zu erwerben. Die Jungen werden mit der größten Liebe von beiden Eltern gepflegt, gefüttert und bei Gefahr muthvoll vertheidigt.
Da, wo beide Krähenarten als Standvögel vorkommen, ist es durchaus nichts Seltenes, eine Nebelkrähe mit einer Rabenkrähe gepaart zu sehen. Es geschieht Dies ohne zwingende Nothwendigkeit; wenigstens kann man nicht wohl annehmen, daß da, wo es so viele Krähen gibt, ein Weibchen in die Verlegenheit kommen könne, sich ein Männchen von der andern Art suchen zu müssen oder umgekehrt. Naumann hat beobachtet, daß das Männchen einer Rabenkrähe, dessen Weibchen er getödtet hatte, sich einem Nebelkrähenweibchen anpaarte und mit diesem brütete, es also durchaus nicht für nöthig fand, sich eine gleichartige Gattin zu suchen. Die aus derartiger Ehe herrührenden Bastarde ähneln entweder dem Vater und bezüglich der Mutter, oder aber sie stehen hinsichtlich ihrer Färbung zwischen beiden Eltern mitten inne, wenn auch nicht in der strengen Bedeutung des Worts; denn es ist gerade- zu unmöglich, die unendliche Menge der Farbenverschiedenheiten, welche diese Bastarde zeigen, anzu- geben. Nun soll es, und zwar ebenfalls nicht selten, auch vorkommen, daß zwei Bastarde sich mit einander verpaaren und Junge erzeugen, welche, wie man sagt, immer wieder in die beiden Haupt- arten zurückschlagen d. h. entweder die Färbung der Rabenkrähe zeigen, oder das Kleid der Nebelkrähe erhalten. Hierauf hauptsächlich begründet sich die Ansicht einiger Naturforscher, daß man beide Krähen als gleichartig zu betrachten habe. Jch glaube, daß diese Ansicht schon aus dem Grunde bedenklich ist, weil wir über Bastarde noch keineswegs hinlänglich unterrichtet sind, also gar nicht sagen können, ob sich eine Bastardfärbung wirklich durch Geschlechter hindurch erhält oder nicht.
Beide Krähenarten lassen sich ohne irgend welche Mühe jahrelang in der Gefangenschaft erhalten und leicht zähmen. Sie lernen auch sprechen, falls es der Lehrer nicht an Ausdauer fehlen läßt. Doch sind sie als Stuben- oder Hausvögel kaum zu empfehlen. Aus dem Zimmer verbannt sie ihre Unreinlichkeit oder richtiger der Geruch, welchen sie auch dann verbreiten, wenn ihr Besitzer den Käfig nach Kräften rein zu halten sich bemüht; im Gehöft oder Garten aber darf man sie auch nicht frei umherlaufen lassen, weil sie ebenso wie die Raben allerlei Unfug stiften. Die Sucht, glänzende Dinge aufzunehmen und zu verschleppen, theilen sie mit ihren schwächeren Verwandten, die Raub- und Mordlust mit dem Kolkraben. Auch sie überfallen kleine Wirbelthiere, selbst junge Hunde und Katzen, haupt- sächlich aber das Geflügel, tödten es oder martern es wenigstens in abscheulicher Weise. Hühner und Taubennester werden von den Strolchen bald entdeckt und dann rücksichtslos geplündert.
Jm Fuchs und Baummarder, im Wanderfalken, dem Habicht und dem Uhu haben die Krähen Feinde, welche ihnen gefährlich werden können. Außerdem werden sie von mancherlei Schmarotzern, die sich in ihrem Gefieder einnisten, belästigt. Es ist wahrscheinlich, daß der Uhu den außerordent- lichen Haß, welchen die Krähen gegen ihn an den Tag legen, sich durch seine nächtlichen Anfälle auf die dann wehrlosen Vögel zugezogen hat; man weiß wenigstens mit Bestimmtheit, daß er ein ganz außerordentlicher Freund von Krähenfleisch ist. Seine nächtlichen Mordthaten werden von den Krähen nach besten Kräften vergolten. Weder der Uhu noch eine andere Eule dürfen sich bei Tage sehen lassen. Sobald einer der Nachtvögel entdeckt worden ist, entsteht ein ungeheurer Aufruhr in der ganzen Gegend. Sämmtliche Krähen eilen herbei und stoßen mit einer beispiellosen Wuth auf diesen Finsterling in Vogelgestalt. Auf diesen Haß gründet sich eine Jagdweise, welche besser Krähen gegenüber nicht angewandt werden sollte: die vor der Krähenhütte. Letztere ist ein größtentheils unter der Erde angelegter Bau mit Schießscharten, von welchen aus mehrere im rechten Abstande eingepflanzte dürre Bäume, die sogenannten Krakeln, beschossen werden können. Die Hütte selbst wird wo möglich auf der Kuppe eines Berges angelegt, welchen man erfahrungsmäßig als Zugstraße der Krähen und Raubvögel kennen gelernt hat. Ein lebender Uhu ist der Lockvogel im schlimmsten Sinne des Worts. Er wird vor der Hütte angefesselt und zeigt durch sein Augendrehen die Ankunft der Krähen und Raubvögel an. Die einen wie die andern versuchen, nachdem sie ihrerseits den Uhu gesehen haben, ihren Haß zu bethätigen und werden dabei von der Hütte aus niedergeschossen. Daß dieses Vergnügen gewöhnlich in eine Metzelei ausartet, braucht kaum erwähnt zu werden. Es läßt
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Raben- und Nebelkrähe.
zu erwerben. Die Jungen werden mit der größten Liebe von beiden Eltern gepflegt, gefüttert und bei Gefahr muthvoll vertheidigt.
Da, wo beide Krähenarten als Standvögel vorkommen, iſt es durchaus nichts Seltenes, eine Nebelkrähe mit einer Rabenkrähe gepaart zu ſehen. Es geſchieht Dies ohne zwingende Nothwendigkeit; wenigſtens kann man nicht wohl annehmen, daß da, wo es ſo viele Krähen gibt, ein Weibchen in die Verlegenheit kommen könne, ſich ein Männchen von der andern Art ſuchen zu müſſen oder umgekehrt. Naumann hat beobachtet, daß das Männchen einer Rabenkrähe, deſſen Weibchen er getödtet hatte, ſich einem Nebelkrähenweibchen anpaarte und mit dieſem brütete, es alſo durchaus nicht für nöthig fand, ſich eine gleichartige Gattin zu ſuchen. Die aus derartiger Ehe herrührenden Baſtarde ähneln entweder dem Vater und bezüglich der Mutter, oder aber ſie ſtehen hinſichtlich ihrer Färbung zwiſchen beiden Eltern mitten inne, wenn auch nicht in der ſtrengen Bedeutung des Worts; denn es iſt gerade- zu unmöglich, die unendliche Menge der Farbenverſchiedenheiten, welche dieſe Baſtarde zeigen, anzu- geben. Nun ſoll es, und zwar ebenfalls nicht ſelten, auch vorkommen, daß zwei Baſtarde ſich mit einander verpaaren und Junge erzeugen, welche, wie man ſagt, immer wieder in die beiden Haupt- arten zurückſchlagen d. h. entweder die Färbung der Rabenkrähe zeigen, oder das Kleid der Nebelkrähe erhalten. Hierauf hauptſächlich begründet ſich die Anſicht einiger Naturforſcher, daß man beide Krähen als gleichartig zu betrachten habe. Jch glaube, daß dieſe Anſicht ſchon aus dem Grunde bedenklich iſt, weil wir über Baſtarde noch keineswegs hinlänglich unterrichtet ſind, alſo gar nicht ſagen können, ob ſich eine Baſtardfärbung wirklich durch Geſchlechter hindurch erhält oder nicht.
Beide Krähenarten laſſen ſich ohne irgend welche Mühe jahrelang in der Gefangenſchaft erhalten und leicht zähmen. Sie lernen auch ſprechen, falls es der Lehrer nicht an Ausdauer fehlen läßt. Doch ſind ſie als Stuben- oder Hausvögel kaum zu empfehlen. Aus dem Zimmer verbannt ſie ihre Unreinlichkeit oder richtiger der Geruch, welchen ſie auch dann verbreiten, wenn ihr Beſitzer den Käfig nach Kräften rein zu halten ſich bemüht; im Gehöft oder Garten aber darf man ſie auch nicht frei umherlaufen laſſen, weil ſie ebenſo wie die Raben allerlei Unfug ſtiften. Die Sucht, glänzende Dinge aufzunehmen und zu verſchleppen, theilen ſie mit ihren ſchwächeren Verwandten, die Raub- und Mordluſt mit dem Kolkraben. Auch ſie überfallen kleine Wirbelthiere, ſelbſt junge Hunde und Katzen, haupt- ſächlich aber das Geflügel, tödten es oder martern es wenigſtens in abſcheulicher Weiſe. Hühner und Taubenneſter werden von den Strolchen bald entdeckt und dann rückſichtslos geplündert.
Jm Fuchs und Baummarder, im Wanderfalken, dem Habicht und dem Uhu haben die Krähen Feinde, welche ihnen gefährlich werden können. Außerdem werden ſie von mancherlei Schmarotzern, die ſich in ihrem Gefieder einniſten, beläſtigt. Es iſt wahrſcheinlich, daß der Uhu den außerordent- lichen Haß, welchen die Krähen gegen ihn an den Tag legen, ſich durch ſeine nächtlichen Anfälle auf die dann wehrloſen Vögel zugezogen hat; man weiß wenigſtens mit Beſtimmtheit, daß er ein ganz außerordentlicher Freund von Krähenfleiſch iſt. Seine nächtlichen Mordthaten werden von den Krähen nach beſten Kräften vergolten. Weder der Uhu noch eine andere Eule dürfen ſich bei Tage ſehen laſſen. Sobald einer der Nachtvögel entdeckt worden iſt, entſteht ein ungeheurer Aufruhr in der ganzen Gegend. Sämmtliche Krähen eilen herbei und ſtoßen mit einer beiſpielloſen Wuth auf dieſen Finſterling in Vogelgeſtalt. Auf dieſen Haß gründet ſich eine Jagdweiſe, welche beſſer Krähen gegenüber nicht angewandt werden ſollte: die vor der Krähenhütte. Letztere iſt ein größtentheils unter der Erde angelegter Bau mit Schießſcharten, von welchen aus mehrere im rechten Abſtande eingepflanzte dürre Bäume, die ſogenannten Krakeln, beſchoſſen werden können. Die Hütte ſelbſt wird wo möglich auf der Kuppe eines Berges angelegt, welchen man erfahrungsmäßig als Zugſtraße der Krähen und Raubvögel kennen gelernt hat. Ein lebender Uhu iſt der Lockvogel im ſchlimmſten Sinne des Worts. Er wird vor der Hütte angefeſſelt und zeigt durch ſein Augendrehen die Ankunft der Krähen und Raubvögel an. Die einen wie die andern verſuchen, nachdem ſie ihrerſeits den Uhu geſehen haben, ihren Haß zu bethätigen und werden dabei von der Hütte aus niedergeſchoſſen. Daß dieſes Vergnügen gewöhnlich in eine Metzelei ausartet, braucht kaum erwähnt zu werden. Es läßt
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[355/0383]
Raben- und Nebelkrähe.
zu erwerben. Die Jungen werden mit der größten Liebe von beiden Eltern gepflegt, gefüttert und
bei Gefahr muthvoll vertheidigt.
Da, wo beide Krähenarten als Standvögel vorkommen, iſt es durchaus nichts Seltenes, eine
Nebelkrähe mit einer Rabenkrähe gepaart zu ſehen. Es geſchieht Dies ohne zwingende Nothwendigkeit;
wenigſtens kann man nicht wohl annehmen, daß da, wo es ſo viele Krähen gibt, ein Weibchen in die
Verlegenheit kommen könne, ſich ein Männchen von der andern Art ſuchen zu müſſen oder umgekehrt.
Naumann hat beobachtet, daß das Männchen einer Rabenkrähe, deſſen Weibchen er getödtet hatte,
ſich einem Nebelkrähenweibchen anpaarte und mit dieſem brütete, es alſo durchaus nicht für nöthig
fand, ſich eine gleichartige Gattin zu ſuchen. Die aus derartiger Ehe herrührenden Baſtarde ähneln
entweder dem Vater und bezüglich der Mutter, oder aber ſie ſtehen hinſichtlich ihrer Färbung zwiſchen
beiden Eltern mitten inne, wenn auch nicht in der ſtrengen Bedeutung des Worts; denn es iſt gerade-
zu unmöglich, die unendliche Menge der Farbenverſchiedenheiten, welche dieſe Baſtarde zeigen, anzu-
geben. Nun ſoll es, und zwar ebenfalls nicht ſelten, auch vorkommen, daß zwei Baſtarde ſich mit
einander verpaaren und Junge erzeugen, welche, wie man ſagt, immer wieder in die beiden Haupt-
arten zurückſchlagen d. h. entweder die Färbung der Rabenkrähe zeigen, oder das Kleid der Nebelkrähe
erhalten. Hierauf hauptſächlich begründet ſich die Anſicht einiger Naturforſcher, daß man beide
Krähen als gleichartig zu betrachten habe. Jch glaube, daß dieſe Anſicht ſchon aus dem Grunde
bedenklich iſt, weil wir über Baſtarde noch keineswegs hinlänglich unterrichtet ſind, alſo gar nicht ſagen
können, ob ſich eine Baſtardfärbung wirklich durch Geſchlechter hindurch erhält oder nicht.
Beide Krähenarten laſſen ſich ohne irgend welche Mühe jahrelang in der Gefangenſchaft erhalten
und leicht zähmen. Sie lernen auch ſprechen, falls es der Lehrer nicht an Ausdauer fehlen läßt.
Doch ſind ſie als Stuben- oder Hausvögel kaum zu empfehlen. Aus dem Zimmer verbannt ſie ihre
Unreinlichkeit oder richtiger der Geruch, welchen ſie auch dann verbreiten, wenn ihr Beſitzer den Käfig
nach Kräften rein zu halten ſich bemüht; im Gehöft oder Garten aber darf man ſie auch nicht frei
umherlaufen laſſen, weil ſie ebenſo wie die Raben allerlei Unfug ſtiften. Die Sucht, glänzende Dinge
aufzunehmen und zu verſchleppen, theilen ſie mit ihren ſchwächeren Verwandten, die Raub- und Mordluſt
mit dem Kolkraben. Auch ſie überfallen kleine Wirbelthiere, ſelbſt junge Hunde und Katzen, haupt-
ſächlich aber das Geflügel, tödten es oder martern es wenigſtens in abſcheulicher Weiſe. Hühner und
Taubenneſter werden von den Strolchen bald entdeckt und dann rückſichtslos geplündert.
Jm Fuchs und Baummarder, im Wanderfalken, dem Habicht und dem Uhu haben die Krähen
Feinde, welche ihnen gefährlich werden können. Außerdem werden ſie von mancherlei Schmarotzern,
die ſich in ihrem Gefieder einniſten, beläſtigt. Es iſt wahrſcheinlich, daß der Uhu den außerordent-
lichen Haß, welchen die Krähen gegen ihn an den Tag legen, ſich durch ſeine nächtlichen Anfälle auf
die dann wehrloſen Vögel zugezogen hat; man weiß wenigſtens mit Beſtimmtheit, daß er ein ganz
außerordentlicher Freund von Krähenfleiſch iſt. Seine nächtlichen Mordthaten werden von den
Krähen nach beſten Kräften vergolten. Weder der Uhu noch eine andere Eule dürfen ſich bei Tage
ſehen laſſen. Sobald einer der Nachtvögel entdeckt worden iſt, entſteht ein ungeheurer Aufruhr in
der ganzen Gegend. Sämmtliche Krähen eilen herbei und ſtoßen mit einer beiſpielloſen Wuth auf
dieſen Finſterling in Vogelgeſtalt. Auf dieſen Haß gründet ſich eine Jagdweiſe, welche beſſer Krähen
gegenüber nicht angewandt werden ſollte: die vor der Krähenhütte. Letztere iſt ein größtentheils
unter der Erde angelegter Bau mit Schießſcharten, von welchen aus mehrere im rechten Abſtande
eingepflanzte dürre Bäume, die ſogenannten Krakeln, beſchoſſen werden können. Die Hütte ſelbſt
wird wo möglich auf der Kuppe eines Berges angelegt, welchen man erfahrungsmäßig als Zugſtraße
der Krähen und Raubvögel kennen gelernt hat. Ein lebender Uhu iſt der Lockvogel im ſchlimmſten
Sinne des Worts. Er wird vor der Hütte angefeſſelt und zeigt durch ſein Augendrehen die Ankunft
der Krähen und Raubvögel an. Die einen wie die andern verſuchen, nachdem ſie ihrerſeits den Uhu
geſehen haben, ihren Haß zu bethätigen und werden dabei von der Hütte aus niedergeſchoſſen. Daß
dieſes Vergnügen gewöhnlich in eine Metzelei ausartet, braucht kaum erwähnt zu werden. Es läßt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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