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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Habicht.
allen Säugethieren, welche er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Er stößt auf den
Hasen, um ihn umzubringen; er erhebt das bissige Wiesel vom Boden, wie er das Eichhörnchen
vom Neste wegnimmt; er raubt im Fliegen, wie im Sitzen, den schwimmenden Vogel, wie das laufende
Säugethier; er zieht seine Beute selbst aus ihren Versteckplätzen hervor. Ein ungeheurer Schrecken
ergreift die Thiere, welche sich ihm gegenüber gefährdet wissen; er bemeistert sich ihrer oft so, daß sie
starr sitzen bleiben und wie Naumann sagt, "schon unter seinen Klauen bluten, ehe sie sich noch
entschlossen haben, die Flucht zu ergreifen oder sich platt an die Erde niederzudrücken". Seine Raub-
gier wird nur durch seine Frechheit überboten; seine Mordlust übertrifft die eine wie die andere: er
kennt keine Schonung. Namentlich den Tauben jagt er fortwährend nach, und ein einziges Habichts-
paar kann den reichsten Schlag binnen wenigen Monaten entvölkern. Die Tauben ergreifen, sobald
sie den Habicht gewahr werden, eilig die Flucht; dieser aber stürzt in schiefer Nichtung pfeilschnell hinter
ihnen her und sucht eine zu ergreifen, indem er gewöhnlich von oben auf sie herabstößt. Dies geschieht
ohne bemerkbare Flügelbewegung mit weit vorgestreckten Fängen und etwas eingezogenen Schwingen,
aber mit einer solchen Geschwindigkeit, daß ein Rauschen entsteht, welches man auf hundert bis
hundertundfunfzig Schritt weit hören kann. "Einstmals", erzählt mein Vater, "befand ich mich auf
dem Felde und sah einen Habicht über einem hohen Berge umherschweben. Eine halbe Viertelstunde
von ihm, tief im Thale, suchte eine Herde Tauben ruhig ihr Futter; kaum hatte sie der Habicht erblickt,
als er in schräger Richtung wohl tausend Ellen weit herabschoß. Doch auch die Tauben hatten
ihn sehr zeitig bemerkt; sie flogen möglichst schnell schon dem Schlage zu, als er die Hälfte des Wegs
zurückgelegt hatte. Dies schien gegen seine Vermuthung zu sein; denn er war bei seinem Stoßen zu
tief herabgekommen, als daß er den Tauben gleich war. Nun hob er sich wieder, flog mitten durch sie
und griff nach einer, die aber durch eine geschickte Wendung dem Räuber entging und glücklich den
Schlag erreichte."

Gelingt es ihm nicht, die Tauben durch Verfolgung zu erbeuten, so greift er zur List. "Auf
meiner Herrschaft in Podolien", berichtet Graf Wodzicki, "wurden viele Tauben gezogen, und bald
sahen wir die Taubenschläge überfüllt. Die große Anzahl der Tauben lockte bald alle Habichte und
Falken der Umgegend herbei, da, wie bekannt, die Vögel sich gegenseitig über die Gefahr benachrichtigen,
und sich auf dieselbe Weise zur Mahlzeit laden. Meine Tauben wurden aber auch so verfolgt und
vermindert, daß sie nicht mehr ins Feld zu fliegen wagten und ihre Nahrung zwischen den Gebäuden
suchten. Die Erfahrung und Klugheit der Tauben spornte die Raubvögel zu größerer List. Die
Tauben verließen ihre Verstecke sehr selten und immer am Boden streichend, gingen auch nie weit vom
Hofe weg. Dieses sonderbare Spiel dauerte über eine Woche. Die Raubvögel mußten den
Kürzeren ziehen; nur zwei schlaue Habichte wußten durch ein verständiges Hegen alle Tage ihre
Nahrung zu bekommen. Einer derselben saß stundenlang mit aufgesträubtem Gefieder auf einem
Strohdache ziemlich versteckt, ohne sich zu rühren, mit eingezogenem Halse, offenbar die Stellung einer
Eule nachahmend. Die Tauben wurden bald zutraulicher, setzten sich auf dasselbe Dach, und der
Bösewicht rührte sich nicht; sobald aber die Vögel aus- oder einflogen, schoß er wie ein Pfeil auf sie
los und verfehlte selten die Beute, mit welcher er jedesmal in die Baumgärten flog, wohl durch
Erfahrung belehrt, daß in denselben kein Feuergewehr abgeschossen wird, weil die Gärten zwischen den
Gebäuden liegen. -- Der zweite Habicht, noch klüger, muthiger und durchtriebener als der vorige,
kam jeden Tag um dieselbe Stunde, jagte die Vögel in den Taubenschlag und machte darauf eine
förmliche Treibjagd. Er setzte sich nämlich auf die Einflugbrettchen, lief um den Taubenschlag herum,
stellte sich dann mit ausgebreiteten Flügeln auf eine Seite des Taubenschlages, und schlug so lange an
die Bretter desselben, auf derselben Stelle herumtanzend, bis er endlich eine Taube hinaustrieb, die er
sogleich verfolgte."

Mit ebenso unermüdlicher Ausdauer wie den Vögeln stellt er auch den Säugethieren nach.

"Die jungen Hasen", sagt mein Vater, "überwältigt er leicht; die alten aber greift er ordentlich
planmäßig an. Er stößt nämlich, wenn sich Lampe durch die Flucht zu retten sucht, zu wiederholten

Habicht.
allen Säugethieren, welche er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Er ſtößt auf den
Haſen, um ihn umzubringen; er erhebt das biſſige Wieſel vom Boden, wie er das Eichhörnchen
vom Neſte wegnimmt; er raubt im Fliegen, wie im Sitzen, den ſchwimmenden Vogel, wie das laufende
Säugethier; er zieht ſeine Beute ſelbſt aus ihren Verſteckplätzen hervor. Ein ungeheurer Schrecken
ergreift die Thiere, welche ſich ihm gegenüber gefährdet wiſſen; er bemeiſtert ſich ihrer oft ſo, daß ſie
ſtarr ſitzen bleiben und wie Naumann ſagt, „ſchon unter ſeinen Klauen bluten, ehe ſie ſich noch
entſchloſſen haben, die Flucht zu ergreifen oder ſich platt an die Erde niederzudrücken‟. Seine Raub-
gier wird nur durch ſeine Frechheit überboten; ſeine Mordluſt übertrifft die eine wie die andere: er
kennt keine Schonung. Namentlich den Tauben jagt er fortwährend nach, und ein einziges Habichts-
paar kann den reichſten Schlag binnen wenigen Monaten entvölkern. Die Tauben ergreifen, ſobald
ſie den Habicht gewahr werden, eilig die Flucht; dieſer aber ſtürzt in ſchiefer Nichtung pfeilſchnell hinter
ihnen her und ſucht eine zu ergreifen, indem er gewöhnlich von oben auf ſie herabſtößt. Dies geſchieht
ohne bemerkbare Flügelbewegung mit weit vorgeſtreckten Fängen und etwas eingezogenen Schwingen,
aber mit einer ſolchen Geſchwindigkeit, daß ein Rauſchen entſteht, welches man auf hundert bis
hundertundfunfzig Schritt weit hören kann. „Einſtmals‟, erzählt mein Vater, „befand ich mich auf
dem Felde und ſah einen Habicht über einem hohen Berge umherſchweben. Eine halbe Viertelſtunde
von ihm, tief im Thale, ſuchte eine Herde Tauben ruhig ihr Futter; kaum hatte ſie der Habicht erblickt,
als er in ſchräger Richtung wohl tauſend Ellen weit herabſchoß. Doch auch die Tauben hatten
ihn ſehr zeitig bemerkt; ſie flogen möglichſt ſchnell ſchon dem Schlage zu, als er die Hälfte des Wegs
zurückgelegt hatte. Dies ſchien gegen ſeine Vermuthung zu ſein; denn er war bei ſeinem Stoßen zu
tief herabgekommen, als daß er den Tauben gleich war. Nun hob er ſich wieder, flog mitten durch ſie
und griff nach einer, die aber durch eine geſchickte Wendung dem Räuber entging und glücklich den
Schlag erreichte.‟

Gelingt es ihm nicht, die Tauben durch Verfolgung zu erbeuten, ſo greift er zur Liſt. „Auf
meiner Herrſchaft in Podolien‟, berichtet Graf Wodzicki, „wurden viele Tauben gezogen, und bald
ſahen wir die Taubenſchläge überfüllt. Die große Anzahl der Tauben lockte bald alle Habichte und
Falken der Umgegend herbei, da, wie bekannt, die Vögel ſich gegenſeitig über die Gefahr benachrichtigen,
und ſich auf dieſelbe Weiſe zur Mahlzeit laden. Meine Tauben wurden aber auch ſo verfolgt und
vermindert, daß ſie nicht mehr ins Feld zu fliegen wagten und ihre Nahrung zwiſchen den Gebäuden
ſuchten. Die Erfahrung und Klugheit der Tauben ſpornte die Raubvögel zu größerer Liſt. Die
Tauben verließen ihre Verſtecke ſehr ſelten und immer am Boden ſtreichend, gingen auch nie weit vom
Hofe weg. Dieſes ſonderbare Spiel dauerte über eine Woche. Die Raubvögel mußten den
Kürzeren ziehen; nur zwei ſchlaue Habichte wußten durch ein verſtändiges Hegen alle Tage ihre
Nahrung zu bekommen. Einer derſelben ſaß ſtundenlang mit aufgeſträubtem Gefieder auf einem
Strohdache ziemlich verſteckt, ohne ſich zu rühren, mit eingezogenem Halſe, offenbar die Stellung einer
Eule nachahmend. Die Tauben wurden bald zutraulicher, ſetzten ſich auf daſſelbe Dach, und der
Böſewicht rührte ſich nicht; ſobald aber die Vögel aus- oder einflogen, ſchoß er wie ein Pfeil auf ſie
los und verfehlte ſelten die Beute, mit welcher er jedesmal in die Baumgärten flog, wohl durch
Erfahrung belehrt, daß in denſelben kein Feuergewehr abgeſchoſſen wird, weil die Gärten zwiſchen den
Gebäuden liegen. — Der zweite Habicht, noch klüger, muthiger und durchtriebener als der vorige,
kam jeden Tag um dieſelbe Stunde, jagte die Vögel in den Taubenſchlag und machte darauf eine
förmliche Treibjagd. Er ſetzte ſich nämlich auf die Einflugbrettchen, lief um den Taubenſchlag herum,
ſtellte ſich dann mit ausgebreiteten Flügeln auf eine Seite des Taubenſchlages, und ſchlug ſo lange an
die Bretter deſſelben, auf derſelben Stelle herumtanzend, bis er endlich eine Taube hinaustrieb, die er
ſogleich verfolgte.‟

Mit ebenſo unermüdlicher Ausdauer wie den Vögeln ſtellt er auch den Säugethieren nach.

„Die jungen Haſen‟, ſagt mein Vater, „überwältigt er leicht; die alten aber greift er ordentlich
planmäßig an. Er ſtößt nämlich, wenn ſich Lampe durch die Flucht zu retten ſucht, zu wiederholten

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[439/0469] Habicht. allen Säugethieren, welche er irgendwie bewältigen zu können glaubt. Er ſtößt auf den Haſen, um ihn umzubringen; er erhebt das biſſige Wieſel vom Boden, wie er das Eichhörnchen vom Neſte wegnimmt; er raubt im Fliegen, wie im Sitzen, den ſchwimmenden Vogel, wie das laufende Säugethier; er zieht ſeine Beute ſelbſt aus ihren Verſteckplätzen hervor. Ein ungeheurer Schrecken ergreift die Thiere, welche ſich ihm gegenüber gefährdet wiſſen; er bemeiſtert ſich ihrer oft ſo, daß ſie ſtarr ſitzen bleiben und wie Naumann ſagt, „ſchon unter ſeinen Klauen bluten, ehe ſie ſich noch entſchloſſen haben, die Flucht zu ergreifen oder ſich platt an die Erde niederzudrücken‟. Seine Raub- gier wird nur durch ſeine Frechheit überboten; ſeine Mordluſt übertrifft die eine wie die andere: er kennt keine Schonung. Namentlich den Tauben jagt er fortwährend nach, und ein einziges Habichts- paar kann den reichſten Schlag binnen wenigen Monaten entvölkern. Die Tauben ergreifen, ſobald ſie den Habicht gewahr werden, eilig die Flucht; dieſer aber ſtürzt in ſchiefer Nichtung pfeilſchnell hinter ihnen her und ſucht eine zu ergreifen, indem er gewöhnlich von oben auf ſie herabſtößt. Dies geſchieht ohne bemerkbare Flügelbewegung mit weit vorgeſtreckten Fängen und etwas eingezogenen Schwingen, aber mit einer ſolchen Geſchwindigkeit, daß ein Rauſchen entſteht, welches man auf hundert bis hundertundfunfzig Schritt weit hören kann. „Einſtmals‟, erzählt mein Vater, „befand ich mich auf dem Felde und ſah einen Habicht über einem hohen Berge umherſchweben. Eine halbe Viertelſtunde von ihm, tief im Thale, ſuchte eine Herde Tauben ruhig ihr Futter; kaum hatte ſie der Habicht erblickt, als er in ſchräger Richtung wohl tauſend Ellen weit herabſchoß. Doch auch die Tauben hatten ihn ſehr zeitig bemerkt; ſie flogen möglichſt ſchnell ſchon dem Schlage zu, als er die Hälfte des Wegs zurückgelegt hatte. Dies ſchien gegen ſeine Vermuthung zu ſein; denn er war bei ſeinem Stoßen zu tief herabgekommen, als daß er den Tauben gleich war. Nun hob er ſich wieder, flog mitten durch ſie und griff nach einer, die aber durch eine geſchickte Wendung dem Räuber entging und glücklich den Schlag erreichte.‟ Gelingt es ihm nicht, die Tauben durch Verfolgung zu erbeuten, ſo greift er zur Liſt. „Auf meiner Herrſchaft in Podolien‟, berichtet Graf Wodzicki, „wurden viele Tauben gezogen, und bald ſahen wir die Taubenſchläge überfüllt. Die große Anzahl der Tauben lockte bald alle Habichte und Falken der Umgegend herbei, da, wie bekannt, die Vögel ſich gegenſeitig über die Gefahr benachrichtigen, und ſich auf dieſelbe Weiſe zur Mahlzeit laden. Meine Tauben wurden aber auch ſo verfolgt und vermindert, daß ſie nicht mehr ins Feld zu fliegen wagten und ihre Nahrung zwiſchen den Gebäuden ſuchten. Die Erfahrung und Klugheit der Tauben ſpornte die Raubvögel zu größerer Liſt. Die Tauben verließen ihre Verſtecke ſehr ſelten und immer am Boden ſtreichend, gingen auch nie weit vom Hofe weg. Dieſes ſonderbare Spiel dauerte über eine Woche. Die Raubvögel mußten den Kürzeren ziehen; nur zwei ſchlaue Habichte wußten durch ein verſtändiges Hegen alle Tage ihre Nahrung zu bekommen. Einer derſelben ſaß ſtundenlang mit aufgeſträubtem Gefieder auf einem Strohdache ziemlich verſteckt, ohne ſich zu rühren, mit eingezogenem Halſe, offenbar die Stellung einer Eule nachahmend. Die Tauben wurden bald zutraulicher, ſetzten ſich auf daſſelbe Dach, und der Böſewicht rührte ſich nicht; ſobald aber die Vögel aus- oder einflogen, ſchoß er wie ein Pfeil auf ſie los und verfehlte ſelten die Beute, mit welcher er jedesmal in die Baumgärten flog, wohl durch Erfahrung belehrt, daß in denſelben kein Feuergewehr abgeſchoſſen wird, weil die Gärten zwiſchen den Gebäuden liegen. — Der zweite Habicht, noch klüger, muthiger und durchtriebener als der vorige, kam jeden Tag um dieſelbe Stunde, jagte die Vögel in den Taubenſchlag und machte darauf eine förmliche Treibjagd. Er ſetzte ſich nämlich auf die Einflugbrettchen, lief um den Taubenſchlag herum, ſtellte ſich dann mit ausgebreiteten Flügeln auf eine Seite des Taubenſchlages, und ſchlug ſo lange an die Bretter deſſelben, auf derſelben Stelle herumtanzend, bis er endlich eine Taube hinaustrieb, die er ſogleich verfolgte.‟ Mit ebenſo unermüdlicher Ausdauer wie den Vögeln ſtellt er auch den Säugethieren nach. „Die jungen Haſen‟, ſagt mein Vater, „überwältigt er leicht; die alten aber greift er ordentlich planmäßig an. Er ſtößt nämlich, wenn ſich Lampe durch die Flucht zu retten ſucht, zu wiederholten

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/469>, abgerufen am 22.11.2024.