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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Schreiadler. Zwergadler.
sich hoch in die Lüfte und schwebt namentlich bei schönem Wetter in wundervollen Kreisen stunden-
lang umher.

Seine Nahrung besteht aus kleinen Wirbelthieren. Radde behauptet, daß der Schreiadler in
den sibirischen Steppen sich hauptsächlich vom Bobak nähre; bei uns zu Lande bilden Frösche und
Mäuse seine hauptsächlichste Beute. Man sieht ihn nach Art des Bussards auf einzeln stehenden
Bäumen, auf Steinen oder Pfählen sitzen und hier auf seine Beute lauern. Hat er Etwas erzielt,
so schwingt er sich behend zu Boden und sucht das betreffende Thier zu ergreifen, im Nothfalle auch
durch schnelles Nachhüpfen. Ob er auf Wassergeflügel stößt, wie vielfach behauptet worden ist, vermag
ich nicht zu sagen; wohl aber kann ich versichern, daß auch er dem Wanderfalken seine Beute
abjagt. Auf das Aas fällt er ohne Umstände, fast wie ein echter Geier.

Die Stimme ist ein weitschallendes Geschrei, welches man durch die Silben "Jef jef" wiederge-
geben hat. Sein Wohlbehagen drückt der Schreiadler durch augenehme Töne aus, welche nach Nau-
mann
einem sanften Geklingel ähneln. Einige Beobachter versichern, daß namentlich der gefangene
Schreiadler sehr kläglich schreie; ich kann Dies nicht bestätigen: der, welchen der hamburger Thiergarten
besitzt, hat in meiner Gegenwart noch keinen Laut vernehmen lassen.

Der Horst steht immer auf Bäumen, vorzugsweise auf Buchen, da, wo diese fehlen, aber
auch auf Nadelbäumen. Er ist verhältnißmäßig klein, schlecht und unordentlich gebaut, oben sehr flach
und oft, wie der Horst des Habichts, mit grünen Zweigen verziert. Gewöhnlich findet man nur ein ein-
ziges Ei, zuweilen aber auch deren zwei im Horste. Jhre Gestalt ändert ab: es gibt eiförmige, rundliche
und längliche; auch Färbung und Zeichnung sind verschieden: die blaßbläulich grauen Flecken, welche
auf weißem Grunde st ehen, sind bald mehr, bald weniger sichtbar oder spielen bei diesen in das Gelbe,
bei jenen in das Braunröthliche; einzelne Eier zeigen einen schönen Fleckenkranz um die Mitte
u. s. w. Jn der zweiten Hälfte des Mai beginnt das Weibchen zu brüten; drei Wochen später
schlüpfen die Jungen aus. Beide Eltern lieben ihre Brut ganz ungemein. Das brütende Weibchen
läßt sich oft kaum vom Horste vertreiben, setzt sich, wenn es verjagt wurde, auf einen der nächsten
Bäume und schreit kläglich. Das Männchen hilft die Jungen nicht nur aufziehen, sondern nimmt sich
auch ihrer redlich an, wenn jenes umgekommen ist. Nach Mechlenburgs Angabe werden die
Jungen hauptsächlich mit Lurchen ernährt; man sieht die Alten oft große Schlangen dem Horste
zutragen. Jung aufgezogene Schreiadler werden ebenso zahm, als irgend ein anderer Raubvogel;
selbst alt erbeutete gewöhnen sich bald an die Gefangenschaft. Doch gehören diese Adler nicht gerade
zu den liebenswürdigsten Raubvögeln: sie sind langweilig.

Die Jagd ist nicht besonders schwierig; denn der Schreiadler wird nur dann vorsichtig und schen,
wenn er wiederholt Verfolgungen erfahren hat. Mit der Büchse erlegt man ihn ohne Mühe;
gewöhnlich läßt er sich bei einiger Achtsamkeit auch mit dem Schrotgewehr unterlaufen. Jch glaube,
daß man wohlthut, ihn möglichst wenig zu behelligen; denn aus Allem, was ich über ihn gehört habe,
scheint hervorzugehen, daß er weit mehr Nutzen bringt, als er Schaden anrichtet. Es mag sein, daß er
ab und zu einen Hasen oder ein Rebhuhn wegnimmt; diesen geringen Schaden vergütet er aber
durch seine Mäuse- und Schlangenjagd mehr als reichlich.

Weit anziehender, als die Schreiadler, sind die kleinsten Mitglieder der Familie, die Zwerg-
adler. Kaup
hat sie, ihrer niederen Fußwurzeln halber, von den übrigen Edeladlern getrennt und
ihnen den Namen Hieraaetus zuertheilt; mir erscheint die Trennung jedoch ungerechtfertigt.

Die in Deutschland vorkommenden Zwergadler sind in Gestalt und Größe ungefähr ebenso
nah verwandt, wie Stein- und Goldadler: der gestiefelte Adler würde dem Goldadler, der
Zwergadler dem Steinadler zu vergleichen sein. Bei beiden beträgt die Länge des Männchens
11/2 Fuß, die Breite 3 Fuß 7 Zoll; der Fittig mißt 133/4, der Schwanz 71/4 Zoll. Das Weibchen ist
um 11/2 Zoll länger und um etwa 3 Zoll breiter als das Männchen. Beide Adler sind in allen
Kleidern sehr übereinstimmend gefärbt und gezeichnet.

Schreiadler. Zwergadler.
ſich hoch in die Lüfte und ſchwebt namentlich bei ſchönem Wetter in wundervollen Kreiſen ſtunden-
lang umher.

Seine Nahrung beſteht aus kleinen Wirbelthieren. Radde behauptet, daß der Schreiadler in
den ſibiriſchen Steppen ſich hauptſächlich vom Bobak nähre; bei uns zu Lande bilden Fröſche und
Mäuſe ſeine hauptſächlichſte Beute. Man ſieht ihn nach Art des Buſſards auf einzeln ſtehenden
Bäumen, auf Steinen oder Pfählen ſitzen und hier auf ſeine Beute lauern. Hat er Etwas erzielt,
ſo ſchwingt er ſich behend zu Boden und ſucht das betreffende Thier zu ergreifen, im Nothfalle auch
durch ſchnelles Nachhüpfen. Ob er auf Waſſergeflügel ſtößt, wie vielfach behauptet worden iſt, vermag
ich nicht zu ſagen; wohl aber kann ich verſichern, daß auch er dem Wanderfalken ſeine Beute
abjagt. Auf das Aas fällt er ohne Umſtände, faſt wie ein echter Geier.

Die Stimme iſt ein weitſchallendes Geſchrei, welches man durch die Silben „Jef jef‟ wiederge-
geben hat. Sein Wohlbehagen drückt der Schreiadler durch augenehme Töne aus, welche nach Nau-
mann
einem ſanften Geklingel ähneln. Einige Beobachter verſichern, daß namentlich der gefangene
Schreiadler ſehr kläglich ſchreie; ich kann Dies nicht beſtätigen: der, welchen der hamburger Thiergarten
beſitzt, hat in meiner Gegenwart noch keinen Laut vernehmen laſſen.

Der Horſt ſteht immer auf Bäumen, vorzugsweiſe auf Buchen, da, wo dieſe fehlen, aber
auch auf Nadelbäumen. Er iſt verhältnißmäßig klein, ſchlecht und unordentlich gebaut, oben ſehr flach
und oft, wie der Horſt des Habichts, mit grünen Zweigen verziert. Gewöhnlich findet man nur ein ein-
ziges Ei, zuweilen aber auch deren zwei im Horſte. Jhre Geſtalt ändert ab: es gibt eiförmige, rundliche
und längliche; auch Färbung und Zeichnung ſind verſchieden: die blaßbläulich grauen Flecken, welche
auf weißem Grunde ſt ehen, ſind bald mehr, bald weniger ſichtbar oder ſpielen bei dieſen in das Gelbe,
bei jenen in das Braunröthliche; einzelne Eier zeigen einen ſchönen Fleckenkranz um die Mitte
u. ſ. w. Jn der zweiten Hälfte des Mai beginnt das Weibchen zu brüten; drei Wochen ſpäter
ſchlüpfen die Jungen aus. Beide Eltern lieben ihre Brut ganz ungemein. Das brütende Weibchen
läßt ſich oft kaum vom Horſte vertreiben, ſetzt ſich, wenn es verjagt wurde, auf einen der nächſten
Bäume und ſchreit kläglich. Das Männchen hilft die Jungen nicht nur aufziehen, ſondern nimmt ſich
auch ihrer redlich an, wenn jenes umgekommen iſt. Nach Mechlenburgs Angabe werden die
Jungen hauptſächlich mit Lurchen ernährt; man ſieht die Alten oft große Schlangen dem Horſte
zutragen. Jung aufgezogene Schreiadler werden ebenſo zahm, als irgend ein anderer Raubvogel;
ſelbſt alt erbeutete gewöhnen ſich bald an die Gefangenſchaft. Doch gehören dieſe Adler nicht gerade
zu den liebenswürdigſten Raubvögeln: ſie ſind langweilig.

Die Jagd iſt nicht beſonders ſchwierig; denn der Schreiadler wird nur dann vorſichtig und ſchen,
wenn er wiederholt Verfolgungen erfahren hat. Mit der Büchſe erlegt man ihn ohne Mühe;
gewöhnlich läßt er ſich bei einiger Achtſamkeit auch mit dem Schrotgewehr unterlaufen. Jch glaube,
daß man wohlthut, ihn möglichſt wenig zu behelligen; denn aus Allem, was ich über ihn gehört habe,
ſcheint hervorzugehen, daß er weit mehr Nutzen bringt, als er Schaden anrichtet. Es mag ſein, daß er
ab und zu einen Haſen oder ein Rebhuhn wegnimmt; dieſen geringen Schaden vergütet er aber
durch ſeine Mäuſe- und Schlangenjagd mehr als reichlich.

Weit anziehender, als die Schreiadler, ſind die kleinſten Mitglieder der Familie, die Zwerg-
adler. Kaup
hat ſie, ihrer niederen Fußwurzeln halber, von den übrigen Edeladlern getrennt und
ihnen den Namen Hieraaëtus zuertheilt; mir erſcheint die Trennung jedoch ungerechtfertigt.

Die in Deutſchland vorkommenden Zwergadler ſind in Geſtalt und Größe ungefähr ebenſo
nah verwandt, wie Stein- und Goldadler: der geſtiefelte Adler würde dem Goldadler, der
Zwergadler dem Steinadler zu vergleichen ſein. Bei beiden beträgt die Länge des Männchens
1½ Fuß, die Breite 3 Fuß 7 Zoll; der Fittig mißt 13¾, der Schwanz 7¼ Zoll. Das Weibchen iſt
um 1½ Zoll länger und um etwa 3 Zoll breiter als das Männchen. Beide Adler ſind in allen
Kleidern ſehr übereinſtimmend gefärbt und gezeichnet.

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[455/0485] Schreiadler. Zwergadler. ſich hoch in die Lüfte und ſchwebt namentlich bei ſchönem Wetter in wundervollen Kreiſen ſtunden- lang umher. Seine Nahrung beſteht aus kleinen Wirbelthieren. Radde behauptet, daß der Schreiadler in den ſibiriſchen Steppen ſich hauptſächlich vom Bobak nähre; bei uns zu Lande bilden Fröſche und Mäuſe ſeine hauptſächlichſte Beute. Man ſieht ihn nach Art des Buſſards auf einzeln ſtehenden Bäumen, auf Steinen oder Pfählen ſitzen und hier auf ſeine Beute lauern. Hat er Etwas erzielt, ſo ſchwingt er ſich behend zu Boden und ſucht das betreffende Thier zu ergreifen, im Nothfalle auch durch ſchnelles Nachhüpfen. Ob er auf Waſſergeflügel ſtößt, wie vielfach behauptet worden iſt, vermag ich nicht zu ſagen; wohl aber kann ich verſichern, daß auch er dem Wanderfalken ſeine Beute abjagt. Auf das Aas fällt er ohne Umſtände, faſt wie ein echter Geier. Die Stimme iſt ein weitſchallendes Geſchrei, welches man durch die Silben „Jef jef‟ wiederge- geben hat. Sein Wohlbehagen drückt der Schreiadler durch augenehme Töne aus, welche nach Nau- mann einem ſanften Geklingel ähneln. Einige Beobachter verſichern, daß namentlich der gefangene Schreiadler ſehr kläglich ſchreie; ich kann Dies nicht beſtätigen: der, welchen der hamburger Thiergarten beſitzt, hat in meiner Gegenwart noch keinen Laut vernehmen laſſen. Der Horſt ſteht immer auf Bäumen, vorzugsweiſe auf Buchen, da, wo dieſe fehlen, aber auch auf Nadelbäumen. Er iſt verhältnißmäßig klein, ſchlecht und unordentlich gebaut, oben ſehr flach und oft, wie der Horſt des Habichts, mit grünen Zweigen verziert. Gewöhnlich findet man nur ein ein- ziges Ei, zuweilen aber auch deren zwei im Horſte. Jhre Geſtalt ändert ab: es gibt eiförmige, rundliche und längliche; auch Färbung und Zeichnung ſind verſchieden: die blaßbläulich grauen Flecken, welche auf weißem Grunde ſt ehen, ſind bald mehr, bald weniger ſichtbar oder ſpielen bei dieſen in das Gelbe, bei jenen in das Braunröthliche; einzelne Eier zeigen einen ſchönen Fleckenkranz um die Mitte u. ſ. w. Jn der zweiten Hälfte des Mai beginnt das Weibchen zu brüten; drei Wochen ſpäter ſchlüpfen die Jungen aus. Beide Eltern lieben ihre Brut ganz ungemein. Das brütende Weibchen läßt ſich oft kaum vom Horſte vertreiben, ſetzt ſich, wenn es verjagt wurde, auf einen der nächſten Bäume und ſchreit kläglich. Das Männchen hilft die Jungen nicht nur aufziehen, ſondern nimmt ſich auch ihrer redlich an, wenn jenes umgekommen iſt. Nach Mechlenburgs Angabe werden die Jungen hauptſächlich mit Lurchen ernährt; man ſieht die Alten oft große Schlangen dem Horſte zutragen. Jung aufgezogene Schreiadler werden ebenſo zahm, als irgend ein anderer Raubvogel; ſelbſt alt erbeutete gewöhnen ſich bald an die Gefangenſchaft. Doch gehören dieſe Adler nicht gerade zu den liebenswürdigſten Raubvögeln: ſie ſind langweilig. Die Jagd iſt nicht beſonders ſchwierig; denn der Schreiadler wird nur dann vorſichtig und ſchen, wenn er wiederholt Verfolgungen erfahren hat. Mit der Büchſe erlegt man ihn ohne Mühe; gewöhnlich läßt er ſich bei einiger Achtſamkeit auch mit dem Schrotgewehr unterlaufen. Jch glaube, daß man wohlthut, ihn möglichſt wenig zu behelligen; denn aus Allem, was ich über ihn gehört habe, ſcheint hervorzugehen, daß er weit mehr Nutzen bringt, als er Schaden anrichtet. Es mag ſein, daß er ab und zu einen Haſen oder ein Rebhuhn wegnimmt; dieſen geringen Schaden vergütet er aber durch ſeine Mäuſe- und Schlangenjagd mehr als reichlich. Weit anziehender, als die Schreiadler, ſind die kleinſten Mitglieder der Familie, die Zwerg- adler. Kaup hat ſie, ihrer niederen Fußwurzeln halber, von den übrigen Edeladlern getrennt und ihnen den Namen Hieraaëtus zuertheilt; mir erſcheint die Trennung jedoch ungerechtfertigt. Die in Deutſchland vorkommenden Zwergadler ſind in Geſtalt und Größe ungefähr ebenſo nah verwandt, wie Stein- und Goldadler: der geſtiefelte Adler würde dem Goldadler, der Zwergadler dem Steinadler zu vergleichen ſein. Bei beiden beträgt die Länge des Männchens 1½ Fuß, die Breite 3 Fuß 7 Zoll; der Fittig mißt 13¾, der Schwanz 7¼ Zoll. Das Weibchen iſt um 1½ Zoll länger und um etwa 3 Zoll breiter als das Männchen. Beide Adler ſind in allen Kleidern ſehr übereinſtimmend gefärbt und gezeichnet.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/485>, abgerufen am 22.11.2024.