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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Wanderfalk.

Alle Vögel, welche der Wanderfalk angreift, kennen ihn sehr wohl und suchen sich vor allen
Dingen vor ihm zu retten. Nicht einmal die muthigen Krähen verfolgen ihn, sondern fliegen so eilig
als möglich, sobald sie ihn erblicken. Er erwürgt die ergriffene Beute gewöhnlich schon in der Luft,
sehr schwere Vögel aber, welche er nicht fortschleppen kann, wie Waldhühner und Wildgänse, auf dem
Boden, nachdem er sie so lange gequält, bis sie mit ihm zur Erde herabstürzen. Bei Verfolgung seiner
Beute fliegt er so fabelhaft schnell, daß man alle Schätzungen der Geschwindigkeit verliert. Man hört
ein Brausen und sieht einen Gegenstand durch die Luft herniederstürzen, ist aber nicht im Stande, in
demselben einen Falken zu erkennen. Diese Jachheit des Angriffes ist wohl auch die Ursache, daß der
Falk nur selten auf sitzende Vögel stößt. Er kommt in Gefahr, sich selbst zu zerschmettern, und man
kennt wirklich Beispiele, daß er durch Anstoßen an Baumzweige beim Herabschießen betäubt und selbst
getödtet worden ist, ja Pallas versichert, daß er zuweilen, wenn er Enten verfolgt, im Wasser verun-
glückt: sein Stoß ist so mächtig, daß er tief unter die Oberfläche des Wassers geräth und ertrinken
muß. Höchst selten greift er fehl; überhaupt fängt er mit spielender Leichtigkeit. Die gemachte Beute
wird dann von ihm einer freien Stelle zugetragen und hier verzehrt, blos größere Vögel werden da
angefressen, wo sie getödtet wurden. Vor dem Kröpfen rupft er wenigstens eine Stelle des Leibes
vom Gesieder kahl. Kleinere Vögel verschlingt er mitsammt dem Eingeweide, während er letzteres bei
größeren verschmäht.

Am liebsten horstet der Wanderfalk in Höhlungen, an steilen Felsenwänden, welche schwer oder
nicht zu ersteigen sind, im Nothfall aber auch auf hohen Waldbäumen und dann vorzugsweise in einem
verlassenen oder gewaltsam in Besitz genommenen Krähenneste. Der Horst selbst ist liederlich gebaut
und mit etwas Reisern und Genist ausgekleidet. Ende Mais oder Anfangs Juni findet man das
vollständige Gelege, drei, höchstens vier rundliche, auf gelbröthlichem Grunde braun gefleckte Eier.
Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der beschriebenen Weise. Die Jungen
werden anfänglich mit halbverdautem Fleisch aus dem Kropfe geäzt, später mit allen möglichen Vögeln
reichlich gefüttert, nach dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erst, wenn sie selbst
vollendete Fänger geworden sind, sich selbst überlassen.

Der Wanderfalk ist bei uns zu Lande nicht zu dulden; denn der Schaden, welchen er anrichtet,
ist sehr beträchtlich. Wenn der stolze Räuber nur zu eigenem Bedarf Beute machen wollte, könnte
man ihn vielleicht gewähren lassen, er aber muß für eine zahlreiche Sippschaft anderer Raubvögel
sorgen. Es ist eine auffallende Thatsache, daß alle Edelfalken, wenn sie sich angegriffen sehen, die
eben gemachte Beute wieder wegwerfen. Dies wissen die Bettler unter den Raubvögeln sehr genau.
"Da sitzen die trägen und ungeschickten Gesellen", sagt Naumann, "auf den Grenzsteinen oder Feld-
hügeln, geben genau auf den Falken Acht, und sobald sie sehen, daß er Etwas gefangen hat, fliegen sie
eiligst herbei und nehmen ihm ohne Umstände seine Beute weg. Der sonst so muthige, kühne Falk
läßt, wenn er den ungebetenen Gast ankommen sieht, seine Beute liegen, schwingt sich mit wiederholt
ausgestoßenem "Kja kjak" in die Höhe und eilt davon. Ja sogar dem feigen Gabelweih, welchen
eine beherzte Gluckhenne von ihren Küchlein abzuhalten im Stande ist, überläßt er seine Beute." Jn
Nordostafrika sind es hauptsächlich die Schmarotzermilane, welche ihren Namen bethätigen. Jch
selbst habe gesehen, daß ein Wanderfalk binnen wenigen Minuten drei Enten erhob und alle drei dem
unverschämten Bettlergesindel zuwarf; erst mit der vierten flog er davon.

Solchem Schaden gegenüber kann von Nutzen, welchen der Falk stiftet, nicht gesprochen werden,
da ja die Zeiten der Baize vorüber sind. Doch erfreut das stolze Thier jeden Kundigen während
seines Freilebens und nicht minder in der Gefangenschaft, und Dies hat man ihm auch gutzurechnen.
Bei einigermaßen sorgfältiger Pflege hält er sich lange Jahre im Käfig und nimmt hier mit allerlei
frischem Fleisch vorlieb; er verlangt nur genug. "Jch hatte einmal", sagt Naumann, "einen solchen
Falken über ein Jahr lang in einem großen Käfige, und dieser fraß in zwei Tagen einen ganzen Fuchs
auf, desgleichen drei Krähen in einem Tage; er konnte aber auch über eine Woche lang hungern. Er
packte oft sechs lebendige Sperlinge, in jede Klaue drei, wobei er auf den Fersen saß, dann einem nach

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Wanderfalk.

Alle Vögel, welche der Wanderfalk angreift, kennen ihn ſehr wohl und ſuchen ſich vor allen
Dingen vor ihm zu retten. Nicht einmal die muthigen Krähen verfolgen ihn, ſondern fliegen ſo eilig
als möglich, ſobald ſie ihn erblicken. Er erwürgt die ergriffene Beute gewöhnlich ſchon in der Luft,
ſehr ſchwere Vögel aber, welche er nicht fortſchleppen kann, wie Waldhühner und Wildgänſe, auf dem
Boden, nachdem er ſie ſo lange gequält, bis ſie mit ihm zur Erde herabſtürzen. Bei Verfolgung ſeiner
Beute fliegt er ſo fabelhaft ſchnell, daß man alle Schätzungen der Geſchwindigkeit verliert. Man hört
ein Brauſen und ſieht einen Gegenſtand durch die Luft herniederſtürzen, iſt aber nicht im Stande, in
demſelben einen Falken zu erkennen. Dieſe Jachheit des Angriffes iſt wohl auch die Urſache, daß der
Falk nur ſelten auf ſitzende Vögel ſtößt. Er kommt in Gefahr, ſich ſelbſt zu zerſchmettern, und man
kennt wirklich Beiſpiele, daß er durch Anſtoßen an Baumzweige beim Herabſchießen betäubt und ſelbſt
getödtet worden iſt, ja Pallas verſichert, daß er zuweilen, wenn er Enten verfolgt, im Waſſer verun-
glückt: ſein Stoß iſt ſo mächtig, daß er tief unter die Oberfläche des Waſſers geräth und ertrinken
muß. Höchſt ſelten greift er fehl; überhaupt fängt er mit ſpielender Leichtigkeit. Die gemachte Beute
wird dann von ihm einer freien Stelle zugetragen und hier verzehrt, blos größere Vögel werden da
angefreſſen, wo ſie getödtet wurden. Vor dem Kröpfen rupft er wenigſtens eine Stelle des Leibes
vom Geſieder kahl. Kleinere Vögel verſchlingt er mitſammt dem Eingeweide, während er letzteres bei
größeren verſchmäht.

Am liebſten horſtet der Wanderfalk in Höhlungen, an ſteilen Felſenwänden, welche ſchwer oder
nicht zu erſteigen ſind, im Nothfall aber auch auf hohen Waldbäumen und dann vorzugsweiſe in einem
verlaſſenen oder gewaltſam in Beſitz genommenen Krähenneſte. Der Horſt ſelbſt iſt liederlich gebaut
und mit etwas Reiſern und Geniſt ausgekleidet. Ende Mais oder Anfangs Juni findet man das
vollſtändige Gelege, drei, höchſtens vier rundliche, auf gelbröthlichem Grunde braun gefleckte Eier.
Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der beſchriebenen Weiſe. Die Jungen
werden anfänglich mit halbverdautem Fleiſch aus dem Kropfe geäzt, ſpäter mit allen möglichen Vögeln
reichlich gefüttert, nach dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erſt, wenn ſie ſelbſt
vollendete Fänger geworden ſind, ſich ſelbſt überlaſſen.

Der Wanderfalk iſt bei uns zu Lande nicht zu dulden; denn der Schaden, welchen er anrichtet,
iſt ſehr beträchtlich. Wenn der ſtolze Räuber nur zu eigenem Bedarf Beute machen wollte, könnte
man ihn vielleicht gewähren laſſen, er aber muß für eine zahlreiche Sippſchaft anderer Raubvögel
ſorgen. Es iſt eine auffallende Thatſache, daß alle Edelfalken, wenn ſie ſich angegriffen ſehen, die
eben gemachte Beute wieder wegwerfen. Dies wiſſen die Bettler unter den Raubvögeln ſehr genau.
„Da ſitzen die trägen und ungeſchickten Geſellen‟, ſagt Naumann, „auf den Grenzſteinen oder Feld-
hügeln, geben genau auf den Falken Acht, und ſobald ſie ſehen, daß er Etwas gefangen hat, fliegen ſie
eiligſt herbei und nehmen ihm ohne Umſtände ſeine Beute weg. Der ſonſt ſo muthige, kühne Falk
läßt, wenn er den ungebetenen Gaſt ankommen ſieht, ſeine Beute liegen, ſchwingt ſich mit wiederholt
ausgeſtoßenem „Kja kjak‟ in die Höhe und eilt davon. Ja ſogar dem feigen Gabelweih, welchen
eine beherzte Gluckhenne von ihren Küchlein abzuhalten im Stande iſt, überläßt er ſeine Beute.‟ Jn
Nordoſtafrika ſind es hauptſächlich die Schmarotzermilane, welche ihren Namen bethätigen. Jch
ſelbſt habe geſehen, daß ein Wanderfalk binnen wenigen Minuten drei Enten erhob und alle drei dem
unverſchämten Bettlergeſindel zuwarf; erſt mit der vierten flog er davon.

Solchem Schaden gegenüber kann von Nutzen, welchen der Falk ſtiftet, nicht geſprochen werden,
da ja die Zeiten der Baize vorüber ſind. Doch erfreut das ſtolze Thier jeden Kundigen während
ſeines Freilebens und nicht minder in der Gefangenſchaft, und Dies hat man ihm auch gutzurechnen.
Bei einigermaßen ſorgfältiger Pflege hält er ſich lange Jahre im Käfig und nimmt hier mit allerlei
friſchem Fleiſch vorlieb; er verlangt nur genug. „Jch hatte einmal‟, ſagt Naumann, „einen ſolchen
Falken über ein Jahr lang in einem großen Käfige, und dieſer fraß in zwei Tagen einen ganzen Fuchs
auf, desgleichen drei Krähen in einem Tage; er konnte aber auch über eine Woche lang hungern. Er
packte oft ſechs lebendige Sperlinge, in jede Klaue drei, wobei er auf den Ferſen ſaß, dann einem nach

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[419/0449] Wanderfalk. Alle Vögel, welche der Wanderfalk angreift, kennen ihn ſehr wohl und ſuchen ſich vor allen Dingen vor ihm zu retten. Nicht einmal die muthigen Krähen verfolgen ihn, ſondern fliegen ſo eilig als möglich, ſobald ſie ihn erblicken. Er erwürgt die ergriffene Beute gewöhnlich ſchon in der Luft, ſehr ſchwere Vögel aber, welche er nicht fortſchleppen kann, wie Waldhühner und Wildgänſe, auf dem Boden, nachdem er ſie ſo lange gequält, bis ſie mit ihm zur Erde herabſtürzen. Bei Verfolgung ſeiner Beute fliegt er ſo fabelhaft ſchnell, daß man alle Schätzungen der Geſchwindigkeit verliert. Man hört ein Brauſen und ſieht einen Gegenſtand durch die Luft herniederſtürzen, iſt aber nicht im Stande, in demſelben einen Falken zu erkennen. Dieſe Jachheit des Angriffes iſt wohl auch die Urſache, daß der Falk nur ſelten auf ſitzende Vögel ſtößt. Er kommt in Gefahr, ſich ſelbſt zu zerſchmettern, und man kennt wirklich Beiſpiele, daß er durch Anſtoßen an Baumzweige beim Herabſchießen betäubt und ſelbſt getödtet worden iſt, ja Pallas verſichert, daß er zuweilen, wenn er Enten verfolgt, im Waſſer verun- glückt: ſein Stoß iſt ſo mächtig, daß er tief unter die Oberfläche des Waſſers geräth und ertrinken muß. Höchſt ſelten greift er fehl; überhaupt fängt er mit ſpielender Leichtigkeit. Die gemachte Beute wird dann von ihm einer freien Stelle zugetragen und hier verzehrt, blos größere Vögel werden da angefreſſen, wo ſie getödtet wurden. Vor dem Kröpfen rupft er wenigſtens eine Stelle des Leibes vom Geſieder kahl. Kleinere Vögel verſchlingt er mitſammt dem Eingeweide, während er letzteres bei größeren verſchmäht. Am liebſten horſtet der Wanderfalk in Höhlungen, an ſteilen Felſenwänden, welche ſchwer oder nicht zu erſteigen ſind, im Nothfall aber auch auf hohen Waldbäumen und dann vorzugsweiſe in einem verlaſſenen oder gewaltſam in Beſitz genommenen Krähenneſte. Der Horſt ſelbſt iſt liederlich gebaut und mit etwas Reiſern und Geniſt ausgekleidet. Ende Mais oder Anfangs Juni findet man das vollſtändige Gelege, drei, höchſtens vier rundliche, auf gelbröthlichem Grunde braun gefleckte Eier. Das Weibchen brütet allein; das Männchen vergnügt es in der beſchriebenen Weiſe. Die Jungen werden anfänglich mit halbverdautem Fleiſch aus dem Kropfe geäzt, ſpäter mit allen möglichen Vögeln reichlich gefüttert, nach dem Ausfliegen ordentlich in die Lehre genommen und erſt, wenn ſie ſelbſt vollendete Fänger geworden ſind, ſich ſelbſt überlaſſen. Der Wanderfalk iſt bei uns zu Lande nicht zu dulden; denn der Schaden, welchen er anrichtet, iſt ſehr beträchtlich. Wenn der ſtolze Räuber nur zu eigenem Bedarf Beute machen wollte, könnte man ihn vielleicht gewähren laſſen, er aber muß für eine zahlreiche Sippſchaft anderer Raubvögel ſorgen. Es iſt eine auffallende Thatſache, daß alle Edelfalken, wenn ſie ſich angegriffen ſehen, die eben gemachte Beute wieder wegwerfen. Dies wiſſen die Bettler unter den Raubvögeln ſehr genau. „Da ſitzen die trägen und ungeſchickten Geſellen‟, ſagt Naumann, „auf den Grenzſteinen oder Feld- hügeln, geben genau auf den Falken Acht, und ſobald ſie ſehen, daß er Etwas gefangen hat, fliegen ſie eiligſt herbei und nehmen ihm ohne Umſtände ſeine Beute weg. Der ſonſt ſo muthige, kühne Falk läßt, wenn er den ungebetenen Gaſt ankommen ſieht, ſeine Beute liegen, ſchwingt ſich mit wiederholt ausgeſtoßenem „Kja kjak‟ in die Höhe und eilt davon. Ja ſogar dem feigen Gabelweih, welchen eine beherzte Gluckhenne von ihren Küchlein abzuhalten im Stande iſt, überläßt er ſeine Beute.‟ Jn Nordoſtafrika ſind es hauptſächlich die Schmarotzermilane, welche ihren Namen bethätigen. Jch ſelbſt habe geſehen, daß ein Wanderfalk binnen wenigen Minuten drei Enten erhob und alle drei dem unverſchämten Bettlergeſindel zuwarf; erſt mit der vierten flog er davon. Solchem Schaden gegenüber kann von Nutzen, welchen der Falk ſtiftet, nicht geſprochen werden, da ja die Zeiten der Baize vorüber ſind. Doch erfreut das ſtolze Thier jeden Kundigen während ſeines Freilebens und nicht minder in der Gefangenſchaft, und Dies hat man ihm auch gutzurechnen. Bei einigermaßen ſorgfältiger Pflege hält er ſich lange Jahre im Käfig und nimmt hier mit allerlei friſchem Fleiſch vorlieb; er verlangt nur genug. „Jch hatte einmal‟, ſagt Naumann, „einen ſolchen Falken über ein Jahr lang in einem großen Käfige, und dieſer fraß in zwei Tagen einen ganzen Fuchs auf, desgleichen drei Krähen in einem Tage; er konnte aber auch über eine Woche lang hungern. Er packte oft ſechs lebendige Sperlinge, in jede Klaue drei, wobei er auf den Ferſen ſaß, dann einem nach 27*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/449>, abgerufen am 22.11.2024.