über die des unteren gebogen und hinter dem Haken ausgekerbt, der Mundrand mehr oder weniger eingebogen, schwach winkelig. Die erste Schwinge ist stets beträchtlich verkürzt, die dritte neben der vierten in der Regel am längsten. Der lange Schwanz ist meist zugerundet oder zugespitzt, selte- ner abgestutzt oder ausgeschnitten. Die Beine sind kräftig; der Lauf ist ziemlich hoch, die Zehen sind mittellang. Das Gefieder ist voll, ziemlich weich, meist ohne Metallglanz, oft einfarbig grau oder grünlicholivengrau, seltener rothgelb oder schwarz und noch seltener durch lebhafte Farbenfelder aus- gezeichnet.
Südamerika insbesondere muß als die Heimat dieser Vögel betrachtet werden; in Nordamerika kommen verhältnißmäßig wenige Arten vor. Sie haben in ihrem Wesen sehr viel mit unsern Kern- beißern, aber auch Manches mit den Gimpeln gemein, bewohnen mehr die Gebüsche und Vorwälder, als den eigentlichen Urwald und fressen harte Sämereien, Beeren und Kerbthiere. Die meisten sind klanglose Geschöpfe, von denen man höchstens kurze Locktöne hört; andere hingegen sind berühmt we- gen ihrer Lieder und deshalb hochbeliebte Stubenvögel.
Die Reihe mag ein Amerikaner eröffnen und zwar eine der prächtigsten Arten, welche wir als ein Mittelglied zwischen den Kernbeißern und den Papageifinken ansehen dürfen.
"Einst im Monat August", erzählt Audubon, "als ich mich mühselig längs der Ufer des Mohawkflusses dahinschleppte, überkam mich die Nacht. Jch war wenig bekannt in diesem Theile des Landes und beschloß deshalb, da zu übernachten, wo ich mich gerade befand. Der Abend war schön und warm; die Sterne spiegelten sich wieder im Flusse; von fern her tönte das Murmeln eines Wasserfalles. Mein kleines Feuer war bald angezündet unter einem Felsen und ich neben ihm dahin- gestreckt. Jn behaglicher Ruhe, mit geschlossenen Augen, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf und befand mich bald in einer geträumten Welt. Da plötzlich drang mir in die Seele der Abendgesang eines Vogels, so klangvoll, so laut, wegen der Stille der Nacht, daß der Schlaf, welcher sich bereits auf meine Lider herabgesenkt hatte, wieder von hinnen floh. Niemals hat mich der Wohllaut der Töne mehr erfreut. Er bebte mir durchs Herz und machte mich glückselig. Fast hätte ich meinen mögen, daß selbst die Eule durch den süßen Wohllaut erfreut war; denn sie blieb still diese Nacht. Lange noch, nachdem die Töne verklungen waren, freute ich mich über sie, und in dieser Freude schlief ich ein."
Der Vogel, von welchem der dichterische Forscher so begeistert spricht, ist der rosenbrüstige "Kernbeißer" (Coccoborus ludovicianus), ein Thier, ebenso erfreulich für das Auge, als sein herr- licher Gesang für das Ohr. Seine Länge beträgt 7 Zoll 3 Linien, die Breite 11 Zoll 2 Linien, die Fittiglänge 3 Zoll 8 Linien, die Schwanzlänge 2 Zoll 8 Linien. Der Leib ist gedrungen, der Flügel mittellang und breit, der Schwanz verhältnißmäßig kurz, leicht ausgerundet, der Schnabel kurz, stark, spitzig, fast kegelförmig, der Oberkiefer nur kurzhakig übergebogen. Das Gefieder ist weich und glän- zend, seine Färbung bunt, aber ansprechend. Der ganze Kopf einschließlich des Oberhalses und Nackens, der Rücken, die Schwingen und der Schwanz sind glänzend schwarz, die erste Reihe der Deck- federn, die Spitzen der zweiten Reihe und die Wurzelhälfte der ersten Schwingen aber weiß, wodurch zwei weiße Flügelbänder entstehen. Dieselbe Farbe zeigen die Jnnenfahne der drei äußern Schwanz- federn, die Brustseiten und der Bauch; der Unterhals aber und die Brustmitte sind prachtvoll karmin- roth, welche Farbe auch auf den Unterflügeldeckfedern sich zeigt, hier jedoch licht überflogen ist. Der Schnabel ist weißlich, der Augenstern lichtbraun, der Fuß graubraun. Das Weibchen ist auf oliven- grauem Grunde dunkelbraun gefleckt; letztere Farbe zeigt jede einzelne Feder in der Mitte. Ueber das Haupt verläuft eine gelbe, dunkelbraun gefleckte und jederseits dunkelbraun gesäumte Längsbinde; über und unter dem Auge zieht sich ein weißer Streifen dahin; der Zügel ist braun. Ueber den Flügel verlaufen ebenfalls zwei lichte Bänder; sie sind aber schmäler und düsterer, als bei dem Männ- chen. Die Schwingen und der Schwanz sind braun, die Untertheile licht gelbbraun, der Hals, die Brust und die Seiten mit dunkelbraunen Längsflecken besetzt, die Unterflügeldeckfedern rosenroth überflogen.
Die Knacker. Sperlingsvögel. Papageifinken.
über die des unteren gebogen und hinter dem Haken ausgekerbt, der Mundrand mehr oder weniger eingebogen, ſchwach winkelig. Die erſte Schwinge iſt ſtets beträchtlich verkürzt, die dritte neben der vierten in der Regel am längſten. Der lange Schwanz iſt meiſt zugerundet oder zugeſpitzt, ſelte- ner abgeſtutzt oder ausgeſchnitten. Die Beine ſind kräftig; der Lauf iſt ziemlich hoch, die Zehen ſind mittellang. Das Gefieder iſt voll, ziemlich weich, meiſt ohne Metallglanz, oft einfarbig grau oder grünlicholivengrau, ſeltener rothgelb oder ſchwarz und noch ſeltener durch lebhafte Farbenfelder aus- gezeichnet.
Südamerika insbeſondere muß als die Heimat dieſer Vögel betrachtet werden; in Nordamerika kommen verhältnißmäßig wenige Arten vor. Sie haben in ihrem Weſen ſehr viel mit unſern Kern- beißern, aber auch Manches mit den Gimpeln gemein, bewohnen mehr die Gebüſche und Vorwälder, als den eigentlichen Urwald und freſſen harte Sämereien, Beeren und Kerbthiere. Die meiſten ſind klangloſe Geſchöpfe, von denen man höchſtens kurze Locktöne hört; andere hingegen ſind berühmt we- gen ihrer Lieder und deshalb hochbeliebte Stubenvögel.
Die Reihe mag ein Amerikaner eröffnen und zwar eine der prächtigſten Arten, welche wir als ein Mittelglied zwiſchen den Kernbeißern und den Papageifinken anſehen dürfen.
„Einſt im Monat Auguſt‟, erzählt Audubon, „als ich mich mühſelig längs der Ufer des Mohawkfluſſes dahinſchleppte, überkam mich die Nacht. Jch war wenig bekannt in dieſem Theile des Landes und beſchloß deshalb, da zu übernachten, wo ich mich gerade befand. Der Abend war ſchön und warm; die Sterne ſpiegelten ſich wieder im Fluſſe; von fern her tönte das Murmeln eines Waſſerfalles. Mein kleines Feuer war bald angezündet unter einem Felſen und ich neben ihm dahin- geſtreckt. Jn behaglicher Ruhe, mit geſchloſſenen Augen, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf und befand mich bald in einer geträumten Welt. Da plötzlich drang mir in die Seele der Abendgeſang eines Vogels, ſo klangvoll, ſo laut, wegen der Stille der Nacht, daß der Schlaf, welcher ſich bereits auf meine Lider herabgeſenkt hatte, wieder von hinnen floh. Niemals hat mich der Wohllaut der Töne mehr erfreut. Er bebte mir durchs Herz und machte mich glückſelig. Faſt hätte ich meinen mögen, daß ſelbſt die Eule durch den ſüßen Wohllaut erfreut war; denn ſie blieb ſtill dieſe Nacht. Lange noch, nachdem die Töne verklungen waren, freute ich mich über ſie, und in dieſer Freude ſchlief ich ein.‟
Der Vogel, von welchem der dichteriſche Forſcher ſo begeiſtert ſpricht, iſt der roſenbrüſtige „Kernbeißer‟ (Coccoborus ludovicianus), ein Thier, ebenſo erfreulich für das Auge, als ſein herr- licher Geſang für das Ohr. Seine Länge beträgt 7 Zoll 3 Linien, die Breite 11 Zoll 2 Linien, die Fittiglänge 3 Zoll 8 Linien, die Schwanzlänge 2 Zoll 8 Linien. Der Leib iſt gedrungen, der Flügel mittellang und breit, der Schwanz verhältnißmäßig kurz, leicht ausgerundet, der Schnabel kurz, ſtark, ſpitzig, faſt kegelförmig, der Oberkiefer nur kurzhakig übergebogen. Das Gefieder iſt weich und glän- zend, ſeine Färbung bunt, aber anſprechend. Der ganze Kopf einſchließlich des Oberhalſes und Nackens, der Rücken, die Schwingen und der Schwanz ſind glänzend ſchwarz, die erſte Reihe der Deck- federn, die Spitzen der zweiten Reihe und die Wurzelhälfte der erſten Schwingen aber weiß, wodurch zwei weiße Flügelbänder entſtehen. Dieſelbe Farbe zeigen die Jnnenfahne der drei äußern Schwanz- federn, die Bruſtſeiten und der Bauch; der Unterhals aber und die Bruſtmitte ſind prachtvoll karmin- roth, welche Farbe auch auf den Unterflügeldeckfedern ſich zeigt, hier jedoch licht überflogen iſt. Der Schnabel iſt weißlich, der Augenſtern lichtbraun, der Fuß graubraun. Das Weibchen iſt auf oliven- grauem Grunde dunkelbraun gefleckt; letztere Farbe zeigt jede einzelne Feder in der Mitte. Ueber das Haupt verläuft eine gelbe, dunkelbraun gefleckte und jederſeits dunkelbraun geſäumte Längsbinde; über und unter dem Auge zieht ſich ein weißer Streifen dahin; der Zügel iſt braun. Ueber den Flügel verlaufen ebenfalls zwei lichte Bänder; ſie ſind aber ſchmäler und düſterer, als bei dem Männ- chen. Die Schwingen und der Schwanz ſind braun, die Untertheile licht gelbbraun, der Hals, die Bruſt und die Seiten mit dunkelbraunen Längsflecken beſetzt, die Unterflügeldeckfedern roſenroth überflogen.
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Die Knacker. Sperlingsvögel. Papageifinken.
über die des unteren gebogen und hinter dem Haken ausgekerbt, der Mundrand mehr oder weniger
eingebogen, ſchwach winkelig. Die erſte Schwinge iſt ſtets beträchtlich verkürzt, die dritte neben
der vierten in der Regel am längſten. Der lange Schwanz iſt meiſt zugerundet oder zugeſpitzt, ſelte-
ner abgeſtutzt oder ausgeſchnitten. Die Beine ſind kräftig; der Lauf iſt ziemlich hoch, die Zehen ſind
mittellang. Das Gefieder iſt voll, ziemlich weich, meiſt ohne Metallglanz, oft einfarbig grau oder
grünlicholivengrau, ſeltener rothgelb oder ſchwarz und noch ſeltener durch lebhafte Farbenfelder aus-
gezeichnet.
Südamerika insbeſondere muß als die Heimat dieſer Vögel betrachtet werden; in Nordamerika
kommen verhältnißmäßig wenige Arten vor. Sie haben in ihrem Weſen ſehr viel mit unſern Kern-
beißern, aber auch Manches mit den Gimpeln gemein, bewohnen mehr die Gebüſche und Vorwälder,
als den eigentlichen Urwald und freſſen harte Sämereien, Beeren und Kerbthiere. Die meiſten ſind
klangloſe Geſchöpfe, von denen man höchſtens kurze Locktöne hört; andere hingegen ſind berühmt we-
gen ihrer Lieder und deshalb hochbeliebte Stubenvögel.
Die Reihe mag ein Amerikaner eröffnen und zwar eine der prächtigſten Arten, welche wir als
ein Mittelglied zwiſchen den Kernbeißern und den Papageifinken anſehen dürfen.
„Einſt im Monat Auguſt‟, erzählt Audubon, „als ich mich mühſelig längs der Ufer des
Mohawkfluſſes dahinſchleppte, überkam mich die Nacht. Jch war wenig bekannt in dieſem Theile des
Landes und beſchloß deshalb, da zu übernachten, wo ich mich gerade befand. Der Abend war ſchön
und warm; die Sterne ſpiegelten ſich wieder im Fluſſe; von fern her tönte das Murmeln eines
Waſſerfalles. Mein kleines Feuer war bald angezündet unter einem Felſen und ich neben ihm dahin-
geſtreckt. Jn behaglicher Ruhe, mit geſchloſſenen Augen, ließ ich meinen Gedanken freien Lauf und
befand mich bald in einer geträumten Welt. Da plötzlich drang mir in die Seele der Abendgeſang
eines Vogels, ſo klangvoll, ſo laut, wegen der Stille der Nacht, daß der Schlaf, welcher ſich bereits auf
meine Lider herabgeſenkt hatte, wieder von hinnen floh. Niemals hat mich der Wohllaut der Töne
mehr erfreut. Er bebte mir durchs Herz und machte mich glückſelig. Faſt hätte ich meinen mögen,
daß ſelbſt die Eule durch den ſüßen Wohllaut erfreut war; denn ſie blieb ſtill dieſe Nacht. Lange
noch, nachdem die Töne verklungen waren, freute ich mich über ſie, und in dieſer Freude ſchlief ich ein.‟
Der Vogel, von welchem der dichteriſche Forſcher ſo begeiſtert ſpricht, iſt der roſenbrüſtige
„Kernbeißer‟ (Coccoborus ludovicianus), ein Thier, ebenſo erfreulich für das Auge, als ſein herr-
licher Geſang für das Ohr. Seine Länge beträgt 7 Zoll 3 Linien, die Breite 11 Zoll 2 Linien, die
Fittiglänge 3 Zoll 8 Linien, die Schwanzlänge 2 Zoll 8 Linien. Der Leib iſt gedrungen, der Flügel
mittellang und breit, der Schwanz verhältnißmäßig kurz, leicht ausgerundet, der Schnabel kurz, ſtark,
ſpitzig, faſt kegelförmig, der Oberkiefer nur kurzhakig übergebogen. Das Gefieder iſt weich und glän-
zend, ſeine Färbung bunt, aber anſprechend. Der ganze Kopf einſchließlich des Oberhalſes und
Nackens, der Rücken, die Schwingen und der Schwanz ſind glänzend ſchwarz, die erſte Reihe der Deck-
federn, die Spitzen der zweiten Reihe und die Wurzelhälfte der erſten Schwingen aber weiß, wodurch
zwei weiße Flügelbänder entſtehen. Dieſelbe Farbe zeigen die Jnnenfahne der drei äußern Schwanz-
federn, die Bruſtſeiten und der Bauch; der Unterhals aber und die Bruſtmitte ſind prachtvoll karmin-
roth, welche Farbe auch auf den Unterflügeldeckfedern ſich zeigt, hier jedoch licht überflogen iſt. Der
Schnabel iſt weißlich, der Augenſtern lichtbraun, der Fuß graubraun. Das Weibchen iſt auf oliven-
grauem Grunde dunkelbraun gefleckt; letztere Farbe zeigt jede einzelne Feder in der Mitte. Ueber
das Haupt verläuft eine gelbe, dunkelbraun gefleckte und jederſeits dunkelbraun geſäumte Längsbinde;
über und unter dem Auge zieht ſich ein weißer Streifen dahin; der Zügel iſt braun. Ueber den
Flügel verlaufen ebenfalls zwei lichte Bänder; ſie ſind aber ſchmäler und düſterer, als bei dem Männ-
chen. Die Schwingen und der Schwanz ſind braun, die Untertheile licht gelbbraun, der Hals, die
Bruſt und die Seiten mit dunkelbraunen Längsflecken beſetzt, die Unterflügeldeckfedern roſenroth
überflogen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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