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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
wenigstens diese lebhaften Vögel noch schwärmend sich herumtreiben und mit dem Schnabel im Firn
nach eingesunkenen Kerbthieren hacken sieht."

"Wie fast alle Alpenthiere gelten auch die Schneekrähen für Wetterpropheten. Wenn im Früh-
ling noch rauhe Tage eintreten oder im Herbst die ersten Schneefälle die Hochthalsohle versilbern wol-
len, steigen diese Krähen scharenweise, bald hell krächzend, bald laut pfeifend in die Tiefe, verschwinden
aber sogleich wieder, wenn das Wetter wirklich rauh und schlimm geworden ist. Auch im härtesten
Winter verlassen sie nur auf kurze Zeit die Alpenreviere, um etwa in den Thalgründen dem Beeren-
reste der Büsche nachzugehen, und im Januar sieht man sie noch munter um die höchsten Felsenzinnen
kreisen. Sie fressen übrigens wie die übrigen Rabenarten alles Genießbare; im Sommer suchen sie
bisweilen die höchsten Bergkirschenbäume auf. Land- und Wasserschnecken verschlucken sie mit der
Schale (im Kropfe einer an der Spiegelalp im Dezember geschossenen Bergdohle fanden wir dreizehn
Landschnecken, meist Helirarten, unter denen kein leeres Häuschen war) und begnügen sich in der öde-
sten Nahrungszeit auch mit Baumknospen und Fichtennadeln. Auf thierische Ueberreste gehen sie so
gierig, wie die Kolkraben, und verfolgen in gewissen Fällen selbst lebende Thiere, wie echte Raub-
vögel. Jm Dezember 1853 sahen wir bei einer Jagd in der sogenannten Oehrligrube (am Säntis,
6200 Fuß über dem Meere) mit Erstaunen, wie auf den Knall der Flinte sich augenblicklich eine große
Schar von Schneekrähen sammelte, von denen vorher kein Stück zu sehen gewesen. Lange kreisten sie
lautpfeifend über dem angeschossenen Alpenhasen und verfolgten ihn, so lange sie den Flüchtling sehen
konnten. Um ein unzugängliches Felsenriff des gleichen Gebirges, auf dem eine angeschossene Gemse
verendet hatte (der Jäger, der sie kletternd erreichen wollte, stürzte zerschmettert in den Abgrund),
kreisten Monate lang, nachdem der Leichnam schon knochenblank genagt war, die krächzenden Berg-
dohlenscharen. Mit großer Unverschämtheit stoßen sie angesichts des Jägers auf den stöbernden
Dachshund. Jhre Beute theilen sie nicht in Frieden. Schreiend und zankend jagen sie einander die
Bissen ab und beißen und necken sich beständig; doch scheint ihre starke gesellige Neigung edler Art zu
sein. Wir haben oft bemerkt, wie der ganze Schwarm, wenn ein oder mehrere Stücke aus ihm weg-
geschossen wurden, mit heftig pfeifenden Klagetönen eine Zeitlang noch über den Erlegten schwebte."

"Kleineren Vögeln, deren sie sich lebend bemächtigen, und gefallenen Thieren hacken sie zuerst die
Hirnschale entzwei und fressen die Hirnhöhle gierig aus."

"Jhre oft gemeinsamen Nester sind in den Spalten und Höhlen der unzugänglichsten Kuppen
und darum noch selten beobachtet worden. Das einzelne Nest ist flach, groß, besteht aus Grashalmen
und hält in der Brütezeit fünf kräheneigroße Eier mit dunkelgrauen Flecken auf hellaschgrauem
Grunde. Die Schneekrähen bewohnen gewisse Felsengrotten ganze Geschlechter hindurch und bedecken
sie oft fußhoch mit ihrem Kothe (wie im Säntisstock im Schafloch ob dem Thunersee, im Däviloch am
Jtramengrath ob Grindelwald) -- Guanoplätze, die von den Sennen nicht leicht benutzt werden
können."

"Dieser Vogel ist einer von denjenigen", sagt Savi, "welche sich am leichtesten zähmen lassen
und die größte Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen. Man kann ihn Jahre lang halten, frei herum-
laufen und fliegen lassen. Er springt auf den Tisch und ißt mit Fleisch, Früchte, besonders Trauben,
Feigen, Kirschen, Schwarzbrod, trockenen Käse und Dotter. Er liebt die Milch und zieht bis-
weilen Wein dem Wasser vor. Wie die Raben hält er die Speisen, welche er zerreißen will, mit
den Klauen, versteckt das Uebrige und deckt es mit Papier, Splittern u. dgl. zu, setzt sich auch wohl
daneben und vertheidigt den Vorrath gegen Hunde und Menschen. Er hat ein seltsames Gelüfte zum
Feuer, zieht oft den brennenden Docht aus den Lampen und verschluckt denselben, holt ebenso des Winters
kleine Gluten aus dem Kamin, ohne daß es ihm im geringsten schadet. Er hat eine besondere Freude,
den Rauch aufsteigen zu sehen, und so oft er ein Kohlenbecken wahrnimmt, sucht er ein Stück Papier,
einen Lumpen oder einen Splitter, wirft es hinein und stellt sich dann davor, um den Rauch anzu-
sehen. Sollte man daher nicht vermuthen, daß dieser der "brandstiftende Vogel" (Avis incendiaria)
der Alten sei?"

Die Knacker. Rabenvögel. Raben.
wenigſtens dieſe lebhaften Vögel noch ſchwärmend ſich herumtreiben und mit dem Schnabel im Firn
nach eingeſunkenen Kerbthieren hacken ſieht.‟

„Wie faſt alle Alpenthiere gelten auch die Schneekrähen für Wetterpropheten. Wenn im Früh-
ling noch rauhe Tage eintreten oder im Herbſt die erſten Schneefälle die Hochthalſohle verſilbern wol-
len, ſteigen dieſe Krähen ſcharenweiſe, bald hell krächzend, bald laut pfeifend in die Tiefe, verſchwinden
aber ſogleich wieder, wenn das Wetter wirklich rauh und ſchlimm geworden iſt. Auch im härteſten
Winter verlaſſen ſie nur auf kurze Zeit die Alpenreviere, um etwa in den Thalgründen dem Beeren-
reſte der Büſche nachzugehen, und im Januar ſieht man ſie noch munter um die höchſten Felſenzinnen
kreiſen. Sie freſſen übrigens wie die übrigen Rabenarten alles Genießbare; im Sommer ſuchen ſie
bisweilen die höchſten Bergkirſchenbäume auf. Land- und Waſſerſchnecken verſchlucken ſie mit der
Schale (im Kropfe einer an der Spiegelalp im Dezember geſchoſſenen Bergdohle fanden wir dreizehn
Landſchnecken, meiſt Helirarten, unter denen kein leeres Häuschen war) und begnügen ſich in der öde-
ſten Nahrungszeit auch mit Baumknoſpen und Fichtennadeln. Auf thieriſche Ueberreſte gehen ſie ſo
gierig, wie die Kolkraben, und verfolgen in gewiſſen Fällen ſelbſt lebende Thiere, wie echte Raub-
vögel. Jm Dezember 1853 ſahen wir bei einer Jagd in der ſogenannten Oehrligrube (am Säntis,
6200 Fuß über dem Meere) mit Erſtaunen, wie auf den Knall der Flinte ſich augenblicklich eine große
Schar von Schneekrähen ſammelte, von denen vorher kein Stück zu ſehen geweſen. Lange kreiſten ſie
lautpfeifend über dem angeſchoſſenen Alpenhaſen und verfolgten ihn, ſo lange ſie den Flüchtling ſehen
konnten. Um ein unzugängliches Felſenriff des gleichen Gebirges, auf dem eine angeſchoſſene Gemſe
verendet hatte (der Jäger, der ſie kletternd erreichen wollte, ſtürzte zerſchmettert in den Abgrund),
kreiſten Monate lang, nachdem der Leichnam ſchon knochenblank genagt war, die krächzenden Berg-
dohlenſcharen. Mit großer Unverſchämtheit ſtoßen ſie angeſichts des Jägers auf den ſtöbernden
Dachshund. Jhre Beute theilen ſie nicht in Frieden. Schreiend und zankend jagen ſie einander die
Biſſen ab und beißen und necken ſich beſtändig; doch ſcheint ihre ſtarke geſellige Neigung edler Art zu
ſein. Wir haben oft bemerkt, wie der ganze Schwarm, wenn ein oder mehrere Stücke aus ihm weg-
geſchoſſen wurden, mit heftig pfeifenden Klagetönen eine Zeitlang noch über den Erlegten ſchwebte.‟

„Kleineren Vögeln, deren ſie ſich lebend bemächtigen, und gefallenen Thieren hacken ſie zuerſt die
Hirnſchale entzwei und freſſen die Hirnhöhle gierig aus.‟

„Jhre oft gemeinſamen Neſter ſind in den Spalten und Höhlen der unzugänglichſten Kuppen
und darum noch ſelten beobachtet worden. Das einzelne Neſt iſt flach, groß, beſteht aus Grashalmen
und hält in der Brütezeit fünf kräheneigroße Eier mit dunkelgrauen Flecken auf hellaſchgrauem
Grunde. Die Schneekrähen bewohnen gewiſſe Felſengrotten ganze Geſchlechter hindurch und bedecken
ſie oft fußhoch mit ihrem Kothe (wie im Säntisſtock im Schafloch ob dem Thunerſee, im Däviloch am
Jtramengrath ob Grindelwald) — Guanoplätze, die von den Sennen nicht leicht benutzt werden
können.‟

„Dieſer Vogel iſt einer von denjenigen‟, ſagt Savi, „welche ſich am leichteſten zähmen laſſen
und die größte Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen. Man kann ihn Jahre lang halten, frei herum-
laufen und fliegen laſſen. Er ſpringt auf den Tiſch und ißt mit Fleiſch, Früchte, beſonders Trauben,
Feigen, Kirſchen, Schwarzbrod, trockenen Käſe und Dotter. Er liebt die Milch und zieht bis-
weilen Wein dem Waſſer vor. Wie die Raben hält er die Speiſen, welche er zerreißen will, mit
den Klauen, verſteckt das Uebrige und deckt es mit Papier, Splittern u. dgl. zu, ſetzt ſich auch wohl
daneben und vertheidigt den Vorrath gegen Hunde und Menſchen. Er hat ein ſeltſames Gelüfte zum
Feuer, zieht oft den brennenden Docht aus den Lampen und verſchluckt denſelben, holt ebenſo des Winters
kleine Gluten aus dem Kamin, ohne daß es ihm im geringſten ſchadet. Er hat eine beſondere Freude,
den Rauch aufſteigen zu ſehen, und ſo oft er ein Kohlenbecken wahrnimmt, ſucht er ein Stück Papier,
einen Lumpen oder einen Splitter, wirft es hinein und ſtellt ſich dann davor, um den Rauch anzu-
ſehen. Sollte man daher nicht vermuthen, daß dieſer der „brandſtiftende Vogel‟ (Avis incendiaria)
der Alten ſei?‟

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[342/0368] Die Knacker. Rabenvögel. Raben. wenigſtens dieſe lebhaften Vögel noch ſchwärmend ſich herumtreiben und mit dem Schnabel im Firn nach eingeſunkenen Kerbthieren hacken ſieht.‟ „Wie faſt alle Alpenthiere gelten auch die Schneekrähen für Wetterpropheten. Wenn im Früh- ling noch rauhe Tage eintreten oder im Herbſt die erſten Schneefälle die Hochthalſohle verſilbern wol- len, ſteigen dieſe Krähen ſcharenweiſe, bald hell krächzend, bald laut pfeifend in die Tiefe, verſchwinden aber ſogleich wieder, wenn das Wetter wirklich rauh und ſchlimm geworden iſt. Auch im härteſten Winter verlaſſen ſie nur auf kurze Zeit die Alpenreviere, um etwa in den Thalgründen dem Beeren- reſte der Büſche nachzugehen, und im Januar ſieht man ſie noch munter um die höchſten Felſenzinnen kreiſen. Sie freſſen übrigens wie die übrigen Rabenarten alles Genießbare; im Sommer ſuchen ſie bisweilen die höchſten Bergkirſchenbäume auf. Land- und Waſſerſchnecken verſchlucken ſie mit der Schale (im Kropfe einer an der Spiegelalp im Dezember geſchoſſenen Bergdohle fanden wir dreizehn Landſchnecken, meiſt Helirarten, unter denen kein leeres Häuschen war) und begnügen ſich in der öde- ſten Nahrungszeit auch mit Baumknoſpen und Fichtennadeln. Auf thieriſche Ueberreſte gehen ſie ſo gierig, wie die Kolkraben, und verfolgen in gewiſſen Fällen ſelbſt lebende Thiere, wie echte Raub- vögel. Jm Dezember 1853 ſahen wir bei einer Jagd in der ſogenannten Oehrligrube (am Säntis, 6200 Fuß über dem Meere) mit Erſtaunen, wie auf den Knall der Flinte ſich augenblicklich eine große Schar von Schneekrähen ſammelte, von denen vorher kein Stück zu ſehen geweſen. Lange kreiſten ſie lautpfeifend über dem angeſchoſſenen Alpenhaſen und verfolgten ihn, ſo lange ſie den Flüchtling ſehen konnten. Um ein unzugängliches Felſenriff des gleichen Gebirges, auf dem eine angeſchoſſene Gemſe verendet hatte (der Jäger, der ſie kletternd erreichen wollte, ſtürzte zerſchmettert in den Abgrund), kreiſten Monate lang, nachdem der Leichnam ſchon knochenblank genagt war, die krächzenden Berg- dohlenſcharen. Mit großer Unverſchämtheit ſtoßen ſie angeſichts des Jägers auf den ſtöbernden Dachshund. Jhre Beute theilen ſie nicht in Frieden. Schreiend und zankend jagen ſie einander die Biſſen ab und beißen und necken ſich beſtändig; doch ſcheint ihre ſtarke geſellige Neigung edler Art zu ſein. Wir haben oft bemerkt, wie der ganze Schwarm, wenn ein oder mehrere Stücke aus ihm weg- geſchoſſen wurden, mit heftig pfeifenden Klagetönen eine Zeitlang noch über den Erlegten ſchwebte.‟ „Kleineren Vögeln, deren ſie ſich lebend bemächtigen, und gefallenen Thieren hacken ſie zuerſt die Hirnſchale entzwei und freſſen die Hirnhöhle gierig aus.‟ „Jhre oft gemeinſamen Neſter ſind in den Spalten und Höhlen der unzugänglichſten Kuppen und darum noch ſelten beobachtet worden. Das einzelne Neſt iſt flach, groß, beſteht aus Grashalmen und hält in der Brütezeit fünf kräheneigroße Eier mit dunkelgrauen Flecken auf hellaſchgrauem Grunde. Die Schneekrähen bewohnen gewiſſe Felſengrotten ganze Geſchlechter hindurch und bedecken ſie oft fußhoch mit ihrem Kothe (wie im Säntisſtock im Schafloch ob dem Thunerſee, im Däviloch am Jtramengrath ob Grindelwald) — Guanoplätze, die von den Sennen nicht leicht benutzt werden können.‟ „Dieſer Vogel iſt einer von denjenigen‟, ſagt Savi, „welche ſich am leichteſten zähmen laſſen und die größte Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen. Man kann ihn Jahre lang halten, frei herum- laufen und fliegen laſſen. Er ſpringt auf den Tiſch und ißt mit Fleiſch, Früchte, beſonders Trauben, Feigen, Kirſchen, Schwarzbrod, trockenen Käſe und Dotter. Er liebt die Milch und zieht bis- weilen Wein dem Waſſer vor. Wie die Raben hält er die Speiſen, welche er zerreißen will, mit den Klauen, verſteckt das Uebrige und deckt es mit Papier, Splittern u. dgl. zu, ſetzt ſich auch wohl daneben und vertheidigt den Vorrath gegen Hunde und Menſchen. Er hat ein ſeltſames Gelüfte zum Feuer, zieht oft den brennenden Docht aus den Lampen und verſchluckt denſelben, holt ebenſo des Winters kleine Gluten aus dem Kamin, ohne daß es ihm im geringſten ſchadet. Er hat eine beſondere Freude, den Rauch aufſteigen zu ſehen, und ſo oft er ein Kohlenbecken wahrnimmt, ſucht er ein Stück Papier, einen Lumpen oder einen Splitter, wirft es hinein und ſtellt ſich dann davor, um den Rauch anzu- ſehen. Sollte man daher nicht vermuthen, daß dieſer der „brandſtiftende Vogel‟ (Avis incendiaria) der Alten ſei?‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/368>, abgerufen am 24.11.2024.