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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

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Die Knacker. Sperlingsvögel. Tangaras.
Vögeln sahen wir hier häufig auf der Spitze der höchsten Bäume den scharlachrothen Vogel im hellen
Sonnenlichte glänzen, wo er sich prachtvoll gegen den blauen Himmel malte, und waren entzückt von
diesem Anblick."

Nicht selten nahen sich die Tangaras aber auch den Pflanzerwohnungen und kommen selbst in
die Gärten herein, gewöhnlich als ungebetene Gäste, welche von Beeren und Früchten oder auch
wohl den Flachsknoten ihren Zoll erheben. Sie sind nirgends häufig, werden aber überall bemerkt:
der Sommerrothvogel ist eine in ganz Amerika bekannte Erscheinung. Seinen Namen führt er, weil
sein Aufenthalt in den vereinigten Staaten nur etwa vier Monate beträgt. Er erscheint im Monat
Mai und verläßt das Land wieder in der Mitte des Septembers. "Um diese Zeit", sagt Audubon,
"würde es schwer sein, ein einziges Paar Tangaras zu entdecken." Die scharlachrothe Tangara
erscheint etwas früher, bereits im April, und verläßt das Land auch später.

Der Sommerrothvogel wandert bei Tage, die Scharlachtangara bei Nacht, hoch über die Wälder
dahinstreifend, wobei beide oft ihren Lockton ausstoßen: -- zwei einfache Silben, welche Wilson
durch "Tschip Tschurr", Audubon durch "Tschiki, Tschuki, tschuk" wiedergibt. Es scheint, daß sie
sich auch auf dem Zuge kaum zu Gesellschaften vereinigen, sondern selbst während der Reise ihr einsames
Leben fortführen. Die Scharlachtangara ist nach den Angaben des Prinzen von Wied auch in
Brasilien ein häufiger Vogel, möglicherweise jedoch nur während der Wintermonate, welche sie unter
dem milden Himmel des Südens verbringt.

Das Betragen dieser Tangaras muß sehr einförmig sein, weil keiner von den gedachten Forschern
etwas Ausführliches zu erzählen weiß. Sie sprechen von der Pracht des Gefieders, von dem reizen-
den Anblick, welchen die Vögel gewähren, entschuldigen sie wegen ihrer Gesangsarmuth und sagen
höchstens noch, wie Wilson, daß sie bescheidene, zurückgezogene, friedliche Vögel seien. "Der Flug",
berichtet Audubon, "geschieht in einer gleitenden Weise, wenn sie durch den Wald ziehen, gewöhnlich
zwischen den Wipfelzweigen der Bäume dahin." Auf den Boden herab kommen sie selten; er bietet
ihnen auch die gesuchte Speise nicht. Jm Gezweig bewegen sie sich wenig, und nur selten zeigen sie
eine gewisse Lebhaftigkeit, indem sie sich aufrichten, mit den Flügeln schlagen und dabei ihre einfachen
Töne ausstoßen. Oefters sieht man sie einem vorüberziehenden Kerbthiere zu Liebe sich erheben, dieses
fliegend verfolgen und wo möglich im Fluge fangen; denn zeitweilig besteht ihre Nahrung, wie die der
meisten Verwandten, fast ausschließlich aus Kerbthieren. Wilson fand ihren Magen gefüllt mit den
Ueberresten der Bienen.

Das Nest ist ein schlechter Bau, welcher in den untern Zweigen eines Baumes angelegt wird,
gewöhnlich in einer Astgabel. Die Tangaras scheinen sich keine große Mühe zu geben, es zu verber-
gen. Prinz von Wied versichert, daß ein weiblicher Vogel, den er brütend fand, "höchst gemüthlich
sitzen blieb" und dem Forscher seine Betrachtungen ganz in der Nähe gestattete. Oft sieht man das
Nest auf Zweigen über befahrenen Wegen, in den Wäldern gewöhnlich auf den Bäumen, welche eine
offene Stelle umgeben. Trockene Halme und Wurzeln bilden die Außenwandungen, feineres Gras
den Ausbau. Es ist so wenig auf den Zweigen befestigt, daß man es durch Schütteln leicht herunter-
werfen kann.

Das Gelege besteht aus vier oder fünf Eiern von lichtblauer oder dunkelgrünlichblauer Farbe,
welche bei den Scharlachtangaras mit röthlichblauen und lichtpurpurnen Punkten getüpfelt sind. Beide
Geschlechter brüten zwölf Tage und füttern auch gemeinschaftlich die Jungen auf, hauptsächlich mit
Kerbthieren. Jm Anfang des Juni sieht man die ersten ausgeflogenen Jungen in Gesellschaft ihrer
Eltern, mit denen sie sich bis zur Zugzeit zusammenhalten.

Wilson erzählt eine hübsche Geschichte von der Elternliebe unserer Vögel: "Eines Tages fing
ich eine junge Scharlachtangara, welche erst vor wenig Tagen ihr Nest verlassen hatte. Jch trug sie
eine halbe Meile weit mit mir weg, steckte sie in einen Käfig und hing diesen im Garten ohnweit eines
Gelbvogel-Nestes auf, in welchem ich Junge wußte, hoffend, daß die Gelbvögel sich des Fremdlings
annehmen würden. Die arme Waise aber wurde, ungeachtet ihres kläglichen Geschreies, gänzlich

Die Knacker. Sperlingsvögel. Tangaras.
Vögeln ſahen wir hier häufig auf der Spitze der höchſten Bäume den ſcharlachrothen Vogel im hellen
Sonnenlichte glänzen, wo er ſich prachtvoll gegen den blauen Himmel malte, und waren entzückt von
dieſem Anblick.‟

Nicht ſelten nahen ſich die Tangaras aber auch den Pflanzerwohnungen und kommen ſelbſt in
die Gärten herein, gewöhnlich als ungebetene Gäſte, welche von Beeren und Früchten oder auch
wohl den Flachsknoten ihren Zoll erheben. Sie ſind nirgends häufig, werden aber überall bemerkt:
der Sommerrothvogel iſt eine in ganz Amerika bekannte Erſcheinung. Seinen Namen führt er, weil
ſein Aufenthalt in den vereinigten Staaten nur etwa vier Monate beträgt. Er erſcheint im Monat
Mai und verläßt das Land wieder in der Mitte des Septembers. „Um dieſe Zeit‟, ſagt Audubon,
„würde es ſchwer ſein, ein einziges Paar Tangaras zu entdecken.‟ Die ſcharlachrothe Tangara
erſcheint etwas früher, bereits im April, und verläßt das Land auch ſpäter.

Der Sommerrothvogel wandert bei Tage, die Scharlachtangara bei Nacht, hoch über die Wälder
dahinſtreifend, wobei beide oft ihren Lockton ausſtoßen: — zwei einfache Silben, welche Wilſon
durch „Tſchip Tſchurr‟, Audubon durch „Tſchiki, Tſchuki, tſchuk‟ wiedergibt. Es ſcheint, daß ſie
ſich auch auf dem Zuge kaum zu Geſellſchaften vereinigen, ſondern ſelbſt während der Reiſe ihr einſames
Leben fortführen. Die Scharlachtangara iſt nach den Angaben des Prinzen von Wied auch in
Braſilien ein häufiger Vogel, möglicherweiſe jedoch nur während der Wintermonate, welche ſie unter
dem milden Himmel des Südens verbringt.

Das Betragen dieſer Tangaras muß ſehr einförmig ſein, weil keiner von den gedachten Forſchern
etwas Ausführliches zu erzählen weiß. Sie ſprechen von der Pracht des Gefieders, von dem reizen-
den Anblick, welchen die Vögel gewähren, entſchuldigen ſie wegen ihrer Geſangsarmuth und ſagen
höchſtens noch, wie Wilſon, daß ſie beſcheidene, zurückgezogene, friedliche Vögel ſeien. „Der Flug‟,
berichtet Audubon, „geſchieht in einer gleitenden Weiſe, wenn ſie durch den Wald ziehen, gewöhnlich
zwiſchen den Wipfelzweigen der Bäume dahin.‟ Auf den Boden herab kommen ſie ſelten; er bietet
ihnen auch die geſuchte Speiſe nicht. Jm Gezweig bewegen ſie ſich wenig, und nur ſelten zeigen ſie
eine gewiſſe Lebhaftigkeit, indem ſie ſich aufrichten, mit den Flügeln ſchlagen und dabei ihre einfachen
Töne ausſtoßen. Oefters ſieht man ſie einem vorüberziehenden Kerbthiere zu Liebe ſich erheben, dieſes
fliegend verfolgen und wo möglich im Fluge fangen; denn zeitweilig beſteht ihre Nahrung, wie die der
meiſten Verwandten, faſt ausſchließlich aus Kerbthieren. Wilſon fand ihren Magen gefüllt mit den
Ueberreſten der Bienen.

Das Neſt iſt ein ſchlechter Bau, welcher in den untern Zweigen eines Baumes angelegt wird,
gewöhnlich in einer Aſtgabel. Die Tangaras ſcheinen ſich keine große Mühe zu geben, es zu verber-
gen. Prinz von Wied verſichert, daß ein weiblicher Vogel, den er brütend fand, „höchſt gemüthlich
ſitzen blieb‟ und dem Forſcher ſeine Betrachtungen ganz in der Nähe geſtattete. Oft ſieht man das
Neſt auf Zweigen über befahrenen Wegen, in den Wäldern gewöhnlich auf den Bäumen, welche eine
offene Stelle umgeben. Trockene Halme und Wurzeln bilden die Außenwandungen, feineres Gras
den Ausbau. Es iſt ſo wenig auf den Zweigen befeſtigt, daß man es durch Schütteln leicht herunter-
werfen kann.

Das Gelege beſteht aus vier oder fünf Eiern von lichtblauer oder dunkelgrünlichblauer Farbe,
welche bei den Scharlachtangaras mit röthlichblauen und lichtpurpurnen Punkten getüpfelt ſind. Beide
Geſchlechter brüten zwölf Tage und füttern auch gemeinſchaftlich die Jungen auf, hauptſächlich mit
Kerbthieren. Jm Anfang des Juni ſieht man die erſten ausgeflogenen Jungen in Geſellſchaft ihrer
Eltern, mit denen ſie ſich bis zur Zugzeit zuſammenhalten.

Wilſon erzählt eine hübſche Geſchichte von der Elternliebe unſerer Vögel: „Eines Tages fing
ich eine junge Scharlachtangara, welche erſt vor wenig Tagen ihr Neſt verlaſſen hatte. Jch trug ſie
eine halbe Meile weit mit mir weg, ſteckte ſie in einen Käfig und hing dieſen im Garten ohnweit eines
Gelbvogel-Neſtes auf, in welchem ich Junge wußte, hoffend, daß die Gelbvögel ſich des Fremdlings
annehmen würden. Die arme Waiſe aber wurde, ungeachtet ihres kläglichen Geſchreies, gänzlich

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[192/0212] Die Knacker. Sperlingsvögel. Tangaras. Vögeln ſahen wir hier häufig auf der Spitze der höchſten Bäume den ſcharlachrothen Vogel im hellen Sonnenlichte glänzen, wo er ſich prachtvoll gegen den blauen Himmel malte, und waren entzückt von dieſem Anblick.‟ Nicht ſelten nahen ſich die Tangaras aber auch den Pflanzerwohnungen und kommen ſelbſt in die Gärten herein, gewöhnlich als ungebetene Gäſte, welche von Beeren und Früchten oder auch wohl den Flachsknoten ihren Zoll erheben. Sie ſind nirgends häufig, werden aber überall bemerkt: der Sommerrothvogel iſt eine in ganz Amerika bekannte Erſcheinung. Seinen Namen führt er, weil ſein Aufenthalt in den vereinigten Staaten nur etwa vier Monate beträgt. Er erſcheint im Monat Mai und verläßt das Land wieder in der Mitte des Septembers. „Um dieſe Zeit‟, ſagt Audubon, „würde es ſchwer ſein, ein einziges Paar Tangaras zu entdecken.‟ Die ſcharlachrothe Tangara erſcheint etwas früher, bereits im April, und verläßt das Land auch ſpäter. Der Sommerrothvogel wandert bei Tage, die Scharlachtangara bei Nacht, hoch über die Wälder dahinſtreifend, wobei beide oft ihren Lockton ausſtoßen: — zwei einfache Silben, welche Wilſon durch „Tſchip Tſchurr‟, Audubon durch „Tſchiki, Tſchuki, tſchuk‟ wiedergibt. Es ſcheint, daß ſie ſich auch auf dem Zuge kaum zu Geſellſchaften vereinigen, ſondern ſelbſt während der Reiſe ihr einſames Leben fortführen. Die Scharlachtangara iſt nach den Angaben des Prinzen von Wied auch in Braſilien ein häufiger Vogel, möglicherweiſe jedoch nur während der Wintermonate, welche ſie unter dem milden Himmel des Südens verbringt. Das Betragen dieſer Tangaras muß ſehr einförmig ſein, weil keiner von den gedachten Forſchern etwas Ausführliches zu erzählen weiß. Sie ſprechen von der Pracht des Gefieders, von dem reizen- den Anblick, welchen die Vögel gewähren, entſchuldigen ſie wegen ihrer Geſangsarmuth und ſagen höchſtens noch, wie Wilſon, daß ſie beſcheidene, zurückgezogene, friedliche Vögel ſeien. „Der Flug‟, berichtet Audubon, „geſchieht in einer gleitenden Weiſe, wenn ſie durch den Wald ziehen, gewöhnlich zwiſchen den Wipfelzweigen der Bäume dahin.‟ Auf den Boden herab kommen ſie ſelten; er bietet ihnen auch die geſuchte Speiſe nicht. Jm Gezweig bewegen ſie ſich wenig, und nur ſelten zeigen ſie eine gewiſſe Lebhaftigkeit, indem ſie ſich aufrichten, mit den Flügeln ſchlagen und dabei ihre einfachen Töne ausſtoßen. Oefters ſieht man ſie einem vorüberziehenden Kerbthiere zu Liebe ſich erheben, dieſes fliegend verfolgen und wo möglich im Fluge fangen; denn zeitweilig beſteht ihre Nahrung, wie die der meiſten Verwandten, faſt ausſchließlich aus Kerbthieren. Wilſon fand ihren Magen gefüllt mit den Ueberreſten der Bienen. Das Neſt iſt ein ſchlechter Bau, welcher in den untern Zweigen eines Baumes angelegt wird, gewöhnlich in einer Aſtgabel. Die Tangaras ſcheinen ſich keine große Mühe zu geben, es zu verber- gen. Prinz von Wied verſichert, daß ein weiblicher Vogel, den er brütend fand, „höchſt gemüthlich ſitzen blieb‟ und dem Forſcher ſeine Betrachtungen ganz in der Nähe geſtattete. Oft ſieht man das Neſt auf Zweigen über befahrenen Wegen, in den Wäldern gewöhnlich auf den Bäumen, welche eine offene Stelle umgeben. Trockene Halme und Wurzeln bilden die Außenwandungen, feineres Gras den Ausbau. Es iſt ſo wenig auf den Zweigen befeſtigt, daß man es durch Schütteln leicht herunter- werfen kann. Das Gelege beſteht aus vier oder fünf Eiern von lichtblauer oder dunkelgrünlichblauer Farbe, welche bei den Scharlachtangaras mit röthlichblauen und lichtpurpurnen Punkten getüpfelt ſind. Beide Geſchlechter brüten zwölf Tage und füttern auch gemeinſchaftlich die Jungen auf, hauptſächlich mit Kerbthieren. Jm Anfang des Juni ſieht man die erſten ausgeflogenen Jungen in Geſellſchaft ihrer Eltern, mit denen ſie ſich bis zur Zugzeit zuſammenhalten. Wilſon erzählt eine hübſche Geſchichte von der Elternliebe unſerer Vögel: „Eines Tages fing ich eine junge Scharlachtangara, welche erſt vor wenig Tagen ihr Neſt verlaſſen hatte. Jch trug ſie eine halbe Meile weit mit mir weg, ſteckte ſie in einen Käfig und hing dieſen im Garten ohnweit eines Gelbvogel-Neſtes auf, in welchem ich Junge wußte, hoffend, daß die Gelbvögel ſich des Fremdlings annehmen würden. Die arme Waiſe aber wurde, ungeachtet ihres kläglichen Geſchreies, gänzlich

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/212>, abgerufen am 24.11.2024.