die längste ist, und den
zwar hohen, aber sehr kurzzehigen Füßen. Jn allem Uebrigen ähneln sie den Hauben- und noch
mehr den Schopfadlern.

Eine der stattlichsten Arten dieser Gruppe ist der Urutaurana (Pternura Tyrannus). Er ist ein
Vogel von der Größe unseres Schreiadlers. Seine Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 50 Zoll, der
Fittig mißt 16 Zoll, der Schwanz 14 Zoll. Das Weibchen ist um 2 Zoll länger und um 3 bis 4
Zoll breiter. Der Kopf, die Kehle, der Nacken und die Oberbrust sind schwarz, alle Federn der
Oberseite einfarbig, die der Unterseite auf schwarzbraunem Grunde weißlich getüpfelt, die Schwingen
und Schwanzfedern fünf bis sechsmal weißlich gebändert. Die Schwanzfedern, welche durch fünf
hellere Querbinden gezeichnet und weiß gerandet sind, erscheinen von oben betrachtet graubraun, von
unten gesehen weißgrau. Die Hosen und das Schenkelgefieder sind ebenfalls getüpfelt. Jüngere
Vögel sind matter, mehr bräunlich oder graubraun gefärbt, und die Federn auf dem Rücken oft
licht gesäumt. Die Kehle ist weißlich, die Brust auf gelbbraunem Grunde dunkler gefleckt.
Das Auge ist orangengelb, der Schnabel hornschwarz, die Wachshaut graugelblich, der
Fuß blaßgelb.

Der Urutaurana bewohnt die Waldungen des mittleren Brasiliens; er soll aber nirgends häufig
sein. Der Prinz von Wied, sein Entdecker, erhielt nur ein einziges Stück, und Burmeister sah
auch nur zwei dieser Vögel. "Derjenige, welchen ich beschreibe", sagt der Prinz, "war auf dem dicken
Aste eines hohen Waldbaums soeben beschäftigt, ein Beutelthier zu fangen, wobei er von einer Menge
verschiedenartiger Vögel, besonders von lautschreienden Tukanen, umschwärmt wurde. Sein
kräftiger Fleischmagen war leer, ein Beweis, daß er mit ziemlicher Ungeduld der nahe bevorstehenden
Mahlzeit entgegen gesehen haben mochte, als er durch einen Flintenschuß in meine Gewalt gebracht
wurde." Er soll allen kleinen Thieren, besonders aber den Affen, nachstellen, seinen Horst auf Bäumen
und Reisern erbauen und zwei Eier legen. Dies ist Alles, was mir über das Freileben des Vogels
bekannt ist.

Die Fänger. Raubvögel. Adler.
dumpferen Lauten; auf ſie folgen dann regelmäßig länger gehaltene; das Ende iſt langgezogen und
gellend. Jch glaube, das Ganze durch die Silben: „Wewwe, wewwe, we, we, we, wie, wieh,
wiiiiiii‟ ziemlich richtig wiedergeben zu können.

Mit dem Wärter hat unſer Schopfadler noch keine Freundſchaft geſchloſſen. Er begrüßt ihn
zwar, wenn er ihn einige Zeit lang nicht geſehen hat, weicht aber allen Verſuchen deſſelben, ein
Freundſchaftsverhältniß herheizuführen, mit erſichtlicher Abneigung aus. Wie er ſich verwandten
Vögeln gegenüber benimmt, weiß ich nicht; viel Gutes traue ich ihm jedoch nicht zu. Schwache
Säugethiere, welche in ſeinen Käfig gebracht werden, betrachtet er lange Zeit aufmerkſam; er glättet
dabei ſein Gefieder, legt die Holle nieder, trippelt auf der Sitzſtange unruhig hin und her und dreht
und wendet den Kopf faſt wie eine Eule unter ähnlichen Umſtänden. Nachdem er ſchließlich ſeiner
Neugier Genüge gethan, geht er zum Angriff über, läßt ſich auf den Boden herab, ſchreitet auf das
zur Beute erkorne Thier zu, greift raſch mit dem einen Fange nach ihm, prallt aber anfangs erſchreckt
zurück, wenn dieſes ſich regt. Nach und nach wird er dreiſter; die rückſichtsloſe Raubluſt der Edel-
adler bekundet er jedoch nicht; er iſt auch weit ungeſchickter, als dieſe, beſinnt ſich lange, ehe er einen
neuen Angriff beginnt und führt denſelben auffallend ſchwerfällig aus. Doch mag es ſein, daß ihn
die Enge des Käfigs als unbeſiegliches Hinderniß erſcheint und er ſich da, wo er in altgewohnter
Weiſe fliegend angreifen kann, ganz anders zeigen würde. Es ſcheint mir, als fehle ihm die Klugheit
der Edeladler, welche ähnliche Hemmniſſe ſehr wohl zu überwinden weiß.



Jm Süden Amerikas wird der Schopfadler durch mehrere Verwandte vertreten, welche wir
zum Unterſchiede Würgadler nennen wollen. Sie bilden die Sippe Pternura. Jhre Kennzeichen
liegen in den verhältnißmäßig langen Flügeln, in denen die fünfte Schwinge die längſte iſt, und den
zwar hohen, aber ſehr kurzzehigen Füßen. Jn allem Uebrigen ähneln ſie den Hauben- und noch
mehr den Schopfadlern.

Eine der ſtattlichſten Arten dieſer Gruppe iſt der Urutaurana (Pternura Tyrannus). Er iſt ein
Vogel von der Größe unſeres Schreiadlers. Seine Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 50 Zoll, der
Fittig mißt 16 Zoll, der Schwanz 14 Zoll. Das Weibchen iſt um 2 Zoll länger und um 3 bis 4
Zoll breiter. Der Kopf, die Kehle, der Nacken und die Oberbruſt ſind ſchwarz, alle Federn der
Oberſeite einfarbig, die der Unterſeite auf ſchwarzbraunem Grunde weißlich getüpfelt, die Schwingen
und Schwanzfedern fünf bis ſechsmal weißlich gebändert. Die Schwanzfedern, welche durch fünf
hellere Querbinden gezeichnet und weiß gerandet ſind, erſcheinen von oben betrachtet graubraun, von
unten geſehen weißgrau. Die Hoſen und das Schenkelgefieder ſind ebenfalls getüpfelt. Jüngere
Vögel ſind matter, mehr bräunlich oder graubraun gefärbt, und die Federn auf dem Rücken oft
licht geſäumt. Die Kehle iſt weißlich, die Bruſt auf gelbbraunem Grunde dunkler gefleckt.
Das Auge iſt orangengelb, der Schnabel hornſchwarz, die Wachshaut graugelblich, der
Fuß blaßgelb.

Der Urutaurana bewohnt die Waldungen des mittleren Braſiliens; er ſoll aber nirgends häufig
ſein. Der Prinz von Wied, ſein Entdecker, erhielt nur ein einziges Stück, und Burmeiſter ſah
auch nur zwei dieſer Vögel. „Derjenige, welchen ich beſchreibe‟, ſagt der Prinz, „war auf dem dicken
Aſte eines hohen Waldbaums ſoeben beſchäftigt, ein Beutelthier zu fangen, wobei er von einer Menge
verſchiedenartiger Vögel, beſonders von lautſchreienden Tukanen, umſchwärmt wurde. Sein
kräftiger Fleiſchmagen war leer, ein Beweis, daß er mit ziemlicher Ungeduld der nahe bevorſtehenden
Mahlzeit entgegen geſehen haben mochte, als er durch einen Flintenſchuß in meine Gewalt gebracht
wurde.‟ Er ſoll allen kleinen Thieren, beſonders aber den Affen, nachſtellen, ſeinen Horſt auf Bäumen
und Reiſern erbauen und zwei Eier legen. Dies iſt Alles, was mir über das Freileben des Vogels
bekannt iſt.

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[466/0498] Die Fänger. Raubvögel. Adler. dumpferen Lauten; auf ſie folgen dann regelmäßig länger gehaltene; das Ende iſt langgezogen und gellend. Jch glaube, das Ganze durch die Silben: „Wewwe, wewwe, we, we, we, wie, wieh, wiiiiiii‟ ziemlich richtig wiedergeben zu können. Mit dem Wärter hat unſer Schopfadler noch keine Freundſchaft geſchloſſen. Er begrüßt ihn zwar, wenn er ihn einige Zeit lang nicht geſehen hat, weicht aber allen Verſuchen deſſelben, ein Freundſchaftsverhältniß herheizuführen, mit erſichtlicher Abneigung aus. Wie er ſich verwandten Vögeln gegenüber benimmt, weiß ich nicht; viel Gutes traue ich ihm jedoch nicht zu. Schwache Säugethiere, welche in ſeinen Käfig gebracht werden, betrachtet er lange Zeit aufmerkſam; er glättet dabei ſein Gefieder, legt die Holle nieder, trippelt auf der Sitzſtange unruhig hin und her und dreht und wendet den Kopf faſt wie eine Eule unter ähnlichen Umſtänden. Nachdem er ſchließlich ſeiner Neugier Genüge gethan, geht er zum Angriff über, läßt ſich auf den Boden herab, ſchreitet auf das zur Beute erkorne Thier zu, greift raſch mit dem einen Fange nach ihm, prallt aber anfangs erſchreckt zurück, wenn dieſes ſich regt. Nach und nach wird er dreiſter; die rückſichtsloſe Raubluſt der Edel- adler bekundet er jedoch nicht; er iſt auch weit ungeſchickter, als dieſe, beſinnt ſich lange, ehe er einen neuen Angriff beginnt und führt denſelben auffallend ſchwerfällig aus. Doch mag es ſein, daß ihn die Enge des Käfigs als unbeſiegliches Hinderniß erſcheint und er ſich da, wo er in altgewohnter Weiſe fliegend angreifen kann, ganz anders zeigen würde. Es ſcheint mir, als fehle ihm die Klugheit der Edeladler, welche ähnliche Hemmniſſe ſehr wohl zu überwinden weiß. Jm Süden Amerikas wird der Schopfadler durch mehrere Verwandte vertreten, welche wir zum Unterſchiede Würgadler nennen wollen. Sie bilden die Sippe Pternura. Jhre Kennzeichen liegen in den verhältnißmäßig langen Flügeln, in denen die fünfte Schwinge die längſte iſt, und den zwar hohen, aber ſehr kurzzehigen Füßen. Jn allem Uebrigen ähneln ſie den Hauben- und noch mehr den Schopfadlern. Eine der ſtattlichſten Arten dieſer Gruppe iſt der Urutaurana (Pternura Tyrannus). Er iſt ein Vogel von der Größe unſeres Schreiadlers. Seine Länge beträgt 26 Zoll, die Breite 50 Zoll, der Fittig mißt 16 Zoll, der Schwanz 14 Zoll. Das Weibchen iſt um 2 Zoll länger und um 3 bis 4 Zoll breiter. Der Kopf, die Kehle, der Nacken und die Oberbruſt ſind ſchwarz, alle Federn der Oberſeite einfarbig, die der Unterſeite auf ſchwarzbraunem Grunde weißlich getüpfelt, die Schwingen und Schwanzfedern fünf bis ſechsmal weißlich gebändert. Die Schwanzfedern, welche durch fünf hellere Querbinden gezeichnet und weiß gerandet ſind, erſcheinen von oben betrachtet graubraun, von unten geſehen weißgrau. Die Hoſen und das Schenkelgefieder ſind ebenfalls getüpfelt. Jüngere Vögel ſind matter, mehr bräunlich oder graubraun gefärbt, und die Federn auf dem Rücken oft licht geſäumt. Die Kehle iſt weißlich, die Bruſt auf gelbbraunem Grunde dunkler gefleckt. Das Auge iſt orangengelb, der Schnabel hornſchwarz, die Wachshaut graugelblich, der Fuß blaßgelb. Der Urutaurana bewohnt die Waldungen des mittleren Braſiliens; er ſoll aber nirgends häufig ſein. Der Prinz von Wied, ſein Entdecker, erhielt nur ein einziges Stück, und Burmeiſter ſah auch nur zwei dieſer Vögel. „Derjenige, welchen ich beſchreibe‟, ſagt der Prinz, „war auf dem dicken Aſte eines hohen Waldbaums ſoeben beſchäftigt, ein Beutelthier zu fangen, wobei er von einer Menge verſchiedenartiger Vögel, beſonders von lautſchreienden Tukanen, umſchwärmt wurde. Sein kräftiger Fleiſchmagen war leer, ein Beweis, daß er mit ziemlicher Ungeduld der nahe bevorſtehenden Mahlzeit entgegen geſehen haben mochte, als er durch einen Flintenſchuß in meine Gewalt gebracht wurde.‟ Er ſoll allen kleinen Thieren, beſonders aber den Affen, nachſtellen, ſeinen Horſt auf Bäumen und Reiſern erbauen und zwei Eier legen. Dies iſt Alles, was mir über das Freileben des Vogels bekannt iſt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/498>, abgerufen am 22.07.2024.