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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Elstervögelchen.
und rückten den Eltern immer näher bis dicht an den Napf heran. Der Klügste und Selbständigste
von ihnen machte endlich einen Versuch, ein Körnchen aufzunehmen, und siehe da, es ging. Es folg-
ten die Geschwister nach, und zumeist in wenig Lehrstunden wurde die Kunst erlernt."

"Jetzt verfügten sich die Lehrmeister an das ziemlich große Wassergefäß, welches sie ausnehmend
lieben, nicht blos um ihren Durst zu löschen, sondern um in überschwenglicher Weise wiederholt des
Tages, zumal bei Sonnenschein, zu baden. Selbst während des Brütens und während sie mit ihrem
Leibe ganz kleine Junge zu erwärmen hatten, verschmähten sie ein Bad nicht, und oft sah ich sie, nach-
dem sie das Wasser oberflächlich abgeschüttelt und sich ein wenig geputzt hatten, bald nach dem Bade
das Nest suchen. Sie saßen am Rande des Glasnapfes und stillten zuvörderst ihren Durst, dann
tauchten sie den Schnabel ein und verstanden mit schneller Bewegung des Kopfes das Wasser in weiten
Strahlen um und über sich her zu spritzen. Saßen die Jungen am Rand, den Eltern neugierig und
bedenklich zuschauend, da konnte es nicht fehlen, daß auch sie mit eingesprengt wurden. Anfangs schüt-
telten sie erschrocken ihr Gefieder, wichen wohl auch zurück, endlich aber schien ihnen das Spritzbad zu
behagen, und versuchten sie gar, ihren Eltern es nachzumachen. Da auf ein Mal versenkt sich die
Mutter vor den Augen ihrer staunenden Kinder in die Fluth, und in Wellen und Strahlen ergießt sich
das gepeitschte Element über die Leiber der gelehrigen Schüler. Erschreckt treten sie zurück oder wer-
den vom Rande hinweggespült. Die Mutter kommt heraus, tritt zu ihren Kindern, und ihr Gefieder
schüttelnd, sprengt sie dieselben nochmals tüchtig ein. Unterdessen taucht der Vater in das Bad, und
nachdem die Kinder von ihm dieselbe Lehre empfangen, haben sie sich vielleicht schon so weit ermannt,
daß der Kühnste ansetzt und probirt: zuerst mit dem Schnäbelchen, er lernt sich besprengen, dann
untersucht er mit dem Fuße, aber ja nur mit einem, ob er Grund fassen kann, plumps! da verliert er
das Gleichgewicht und da steht er mit beiden Beinen im Wasser. Schnell heraus! Noch ein Mal
probirt! Und siehe da, in dem seichten Wasser ist keine Gefahr! -- Jhm folgt der zweite und dritte,
rasch erlernt es die ganze Schar und bald wird ihnen ein Bad tägliches Bedürfniß und sichtliches
Vergnügen."

"Die Eltern schienen zu einer zweiten Brut Anstalt machen zu wollen. Seit längerer Zeit
schon pflegten sie tagsüber sich in den andern Erker des Käfigs zurückzuziehen, um ungestört von ihren
Plagegeistern Siesta zu halten, gewöhnlich aber nur, wenn diese auch der Ruhe pflegten. Selten nur
wagte es ein Junger, zu den Eltern hineinzuschlüpfen. Was man aber sonst wohl dem unverständi-
gen Kinde nachzusehen geneigt gewesen, wurde von jetzt an nicht mehr geduldet und nachdrücklich
gerügt. Jmmer noch hielten es die Eltern für ihre Pflicht, wenigstens nachtsüber bei ihren Kindern zu
sein und füllten dann, das halbe Dutzend vollmachend, den engen Raum des Nestes zum Erdrücken
an, so daß sich allmählich die bewegliche Drahtkuppel emporhob. Jch möchte wissen, welcher Wärme-
grad in diesem athmenden Federknäul geherrscht haben mag! Endlich waren die Jungen so weit
gediehen, daß sie der elterlichen Pflege und deren Wärme nicht mehr bedurften. Die Alten blieben
von heute an auch zur Nachtzeit in dem zweiten Erker hübsch für sich allein und duldeten durchaus
keine Zudringlichkeit ihrer Jungen mehr. Sie trugen Geniste ein und wendeten sich der Zukunft zu;
für ihre Kinder schienen sie keinen Sinn mehr zu haben. Mancherlei Störungen im Nestbau, die sich
die Jungen erlaubten, führten schließlich zu deren Verbannung aus dem Paradies ihrer Kindheit, in-
dem ich die auf Schritt und Tritt von den Alten mit Schnabelhieben verfolgten Vögelchen entfernte
(5. Dezember). So endete die Jdylle, die mir tagtäglich immer neue Unterhaltung geboten und
Frühlingsscenen in mein winterliches Stubenleben gezaubert hatte."

"Jch säuberte den Eingang des Nestes, dachte aber nicht anders, als daß die Vögel zur Abwechse-
lung den andern Erker sich für ihre neue Brut auserwählen würden, zumal sie schon seit einiger Zeit
dahin Geniste getragen hatten. Aber sie schienen Eile oder das alte Nest sehr liebgewonnen zu
haben. Jetzt wurde im Neste herum gearbeitet, einzelne Fäserchen entfernt, andere eingetragen, vor
Allem aber das weichste Material herausgesucht, wahrscheinlich, um damit das Lager aufzufüttern.
Drei Tage (8. Dezember) nach Trennung von den Jungen begann das Brüten oder wenigstens das

Elſtervögelchen.
und rückten den Eltern immer näher bis dicht an den Napf heran. Der Klügſte und Selbſtändigſte
von ihnen machte endlich einen Verſuch, ein Körnchen aufzunehmen, und ſiehe da, es ging. Es folg-
ten die Geſchwiſter nach, und zumeiſt in wenig Lehrſtunden wurde die Kunſt erlernt.‟

„Jetzt verfügten ſich die Lehrmeiſter an das ziemlich große Waſſergefäß, welches ſie ausnehmend
lieben, nicht blos um ihren Durſt zu löſchen, ſondern um in überſchwenglicher Weiſe wiederholt des
Tages, zumal bei Sonnenſchein, zu baden. Selbſt während des Brütens und während ſie mit ihrem
Leibe ganz kleine Junge zu erwärmen hatten, verſchmähten ſie ein Bad nicht, und oft ſah ich ſie, nach-
dem ſie das Waſſer oberflächlich abgeſchüttelt und ſich ein wenig geputzt hatten, bald nach dem Bade
das Neſt ſuchen. Sie ſaßen am Rande des Glasnapfes und ſtillten zuvörderſt ihren Durſt, dann
tauchten ſie den Schnabel ein und verſtanden mit ſchneller Bewegung des Kopfes das Waſſer in weiten
Strahlen um und über ſich her zu ſpritzen. Saßen die Jungen am Rand, den Eltern neugierig und
bedenklich zuſchauend, da konnte es nicht fehlen, daß auch ſie mit eingeſprengt wurden. Anfangs ſchüt-
telten ſie erſchrocken ihr Gefieder, wichen wohl auch zurück, endlich aber ſchien ihnen das Spritzbad zu
behagen, und verſuchten ſie gar, ihren Eltern es nachzumachen. Da auf ein Mal verſenkt ſich die
Mutter vor den Augen ihrer ſtaunenden Kinder in die Fluth, und in Wellen und Strahlen ergießt ſich
das gepeitſchte Element über die Leiber der gelehrigen Schüler. Erſchreckt treten ſie zurück oder wer-
den vom Rande hinweggeſpült. Die Mutter kommt heraus, tritt zu ihren Kindern, und ihr Gefieder
ſchüttelnd, ſprengt ſie dieſelben nochmals tüchtig ein. Unterdeſſen taucht der Vater in das Bad, und
nachdem die Kinder von ihm dieſelbe Lehre empfangen, haben ſie ſich vielleicht ſchon ſo weit ermannt,
daß der Kühnſte anſetzt und probirt: zuerſt mit dem Schnäbelchen, er lernt ſich beſprengen, dann
unterſucht er mit dem Fuße, aber ja nur mit einem, ob er Grund faſſen kann, plumps! da verliert er
das Gleichgewicht und da ſteht er mit beiden Beinen im Waſſer. Schnell heraus! Noch ein Mal
probirt! Und ſiehe da, in dem ſeichten Waſſer iſt keine Gefahr! — Jhm folgt der zweite und dritte,
raſch erlernt es die ganze Schar und bald wird ihnen ein Bad tägliches Bedürfniß und ſichtliches
Vergnügen.‟

„Die Eltern ſchienen zu einer zweiten Brut Anſtalt machen zu wollen. Seit längerer Zeit
ſchon pflegten ſie tagsüber ſich in den andern Erker des Käfigs zurückzuziehen, um ungeſtört von ihren
Plagegeiſtern Sieſta zu halten, gewöhnlich aber nur, wenn dieſe auch der Ruhe pflegten. Selten nur
wagte es ein Junger, zu den Eltern hineinzuſchlüpfen. Was man aber ſonſt wohl dem unverſtändi-
gen Kinde nachzuſehen geneigt geweſen, wurde von jetzt an nicht mehr geduldet und nachdrücklich
gerügt. Jmmer noch hielten es die Eltern für ihre Pflicht, wenigſtens nachtsüber bei ihren Kindern zu
ſein und füllten dann, das halbe Dutzend vollmachend, den engen Raum des Neſtes zum Erdrücken
an, ſo daß ſich allmählich die bewegliche Drahtkuppel emporhob. Jch möchte wiſſen, welcher Wärme-
grad in dieſem athmenden Federknäul geherrſcht haben mag! Endlich waren die Jungen ſo weit
gediehen, daß ſie der elterlichen Pflege und deren Wärme nicht mehr bedurften. Die Alten blieben
von heute an auch zur Nachtzeit in dem zweiten Erker hübſch für ſich allein und duldeten durchaus
keine Zudringlichkeit ihrer Jungen mehr. Sie trugen Geniſte ein und wendeten ſich der Zukunft zu;
für ihre Kinder ſchienen ſie keinen Sinn mehr zu haben. Mancherlei Störungen im Neſtbau, die ſich
die Jungen erlaubten, führten ſchließlich zu deren Verbannung aus dem Paradies ihrer Kindheit, in-
dem ich die auf Schritt und Tritt von den Alten mit Schnabelhieben verfolgten Vögelchen entfernte
(5. Dezember). So endete die Jdylle, die mir tagtäglich immer neue Unterhaltung geboten und
Frühlingsſcenen in mein winterliches Stubenleben gezaubert hatte.‟

„Jch ſäuberte den Eingang des Neſtes, dachte aber nicht anders, als daß die Vögel zur Abwechſe-
lung den andern Erker ſich für ihre neue Brut auserwählen würden, zumal ſie ſchon ſeit einiger Zeit
dahin Geniſte getragen hatten. Aber ſie ſchienen Eile oder das alte Neſt ſehr liebgewonnen zu
haben. Jetzt wurde im Neſte herum gearbeitet, einzelne Fäſerchen entfernt, andere eingetragen, vor
Allem aber das weichſte Material herausgeſucht, wahrſcheinlich, um damit das Lager aufzufüttern.
Drei Tage (8. Dezember) nach Trennung von den Jungen begann das Brüten oder wenigſtens das

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[203/0223] Elſtervögelchen. und rückten den Eltern immer näher bis dicht an den Napf heran. Der Klügſte und Selbſtändigſte von ihnen machte endlich einen Verſuch, ein Körnchen aufzunehmen, und ſiehe da, es ging. Es folg- ten die Geſchwiſter nach, und zumeiſt in wenig Lehrſtunden wurde die Kunſt erlernt.‟ „Jetzt verfügten ſich die Lehrmeiſter an das ziemlich große Waſſergefäß, welches ſie ausnehmend lieben, nicht blos um ihren Durſt zu löſchen, ſondern um in überſchwenglicher Weiſe wiederholt des Tages, zumal bei Sonnenſchein, zu baden. Selbſt während des Brütens und während ſie mit ihrem Leibe ganz kleine Junge zu erwärmen hatten, verſchmähten ſie ein Bad nicht, und oft ſah ich ſie, nach- dem ſie das Waſſer oberflächlich abgeſchüttelt und ſich ein wenig geputzt hatten, bald nach dem Bade das Neſt ſuchen. Sie ſaßen am Rande des Glasnapfes und ſtillten zuvörderſt ihren Durſt, dann tauchten ſie den Schnabel ein und verſtanden mit ſchneller Bewegung des Kopfes das Waſſer in weiten Strahlen um und über ſich her zu ſpritzen. Saßen die Jungen am Rand, den Eltern neugierig und bedenklich zuſchauend, da konnte es nicht fehlen, daß auch ſie mit eingeſprengt wurden. Anfangs ſchüt- telten ſie erſchrocken ihr Gefieder, wichen wohl auch zurück, endlich aber ſchien ihnen das Spritzbad zu behagen, und verſuchten ſie gar, ihren Eltern es nachzumachen. Da auf ein Mal verſenkt ſich die Mutter vor den Augen ihrer ſtaunenden Kinder in die Fluth, und in Wellen und Strahlen ergießt ſich das gepeitſchte Element über die Leiber der gelehrigen Schüler. Erſchreckt treten ſie zurück oder wer- den vom Rande hinweggeſpült. Die Mutter kommt heraus, tritt zu ihren Kindern, und ihr Gefieder ſchüttelnd, ſprengt ſie dieſelben nochmals tüchtig ein. Unterdeſſen taucht der Vater in das Bad, und nachdem die Kinder von ihm dieſelbe Lehre empfangen, haben ſie ſich vielleicht ſchon ſo weit ermannt, daß der Kühnſte anſetzt und probirt: zuerſt mit dem Schnäbelchen, er lernt ſich beſprengen, dann unterſucht er mit dem Fuße, aber ja nur mit einem, ob er Grund faſſen kann, plumps! da verliert er das Gleichgewicht und da ſteht er mit beiden Beinen im Waſſer. Schnell heraus! Noch ein Mal probirt! Und ſiehe da, in dem ſeichten Waſſer iſt keine Gefahr! — Jhm folgt der zweite und dritte, raſch erlernt es die ganze Schar und bald wird ihnen ein Bad tägliches Bedürfniß und ſichtliches Vergnügen.‟ „Die Eltern ſchienen zu einer zweiten Brut Anſtalt machen zu wollen. Seit längerer Zeit ſchon pflegten ſie tagsüber ſich in den andern Erker des Käfigs zurückzuziehen, um ungeſtört von ihren Plagegeiſtern Sieſta zu halten, gewöhnlich aber nur, wenn dieſe auch der Ruhe pflegten. Selten nur wagte es ein Junger, zu den Eltern hineinzuſchlüpfen. Was man aber ſonſt wohl dem unverſtändi- gen Kinde nachzuſehen geneigt geweſen, wurde von jetzt an nicht mehr geduldet und nachdrücklich gerügt. Jmmer noch hielten es die Eltern für ihre Pflicht, wenigſtens nachtsüber bei ihren Kindern zu ſein und füllten dann, das halbe Dutzend vollmachend, den engen Raum des Neſtes zum Erdrücken an, ſo daß ſich allmählich die bewegliche Drahtkuppel emporhob. Jch möchte wiſſen, welcher Wärme- grad in dieſem athmenden Federknäul geherrſcht haben mag! Endlich waren die Jungen ſo weit gediehen, daß ſie der elterlichen Pflege und deren Wärme nicht mehr bedurften. Die Alten blieben von heute an auch zur Nachtzeit in dem zweiten Erker hübſch für ſich allein und duldeten durchaus keine Zudringlichkeit ihrer Jungen mehr. Sie trugen Geniſte ein und wendeten ſich der Zukunft zu; für ihre Kinder ſchienen ſie keinen Sinn mehr zu haben. Mancherlei Störungen im Neſtbau, die ſich die Jungen erlaubten, führten ſchließlich zu deren Verbannung aus dem Paradies ihrer Kindheit, in- dem ich die auf Schritt und Tritt von den Alten mit Schnabelhieben verfolgten Vögelchen entfernte (5. Dezember). So endete die Jdylle, die mir tagtäglich immer neue Unterhaltung geboten und Frühlingsſcenen in mein winterliches Stubenleben gezaubert hatte.‟ „Jch ſäuberte den Eingang des Neſtes, dachte aber nicht anders, als daß die Vögel zur Abwechſe- lung den andern Erker ſich für ihre neue Brut auserwählen würden, zumal ſie ſchon ſeit einiger Zeit dahin Geniſte getragen hatten. Aber ſie ſchienen Eile oder das alte Neſt ſehr liebgewonnen zu haben. Jetzt wurde im Neſte herum gearbeitet, einzelne Fäſerchen entfernt, andere eingetragen, vor Allem aber das weichſte Material herausgeſucht, wahrſcheinlich, um damit das Lager aufzufüttern. Drei Tage (8. Dezember) nach Trennung von den Jungen begann das Brüten oder wenigſtens das

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/223>, abgerufen am 24.11.2024.