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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Staar.
Wiesen oder auf dem Nohre nieder, und begeben sich endlich mit eintretender Nacht schnurrend, zwit-
schernd, pfeifend, singend, kreischend, zankend zur Ruhe, nachdem ein Jeder sein Plätzchen auf einem
Halme erwählt und erkämpft, und durch seine gewichtige Person den Halm niedergebogen hat. Bricht
der Halm unter der Last, so wird mit großem Lärm emporgeflogen und dann wieder mit Lärm ein
neuer gewählt. Tritt eine allgemeine Störung durch einen Schuß und dergl. ein, so erhebt sich die
ganze Armee tosend mit Saus und Braus gen Himmel und schwirrt dort wieder eine Zeitlang um-
her. -- Kommt Ende Septembers heran, so treiben die Scharen ihr geselliges, lustiges Leben weiter so
fort; aber die alten Paare gehn jetzt an ihre Nester zurück, fingen da morgens und abends, als wäre
gar kein Winter vor der Thür, verschwinden aber aus Deutschland und ziehen sammt der lieben Ju-
gend nach Süden, sobald die ersten starken Fröste eintreten oder der erste Schnee die Fluren deckt. Jst
die Witterung günstig, so bleiben sie bis zur letzten Woche Oktobers, oder zur ersten Novembers, dann
geht aber die Reise unaufhaltsam fort."

Jn der Winterherberge treiben sie es ebenso lustig wie in der Heimat. Jch habe sie im Januar
von den Thürmen der Domkirche zu Toledo hernieder und in Egypten von dem Rücken der Büffel
herab ihr Lied vortragen hören.

Der Staar verdient die größte Schonung; denn er macht sich durch Aufzehren der schädlichsten
Kerbthiere, Würmer und Schnecken ungemein verdient. "Bei keinem Vogel", sagt Lenz, "läßt sich
so bequem beobachten, wie viel Nutzen er thut, als bei dem Staar. Jst die erste Brut ausgekrochen,
so bringen die Alten in der Regel vormittags alle drei Minuten Futter zum Nest, nachmittags alle
fünf Minuten; macht jeden Vormittag in sieben Stunden 140 fette Schnecken (oder statt deren das
Gleichwerthige an Heuschrecken, Raupen und dergl.), nachmittags 84. Auf die zwei Alten rechne ich
für die Stunde wenigstens zusammen zehn Schnecken, macht in 14 Stunden 140; in Summa werden
also von der Familie täglich 364 fette Schnecken verzehrt. Jst dann die Brut ausgeflogen, so verbraucht
sie noch mehr; es kommt nun auch die zweite Brut hinzu, und ist auch diese ausgeflogen, so besteht
jede Familie aus zwölf Stück, und frißt dann jedes Mitglied in der Stunde fünf Schnecken, so ver-
tilgt die Staarenfamilie täglich
840 Schnecken. -- Jch habe in meinen Giebeln, unter den
Simsen, an den nahe bei meinen Gebäuden stehenden Bäumen zusammen 42 Nistkästen für Staaren.
Sind diese alle voll, und rechne ich auf jedes jährlich eine Familie von zwölf Stück, so stelle ich
allein von meiner Wohnung aus jährlich eine Menge von
504 Staaren ins Feld,
welche täglich ein Heer von
35,280 großen, dicken, fetten Schnecken niedermetzelt und
verschluckt. -- So lange ich lebe, waren die Staaren im gothaer Lande nur einzeln zu finden. Es sind
jetzt etwa zwölf Jahre her, wo ich den ersten Versuch machte, Nistkästchen für sie anzuschlagen; es zog
aber nicht ein einziger ein, und zwar, wie ich erst im Jahr 1856 einsah, einfach aus dem Grunde,
weil keiner hinein konnte, indem der Eingang zu eng war. Zu Anfang des genannten Jahres kam
ein neuer Förster nach Friedrichroda, begann überall Nistkästchen von richtiger Gestalt anzuschlagen,
und lud mich ein, seinem Beispiel zu folgen. Bald hatten wir durch Rath und That die Staaren-
zucht über das ganze Herzogthum Gotha und einen großen Theil des Thüringerwaldes verbreitet.
Schon im Herbst 1856 sah man fast bei allen Viehheerden Staaren, und deren hier und da bis 500
Stück zusammen. Jm Herbst 1857 stieg die Zahl schon ins Ungeheure: im Schilfe des Kumbacher
Teiches
(eine halbe Stunde von Schnepfenthal) übernachteten täglich 40,000 Stück, im Schilfe des
Neuen Teiches bei Waltershausen ebenfalls 40,000, im Schilfe des Siebleber Teiches bei
Gotha 100,000, Summa der von uns ins Feld gestellten Armee 180,000. -- Die Nahrung, welche
unsre 180,000 Staaren bedurften, belief sich täglich auf mindestens 12,600,000 große, dicke,
fette Schnecken.
"

Ein nahrungsuchender Staar ist eine allerliebste Erscheinung; die ihm angeborene Munterkeit und
Regsamkeit zeigt sich auch während seiner Mahlzeiten. Geschäftig läuft er auf dem Boden dahin, ruh-
los wendet er sich bald nach dieser, bald nach jener Seite, sorgsam durchspäht er jede Vertiefung, jeden
Ritz, jeden Grasbusch. Dabei wird der Schnabel mit so viel Geschick und in so vielseitiger Weise

Staar.
Wieſen oder auf dem Nohre nieder, und begeben ſich endlich mit eintretender Nacht ſchnurrend, zwit-
ſchernd, pfeifend, ſingend, kreiſchend, zankend zur Ruhe, nachdem ein Jeder ſein Plätzchen auf einem
Halme erwählt und erkämpft, und durch ſeine gewichtige Perſon den Halm niedergebogen hat. Bricht
der Halm unter der Laſt, ſo wird mit großem Lärm emporgeflogen und dann wieder mit Lärm ein
neuer gewählt. Tritt eine allgemeine Störung durch einen Schuß und dergl. ein, ſo erhebt ſich die
ganze Armee toſend mit Saus und Braus gen Himmel und ſchwirrt dort wieder eine Zeitlang um-
her. — Kommt Ende Septembers heran, ſo treiben die Scharen ihr geſelliges, luſtiges Leben weiter ſo
fort; aber die alten Paare gehn jetzt an ihre Neſter zurück, fingen da morgens und abends, als wäre
gar kein Winter vor der Thür, verſchwinden aber aus Deutſchland und ziehen ſammt der lieben Ju-
gend nach Süden, ſobald die erſten ſtarken Fröſte eintreten oder der erſte Schnee die Fluren deckt. Jſt
die Witterung günſtig, ſo bleiben ſie bis zur letzten Woche Oktobers, oder zur erſten Novembers, dann
geht aber die Reiſe unaufhaltſam fort.‟

Jn der Winterherberge treiben ſie es ebenſo luſtig wie in der Heimat. Jch habe ſie im Januar
von den Thürmen der Domkirche zu Toledo hernieder und in Egypten von dem Rücken der Büffel
herab ihr Lied vortragen hören.

Der Staar verdient die größte Schonung; denn er macht ſich durch Aufzehren der ſchädlichſten
Kerbthiere, Würmer und Schnecken ungemein verdient. „Bei keinem Vogel‟, ſagt Lenz, „läßt ſich
ſo bequem beobachten, wie viel Nutzen er thut, als bei dem Staar. Jſt die erſte Brut ausgekrochen,
ſo bringen die Alten in der Regel vormittags alle drei Minuten Futter zum Neſt, nachmittags alle
fünf Minuten; macht jeden Vormittag in ſieben Stunden 140 fette Schnecken (oder ſtatt deren das
Gleichwerthige an Heuſchrecken, Raupen und dergl.), nachmittags 84. Auf die zwei Alten rechne ich
für die Stunde wenigſtens zuſammen zehn Schnecken, macht in 14 Stunden 140; in Summa werden
alſo von der Familie täglich 364 fette Schnecken verzehrt. Jſt dann die Brut ausgeflogen, ſo verbraucht
ſie noch mehr; es kommt nun auch die zweite Brut hinzu, und iſt auch dieſe ausgeflogen, ſo beſteht
jede Familie aus zwölf Stück, und frißt dann jedes Mitglied in der Stunde fünf Schnecken, ſo ver-
tilgt die Staarenfamilie täglich
840 Schnecken. — Jch habe in meinen Giebeln, unter den
Simſen, an den nahe bei meinen Gebäuden ſtehenden Bäumen zuſammen 42 Niſtkäſten für Staaren.
Sind dieſe alle voll, und rechne ich auf jedes jährlich eine Familie von zwölf Stück, ſo ſtelle ich
allein von meiner Wohnung aus jährlich eine Menge von
504 Staaren ins Feld,
welche täglich ein Heer von
35,280 großen, dicken, fetten Schnecken niedermetzelt und
verſchluckt. — So lange ich lebe, waren die Staaren im gothaer Lande nur einzeln zu finden. Es ſind
jetzt etwa zwölf Jahre her, wo ich den erſten Verſuch machte, Niſtkäſtchen für ſie anzuſchlagen; es zog
aber nicht ein einziger ein, und zwar, wie ich erſt im Jahr 1856 einſah, einfach aus dem Grunde,
weil keiner hinein konnte, indem der Eingang zu eng war. Zu Anfang des genannten Jahres kam
ein neuer Förſter nach Friedrichroda, begann überall Niſtkäſtchen von richtiger Geſtalt anzuſchlagen,
und lud mich ein, ſeinem Beiſpiel zu folgen. Bald hatten wir durch Rath und That die Staaren-
zucht über das ganze Herzogthum Gotha und einen großen Theil des Thüringerwaldes verbreitet.
Schon im Herbſt 1856 ſah man faſt bei allen Viehheerden Staaren, und deren hier und da bis 500
Stück zuſammen. Jm Herbſt 1857 ſtieg die Zahl ſchon ins Ungeheure: im Schilfe des Kumbacher
Teiches
(eine halbe Stunde von Schnepfenthal) übernachteten täglich 40,000 Stück, im Schilfe des
Neuen Teiches bei Waltershauſen ebenfalls 40,000, im Schilfe des Siebleber Teiches bei
Gotha 100,000, Summa der von uns ins Feld geſtellten Armee 180,000. — Die Nahrung, welche
unſre 180,000 Staaren bedurften, belief ſich täglich auf mindeſtens 12,600,000 große, dicke,
fette Schnecken.

Ein nahrungſuchender Staar iſt eine allerliebſte Erſcheinung; die ihm angeborene Munterkeit und
Regſamkeit zeigt ſich auch während ſeiner Mahlzeiten. Geſchäftig läuft er auf dem Boden dahin, ruh-
los wendet er ſich bald nach dieſer, bald nach jener Seite, ſorgſam durchſpäht er jede Vertiefung, jeden
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[297/0321] Staar. Wieſen oder auf dem Nohre nieder, und begeben ſich endlich mit eintretender Nacht ſchnurrend, zwit- ſchernd, pfeifend, ſingend, kreiſchend, zankend zur Ruhe, nachdem ein Jeder ſein Plätzchen auf einem Halme erwählt und erkämpft, und durch ſeine gewichtige Perſon den Halm niedergebogen hat. Bricht der Halm unter der Laſt, ſo wird mit großem Lärm emporgeflogen und dann wieder mit Lärm ein neuer gewählt. Tritt eine allgemeine Störung durch einen Schuß und dergl. ein, ſo erhebt ſich die ganze Armee toſend mit Saus und Braus gen Himmel und ſchwirrt dort wieder eine Zeitlang um- her. — Kommt Ende Septembers heran, ſo treiben die Scharen ihr geſelliges, luſtiges Leben weiter ſo fort; aber die alten Paare gehn jetzt an ihre Neſter zurück, fingen da morgens und abends, als wäre gar kein Winter vor der Thür, verſchwinden aber aus Deutſchland und ziehen ſammt der lieben Ju- gend nach Süden, ſobald die erſten ſtarken Fröſte eintreten oder der erſte Schnee die Fluren deckt. Jſt die Witterung günſtig, ſo bleiben ſie bis zur letzten Woche Oktobers, oder zur erſten Novembers, dann geht aber die Reiſe unaufhaltſam fort.‟ Jn der Winterherberge treiben ſie es ebenſo luſtig wie in der Heimat. Jch habe ſie im Januar von den Thürmen der Domkirche zu Toledo hernieder und in Egypten von dem Rücken der Büffel herab ihr Lied vortragen hören. Der Staar verdient die größte Schonung; denn er macht ſich durch Aufzehren der ſchädlichſten Kerbthiere, Würmer und Schnecken ungemein verdient. „Bei keinem Vogel‟, ſagt Lenz, „läßt ſich ſo bequem beobachten, wie viel Nutzen er thut, als bei dem Staar. Jſt die erſte Brut ausgekrochen, ſo bringen die Alten in der Regel vormittags alle drei Minuten Futter zum Neſt, nachmittags alle fünf Minuten; macht jeden Vormittag in ſieben Stunden 140 fette Schnecken (oder ſtatt deren das Gleichwerthige an Heuſchrecken, Raupen und dergl.), nachmittags 84. Auf die zwei Alten rechne ich für die Stunde wenigſtens zuſammen zehn Schnecken, macht in 14 Stunden 140; in Summa werden alſo von der Familie täglich 364 fette Schnecken verzehrt. Jſt dann die Brut ausgeflogen, ſo verbraucht ſie noch mehr; es kommt nun auch die zweite Brut hinzu, und iſt auch dieſe ausgeflogen, ſo beſteht jede Familie aus zwölf Stück, und frißt dann jedes Mitglied in der Stunde fünf Schnecken, ſo ver- tilgt die Staarenfamilie täglich 840 Schnecken. — Jch habe in meinen Giebeln, unter den Simſen, an den nahe bei meinen Gebäuden ſtehenden Bäumen zuſammen 42 Niſtkäſten für Staaren. Sind dieſe alle voll, und rechne ich auf jedes jährlich eine Familie von zwölf Stück, ſo ſtelle ich allein von meiner Wohnung aus jährlich eine Menge von 504 Staaren ins Feld, welche täglich ein Heer von 35,280 großen, dicken, fetten Schnecken niedermetzelt und verſchluckt. — So lange ich lebe, waren die Staaren im gothaer Lande nur einzeln zu finden. Es ſind jetzt etwa zwölf Jahre her, wo ich den erſten Verſuch machte, Niſtkäſtchen für ſie anzuſchlagen; es zog aber nicht ein einziger ein, und zwar, wie ich erſt im Jahr 1856 einſah, einfach aus dem Grunde, weil keiner hinein konnte, indem der Eingang zu eng war. Zu Anfang des genannten Jahres kam ein neuer Förſter nach Friedrichroda, begann überall Niſtkäſtchen von richtiger Geſtalt anzuſchlagen, und lud mich ein, ſeinem Beiſpiel zu folgen. Bald hatten wir durch Rath und That die Staaren- zucht über das ganze Herzogthum Gotha und einen großen Theil des Thüringerwaldes verbreitet. Schon im Herbſt 1856 ſah man faſt bei allen Viehheerden Staaren, und deren hier und da bis 500 Stück zuſammen. Jm Herbſt 1857 ſtieg die Zahl ſchon ins Ungeheure: im Schilfe des Kumbacher Teiches (eine halbe Stunde von Schnepfenthal) übernachteten täglich 40,000 Stück, im Schilfe des Neuen Teiches bei Waltershauſen ebenfalls 40,000, im Schilfe des Siebleber Teiches bei Gotha 100,000, Summa der von uns ins Feld geſtellten Armee 180,000. — Die Nahrung, welche unſre 180,000 Staaren bedurften, belief ſich täglich auf mindeſtens 12,600,000 große, dicke, fette Schnecken.‟ Ein nahrungſuchender Staar iſt eine allerliebſte Erſcheinung; die ihm angeborene Munterkeit und Regſamkeit zeigt ſich auch während ſeiner Mahlzeiten. Geſchäftig läuft er auf dem Boden dahin, ruh- los wendet er ſich bald nach dieſer, bald nach jener Seite, ſorgſam durchſpäht er jede Vertiefung, jeden Ritz, jeden Grasbuſch. Dabei wird der Schnabel mit ſo viel Geſchick und in ſo vielſeitiger Weiſe

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/321>, abgerufen am 25.11.2024.