Jn seinem Betragen zeichnet sich der Baumfalk in mancher Hinsicht vor andern Edelfalken aus. "Er ist", sagt mein Vater, "ein äußerst munterer, kecker und gewandter Raubvogel, der sich in der Schnelligkeit seines Fluges mit jedem andern messen kann. Sein Flug hat viel Schwalbenartiges. Er hält wie die Schwalben die Flügel meist etwas sichelförmig, bewegt sie oft, führt aber auch schwebend die schönsten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden setzt er sich selten, viel lieber auf Bäume. Seinen Raub jedoch verzehrt er nur auf der flachen Erde."
Männchen und Weibchen halten treu zusammen und treten im Herbst mit einander ihre Winter- reise an. Sie rauben auch gemeinschaftlich, werden aber hierbei auf einander eifersüchtig und nicht selten mit einander uneinig. "Hiervon", sagt mein Vater, "weiß ich ein Beispiel. Zwei Baumfalken jagten zusammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ sie, während der andere herbeikam, fallen, stürzte hinter ihr drein und fing sie noch einmal. Jetzt verlangte der andere seinen Antheil an der Beute, der Besitzer derselben wollte ihm diesen nicht geben. Beide bissen sich mit einander herum und kamen so auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichster Schnelle davonflog, ehe der Besiegte recht zu sich kam." Bei solchen Zänkereien geschieht es zuweilen, daß ein gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiste abgerechnet sind die Baumfalken sehr treue Gatten. Man sieht das Paar stets zusammen und einer der Gatten bemüht sich, den andern zu erfreuen.
Die Stimme des Baumfalken ist ein helles und angenehm klingendes "Gäth gäth gäth", welches oft und schnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein helles "Gick".
Der Baumfalk ist immer scheu und vorsichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erst auf, wenn die Dunkelheit vollständig eingebrochen ist und weicht jedem Menschen fast ängstlich aus. Sein ganzes Gebahren deutet auf hohen Verstand.
Nach Naumann ist der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verschmäht aber auch andere Vögel keineswegs, und er ist es, welcher selbst den schnellen Schwalben gefährlich wird. "Die sonst so kecken Schwalben, welche so gern andere Raubvögel mit neckendem Geschrei verfolgen, fürchten sich auch so sehr vor ihm, daß sie bei seinem Erscheinen eiligst die Flucht ergreifen. Jch sah ihn zuweilen unter einen Schwarm Mehlschwalben fahren, die so darüber erschraken, daß einige von ihnen so vom Schreck betäubt wurden, daß sie wie todt zur Erde herabstürzten und sich von mir aufnehmen ließen. Lange hielt ich sie in der offenen Hand, ehe sie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die Lerchen fürchten sich so vor ihrem Erbfeinde, daß sie, wenn er sie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den Menschen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwischen die Füße fallen und von Furcht und Schrecken so betäubt sind, daß man sie nicht selten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk fliegt gewöhnlich niedrig und schnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von weitem erblicken, so schwingen sie sich schnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß sie das menschliche Auge kaum erreichen kann und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht schaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf seinen Raub stößt, und sie daher, wenn sie einmal in einer so beträchtlichen Höhe sind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn er sie dann übersteigen wollte, zuviel Mühe und Anstrengung kosten. Die Schwalben machen bei seiner Ankunft einen großen Lärm, sammeln sich in einen Schwarm, und schwingen sich girlend in die Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt sie, auf dem Freien, auf vier bis zehn Stöße; stößt er aber öfterer fehl, so wird er müde und zieht ab."
Snell, ein sehr scharfer und gewissenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur Mauer- schwalben fangen könne, unsere Rauchschwalbe aber vor ihm sicher sei. "Jch habe", sagt er, "das Verhalten der Schwalben genau in's Auge gefaßt. Sobald die Falken erschienen und ihre Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff Alles in sichtlicher Angst die Flucht. Nur die Rauch- schwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in Einem fort warnend, und einzelne besonders kühne aus der Gesellschaft stachen sogar nach den verhaßten Räubern. Doch geschah Dies mit größter Eilfertigkeit und Vorsicht." Neben den Vögeln fängt der Baumfalk auch Kerbthiere im Fluge,
Baumfalk.
Jn ſeinem Betragen zeichnet ſich der Baumfalk in mancher Hinſicht vor andern Edelfalken aus. „Er iſt‟, ſagt mein Vater, „ein äußerſt munterer, kecker und gewandter Raubvogel, der ſich in der Schnelligkeit ſeines Fluges mit jedem andern meſſen kann. Sein Flug hat viel Schwalbenartiges. Er hält wie die Schwalben die Flügel meiſt etwas ſichelförmig, bewegt ſie oft, führt aber auch ſchwebend die ſchönſten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden ſetzt er ſich ſelten, viel lieber auf Bäume. Seinen Raub jedoch verzehrt er nur auf der flachen Erde.‟
Männchen und Weibchen halten treu zuſammen und treten im Herbſt mit einander ihre Winter- reiſe an. Sie rauben auch gemeinſchaftlich, werden aber hierbei auf einander eiferſüchtig und nicht ſelten mit einander uneinig. „Hiervon‟, ſagt mein Vater, „weiß ich ein Beiſpiel. Zwei Baumfalken jagten zuſammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ ſie, während der andere herbeikam, fallen, ſtürzte hinter ihr drein und fing ſie noch einmal. Jetzt verlangte der andere ſeinen Antheil an der Beute, der Beſitzer derſelben wollte ihm dieſen nicht geben. Beide biſſen ſich mit einander herum und kamen ſo auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichſter Schnelle davonflog, ehe der Beſiegte recht zu ſich kam.‟ Bei ſolchen Zänkereien geſchieht es zuweilen, daß ein gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiſte abgerechnet ſind die Baumfalken ſehr treue Gatten. Man ſieht das Paar ſtets zuſammen und einer der Gatten bemüht ſich, den andern zu erfreuen.
Die Stimme des Baumfalken iſt ein helles und angenehm klingendes „Gäth gäth gäth‟, welches oft und ſchnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein helles „Gick‟.
Der Baumfalk iſt immer ſcheu und vorſichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erſt auf, wenn die Dunkelheit vollſtändig eingebrochen iſt und weicht jedem Menſchen faſt ängſtlich aus. Sein ganzes Gebahren deutet auf hohen Verſtand.
Nach Naumann iſt der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verſchmäht aber auch andere Vögel keineswegs, und er iſt es, welcher ſelbſt den ſchnellen Schwalben gefährlich wird. „Die ſonſt ſo kecken Schwalben, welche ſo gern andere Raubvögel mit neckendem Geſchrei verfolgen, fürchten ſich auch ſo ſehr vor ihm, daß ſie bei ſeinem Erſcheinen eiligſt die Flucht ergreifen. Jch ſah ihn zuweilen unter einen Schwarm Mehlſchwalben fahren, die ſo darüber erſchraken, daß einige von ihnen ſo vom Schreck betäubt wurden, daß ſie wie todt zur Erde herabſtürzten und ſich von mir aufnehmen ließen. Lange hielt ich ſie in der offenen Hand, ehe ſie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die Lerchen fürchten ſich ſo vor ihrem Erbfeinde, daß ſie, wenn er ſie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den Menſchen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwiſchen die Füße fallen und von Furcht und Schrecken ſo betäubt ſind, daß man ſie nicht ſelten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk fliegt gewöhnlich niedrig und ſchnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von weitem erblicken, ſo ſchwingen ſie ſich ſchnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß ſie das menſchliche Auge kaum erreichen kann und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht ſchaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf ſeinen Raub ſtößt, und ſie daher, wenn ſie einmal in einer ſo beträchtlichen Höhe ſind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn er ſie dann überſteigen wollte, zuviel Mühe und Anſtrengung koſten. Die Schwalben machen bei ſeiner Ankunft einen großen Lärm, ſammeln ſich in einen Schwarm, und ſchwingen ſich girlend in die Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt ſie, auf dem Freien, auf vier bis zehn Stöße; ſtößt er aber öfterer fehl, ſo wird er müde und zieht ab.‟
Snell, ein ſehr ſcharfer und gewiſſenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur Mauer- ſchwalben fangen könne, unſere Rauchſchwalbe aber vor ihm ſicher ſei. „Jch habe‟, ſagt er, „das Verhalten der Schwalben genau in’s Auge gefaßt. Sobald die Falken erſchienen und ihre Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff Alles in ſichtlicher Angſt die Flucht. Nur die Rauch- ſchwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in Einem fort warnend, und einzelne beſonders kühne aus der Geſellſchaft ſtachen ſogar nach den verhaßten Räubern. Doch geſchah Dies mit größter Eilfertigkeit und Vorſicht.‟ Neben den Vögeln fängt der Baumfalk auch Kerbthiere im Fluge,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0453"n="423"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Baumfalk.</hi></fw><lb/><p>Jn ſeinem Betragen zeichnet ſich der Baumfalk in mancher Hinſicht vor andern Edelfalken aus.<lb/>„Er iſt‟, ſagt mein Vater, „ein äußerſt munterer, kecker und gewandter Raubvogel, der ſich in der<lb/>
Schnelligkeit ſeines Fluges mit jedem andern meſſen kann. Sein Flug hat viel Schwalbenartiges.<lb/>
Er hält wie die Schwalben die Flügel meiſt etwas ſichelförmig, bewegt ſie oft, führt aber auch<lb/>ſchwebend die ſchönſten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden ſetzt er ſich<lb/>ſelten, viel lieber auf Bäume. Seinen Raub jedoch verzehrt er nur auf der flachen Erde.‟</p><lb/><p>Männchen und Weibchen halten treu zuſammen und treten im Herbſt mit einander ihre Winter-<lb/>
reiſe an. Sie rauben auch gemeinſchaftlich, werden aber hierbei auf einander eiferſüchtig und nicht<lb/>ſelten mit einander uneinig. „Hiervon‟, ſagt mein Vater, „weiß ich ein Beiſpiel. Zwei Baumfalken<lb/>
jagten zuſammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ ſie, während der andere herbeikam, fallen, ſtürzte<lb/>
hinter ihr drein und fing ſie noch einmal. Jetzt verlangte der andere ſeinen Antheil an der Beute,<lb/>
der Beſitzer derſelben wollte ihm dieſen nicht geben. Beide biſſen ſich mit einander herum und kamen<lb/>ſo auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichſter Schnelle<lb/>
davonflog, ehe der Beſiegte recht zu ſich kam.‟ Bei ſolchen Zänkereien geſchieht es zuweilen, daß ein<lb/>
gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiſte abgerechnet ſind<lb/>
die Baumfalken ſehr treue Gatten. Man ſieht das Paar ſtets zuſammen und einer der Gatten<lb/>
bemüht ſich, den andern zu erfreuen.</p><lb/><p>Die Stimme des Baumfalken iſt ein helles und angenehm klingendes „<hirendition="#g">Gäth gäth gäth</hi>‟,<lb/>
welches oft und ſchnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein helles „<hirendition="#g">Gick</hi>‟.</p><lb/><p>Der Baumfalk iſt immer ſcheu und vorſichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erſt auf, wenn die<lb/>
Dunkelheit vollſtändig eingebrochen iſt und weicht jedem Menſchen faſt ängſtlich aus. Sein ganzes<lb/>
Gebahren deutet auf hohen Verſtand.</p><lb/><p>Nach <hirendition="#g">Naumann</hi> iſt der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verſchmäht aber auch<lb/>
andere Vögel keineswegs, und er iſt es, welcher ſelbſt den ſchnellen Schwalben gefährlich wird. „Die<lb/>ſonſt ſo kecken Schwalben, welche ſo gern andere Raubvögel mit neckendem Geſchrei verfolgen, fürchten<lb/>ſich auch ſo ſehr vor ihm, daß ſie bei ſeinem Erſcheinen eiligſt die Flucht ergreifen. Jch ſah ihn zuweilen<lb/>
unter einen Schwarm <hirendition="#g">Mehlſchwalben</hi> fahren, die ſo darüber erſchraken, daß einige von ihnen ſo<lb/>
vom Schreck betäubt wurden, daß ſie wie todt zur Erde herabſtürzten und ſich von mir aufnehmen<lb/>
ließen. Lange hielt ich ſie in der offenen Hand, ehe ſie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die<lb/>
Lerchen fürchten ſich ſo vor ihrem Erbfeinde, daß ſie, wenn er ſie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den<lb/>
Menſchen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwiſchen die Füße fallen und von Furcht und<lb/>
Schrecken ſo betäubt ſind, daß man ſie nicht ſelten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk<lb/>
fliegt gewöhnlich niedrig und ſchnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von<lb/>
weitem erblicken, ſo ſchwingen ſie ſich ſchnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß ſie das menſchliche<lb/>
Auge kaum erreichen kann und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht<lb/>ſchaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf ſeinen Raub ſtößt, und ſie<lb/>
daher, wenn ſie einmal in einer ſo beträchtlichen Höhe ſind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn<lb/>
er ſie dann überſteigen wollte, zuviel Mühe und Anſtrengung koſten. Die Schwalben machen bei<lb/>ſeiner Ankunft einen großen Lärm, ſammeln ſich in einen Schwarm, und ſchwingen ſich girlend in die<lb/>
Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt ſie, auf dem Freien, auf vier bis<lb/>
zehn Stöße; ſtößt er aber öfterer fehl, ſo wird er müde und zieht ab.‟</p><lb/><p><hirendition="#g">Snell,</hi> ein ſehr ſcharfer und gewiſſenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur <hirendition="#g">Mauer-<lb/>ſchwalben</hi> fangen könne, unſere <hirendition="#g">Rauchſchwalbe</hi> aber vor ihm ſicher ſei. „Jch habe‟, ſagt er,<lb/>„das Verhalten der Schwalben genau in’s Auge gefaßt. Sobald die Falken erſchienen und ihre<lb/>
Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff Alles in ſichtlicher Angſt die Flucht. Nur die Rauch-<lb/>ſchwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in Einem fort warnend, und einzelne beſonders<lb/>
kühne aus der Geſellſchaft ſtachen ſogar nach den verhaßten Räubern. Doch geſchah Dies mit größter<lb/>
Eilfertigkeit und Vorſicht.‟ Neben den Vögeln fängt der Baumfalk auch Kerbthiere im Fluge,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[423/0453]
Baumfalk.
Jn ſeinem Betragen zeichnet ſich der Baumfalk in mancher Hinſicht vor andern Edelfalken aus.
„Er iſt‟, ſagt mein Vater, „ein äußerſt munterer, kecker und gewandter Raubvogel, der ſich in der
Schnelligkeit ſeines Fluges mit jedem andern meſſen kann. Sein Flug hat viel Schwalbenartiges.
Er hält wie die Schwalben die Flügel meiſt etwas ſichelförmig, bewegt ſie oft, führt aber auch
ſchwebend die ſchönſten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden ſetzt er ſich
ſelten, viel lieber auf Bäume. Seinen Raub jedoch verzehrt er nur auf der flachen Erde.‟
Männchen und Weibchen halten treu zuſammen und treten im Herbſt mit einander ihre Winter-
reiſe an. Sie rauben auch gemeinſchaftlich, werden aber hierbei auf einander eiferſüchtig und nicht
ſelten mit einander uneinig. „Hiervon‟, ſagt mein Vater, „weiß ich ein Beiſpiel. Zwei Baumfalken
jagten zuſammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ ſie, während der andere herbeikam, fallen, ſtürzte
hinter ihr drein und fing ſie noch einmal. Jetzt verlangte der andere ſeinen Antheil an der Beute,
der Beſitzer derſelben wollte ihm dieſen nicht geben. Beide biſſen ſich mit einander herum und kamen
ſo auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichſter Schnelle
davonflog, ehe der Beſiegte recht zu ſich kam.‟ Bei ſolchen Zänkereien geſchieht es zuweilen, daß ein
gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiſte abgerechnet ſind
die Baumfalken ſehr treue Gatten. Man ſieht das Paar ſtets zuſammen und einer der Gatten
bemüht ſich, den andern zu erfreuen.
Die Stimme des Baumfalken iſt ein helles und angenehm klingendes „Gäth gäth gäth‟,
welches oft und ſchnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein helles „Gick‟.
Der Baumfalk iſt immer ſcheu und vorſichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erſt auf, wenn die
Dunkelheit vollſtändig eingebrochen iſt und weicht jedem Menſchen faſt ängſtlich aus. Sein ganzes
Gebahren deutet auf hohen Verſtand.
Nach Naumann iſt der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verſchmäht aber auch
andere Vögel keineswegs, und er iſt es, welcher ſelbſt den ſchnellen Schwalben gefährlich wird. „Die
ſonſt ſo kecken Schwalben, welche ſo gern andere Raubvögel mit neckendem Geſchrei verfolgen, fürchten
ſich auch ſo ſehr vor ihm, daß ſie bei ſeinem Erſcheinen eiligſt die Flucht ergreifen. Jch ſah ihn zuweilen
unter einen Schwarm Mehlſchwalben fahren, die ſo darüber erſchraken, daß einige von ihnen ſo
vom Schreck betäubt wurden, daß ſie wie todt zur Erde herabſtürzten und ſich von mir aufnehmen
ließen. Lange hielt ich ſie in der offenen Hand, ehe ſie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die
Lerchen fürchten ſich ſo vor ihrem Erbfeinde, daß ſie, wenn er ſie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den
Menſchen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwiſchen die Füße fallen und von Furcht und
Schrecken ſo betäubt ſind, daß man ſie nicht ſelten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk
fliegt gewöhnlich niedrig und ſchnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von
weitem erblicken, ſo ſchwingen ſie ſich ſchnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß ſie das menſchliche
Auge kaum erreichen kann und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht
ſchaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf ſeinen Raub ſtößt, und ſie
daher, wenn ſie einmal in einer ſo beträchtlichen Höhe ſind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn
er ſie dann überſteigen wollte, zuviel Mühe und Anſtrengung koſten. Die Schwalben machen bei
ſeiner Ankunft einen großen Lärm, ſammeln ſich in einen Schwarm, und ſchwingen ſich girlend in die
Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt ſie, auf dem Freien, auf vier bis
zehn Stöße; ſtößt er aber öfterer fehl, ſo wird er müde und zieht ab.‟
Snell, ein ſehr ſcharfer und gewiſſenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur Mauer-
ſchwalben fangen könne, unſere Rauchſchwalbe aber vor ihm ſicher ſei. „Jch habe‟, ſagt er,
„das Verhalten der Schwalben genau in’s Auge gefaßt. Sobald die Falken erſchienen und ihre
Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff Alles in ſichtlicher Angſt die Flucht. Nur die Rauch-
ſchwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in Einem fort warnend, und einzelne beſonders
kühne aus der Geſellſchaft ſtachen ſogar nach den verhaßten Räubern. Doch geſchah Dies mit größter
Eilfertigkeit und Vorſicht.‟ Neben den Vögeln fängt der Baumfalk auch Kerbthiere im Fluge,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/453>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.