Wollten wir bei den Vögeln in demselben Sinne von Raubthieren sprechen, wie wir es bei den Säugethieren gethan haben, so würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen. Es ist bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es durchaus verschmähen, von thierischen Stoffen sich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klassen der Wirbel- thiere ist Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach sind Raubthiere, und gerade diejenigen, welche wir als die harmlosesten anzusehen gewohnt sind, unsere Singvögel, leben fast aus- schließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet ist es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff "Raubthier" auf eine einzige Ordnung zu beschränken; wir nehmen sogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln sprechen, obwohl sie sich ausschließlich fast von Wirbelthieren ernähren. Jch lasse es dahin gestellt sein, ob eine so milde Beurtheilung der räuberischen Thätigkeit der Vögel sich auf die Liebe zu den gefiederten Geschöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigstens die kleinen gefiederten Räuber uns leisten.
Die räuberische Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier als Ordnungen ansehen wollen, so auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erscheinen kann, sie in einer besonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieselbe einzuschließenden Vögel nähren sich, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweise, zeitweilig oder nebenbei, von Früchten. Sie stellen den von ihnen befehdeten Geschöpfen mit großem Eifer nach und verfolgen sie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der Bäume oder selbst im Wasser; sie tödten sie, nachdem sie dieselben ergriffen haben oder nehmen die von ihnen aufgefundenen Leichen in Besitz: sie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub- säugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubsäugethiere ebenfalls thun, und so haben wir noch eine Berechtigung mehr, unsere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu vergleichen.
Die Reihe der Fänger begreift in sich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel. Jede dieser Ordnungen behauptet selbstverständlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtschaft aller Ordnungen unter sich ist jedoch eine sehr enge, obgleich Dies erst dann bemerklich werden dürfte, nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieses Ganze als eine allseitig abgeschlossene Abtheilung der Klasse zu betrachten. Die durchgehende Uebereinstimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner
Zweite Reihe. Fänger (Captantes).
Wollten wir bei den Vögeln in demſelben Sinne von Raubthieren ſprechen, wie wir es bei den Säugethieren gethan haben, ſo würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen. Es iſt bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es durchaus verſchmähen, von thieriſchen Stoffen ſich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klaſſen der Wirbel- thiere iſt Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach ſind Raubthiere, und gerade diejenigen, welche wir als die harmloſeſten anzuſehen gewohnt ſind, unſere Singvögel, leben faſt aus- ſchließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet iſt es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff „Raubthier‟ auf eine einzige Ordnung zu beſchränken; wir nehmen ſogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln ſprechen, obwohl ſie ſich ausſchließlich faſt von Wirbelthieren ernähren. Jch laſſe es dahin geſtellt ſein, ob eine ſo milde Beurtheilung der räuberiſchen Thätigkeit der Vögel ſich auf die Liebe zu den gefiederten Geſchöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigſtens die kleinen gefiederten Räuber uns leiſten.
Die räuberiſche Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier als Ordnungen anſehen wollen, ſo auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erſcheinen kann, ſie in einer beſonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieſelbe einzuſchließenden Vögel nähren ſich, wenn auch nicht ausſchließlich, ſo doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweiſe, zeitweilig oder nebenbei, von Früchten. Sie ſtellen den von ihnen befehdeten Geſchöpfen mit großem Eifer nach und verfolgen ſie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der Bäume oder ſelbſt im Waſſer; ſie tödten ſie, nachdem ſie dieſelben ergriffen haben oder nehmen die von ihnen aufgefundenen Leichen in Beſitz: ſie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub- ſäugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubſäugethiere ebenfalls thun, und ſo haben wir noch eine Berechtigung mehr, unſere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu vergleichen.
Die Reihe der Fänger begreift in ſich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel. Jede dieſer Ordnungen behauptet ſelbſtverſtändlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtſchaft aller Ordnungen unter ſich iſt jedoch eine ſehr enge, obgleich Dies erſt dann bemerklich werden dürfte, nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieſes Ganze als eine allſeitig abgeſchloſſene Abtheilung der Klaſſe zu betrachten. Die durchgehende Uebereinſtimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner
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Zweite Reihe.
Fänger (Captantes).
Wollten wir bei den Vögeln in demſelben Sinne von Raubthieren ſprechen, wie wir es bei den
Säugethieren gethan haben, ſo würden wir kaum eine einzige Ordnung als Nichträuber kennen lernen.
Es iſt bezeichnend für die Säugethiere, daß es unter ihnen Familien und Ordnungen gibt, welche es
durchaus verſchmähen, von thieriſchen Stoffen ſich zu ernähren; denn bei allen übrigen Klaſſen der Wirbel-
thiere iſt Solches nicht der Fall. Die Vögel ihrer großen Menge nach ſind Raubthiere, und gerade
diejenigen, welche wir als die harmloſeſten anzuſehen gewohnt ſind, unſere Singvögel, leben faſt aus-
ſchließlich von anderen Thieren und verzehren Früchte oder Körner nur nebenbei. Demungeachtet iſt
es gebräuchlich geworden, bei den Vögeln den Begriff „Raubthier‟ auf eine einzige Ordnung zu
beſchränken; wir nehmen ſogar die Strand- und Seevögel aus, wenn wir von Raubvögeln ſprechen,
obwohl ſie ſich ausſchließlich faſt von Wirbelthieren ernähren. Jch laſſe es dahin geſtellt ſein, ob eine
ſo milde Beurtheilung der räuberiſchen Thätigkeit der Vögel ſich auf die Liebe zu den gefiederten
Geſchöpfen überhaupt begründet oder auf der Anerkennung des Nutzens beruht, welchen wenigſtens die
kleinen gefiederten Räuber uns leiſten.
Die räuberiſche Thätigkeit der Vögel tritt jedoch bei einigen größeren Abtheilungen, welche wir hier
als Ordnungen anſehen wollen, ſo auffallend hervor, daß es gerechtfertigt erſcheinen kann, ſie in einer
beſonderen Reihe zu vereinigen. Alle die in dieſelbe einzuſchließenden Vögel nähren ſich, wenn auch
nicht ausſchließlich, ſo doch vorwaltend von anderen Thieren und nur ausnahmsweiſe, zeitweilig oder
nebenbei, von Früchten. Sie ſtellen den von ihnen befehdeten Geſchöpfen mit großem Eifer nach und
verfolgen ſie in länger oder kürzer währender Jagd in der Luft oder auf dem Boden, im Gezweig der
Bäume oder ſelbſt im Waſſer; ſie tödten ſie, nachdem ſie dieſelben ergriffen haben oder nehmen die
von ihnen aufgefundenen Leichen in Beſitz: ſie handeln mit einem Worte ganz nach Art der Raub-
ſäugethiere. Einige, jedoch nur wenige, verzehren auch Früchte, wie es die Raubſäugethiere ebenfalls
thun, und ſo haben wir noch eine Berechtigung mehr, unſere Fänger mit den vierfüßigen Räubern zu
vergleichen.
Die Reihe der Fänger begreift in ſich die Ordnung der Raubvögel im allgemein giltigen
Sinne, die Ordnung der Sperr- oder Schwalbenvögel und die Ordnung der Singvögel.
Jede dieſer Ordnungen behauptet ſelbſtverſtändlich ihr eigenthümliches Gepräge; die Verwandtſchaft
aller Ordnungen unter ſich iſt jedoch eine ſehr enge, obgleich Dies erſt dann bemerklich werden dürfte,
nachdem man einen genügenden Ueberblick des Ganzen gewonnen. Ausdrücklich hervorheben will ich
übrigens, daß ich weit entfernt bin, dieſes Ganze als eine allſeitig abgeſchloſſene Abtheilung der Klaſſe
zu betrachten. Die durchgehende Uebereinſtimmung aller Vögel macht die Abgrenzung einzelner
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. [400]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/428>, abgerufen am 22.11.2024.
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