Eine die Vögel insgemein auszeichnende Begabung fehlt den geflügelten Räubern: sie ermangeln größteutheils einer wohltönenden Stimme. Viele sind nur im Stande, einen, zwei oder drei verschiedene Laute hervorzustoßen, und diese Laute sind oft nicht blos einfach, sondern selbst miß- tönend. Doch sind wenigstens nicht alle Raubvögel jedes Wohllautes unfähig: einige lassen Töne vernehmen, welche auch einem tonkünstlerisch gebildeten Ohre als ansprechend erscheinen müssen.
Die Raubvögel bewohnen die ganze Erde; sie sind in jedem Breiten- und in jedem Höhengürtel zu finden. Der Mehrzahl nach Baumvögel und daher vorzugsweise dem Walde angehörend, meiden sie doch weder das baumlose Gebirg, noch die öde Steppe oder Wüste. Man begegnet ihnen auf den kleinsten Eilanden im Weltmeere oder auf den höchsten Gipfeln der Gebirge; man sieht sie über die Eisfelder, welche Grönland, Spitzbergen umlagern, wie über den sonnendurchglühten Hammadas der Wüste dahinschweben; man bemerkt sie im Schlingpflanzendickicht des Urwaldes wie auf den Münstern großer Städte. Der Verbreitungskreis der einzelnen Art pflegt groß zu sein, entspricht jedoch keines- wegs immer der Bewegungsfähigkeit derselben: er kann im Verhältniß zu dieser sogar klein erscheinen. Einzelne Arten freilich kennen kaum eine Beschränkung; sie schweifen fast auf der ganzen Erde, wenigstens auf der Nordhälfte derselben umher.
Viele der gefiederten Räuber wandern, wenn der Winter ihr Jagdgebiet verarmen macht, dem kleinen Geflügel in südlichere Gegenden nach; gerade die nördlichst wohnenden Arten aber streichen nur. Auf solchen Wanderungen bilden sich zuweilen Schwärme von Raubvögeln, wie sie sonst nicht beob- achtet werden; denn nur die wenigsten sind als gesellige Thiere zu bezeichnen -- am Horste namentlich lebt jedes einzelne Paar für sich. Jene Gesellschaften lösen sich schon gegen den Frühling hin in kleinere und schließlich in die Paare auf, aus denen sie im Herbst sich bildeten, oder welche während des Zusammenseins in der Fremde sich fanden. Diese Paare kehren ziemlich genau zu derselben Zeit in die Heimat zurück und schreiten hier baldmöglichst zur Fortpflanzung.
Alle Raubvögel brüten in den ersten Frühlingsmonaten, und wenn sie nicht gestört wurden, nur einmal im Jahre. Der Horst kann sehr verschieden angelegt und Dem entsprechend verschieden aus- geführt sein. Weitaus in den meisten Fällen steht er auf Bäumen, häufig auch auf Felsvorsprüngen, an unersteiglichen Wänden oder in Mauerlöchern alter Gebäude, seltener ist eine Baumhöhlung die Nist- kammer, am seltensten der nackte Boden die Unterlage eines Reisighaufens, auf welchem die Eier zu liegen kommen. Alle Horste, welche auf Bäumen oder Felsen angelegt werden, sind feste Gebäude: sie sind sehr breit, aber niedrig, falls sie, wie es oft geschieht, nicht mehrere Jahre nacheinander benutzt, jedesmal neu aufgebessert und dadurch erhöht werden. Die Nestmulde ist aber auch dann stets flach, d. h. seicht ausgetieft. Beide Geschlechter helfen beim Aufbau; das Männchen trägt wenigstens zu. Für die großen Arten ist es schwer, die nöthigen Stoffe, namentlich die starken Knüppel zu erwerben: die Adler müssen sie sich, wie Tschudi vom Steinadler angibt, von den Bäumen nehmen, indem sie sich mit eingezogenen Fittigen aus hoher Luft herabstürzen, den ausersehenen Ast mit ihren Fängen packen und durch die Wucht des Stoßes abbrechen. Jn den Klauen tragen sie die mühsam erworbenen Aeste und Zweige dann auch dem Horste zu. -- Diejenigen Raubvögel, welche in Höhlen brüten, machen wenige Umstände mit der Wiege ihrer Kinder: sie legen die Eier auf den Mulm der Baum- löcher, auf die Erde oder auf das nackte Gestein.
Der Paarung gehen mancherlei Spiele voraus, wie sie den stolzen Vögeln angemessen sind. Prachtvolle Flugübungen, wahre Reigen in hoher Luft, oft sehr verschieden von dem sonst gewöhnlichen Fluge, sind die Liebesbeweise der großen Mehrzahl; eigenthümliche, gellende oder äußerst zärtliche Laute und -- falls es wahr ist! -- sogar eine Art von Gesang bekunden die Erregung Einzelner. Eifersucht spielt natürlich auch unter dem Herrschergeschlecht seine Rolle: jeder Eindringling ins Gehege wird angegriffen und womöglich verjagt, nicht einmal ein fremder, d. h. nicht derselben Art angehöriger Vogel geduldet. Jn meinem "Leben der Vögel" habe ich das nebenbuhlerische Ringen der Raubvögel zu schildern versucht: "Prachtvolle Wendungen, pfeilschnelle Angriffe, glänzende Abwehr, muthiges gegenseitiges Verfolgen und ebenso muthiges Standhalten kennzeichnen derartige Kämpfe.
Die Fänger. Raubvögel.
Eine die Vögel insgemein auszeichnende Begabung fehlt den geflügelten Räubern: ſie ermangeln größteutheils einer wohltönenden Stimme. Viele ſind nur im Stande, einen, zwei oder drei verſchiedene Laute hervorzuſtoßen, und dieſe Laute ſind oft nicht blos einfach, ſondern ſelbſt miß- tönend. Doch ſind wenigſtens nicht alle Raubvögel jedes Wohllautes unfähig: einige laſſen Töne vernehmen, welche auch einem tonkünſtleriſch gebildeten Ohre als anſprechend erſcheinen müſſen.
Die Raubvögel bewohnen die ganze Erde; ſie ſind in jedem Breiten- und in jedem Höhengürtel zu finden. Der Mehrzahl nach Baumvögel und daher vorzugsweiſe dem Walde angehörend, meiden ſie doch weder das baumloſe Gebirg, noch die öde Steppe oder Wüſte. Man begegnet ihnen auf den kleinſten Eilanden im Weltmeere oder auf den höchſten Gipfeln der Gebirge; man ſieht ſie über die Eisfelder, welche Grönland, Spitzbergen umlagern, wie über den ſonnendurchglühten Hammadas der Wüſte dahinſchweben; man bemerkt ſie im Schlingpflanzendickicht des Urwaldes wie auf den Münſtern großer Städte. Der Verbreitungskreis der einzelnen Art pflegt groß zu ſein, entſpricht jedoch keines- wegs immer der Bewegungsfähigkeit derſelben: er kann im Verhältniß zu dieſer ſogar klein erſcheinen. Einzelne Arten freilich kennen kaum eine Beſchränkung; ſie ſchweifen faſt auf der ganzen Erde, wenigſtens auf der Nordhälfte derſelben umher.
Viele der gefiederten Räuber wandern, wenn der Winter ihr Jagdgebiet verarmen macht, dem kleinen Geflügel in ſüdlichere Gegenden nach; gerade die nördlichſt wohnenden Arten aber ſtreichen nur. Auf ſolchen Wanderungen bilden ſich zuweilen Schwärme von Raubvögeln, wie ſie ſonſt nicht beob- achtet werden; denn nur die wenigſten ſind als geſellige Thiere zu bezeichnen — am Horſte namentlich lebt jedes einzelne Paar für ſich. Jene Geſellſchaften löſen ſich ſchon gegen den Frühling hin in kleinere und ſchließlich in die Paare auf, aus denen ſie im Herbſt ſich bildeten, oder welche während des Zuſammenſeins in der Fremde ſich fanden. Dieſe Paare kehren ziemlich genau zu derſelben Zeit in die Heimat zurück und ſchreiten hier baldmöglichſt zur Fortpflanzung.
Alle Raubvögel brüten in den erſten Frühlingsmonaten, und wenn ſie nicht geſtört wurden, nur einmal im Jahre. Der Horſt kann ſehr verſchieden angelegt und Dem entſprechend verſchieden aus- geführt ſein. Weitaus in den meiſten Fällen ſteht er auf Bäumen, häufig auch auf Felsvorſprüngen, an unerſteiglichen Wänden oder in Mauerlöchern alter Gebäude, ſeltener iſt eine Baumhöhlung die Niſt- kammer, am ſeltenſten der nackte Boden die Unterlage eines Reiſighaufens, auf welchem die Eier zu liegen kommen. Alle Horſte, welche auf Bäumen oder Felſen angelegt werden, ſind feſte Gebäude: ſie ſind ſehr breit, aber niedrig, falls ſie, wie es oft geſchieht, nicht mehrere Jahre nacheinander benutzt, jedesmal neu aufgebeſſert und dadurch erhöht werden. Die Neſtmulde iſt aber auch dann ſtets flach, d. h. ſeicht ausgetieft. Beide Geſchlechter helfen beim Aufbau; das Männchen trägt wenigſtens zu. Für die großen Arten iſt es ſchwer, die nöthigen Stoffe, namentlich die ſtarken Knüppel zu erwerben: die Adler müſſen ſie ſich, wie Tſchudi vom Steinadler angibt, von den Bäumen nehmen, indem ſie ſich mit eingezogenen Fittigen aus hoher Luft herabſtürzen, den auserſehenen Aſt mit ihren Fängen packen und durch die Wucht des Stoßes abbrechen. Jn den Klauen tragen ſie die mühſam erworbenen Aeſte und Zweige dann auch dem Horſte zu. — Diejenigen Raubvögel, welche in Höhlen brüten, machen wenige Umſtände mit der Wiege ihrer Kinder: ſie legen die Eier auf den Mulm der Baum- löcher, auf die Erde oder auf das nackte Geſtein.
Der Paarung gehen mancherlei Spiele voraus, wie ſie den ſtolzen Vögeln angemeſſen ſind. Prachtvolle Flugübungen, wahre Reigen in hoher Luft, oft ſehr verſchieden von dem ſonſt gewöhnlichen Fluge, ſind die Liebesbeweiſe der großen Mehrzahl; eigenthümliche, gellende oder äußerſt zärtliche Laute und — falls es wahr iſt! — ſogar eine Art von Geſang bekunden die Erregung Einzelner. Eiferſucht ſpielt natürlich auch unter dem Herrſchergeſchlecht ſeine Rolle: jeder Eindringling ins Gehege wird angegriffen und womöglich verjagt, nicht einmal ein fremder, d. h. nicht derſelben Art angehöriger Vogel geduldet. Jn meinem „Leben der Vögel‟ habe ich das nebenbuhleriſche Ringen der Raubvögel zu ſchildern verſucht: „Prachtvolle Wendungen, pfeilſchnelle Angriffe, glänzende Abwehr, muthiges gegenſeitiges Verfolgen und ebenſo muthiges Standhalten kennzeichnen derartige Kämpfe.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0432"n="404"/><fwplace="top"type="header">Die Fänger. Raubvögel.</fw><lb/><p>Eine die Vögel insgemein auszeichnende Begabung fehlt den geflügelten Räubern: ſie<lb/>
ermangeln größteutheils einer wohltönenden Stimme. Viele ſind nur im Stande, einen, zwei oder<lb/>
drei verſchiedene Laute hervorzuſtoßen, und dieſe Laute ſind oft nicht blos einfach, ſondern ſelbſt miß-<lb/>
tönend. Doch ſind wenigſtens nicht <hirendition="#g">alle</hi> Raubvögel jedes Wohllautes unfähig: einige laſſen Töne<lb/>
vernehmen, welche auch einem tonkünſtleriſch gebildeten Ohre als anſprechend erſcheinen müſſen.</p><lb/><p>Die Raubvögel bewohnen die ganze Erde; ſie ſind in jedem Breiten- und in jedem Höhengürtel<lb/>
zu finden. Der Mehrzahl nach Baumvögel und daher vorzugsweiſe dem Walde angehörend, meiden<lb/>ſie doch weder das baumloſe Gebirg, noch die öde Steppe oder Wüſte. Man begegnet ihnen auf den<lb/>
kleinſten Eilanden im Weltmeere oder auf den höchſten Gipfeln der Gebirge; man ſieht ſie über die<lb/>
Eisfelder, welche Grönland, Spitzbergen umlagern, wie über den ſonnendurchglühten Hammadas der<lb/>
Wüſte dahinſchweben; man bemerkt ſie im Schlingpflanzendickicht des Urwaldes wie auf den Münſtern<lb/>
großer Städte. Der Verbreitungskreis der einzelnen Art pflegt groß zu ſein, entſpricht jedoch keines-<lb/>
wegs immer der Bewegungsfähigkeit derſelben: er kann im Verhältniß zu dieſer ſogar klein erſcheinen.<lb/>
Einzelne Arten freilich kennen kaum eine Beſchränkung; ſie ſchweifen faſt auf der ganzen Erde,<lb/>
wenigſtens auf der Nordhälfte derſelben umher.</p><lb/><p>Viele der gefiederten Räuber wandern, wenn der Winter ihr Jagdgebiet verarmen macht, dem<lb/>
kleinen Geflügel in ſüdlichere Gegenden nach; gerade die nördlichſt wohnenden Arten aber ſtreichen nur.<lb/>
Auf ſolchen Wanderungen bilden ſich zuweilen Schwärme von Raubvögeln, wie ſie ſonſt nicht beob-<lb/>
achtet werden; denn nur die wenigſten ſind als geſellige Thiere zu bezeichnen — am Horſte namentlich<lb/>
lebt jedes einzelne Paar für ſich. Jene Geſellſchaften löſen ſich ſchon gegen den Frühling hin in<lb/>
kleinere und ſchließlich in die Paare auf, aus denen ſie im Herbſt ſich bildeten, oder welche während des<lb/>
Zuſammenſeins in der Fremde ſich fanden. Dieſe Paare kehren ziemlich genau zu derſelben Zeit in<lb/>
die Heimat zurück und ſchreiten hier baldmöglichſt zur Fortpflanzung.</p><lb/><p>Alle Raubvögel brüten in den erſten Frühlingsmonaten, und wenn ſie nicht geſtört wurden, nur<lb/>
einmal im Jahre. Der Horſt kann ſehr verſchieden angelegt und Dem entſprechend verſchieden aus-<lb/>
geführt ſein. Weitaus in den meiſten Fällen ſteht er auf Bäumen, häufig auch auf Felsvorſprüngen,<lb/>
an unerſteiglichen Wänden oder in Mauerlöchern alter Gebäude, ſeltener iſt eine Baumhöhlung die Niſt-<lb/>
kammer, am ſeltenſten der nackte Boden die Unterlage eines Reiſighaufens, auf welchem die Eier zu<lb/>
liegen kommen. Alle Horſte, welche auf Bäumen oder Felſen angelegt werden, ſind feſte Gebäude:<lb/>ſie ſind ſehr breit, aber niedrig, falls ſie, wie es oft geſchieht, nicht mehrere Jahre nacheinander benutzt,<lb/>
jedesmal neu aufgebeſſert und dadurch erhöht werden. Die Neſtmulde iſt aber auch dann ſtets flach,<lb/>
d. h. ſeicht ausgetieft. Beide Geſchlechter helfen beim Aufbau; das Männchen trägt wenigſtens zu. Für<lb/>
die großen Arten iſt es ſchwer, die nöthigen Stoffe, namentlich die ſtarken Knüppel zu erwerben: die<lb/>
Adler müſſen ſie ſich, wie <hirendition="#g">Tſchudi</hi> vom Steinadler angibt, von den Bäumen nehmen, indem ſie<lb/>ſich mit eingezogenen Fittigen aus hoher Luft herabſtürzen, den auserſehenen Aſt mit ihren Fängen<lb/>
packen und durch die Wucht des Stoßes abbrechen. Jn den Klauen tragen ſie die mühſam erworbenen<lb/>
Aeſte und Zweige dann auch dem Horſte zu. — Diejenigen Raubvögel, welche in Höhlen brüten,<lb/>
machen wenige Umſtände mit der Wiege ihrer Kinder: ſie legen die Eier auf den Mulm der Baum-<lb/>
löcher, auf die Erde oder auf das nackte Geſtein.</p><lb/><p>Der Paarung gehen mancherlei Spiele voraus, wie ſie den ſtolzen Vögeln angemeſſen ſind.<lb/>
Prachtvolle Flugübungen, wahre Reigen in hoher Luft, oft ſehr verſchieden von dem ſonſt gewöhnlichen<lb/>
Fluge, ſind die Liebesbeweiſe der großen Mehrzahl; eigenthümliche, gellende oder äußerſt zärtliche<lb/>
Laute und — falls es wahr iſt! —ſogar eine Art von Geſang bekunden die Erregung Einzelner.<lb/>
Eiferſucht ſpielt natürlich auch unter dem Herrſchergeſchlecht ſeine Rolle: jeder Eindringling<lb/>
ins Gehege wird angegriffen und womöglich verjagt, nicht einmal ein fremder, d. h. nicht derſelben Art<lb/>
angehöriger Vogel geduldet. Jn meinem „Leben der Vögel‟ habe ich das nebenbuhleriſche Ringen der<lb/>
Raubvögel zu ſchildern verſucht: „Prachtvolle Wendungen, pfeilſchnelle Angriffe, glänzende Abwehr,<lb/>
muthiges gegenſeitiges Verfolgen und ebenſo muthiges Standhalten kennzeichnen derartige Kämpfe.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[404/0432]
Die Fänger. Raubvögel.
Eine die Vögel insgemein auszeichnende Begabung fehlt den geflügelten Räubern: ſie
ermangeln größteutheils einer wohltönenden Stimme. Viele ſind nur im Stande, einen, zwei oder
drei verſchiedene Laute hervorzuſtoßen, und dieſe Laute ſind oft nicht blos einfach, ſondern ſelbſt miß-
tönend. Doch ſind wenigſtens nicht alle Raubvögel jedes Wohllautes unfähig: einige laſſen Töne
vernehmen, welche auch einem tonkünſtleriſch gebildeten Ohre als anſprechend erſcheinen müſſen.
Die Raubvögel bewohnen die ganze Erde; ſie ſind in jedem Breiten- und in jedem Höhengürtel
zu finden. Der Mehrzahl nach Baumvögel und daher vorzugsweiſe dem Walde angehörend, meiden
ſie doch weder das baumloſe Gebirg, noch die öde Steppe oder Wüſte. Man begegnet ihnen auf den
kleinſten Eilanden im Weltmeere oder auf den höchſten Gipfeln der Gebirge; man ſieht ſie über die
Eisfelder, welche Grönland, Spitzbergen umlagern, wie über den ſonnendurchglühten Hammadas der
Wüſte dahinſchweben; man bemerkt ſie im Schlingpflanzendickicht des Urwaldes wie auf den Münſtern
großer Städte. Der Verbreitungskreis der einzelnen Art pflegt groß zu ſein, entſpricht jedoch keines-
wegs immer der Bewegungsfähigkeit derſelben: er kann im Verhältniß zu dieſer ſogar klein erſcheinen.
Einzelne Arten freilich kennen kaum eine Beſchränkung; ſie ſchweifen faſt auf der ganzen Erde,
wenigſtens auf der Nordhälfte derſelben umher.
Viele der gefiederten Räuber wandern, wenn der Winter ihr Jagdgebiet verarmen macht, dem
kleinen Geflügel in ſüdlichere Gegenden nach; gerade die nördlichſt wohnenden Arten aber ſtreichen nur.
Auf ſolchen Wanderungen bilden ſich zuweilen Schwärme von Raubvögeln, wie ſie ſonſt nicht beob-
achtet werden; denn nur die wenigſten ſind als geſellige Thiere zu bezeichnen — am Horſte namentlich
lebt jedes einzelne Paar für ſich. Jene Geſellſchaften löſen ſich ſchon gegen den Frühling hin in
kleinere und ſchließlich in die Paare auf, aus denen ſie im Herbſt ſich bildeten, oder welche während des
Zuſammenſeins in der Fremde ſich fanden. Dieſe Paare kehren ziemlich genau zu derſelben Zeit in
die Heimat zurück und ſchreiten hier baldmöglichſt zur Fortpflanzung.
Alle Raubvögel brüten in den erſten Frühlingsmonaten, und wenn ſie nicht geſtört wurden, nur
einmal im Jahre. Der Horſt kann ſehr verſchieden angelegt und Dem entſprechend verſchieden aus-
geführt ſein. Weitaus in den meiſten Fällen ſteht er auf Bäumen, häufig auch auf Felsvorſprüngen,
an unerſteiglichen Wänden oder in Mauerlöchern alter Gebäude, ſeltener iſt eine Baumhöhlung die Niſt-
kammer, am ſeltenſten der nackte Boden die Unterlage eines Reiſighaufens, auf welchem die Eier zu
liegen kommen. Alle Horſte, welche auf Bäumen oder Felſen angelegt werden, ſind feſte Gebäude:
ſie ſind ſehr breit, aber niedrig, falls ſie, wie es oft geſchieht, nicht mehrere Jahre nacheinander benutzt,
jedesmal neu aufgebeſſert und dadurch erhöht werden. Die Neſtmulde iſt aber auch dann ſtets flach,
d. h. ſeicht ausgetieft. Beide Geſchlechter helfen beim Aufbau; das Männchen trägt wenigſtens zu. Für
die großen Arten iſt es ſchwer, die nöthigen Stoffe, namentlich die ſtarken Knüppel zu erwerben: die
Adler müſſen ſie ſich, wie Tſchudi vom Steinadler angibt, von den Bäumen nehmen, indem ſie
ſich mit eingezogenen Fittigen aus hoher Luft herabſtürzen, den auserſehenen Aſt mit ihren Fängen
packen und durch die Wucht des Stoßes abbrechen. Jn den Klauen tragen ſie die mühſam erworbenen
Aeſte und Zweige dann auch dem Horſte zu. — Diejenigen Raubvögel, welche in Höhlen brüten,
machen wenige Umſtände mit der Wiege ihrer Kinder: ſie legen die Eier auf den Mulm der Baum-
löcher, auf die Erde oder auf das nackte Geſtein.
Der Paarung gehen mancherlei Spiele voraus, wie ſie den ſtolzen Vögeln angemeſſen ſind.
Prachtvolle Flugübungen, wahre Reigen in hoher Luft, oft ſehr verſchieden von dem ſonſt gewöhnlichen
Fluge, ſind die Liebesbeweiſe der großen Mehrzahl; eigenthümliche, gellende oder äußerſt zärtliche
Laute und — falls es wahr iſt! — ſogar eine Art von Geſang bekunden die Erregung Einzelner.
Eiferſucht ſpielt natürlich auch unter dem Herrſchergeſchlecht ſeine Rolle: jeder Eindringling
ins Gehege wird angegriffen und womöglich verjagt, nicht einmal ein fremder, d. h. nicht derſelben Art
angehöriger Vogel geduldet. Jn meinem „Leben der Vögel‟ habe ich das nebenbuhleriſche Ringen der
Raubvögel zu ſchildern verſucht: „Prachtvolle Wendungen, pfeilſchnelle Angriffe, glänzende Abwehr,
muthiges gegenſeitiges Verfolgen und ebenſo muthiges Standhalten kennzeichnen derartige Kämpfe.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/432>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.