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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Fänger. Raubvögel. Falken.
er längs der Seeküsten und an großen Flüssen. Er brütet, soviel ich glaube, ebensowenig in Jndien,
wie im Himalaya, sondern ist Wintergast, welcher in der ersten Woche des Oktobers erscheint und im
April wieder weggeht." Auch in Amerika wandert er weit nach Süden herab. Ob er in Brasilien
vorkommt, weiß ich nicht; wohl aber kann ich mit Bestimmtheit behaupten, daß er den Golf von
Mejiko überfliegt. Seiner ungeheuren Flugfähigkeit sind Reisen von hundert und mehr Meilen
gewissermaßen ein Spazierflug.

Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalk große Waldungen, am liebsten solche, in deren Mitte
steile Felswände sich erheben. Ebenso häufig trifft man ihn im waldlosen Gebirge, und gar nicht
selten endlich sieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. So hat man ihn monatelang in
Leipzig beobachtet, und ich habe ihn auf dem Stephansthurm in Wien und auf der Petrikirche in
Hamburg gewissermaßen als Standvogel kennen gelernt. Besonders günstige Oertlichkeiten, namentlich
unersteigliche Felsenwände, beherbergen ihn mit derselben Regelmäßigkeit, wie die nordischen Vogel-
berge den Jagdfalken. So trägt der Falkenstein im Thüringerwalde seinen Namen mit Fug und
Recht; denn auf ihm horstet ein Wanderfalkenpaar seit Menschengedenken.

"Der Wanderfalk", sagt Naumann, "ist ein muthiger, starker und äußerst gewandter Vogel; sein
kräftiger Körperbau und sein blitzendes Auge beurkunden Dies auf den ersten Aublick. Die Erfahrung
lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit so furchtbaren Waffen ausgerüstet ward, und daß
er im Gebrauch derselben seinem nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichst an
die Seite zu setzen sei. Sein Flug ist äußerst schnell, mit hastigen Flügelschlägen, sehr selten
schwimmend, meist niedrig über die Erde hinstreichend. Wenn er sich vom Boden aufschwingt, breitet
er den Schwanz aus und fliegt, ehe er sich in die Höhe hebt, erst eine kleine Strecke dicht über der
Erde hin. Nur im Frühjahr schwingt er sich zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er
ist sehr scheu und so vorsichtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meist nur die Nadelholzwälder aufsucht.
Hat er diese nicht in der Nähe, so bleibt er öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine sitzen, und
es gehört unter die seltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus
Vorsicht geht er auch in letzteren des Abends erst sehr spät zur Ruhe und wählt dazu die dichten Aeste
hoher alter Bäume. Jn etwas größern übernachtet er gern auf in jungen Schlägen einzeln stehen-
gebliebenen alten Bäumen, und hier kommt er auch schon mit Untergang der Sonne, meist mit dick
angefülltem Kropfe an. Am Tage setzt er sich ungern auf Bäume. Sitzend zieht er den Hals sehr
ein, so daß der runde Kopf auf den Schultern zu stehen scheint; die weiße Kehle, mit den abstechenden
schwarzen Backen, machen ihn von weitem kenntlich. Jm Fluge zeichnet er sich durch den schlanken
Gliederbau, den schmalen Schwanz und durch seine langen, schmalen und spitzen Flügel vor andern aus."

"Seine Stimme ist stark und volltönend, wie die Silben: Kgiak, kgiak! oder Kajak, kajak!
Man hört sie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft."

Es scheint, daß der Wanderfalk nur Vögel frißt. Er ist der Schrecken aller gefiederten Geschöpfe,
von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter den Rebhühnern und Tauben richtet er die
größten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und selbst den wehr-
haften Krähen ist er ein furchtbarer Feind: er nährt sich oft wochenlang ausschließlich von ihnen.
Ungern nur nimmt er einen auf dem Boden sitzenden Vogel weg, ohne Umstände aber einen solchen,
welcher aufgebäumt hat oder einen auf dem Wasser schwimmenden. Die Rebhühner erschreckt er durch
wiederholtes Kreisen über ihnen, bis sie auffliegen; die Tauben ängstigt er, daß sie sich unter Umständen
selbst in das Wasser stürzen; die Enten ermattet er durch Verfolgung so lange, bis sie nicht mehr
tauchen können, dann nimmt er sie vom Wasser weg. Auch den schnellsten Vögeln gelingt es selten,
sich vor ihm zu retten. Gewitzigte Haustauben wissen, wie Naumann sagt, kein anderes Rettungs-
mittel, als in möglichster Schnelle und so dicht an einander gedrängt als möglich die Flucht zu ergreifen.
Auf diejenige, welche sich etwas vom Schwarm absondert, stürzt er sich pfeilschnell von oben nieder.
Stößt er das erstemal fehl, so sucht ihn die Taube zu überfliegen, und glückt ihr Das nur einigemal,
so wird der Falk müde, und er zieht ab.

Die Fänger. Raubvögel. Falken.
er längs der Seeküſten und an großen Flüſſen. Er brütet, ſoviel ich glaube, ebenſowenig in Jndien,
wie im Himalaya, ſondern iſt Wintergaſt, welcher in der erſten Woche des Oktobers erſcheint und im
April wieder weggeht.‟ Auch in Amerika wandert er weit nach Süden herab. Ob er in Braſilien
vorkommt, weiß ich nicht; wohl aber kann ich mit Beſtimmtheit behaupten, daß er den Golf von
Mejiko überfliegt. Seiner ungeheuren Flugfähigkeit ſind Reiſen von hundert und mehr Meilen
gewiſſermaßen ein Spazierflug.

Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalk große Waldungen, am liebſten ſolche, in deren Mitte
ſteile Felswände ſich erheben. Ebenſo häufig trifft man ihn im waldloſen Gebirge, und gar nicht
ſelten endlich ſieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. So hat man ihn monatelang in
Leipzig beobachtet, und ich habe ihn auf dem Stephansthurm in Wien und auf der Petrikirche in
Hamburg gewiſſermaßen als Standvogel kennen gelernt. Beſonders günſtige Oertlichkeiten, namentlich
unerſteigliche Felſenwände, beherbergen ihn mit derſelben Regelmäßigkeit, wie die nordiſchen Vogel-
berge den Jagdfalken. So trägt der Falkenſtein im Thüringerwalde ſeinen Namen mit Fug und
Recht; denn auf ihm horſtet ein Wanderfalkenpaar ſeit Menſchengedenken.

„Der Wanderfalk‟, ſagt Naumann, „iſt ein muthiger, ſtarker und äußerſt gewandter Vogel; ſein
kräftiger Körperbau und ſein blitzendes Auge beurkunden Dies auf den erſten Aublick. Die Erfahrung
lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit ſo furchtbaren Waffen ausgerüſtet ward, und daß
er im Gebrauch derſelben ſeinem nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichſt an
die Seite zu ſetzen ſei. Sein Flug iſt äußerſt ſchnell, mit haſtigen Flügelſchlägen, ſehr ſelten
ſchwimmend, meiſt niedrig über die Erde hinſtreichend. Wenn er ſich vom Boden aufſchwingt, breitet
er den Schwanz aus und fliegt, ehe er ſich in die Höhe hebt, erſt eine kleine Strecke dicht über der
Erde hin. Nur im Frühjahr ſchwingt er ſich zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er
iſt ſehr ſcheu und ſo vorſichtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meiſt nur die Nadelholzwälder aufſucht.
Hat er dieſe nicht in der Nähe, ſo bleibt er öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine ſitzen, und
es gehört unter die ſeltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus
Vorſicht geht er auch in letzteren des Abends erſt ſehr ſpät zur Ruhe und wählt dazu die dichten Aeſte
hoher alter Bäume. Jn etwas größern übernachtet er gern auf in jungen Schlägen einzeln ſtehen-
gebliebenen alten Bäumen, und hier kommt er auch ſchon mit Untergang der Sonne, meiſt mit dick
angefülltem Kropfe an. Am Tage ſetzt er ſich ungern auf Bäume. Sitzend zieht er den Hals ſehr
ein, ſo daß der runde Kopf auf den Schultern zu ſtehen ſcheint; die weiße Kehle, mit den abſtechenden
ſchwarzen Backen, machen ihn von weitem kenntlich. Jm Fluge zeichnet er ſich durch den ſchlanken
Gliederbau, den ſchmalen Schwanz und durch ſeine langen, ſchmalen und ſpitzen Flügel vor andern aus.‟

„Seine Stimme iſt ſtark und volltönend, wie die Silben: Kgiak, kgiak! oder Kajak, kajak!
Man hört ſie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft.‟

Es ſcheint, daß der Wanderfalk nur Vögel frißt. Er iſt der Schrecken aller gefiederten Geſchöpfe,
von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter den Rebhühnern und Tauben richtet er die
größten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und ſelbſt den wehr-
haften Krähen iſt er ein furchtbarer Feind: er nährt ſich oft wochenlang ausſchließlich von ihnen.
Ungern nur nimmt er einen auf dem Boden ſitzenden Vogel weg, ohne Umſtände aber einen ſolchen,
welcher aufgebäumt hat oder einen auf dem Waſſer ſchwimmenden. Die Rebhühner erſchreckt er durch
wiederholtes Kreiſen über ihnen, bis ſie auffliegen; die Tauben ängſtigt er, daß ſie ſich unter Umſtänden
ſelbſt in das Waſſer ſtürzen; die Enten ermattet er durch Verfolgung ſo lange, bis ſie nicht mehr
tauchen können, dann nimmt er ſie vom Waſſer weg. Auch den ſchnellſten Vögeln gelingt es ſelten,
ſich vor ihm zu retten. Gewitzigte Haustauben wiſſen, wie Naumann ſagt, kein anderes Rettungs-
mittel, als in möglichſter Schnelle und ſo dicht an einander gedrängt als möglich die Flucht zu ergreifen.
Auf diejenige, welche ſich etwas vom Schwarm abſondert, ſtürzt er ſich pfeilſchnell von oben nieder.
Stößt er das erſtemal fehl, ſo ſucht ihn die Taube zu überfliegen, und glückt ihr Das nur einigemal,
ſo wird der Falk müde, und er zieht ab.

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[418/0448] Die Fänger. Raubvögel. Falken. er längs der Seeküſten und an großen Flüſſen. Er brütet, ſoviel ich glaube, ebenſowenig in Jndien, wie im Himalaya, ſondern iſt Wintergaſt, welcher in der erſten Woche des Oktobers erſcheint und im April wieder weggeht.‟ Auch in Amerika wandert er weit nach Süden herab. Ob er in Braſilien vorkommt, weiß ich nicht; wohl aber kann ich mit Beſtimmtheit behaupten, daß er den Golf von Mejiko überfliegt. Seiner ungeheuren Flugfähigkeit ſind Reiſen von hundert und mehr Meilen gewiſſermaßen ein Spazierflug. Bei uns zu Lande bewohnt der Wanderfalk große Waldungen, am liebſten ſolche, in deren Mitte ſteile Felswände ſich erheben. Ebenſo häufig trifft man ihn im waldloſen Gebirge, und gar nicht ſelten endlich ſieht man ihn inmitten großer, volkbelebter Städte. So hat man ihn monatelang in Leipzig beobachtet, und ich habe ihn auf dem Stephansthurm in Wien und auf der Petrikirche in Hamburg gewiſſermaßen als Standvogel kennen gelernt. Beſonders günſtige Oertlichkeiten, namentlich unerſteigliche Felſenwände, beherbergen ihn mit derſelben Regelmäßigkeit, wie die nordiſchen Vogel- berge den Jagdfalken. So trägt der Falkenſtein im Thüringerwalde ſeinen Namen mit Fug und Recht; denn auf ihm horſtet ein Wanderfalkenpaar ſeit Menſchengedenken. „Der Wanderfalk‟, ſagt Naumann, „iſt ein muthiger, ſtarker und äußerſt gewandter Vogel; ſein kräftiger Körperbau und ſein blitzendes Auge beurkunden Dies auf den erſten Aublick. Die Erfahrung lehrt uns, daß er nicht vergeblich von der Natur mit ſo furchtbaren Waffen ausgerüſtet ward, und daß er im Gebrauch derſelben ſeinem nahen Verwandten, dem Jagd- und Würgfalken, rühmlichſt an die Seite zu ſetzen ſei. Sein Flug iſt äußerſt ſchnell, mit haſtigen Flügelſchlägen, ſehr ſelten ſchwimmend, meiſt niedrig über die Erde hinſtreichend. Wenn er ſich vom Boden aufſchwingt, breitet er den Schwanz aus und fliegt, ehe er ſich in die Höhe hebt, erſt eine kleine Strecke dicht über der Erde hin. Nur im Frühjahr ſchwingt er ſich zuweilen zu einer unermeßlichen Höhe in die Luft. Er iſt ſehr ſcheu und ſo vorſichtig, daß er zur nächtlichen Ruhe meiſt nur die Nadelholzwälder aufſucht. Hat er dieſe nicht in der Nähe, ſo bleibt er öfters lieber im freien Felde, auf einem Steine ſitzen, und es gehört unter die ſeltenen Fälle, wenn er einmal in einem kleinen Laubholze übernachtet. Aus Vorſicht geht er auch in letzteren des Abends erſt ſehr ſpät zur Ruhe und wählt dazu die dichten Aeſte hoher alter Bäume. Jn etwas größern übernachtet er gern auf in jungen Schlägen einzeln ſtehen- gebliebenen alten Bäumen, und hier kommt er auch ſchon mit Untergang der Sonne, meiſt mit dick angefülltem Kropfe an. Am Tage ſetzt er ſich ungern auf Bäume. Sitzend zieht er den Hals ſehr ein, ſo daß der runde Kopf auf den Schultern zu ſtehen ſcheint; die weiße Kehle, mit den abſtechenden ſchwarzen Backen, machen ihn von weitem kenntlich. Jm Fluge zeichnet er ſich durch den ſchlanken Gliederbau, den ſchmalen Schwanz und durch ſeine langen, ſchmalen und ſpitzen Flügel vor andern aus.‟ „Seine Stimme iſt ſtark und volltönend, wie die Silben: Kgiak, kgiak! oder Kajak, kajak! Man hört ſie aber außer der Begattungszeit eben nicht oft.‟ Es ſcheint, daß der Wanderfalk nur Vögel frißt. Er iſt der Schrecken aller gefiederten Geſchöpfe, von der Wildgans an bis zur Lerche herab. Unter den Rebhühnern und Tauben richtet er die größten Verheerungen an; die Enten verfolgt er mit unermüdlicher Ausdauer, und ſelbſt den wehr- haften Krähen iſt er ein furchtbarer Feind: er nährt ſich oft wochenlang ausſchließlich von ihnen. Ungern nur nimmt er einen auf dem Boden ſitzenden Vogel weg, ohne Umſtände aber einen ſolchen, welcher aufgebäumt hat oder einen auf dem Waſſer ſchwimmenden. Die Rebhühner erſchreckt er durch wiederholtes Kreiſen über ihnen, bis ſie auffliegen; die Tauben ängſtigt er, daß ſie ſich unter Umſtänden ſelbſt in das Waſſer ſtürzen; die Enten ermattet er durch Verfolgung ſo lange, bis ſie nicht mehr tauchen können, dann nimmt er ſie vom Waſſer weg. Auch den ſchnellſten Vögeln gelingt es ſelten, ſich vor ihm zu retten. Gewitzigte Haustauben wiſſen, wie Naumann ſagt, kein anderes Rettungs- mittel, als in möglichſter Schnelle und ſo dicht an einander gedrängt als möglich die Flucht zu ergreifen. Auf diejenige, welche ſich etwas vom Schwarm abſondert, ſtürzt er ſich pfeilſchnell von oben nieder. Stößt er das erſtemal fehl, ſo ſucht ihn die Taube zu überfliegen, und glückt ihr Das nur einigemal, ſo wird der Falk müde, und er zieht ab.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/448>, abgerufen am 22.11.2024.