gebraucht, daß man seine wahre Freude haben muß an dem Künstler, welcher ein so einfaches Werk- zeug so manchfach zu benutzen weiß. An Gefangenen unseres Thiergartens, welche einen mit Rasen- stücken belegten Gesellschaftsbauer bewohnen, habe ich beobachtet, daß sie Grasbüsche allerorten auf das Genaueste durchsuchen, indem sie ihren geschlossenen Schnabel zwischen die dichtstehenden Halmen einführen, ihn dann so weit als möglich spreizen und sich so Raum schaffen für die tastende Zunge, welche nunmehr verwendet werden kann. Jn derselben Weise werden auch Nitzen durchstöbert und unter Umständen vergrößert. Was dem Auge entgeht, spürt die Zunge aus -- was heute nicht gefunden wurde, deckt morgen den Tisch.
Unsere größeren Falkenarten, namentlich Habichte und Sperber, der Edelmarder, das Wiesel, das Eichhorn und die Siebenschläfer, die Krähen, Elstern und Heher sind schlimme Feinde der Staaren. Erstere stellen den Alten oder wenigstens den Flugbaren nach, die letzteren den Jungen, welche sie aus den Nesthöhlen hervorziehen, so muthvoll die Alten sie auch vertheidigen. Doch gleicht die starke Vermehrung des Vogels alle etwa erlittenen Verluste bald wieder aus, und auch seine Klugheit mindert die Gefahren. So hält er sich z. B., wenn er im Felde Nahrung sucht, in Gesellschaft von Krähen und Dohlen auf, macht sich deren Wachsamkeit bestmöglichst zu Nutze und entflieht bei Ankunft eines Raubthieres, namentlich eines Raubvogels, während dieser von den muthi- gen Krähen angegriffen wird. Vor den Nachstellungen des Menschen sichert ihn glücklicher Weise seine Liebenswürdigkeit und mehr noch sein wenig angenehmes, ja kaum genießbares Fleisch. Man stellt zwar hier und da Herde für die Staaren oder wendet andere Fangmittel gegen sie an, im ganzen jedoch kommt Dies nicht groß in Betracht.
Auffallend ist es, daß man so wenig Staaren in der Gefangenschaft sieht. Jhre Haltung verursacht durchaus keine Mühe, und sie ergötzen ihren Gebieter aufs höchste. Der Staar ist auch alt eingefan- gen, leicht zu zähmen und unzweifelhaft einer der angenehmsten und drolligsten Stubenvögel. "Hier zeigt er denn auch", sagt Naumann, "manche angenehme Eigenschaften, welche man im Freien nicht so an ihm beobachten kann. Er ist so klug wie ein Hund, sieht auf Mienen und Geberden seines Wärters und weiß daraus zu schließen, ob er gut oder böse auf ihn ist. Er ist immer lustig, in seinen Bewegungen schnell, aufmerksam auf Alles, was um ihn her vorgeht, neugierig, Alles zu begucken und zu beschnäbeln und weiß sich immerwährend zu beschäftigen. Mit andern Vögeln in einem Zim- mer lebt er verträglich; nur durch seine stete Unruhe und Neugierde wird er diesen zuweilen beschwer- lich. Meine Staaren trieben ihren Muthwillen mit den vielen andern Singvögeln, mit welchen sie eine andere geräumige Kammer bewohnten, oft so weit, daß sie ihnen die Nester dadurch zerstörten, daß sie die Baustoffe verzerrten, die Eier herauswarfen oder die kleinen Jungen herausschleppten. Als mich einstmals ein ungewöhnliches, allgemeines Schreien und Flattern an diese Kammer rief, sahe ich zu meiner Belustigung, wie einer meiner schadenfrohen Staaren ein großes Stück weißes Papier im Schnabel hatte, damit hinter den anderen Vögeln herflog und seine Freude an der unnützen Furcht und Angst dieser zu haben schien."
"Jmmer müssen sie Etwas vorhaben; sie befinden sich daher in der Stube oder in einem eigenen großen Vogelbehälter besser als in einem Käfige. Unter allen Eigenschaften, welche sie zu angeneh- men Stubenvögeln machen, ist jedoch ihre ausgezeichnete Gelehrigkeit die hervorstechendste. Die Jun- gen, welchen man übrigens die Zunge nicht zu lösen braucht, lernen nicht nur allerlei fremde Vögel- gesänge und Melodien, welche man ihnen vorpfeift, ganz vortrefflich und besser als irgend ein anderer Vogel nachpfeifen, sondern auch deutlich und vernehmlich menschliche Worte und kurze Redensarten nachsprechen; ja, man erzählt ein Beispiel, daß ein Staar das "Vater Unser" Wort für Wort und ohne Anstoß hersagen konnte."
"Als Knabe", erzählt Lenz, "besaß ich einen Staar, welcher zwei Liedchen pfiff, zwischen welche er immer noch den Staarengesang nebst zehnerlei andern Tönen mischte, und das Wort Spitzbube ganz deutlich aussprach. Drängte man ihn in eine Ecke und neckte ihn mit dem Finger, so wurde er wüthend, richtete sich auf den Zehen hoch empor, biß nach allen Seiten um sich, pfiff aus Leibeskräften
Die Knacker. Rabenvögel. Staaren.
gebraucht, daß man ſeine wahre Freude haben muß an dem Künſtler, welcher ein ſo einfaches Werk- zeug ſo manchfach zu benutzen weiß. An Gefangenen unſeres Thiergartens, welche einen mit Raſen- ſtücken belegten Geſellſchaftsbauer bewohnen, habe ich beobachtet, daß ſie Grasbüſche allerorten auf das Genaueſte durchſuchen, indem ſie ihren geſchloſſenen Schnabel zwiſchen die dichtſtehenden Halmen einführen, ihn dann ſo weit als möglich ſpreizen und ſich ſo Raum ſchaffen für die taſtende Zunge, welche nunmehr verwendet werden kann. Jn derſelben Weiſe werden auch Nitzen durchſtöbert und unter Umſtänden vergrößert. Was dem Auge entgeht, ſpürt die Zunge aus — was heute nicht gefunden wurde, deckt morgen den Tiſch.
Unſere größeren Falkenarten, namentlich Habichte und Sperber, der Edelmarder, das Wieſel, das Eichhorn und die Siebenſchläfer, die Krähen, Elſtern und Heher ſind ſchlimme Feinde der Staaren. Erſtere ſtellen den Alten oder wenigſtens den Flugbaren nach, die letzteren den Jungen, welche ſie aus den Neſthöhlen hervorziehen, ſo muthvoll die Alten ſie auch vertheidigen. Doch gleicht die ſtarke Vermehrung des Vogels alle etwa erlittenen Verluſte bald wieder aus, und auch ſeine Klugheit mindert die Gefahren. So hält er ſich z. B., wenn er im Felde Nahrung ſucht, in Geſellſchaft von Krähen und Dohlen auf, macht ſich deren Wachſamkeit beſtmöglichſt zu Nutze und entflieht bei Ankunft eines Raubthieres, namentlich eines Raubvogels, während dieſer von den muthi- gen Krähen angegriffen wird. Vor den Nachſtellungen des Menſchen ſichert ihn glücklicher Weiſe ſeine Liebenswürdigkeit und mehr noch ſein wenig angenehmes, ja kaum genießbares Fleiſch. Man ſtellt zwar hier und da Herde für die Staaren oder wendet andere Fangmittel gegen ſie an, im ganzen jedoch kommt Dies nicht groß in Betracht.
Auffallend iſt es, daß man ſo wenig Staaren in der Gefangenſchaft ſieht. Jhre Haltung verurſacht durchaus keine Mühe, und ſie ergötzen ihren Gebieter aufs höchſte. Der Staar iſt auch alt eingefan- gen, leicht zu zähmen und unzweifelhaft einer der angenehmſten und drolligſten Stubenvögel. „Hier zeigt er denn auch‟, ſagt Naumann, „manche angenehme Eigenſchaften, welche man im Freien nicht ſo an ihm beobachten kann. Er iſt ſo klug wie ein Hund, ſieht auf Mienen und Geberden ſeines Wärters und weiß daraus zu ſchließen, ob er gut oder böſe auf ihn iſt. Er iſt immer luſtig, in ſeinen Bewegungen ſchnell, aufmerkſam auf Alles, was um ihn her vorgeht, neugierig, Alles zu begucken und zu beſchnäbeln und weiß ſich immerwährend zu beſchäftigen. Mit andern Vögeln in einem Zim- mer lebt er verträglich; nur durch ſeine ſtete Unruhe und Neugierde wird er dieſen zuweilen beſchwer- lich. Meine Staaren trieben ihren Muthwillen mit den vielen andern Singvögeln, mit welchen ſie eine andere geräumige Kammer bewohnten, oft ſo weit, daß ſie ihnen die Neſter dadurch zerſtörten, daß ſie die Bauſtoffe verzerrten, die Eier herauswarfen oder die kleinen Jungen herausſchleppten. Als mich einſtmals ein ungewöhnliches, allgemeines Schreien und Flattern an dieſe Kammer rief, ſahe ich zu meiner Beluſtigung, wie einer meiner ſchadenfrohen Staaren ein großes Stück weißes Papier im Schnabel hatte, damit hinter den anderen Vögeln herflog und ſeine Freude an der unnützen Furcht und Angſt dieſer zu haben ſchien.‟
„Jmmer müſſen ſie Etwas vorhaben; ſie befinden ſich daher in der Stube oder in einem eigenen großen Vogelbehälter beſſer als in einem Käfige. Unter allen Eigenſchaften, welche ſie zu angeneh- men Stubenvögeln machen, iſt jedoch ihre ausgezeichnete Gelehrigkeit die hervorſtechendſte. Die Jun- gen, welchen man übrigens die Zunge nicht zu löſen braucht, lernen nicht nur allerlei fremde Vögel- geſänge und Melodien, welche man ihnen vorpfeift, ganz vortrefflich und beſſer als irgend ein anderer Vogel nachpfeifen, ſondern auch deutlich und vernehmlich menſchliche Worte und kurze Redensarten nachſprechen; ja, man erzählt ein Beiſpiel, daß ein Staar das „Vater Unſer‟ Wort für Wort und ohne Anſtoß herſagen konnte.‟
„Als Knabe‟, erzählt Lenz, „beſaß ich einen Staar, welcher zwei Liedchen pfiff, zwiſchen welche er immer noch den Staarengeſang nebſt zehnerlei andern Tönen miſchte, und das Wort Spitzbube ganz deutlich ausſprach. Drängte man ihn in eine Ecke und neckte ihn mit dem Finger, ſo wurde er wüthend, richtete ſich auf den Zehen hoch empor, biß nach allen Seiten um ſich, pfiff aus Leibeskräften
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0322"n="298"/><fwplace="top"type="header">Die Knacker. Rabenvögel. Staaren.</fw><lb/>
gebraucht, daß man ſeine wahre Freude haben muß an dem Künſtler, welcher ein ſo einfaches Werk-<lb/>
zeug ſo manchfach zu benutzen weiß. An Gefangenen unſeres Thiergartens, welche einen mit Raſen-<lb/>ſtücken belegten Geſellſchaftsbauer bewohnen, habe ich beobachtet, daß ſie Grasbüſche allerorten auf<lb/>
das Genaueſte durchſuchen, indem ſie ihren geſchloſſenen Schnabel zwiſchen die dichtſtehenden Halmen<lb/>
einführen, ihn dann ſo weit als möglich ſpreizen und ſich ſo Raum ſchaffen für die taſtende Zunge,<lb/>
welche nunmehr verwendet werden kann. Jn derſelben Weiſe werden auch Nitzen durchſtöbert und<lb/>
unter Umſtänden vergrößert. Was dem Auge entgeht, ſpürt die Zunge aus — was heute nicht<lb/>
gefunden wurde, deckt morgen den Tiſch.</p><lb/><p>Unſere größeren Falkenarten, namentlich <hirendition="#g">Habichte</hi> und <hirendition="#g">Sperber,</hi> der <hirendition="#g">Edelmarder,</hi> das<lb/><hirendition="#g">Wieſel,</hi> das <hirendition="#g">Eichhorn</hi> und die <hirendition="#g">Siebenſchläfer,</hi> die <hirendition="#g">Krähen, Elſtern</hi> und <hirendition="#g">Heher</hi>ſind ſchlimme<lb/>
Feinde der Staaren. Erſtere ſtellen den Alten oder wenigſtens den Flugbaren nach, die letzteren den<lb/>
Jungen, welche ſie aus den Neſthöhlen hervorziehen, ſo muthvoll die Alten ſie auch vertheidigen.<lb/>
Doch gleicht die ſtarke Vermehrung des Vogels alle etwa erlittenen Verluſte bald wieder aus, und auch<lb/>ſeine Klugheit mindert die Gefahren. So hält er ſich z. B., wenn er im Felde Nahrung ſucht, in<lb/>
Geſellſchaft von <hirendition="#g">Krähen</hi> und <hirendition="#g">Dohlen</hi> auf, macht ſich deren Wachſamkeit beſtmöglichſt zu Nutze und<lb/>
entflieht bei Ankunft eines Raubthieres, namentlich eines Raubvogels, während dieſer von den muthi-<lb/>
gen Krähen angegriffen wird. Vor den Nachſtellungen des Menſchen ſichert ihn glücklicher Weiſe ſeine<lb/>
Liebenswürdigkeit und mehr noch ſein wenig angenehmes, ja kaum genießbares Fleiſch. Man ſtellt<lb/>
zwar hier und da Herde für die Staaren oder wendet andere Fangmittel gegen ſie an, im ganzen jedoch<lb/>
kommt Dies nicht groß in Betracht.</p><lb/><p>Auffallend iſt es, daß man ſo wenig Staaren in der Gefangenſchaft ſieht. Jhre Haltung verurſacht<lb/>
durchaus keine Mühe, und ſie ergötzen ihren Gebieter aufs höchſte. Der Staar iſt auch alt eingefan-<lb/>
gen, leicht zu zähmen und unzweifelhaft einer der angenehmſten und drolligſten Stubenvögel. „Hier<lb/>
zeigt er denn auch‟, ſagt <hirendition="#g">Naumann,</hi>„manche angenehme Eigenſchaften, welche man im Freien nicht<lb/>ſo an ihm beobachten kann. Er iſt ſo klug wie ein Hund, ſieht auf Mienen und Geberden ſeines<lb/>
Wärters und weiß daraus zu ſchließen, ob er gut oder böſe auf ihn iſt. Er iſt immer luſtig, in ſeinen<lb/>
Bewegungen ſchnell, aufmerkſam auf Alles, was um ihn her vorgeht, neugierig, Alles zu begucken<lb/>
und zu beſchnäbeln und weiß ſich immerwährend zu beſchäftigen. Mit andern Vögeln in einem Zim-<lb/>
mer lebt er verträglich; nur durch ſeine ſtete Unruhe und Neugierde wird er dieſen zuweilen beſchwer-<lb/>
lich. Meine Staaren trieben ihren Muthwillen mit den vielen andern Singvögeln, mit welchen ſie<lb/>
eine andere geräumige Kammer bewohnten, oft ſo weit, daß ſie ihnen die Neſter dadurch zerſtörten, daß<lb/>ſie die Bauſtoffe verzerrten, die Eier herauswarfen oder die kleinen Jungen herausſchleppten. Als<lb/>
mich einſtmals ein ungewöhnliches, allgemeines Schreien und Flattern an dieſe Kammer rief, ſahe<lb/>
ich zu meiner Beluſtigung, wie einer meiner ſchadenfrohen Staaren ein großes Stück weißes Papier<lb/>
im Schnabel hatte, damit hinter den anderen Vögeln herflog und ſeine Freude an der unnützen Furcht<lb/>
und Angſt dieſer zu haben ſchien.‟</p><lb/><p>„Jmmer müſſen ſie Etwas vorhaben; ſie befinden ſich daher in der Stube oder in einem eigenen<lb/>
großen Vogelbehälter beſſer als in einem Käfige. Unter allen Eigenſchaften, welche ſie zu angeneh-<lb/>
men Stubenvögeln machen, iſt jedoch ihre ausgezeichnete Gelehrigkeit die hervorſtechendſte. Die Jun-<lb/>
gen, welchen man übrigens die Zunge nicht zu löſen braucht, lernen nicht nur allerlei fremde Vögel-<lb/>
geſänge und Melodien, welche man ihnen vorpfeift, ganz vortrefflich und beſſer als irgend ein anderer<lb/>
Vogel nachpfeifen, ſondern auch deutlich und vernehmlich menſchliche Worte und kurze Redensarten<lb/>
nachſprechen; ja, man erzählt ein Beiſpiel, daß ein Staar das „Vater Unſer‟ Wort für Wort und ohne<lb/>
Anſtoß herſagen konnte.‟</p><lb/><p>„Als Knabe‟, erzählt <hirendition="#g">Lenz,</hi>„beſaß ich einen Staar, welcher zwei Liedchen pfiff, zwiſchen welche<lb/>
er immer noch den Staarengeſang nebſt zehnerlei andern Tönen miſchte, und das Wort Spitzbube<lb/>
ganz deutlich ausſprach. Drängte man ihn in eine Ecke und neckte ihn mit dem Finger, ſo wurde er<lb/>
wüthend, richtete ſich auf den Zehen hoch empor, biß nach allen Seiten um ſich, pfiff aus Leibeskräften<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[298/0322]
Die Knacker. Rabenvögel. Staaren.
gebraucht, daß man ſeine wahre Freude haben muß an dem Künſtler, welcher ein ſo einfaches Werk-
zeug ſo manchfach zu benutzen weiß. An Gefangenen unſeres Thiergartens, welche einen mit Raſen-
ſtücken belegten Geſellſchaftsbauer bewohnen, habe ich beobachtet, daß ſie Grasbüſche allerorten auf
das Genaueſte durchſuchen, indem ſie ihren geſchloſſenen Schnabel zwiſchen die dichtſtehenden Halmen
einführen, ihn dann ſo weit als möglich ſpreizen und ſich ſo Raum ſchaffen für die taſtende Zunge,
welche nunmehr verwendet werden kann. Jn derſelben Weiſe werden auch Nitzen durchſtöbert und
unter Umſtänden vergrößert. Was dem Auge entgeht, ſpürt die Zunge aus — was heute nicht
gefunden wurde, deckt morgen den Tiſch.
Unſere größeren Falkenarten, namentlich Habichte und Sperber, der Edelmarder, das
Wieſel, das Eichhorn und die Siebenſchläfer, die Krähen, Elſtern und Heher ſind ſchlimme
Feinde der Staaren. Erſtere ſtellen den Alten oder wenigſtens den Flugbaren nach, die letzteren den
Jungen, welche ſie aus den Neſthöhlen hervorziehen, ſo muthvoll die Alten ſie auch vertheidigen.
Doch gleicht die ſtarke Vermehrung des Vogels alle etwa erlittenen Verluſte bald wieder aus, und auch
ſeine Klugheit mindert die Gefahren. So hält er ſich z. B., wenn er im Felde Nahrung ſucht, in
Geſellſchaft von Krähen und Dohlen auf, macht ſich deren Wachſamkeit beſtmöglichſt zu Nutze und
entflieht bei Ankunft eines Raubthieres, namentlich eines Raubvogels, während dieſer von den muthi-
gen Krähen angegriffen wird. Vor den Nachſtellungen des Menſchen ſichert ihn glücklicher Weiſe ſeine
Liebenswürdigkeit und mehr noch ſein wenig angenehmes, ja kaum genießbares Fleiſch. Man ſtellt
zwar hier und da Herde für die Staaren oder wendet andere Fangmittel gegen ſie an, im ganzen jedoch
kommt Dies nicht groß in Betracht.
Auffallend iſt es, daß man ſo wenig Staaren in der Gefangenſchaft ſieht. Jhre Haltung verurſacht
durchaus keine Mühe, und ſie ergötzen ihren Gebieter aufs höchſte. Der Staar iſt auch alt eingefan-
gen, leicht zu zähmen und unzweifelhaft einer der angenehmſten und drolligſten Stubenvögel. „Hier
zeigt er denn auch‟, ſagt Naumann, „manche angenehme Eigenſchaften, welche man im Freien nicht
ſo an ihm beobachten kann. Er iſt ſo klug wie ein Hund, ſieht auf Mienen und Geberden ſeines
Wärters und weiß daraus zu ſchließen, ob er gut oder böſe auf ihn iſt. Er iſt immer luſtig, in ſeinen
Bewegungen ſchnell, aufmerkſam auf Alles, was um ihn her vorgeht, neugierig, Alles zu begucken
und zu beſchnäbeln und weiß ſich immerwährend zu beſchäftigen. Mit andern Vögeln in einem Zim-
mer lebt er verträglich; nur durch ſeine ſtete Unruhe und Neugierde wird er dieſen zuweilen beſchwer-
lich. Meine Staaren trieben ihren Muthwillen mit den vielen andern Singvögeln, mit welchen ſie
eine andere geräumige Kammer bewohnten, oft ſo weit, daß ſie ihnen die Neſter dadurch zerſtörten, daß
ſie die Bauſtoffe verzerrten, die Eier herauswarfen oder die kleinen Jungen herausſchleppten. Als
mich einſtmals ein ungewöhnliches, allgemeines Schreien und Flattern an dieſe Kammer rief, ſahe
ich zu meiner Beluſtigung, wie einer meiner ſchadenfrohen Staaren ein großes Stück weißes Papier
im Schnabel hatte, damit hinter den anderen Vögeln herflog und ſeine Freude an der unnützen Furcht
und Angſt dieſer zu haben ſchien.‟
„Jmmer müſſen ſie Etwas vorhaben; ſie befinden ſich daher in der Stube oder in einem eigenen
großen Vogelbehälter beſſer als in einem Käfige. Unter allen Eigenſchaften, welche ſie zu angeneh-
men Stubenvögeln machen, iſt jedoch ihre ausgezeichnete Gelehrigkeit die hervorſtechendſte. Die Jun-
gen, welchen man übrigens die Zunge nicht zu löſen braucht, lernen nicht nur allerlei fremde Vögel-
geſänge und Melodien, welche man ihnen vorpfeift, ganz vortrefflich und beſſer als irgend ein anderer
Vogel nachpfeifen, ſondern auch deutlich und vernehmlich menſchliche Worte und kurze Redensarten
nachſprechen; ja, man erzählt ein Beiſpiel, daß ein Staar das „Vater Unſer‟ Wort für Wort und ohne
Anſtoß herſagen konnte.‟
„Als Knabe‟, erzählt Lenz, „beſaß ich einen Staar, welcher zwei Liedchen pfiff, zwiſchen welche
er immer noch den Staarengeſang nebſt zehnerlei andern Tönen miſchte, und das Wort Spitzbube
ganz deutlich ausſprach. Drängte man ihn in eine Ecke und neckte ihn mit dem Finger, ſo wurde er
wüthend, richtete ſich auf den Zehen hoch empor, biß nach allen Seiten um ſich, pfiff aus Leibeskräften
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/322>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.