Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
geachtet die vielen und in jeder Hinsicht geeigneten Kirchen dieses Landes der Dohle die passendsten
Wohnplätze bieten, sahen wir sie doch in den Städten oder Dörfern niemals, sondern einzig und allein
in den öden, fast unbewohnten Theilen des sogenannten Campo, d. h. des nicht der Bewässerung unter-
worfenen Landstrichs, welcher nur stellenweise bewohnbar ist. Hier herbergten die Schwärme in den
steil abfallenden Wänden der vom Wasser ausgewaschenen Schluchten. Ein dort hausender Bauer
erzählte uns, daß vor wenigen Jahren ein Paar Dohlen in der Nähe seines Gehöftes erschienen sei
und sich in einer jener Schluchten angesiedelt habe. Die ausgeflogenen Jungen wären bei den
[Abbildung] Die Dohle oder Thurmkrähe (Monodula turrium).
Alten geblieben und hätten das nächste Jahr mit diesen gebrütet. Von Jahr zu Jahr habe der
Schwarm zugenommen, bis er die jetzt bedrohliche Stärke erreicht habe: -- eine bedrohliche Stärke;
denn keine Frucht gäbe es in der Nähe seiner Behausung, welche von diesen ungebetenen Gästen ver-
schont bliebe. Kein Thier auf der weiten Erde sei so hungrig und gefräßig, wie die Dohle. Jhr sei
Alles recht und Nichts vor ihr sicher, nicht einmal die Stachelfeigen, welche sie gar geschickt aus ihrer
Stachelhülle herauszuschälen wisse. Er habe alle Ursache, die abscheulichen Vögel zu verwünschen.

Der Mann war ungerecht: die Dohle verdient so bösen Leumund nicht. Sie ist ein munterer,
lebhafter, gewandter und kluger Vogel, welcher in seinem Betragen den Krähen zwar ähnelt, aber ent-
schieden liebenswürdiger ist. Unter allen Umständen weiß sie sich eine muntere Laune zu bewahren

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
geachtet die vielen und in jeder Hinſicht geeigneten Kirchen dieſes Landes der Dohle die paſſendſten
Wohnplätze bieten, ſahen wir ſie doch in den Städten oder Dörfern niemals, ſondern einzig und allein
in den öden, faſt unbewohnten Theilen des ſogenannten Campo, d. h. des nicht der Bewäſſerung unter-
worfenen Landſtrichs, welcher nur ſtellenweiſe bewohnbar iſt. Hier herbergten die Schwärme in den
ſteil abfallenden Wänden der vom Waſſer ausgewaſchenen Schluchten. Ein dort hauſender Bauer
erzählte uns, daß vor wenigen Jahren ein Paar Dohlen in der Nähe ſeines Gehöftes erſchienen ſei
und ſich in einer jener Schluchten angeſiedelt habe. Die ausgeflogenen Jungen wären bei den
[Abbildung] Die Dohle oder Thurmkrähe (Monodula turrium).
Alten geblieben und hätten das nächſte Jahr mit dieſen gebrütet. Von Jahr zu Jahr habe der
Schwarm zugenommen, bis er die jetzt bedrohliche Stärke erreicht habe: — eine bedrohliche Stärke;
denn keine Frucht gäbe es in der Nähe ſeiner Behauſung, welche von dieſen ungebetenen Gäſten ver-
ſchont bliebe. Kein Thier auf der weiten Erde ſei ſo hungrig und gefräßig, wie die Dohle. Jhr ſei
Alles recht und Nichts vor ihr ſicher, nicht einmal die Stachelfeigen, welche ſie gar geſchickt aus ihrer
Stachelhülle herauszuſchälen wiſſe. Er habe alle Urſache, die abſcheulichen Vögel zu verwünſchen.

Der Mann war ungerecht: die Dohle verdient ſo böſen Leumund nicht. Sie iſt ein munterer,
lebhafter, gewandter und kluger Vogel, welcher in ſeinem Betragen den Krähen zwar ähnelt, aber ent-
ſchieden liebenswürdiger iſt. Unter allen Umſtänden weiß ſie ſich eine muntere Laune zu bewahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0388" n="360"/><fw place="top" type="header">Die Knacker. Rabenvögel. Raben.</fw><lb/>
geachtet die vielen und in jeder Hin&#x017F;icht geeigneten Kirchen die&#x017F;es Landes der Dohle die pa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten<lb/>
Wohnplätze bieten, &#x017F;ahen wir &#x017F;ie doch in den Städten oder Dörfern niemals, &#x017F;ondern einzig und allein<lb/>
in den öden, fa&#x017F;t unbewohnten Theilen des &#x017F;ogenannten Campo, d. h. des nicht der Bewä&#x017F;&#x017F;erung unter-<lb/>
worfenen Land&#x017F;trichs, welcher nur &#x017F;tellenwei&#x017F;e bewohnbar i&#x017F;t. Hier herbergten die Schwärme in den<lb/>
&#x017F;teil abfallenden Wänden der vom Wa&#x017F;&#x017F;er ausgewa&#x017F;chenen Schluchten. Ein dort hau&#x017F;ender Bauer<lb/>
erzählte uns, daß vor wenigen Jahren ein Paar Dohlen in der Nähe &#x017F;eines Gehöftes er&#x017F;chienen &#x017F;ei<lb/>
und &#x017F;ich in einer jener Schluchten ange&#x017F;iedelt habe. Die ausgeflogenen Jungen wären bei den<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Die Dohle oder Thurmkrähe</hi> (<hi rendition="#aq">Monodula turrium</hi>).</hi></head></figure><lb/>
Alten geblieben und hätten das näch&#x017F;te Jahr mit die&#x017F;en gebrütet. Von Jahr zu Jahr habe der<lb/>
Schwarm zugenommen, bis er die jetzt bedrohliche Stärke erreicht habe: &#x2014; eine bedrohliche Stärke;<lb/>
denn keine Frucht gäbe es in der Nähe &#x017F;einer Behau&#x017F;ung, welche von die&#x017F;en ungebetenen Gä&#x017F;ten ver-<lb/>
&#x017F;chont bliebe. Kein Thier auf der weiten Erde &#x017F;ei &#x017F;o hungrig und gefräßig, wie die Dohle. Jhr &#x017F;ei<lb/>
Alles recht und Nichts vor ihr &#x017F;icher, nicht einmal die Stachelfeigen, welche &#x017F;ie gar ge&#x017F;chickt aus ihrer<lb/>
Stachelhülle herauszu&#x017F;chälen wi&#x017F;&#x017F;e. Er habe alle Ur&#x017F;ache, die ab&#x017F;cheulichen Vögel zu verwün&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Der Mann war ungerecht: die Dohle verdient &#x017F;o bö&#x017F;en Leumund nicht. Sie i&#x017F;t ein munterer,<lb/>
lebhafter, gewandter und kluger Vogel, welcher in &#x017F;einem Betragen den Krähen zwar ähnelt, aber ent-<lb/>
&#x017F;chieden liebenswürdiger i&#x017F;t. Unter allen Um&#x017F;tänden weiß &#x017F;ie &#x017F;ich eine muntere Laune zu bewahren<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0388] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. geachtet die vielen und in jeder Hinſicht geeigneten Kirchen dieſes Landes der Dohle die paſſendſten Wohnplätze bieten, ſahen wir ſie doch in den Städten oder Dörfern niemals, ſondern einzig und allein in den öden, faſt unbewohnten Theilen des ſogenannten Campo, d. h. des nicht der Bewäſſerung unter- worfenen Landſtrichs, welcher nur ſtellenweiſe bewohnbar iſt. Hier herbergten die Schwärme in den ſteil abfallenden Wänden der vom Waſſer ausgewaſchenen Schluchten. Ein dort hauſender Bauer erzählte uns, daß vor wenigen Jahren ein Paar Dohlen in der Nähe ſeines Gehöftes erſchienen ſei und ſich in einer jener Schluchten angeſiedelt habe. Die ausgeflogenen Jungen wären bei den [Abbildung Die Dohle oder Thurmkrähe (Monodula turrium).] Alten geblieben und hätten das nächſte Jahr mit dieſen gebrütet. Von Jahr zu Jahr habe der Schwarm zugenommen, bis er die jetzt bedrohliche Stärke erreicht habe: — eine bedrohliche Stärke; denn keine Frucht gäbe es in der Nähe ſeiner Behauſung, welche von dieſen ungebetenen Gäſten ver- ſchont bliebe. Kein Thier auf der weiten Erde ſei ſo hungrig und gefräßig, wie die Dohle. Jhr ſei Alles recht und Nichts vor ihr ſicher, nicht einmal die Stachelfeigen, welche ſie gar geſchickt aus ihrer Stachelhülle herauszuſchälen wiſſe. Er habe alle Urſache, die abſcheulichen Vögel zu verwünſchen. Der Mann war ungerecht: die Dohle verdient ſo böſen Leumund nicht. Sie iſt ein munterer, lebhafter, gewandter und kluger Vogel, welcher in ſeinem Betragen den Krähen zwar ähnelt, aber ent- ſchieden liebenswürdiger iſt. Unter allen Umſtänden weiß ſie ſich eine muntere Laune zu bewahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/388
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/388>, abgerufen am 24.11.2024.