Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken. Sperlinge.
Den Menschen gegenüber zeigt er sich stets vorsichtig, scheu aber nur dann, wenn er bereits Nach- stellungen erfahren hat. Mit andern Vögeln lebt er in Frieden, läßt jedoch einen gewissen Muth- willen an ihnen aus. Am häufigsten sieht man ihn mit den Meisen zusammen. Seine Lockstimme läßt sich am besten durch seinen Namen wiedergeben; denn dieser ist nichts Anderes, als ein Klang- bild der Silben "Stiglit", "Pickelnit und pickelnick ki kleia", welche er im Sitzen wie im Fliegen ver- nehmen läßt. Ein sanftes "Mai" wird als Warnungsruf gebraucht, ein rauhes "Rärärärä" ist das Zeichen unangenehmer Erregung. Die Jungen rufen "Zif litzi zi" u. s. w. Das Männchen singt laut und angenehm, obgleich die einzelnen Töne denen des Bluthänflings an Klang und Fülle weit nachstehen. Aber der ganze Gesang wird mit viel Abwechslung und so fröhlich vorgetragen, daß der Liebhaber seinetwegen den Stieglitz hoch in Ehren hält. Jn der Gefangenschaft singt dieser fast das ganze Jahr; im Freien schweigt er nur während der Mauser und bei sehr schlechtem Wetter.
Die Nahrung besteht in Gesäme mancherlei Art, vorzüglich aber in den Samen der Disteln im weitesten Sinne, und man darf deshalb da, wo Disteln oder Kletten stehen, sicher darauf rechnen, Stieglitze zu bemerken. "Nichts kann reizender sein", sagt Bolle, "als einen Trupp Stieglitze auf den schon abdorrenden Distelstengeln sich wiegen und aus der weißen Seite ihrer Blüthenköpfe die Samen herauspicken zu sehen. Es ist dann, als ob die Pflanzen sich zum zweiten Male und mit noch farbenprächtigeren Blumen, als die ersten es waren, geschmückt hätten." Der Stieglitz erscheint auf den Distelbüschen, hängt sich geschickt an einen Kopf an und arbeitet nun eifrig mit dem langen, spitzen Schnabel, um sich der versteckten Samenkörner zu bemächtigen. Dabei kommen ihm, wie Gloger es zuerst hervorhob, die verhältnißmäßig harten und festen Federn des Vorderkopfes wohl zu statten; sie verhindern eine allzu leichte Abnutzung, wie sie bei derartigen Arbeiten sonst unvermeidlich sein würde. Jm Sommer verzehrt der Stieglitz nebenbei viele Kerbthiere, und mit ihnen füttert er auch seine Jungen groß. Er nützt also zu jeder Jahreszeit; denn durch Verminderung des schädlichen Un- krauts macht er sich nicht minder verdient, als durch Wegfangen der Kerbthiere.
Das Nest steht bei uns in lichten Laubwäldern oder in Obstpflanzungen, oft in Gärten und unmittelbar bei den Häusern, gewöhnlich in einer Höhe von 20 bis 24 Fuß über dem Boden. Es wird am häufigsten in einer Astgabel des Wipfels angelegt und so gut verborgen, daß es von unten her erst dann gesehen wird, wenn das Laub von den Bäumen fällt. Dem Nest des Edelfinken steht es an Schönheit nach; doch ist es immerhin ein fester, dicht zusammengefilzter Kunstbau. Grüne Baum- und Erdmosflechten, feine Würzelchen, dürre Hälmchen, Fasern und Federn, welche Stoffe mit Kerbthiergespinnsten verbunden werden, bilden die äußere Wandung; die innere besteht gewöhnlich aus Wolllagen, meist aus Distelflocken, welche durch eine dünne Lage von Pferdehaaren und Schweins- borsten in ihrer Lage erhalten werden. Das Weibchen ist der eigentliche Baumeister, das Männchen ergötzt es dabei durch fleißigen Gefang, bequemt sich aber nur selten, bei dem Bau selbstthätig mit- zuwirken.
Das Gelege enthält vier bis fünf zart- und dünnschalige Eier, welche auf weißem oder blau- grünlichem Grund sparsam mit violettgrauen Punkten bedeckt, am stumpfen Ende aber kranzartig gezeichnet sind. Selten findet man diese Eier früher als im Mai, und wahrscheinlich nisten die Paare nur einmal im Laufe des Sommers. Das Weibchen brütet allein und zeitigt die Jungen binnen 13 bis 14 Tagen. Es verläßt das Nest nur auf Augenblicke; denn der Nahrung wegen braucht es sich nicht zu entfernen, das Männchen trägt ihm diese herbei. Die zarten Jungen werden mit kleinen Kerbthierlarven, die größeren mit Kerbthieren und Sämereien gefüttert, die ausgeflogenen noch lange von den Eltern geleitet und geführt. Wie der Hänfling füttert auch der Stieglitz seine Kinder groß, wenn sie vor dem Ausfliegen in einen Käfig eingesperrt wurden.
Es hält, wenn man die Sitten des Stieglitzes kennt, nicht schwer, sich seiner zu bemächtigen; zu- mal im Winter, wenn einzeln stehende Distelbüsche die hauptsächlichsten Futterplätze des Vogels bil- den, kann man ihn durch geschickt aufgestellte Sprenkel, Leimruthen, Zug- und Schlaggarne leicht be- rücken. Jm Käfig zeigen sich die Gefangenen zuerst sehr scheu; bald aber werden sie zahm und zu-
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken. Sperlinge.
Den Menſchen gegenüber zeigt er ſich ſtets vorſichtig, ſcheu aber nur dann, wenn er bereits Nach- ſtellungen erfahren hat. Mit andern Vögeln lebt er in Frieden, läßt jedoch einen gewiſſen Muth- willen an ihnen aus. Am häufigſten ſieht man ihn mit den Meiſen zuſammen. Seine Lockſtimme läßt ſich am beſten durch ſeinen Namen wiedergeben; denn dieſer iſt nichts Anderes, als ein Klang- bild der Silben „Stiglit‟, „Pickelnit und pickelnick ki kleia‟, welche er im Sitzen wie im Fliegen ver- nehmen läßt. Ein ſanftes „Mai‟ wird als Warnungsruf gebraucht, ein rauhes „Rärärärä‟ iſt das Zeichen unangenehmer Erregung. Die Jungen rufen „Zif litzi zi‟ u. ſ. w. Das Männchen ſingt laut und angenehm, obgleich die einzelnen Töne denen des Bluthänflings an Klang und Fülle weit nachſtehen. Aber der ganze Geſang wird mit viel Abwechslung und ſo fröhlich vorgetragen, daß der Liebhaber ſeinetwegen den Stieglitz hoch in Ehren hält. Jn der Gefangenſchaft ſingt dieſer faſt das ganze Jahr; im Freien ſchweigt er nur während der Mauſer und bei ſehr ſchlechtem Wetter.
Die Nahrung beſteht in Geſäme mancherlei Art, vorzüglich aber in den Samen der Diſteln im weiteſten Sinne, und man darf deshalb da, wo Diſteln oder Kletten ſtehen, ſicher darauf rechnen, Stieglitze zu bemerken. „Nichts kann reizender ſein‟, ſagt Bolle, „als einen Trupp Stieglitze auf den ſchon abdorrenden Diſtelſtengeln ſich wiegen und aus der weißen Seite ihrer Blüthenköpfe die Samen herauspicken zu ſehen. Es iſt dann, als ob die Pflanzen ſich zum zweiten Male und mit noch farbenprächtigeren Blumen, als die erſten es waren, geſchmückt hätten.‟ Der Stieglitz erſcheint auf den Diſtelbüſchen, hängt ſich geſchickt an einen Kopf an und arbeitet nun eifrig mit dem langen, ſpitzen Schnabel, um ſich der verſteckten Samenkörner zu bemächtigen. Dabei kommen ihm, wie Gloger es zuerſt hervorhob, die verhältnißmäßig harten und feſten Federn des Vorderkopfes wohl zu ſtatten; ſie verhindern eine allzu leichte Abnutzung, wie ſie bei derartigen Arbeiten ſonſt unvermeidlich ſein würde. Jm Sommer verzehrt der Stieglitz nebenbei viele Kerbthiere, und mit ihnen füttert er auch ſeine Jungen groß. Er nützt alſo zu jeder Jahreszeit; denn durch Verminderung des ſchädlichen Un- krauts macht er ſich nicht minder verdient, als durch Wegfangen der Kerbthiere.
Das Neſt ſteht bei uns in lichten Laubwäldern oder in Obſtpflanzungen, oft in Gärten und unmittelbar bei den Häuſern, gewöhnlich in einer Höhe von 20 bis 24 Fuß über dem Boden. Es wird am häufigſten in einer Aſtgabel des Wipfels angelegt und ſo gut verborgen, daß es von unten her erſt dann geſehen wird, wenn das Laub von den Bäumen fällt. Dem Neſt des Edelfinken ſteht es an Schönheit nach; doch iſt es immerhin ein feſter, dicht zuſammengefilzter Kunſtbau. Grüne Baum- und Erdmosflechten, feine Würzelchen, dürre Hälmchen, Faſern und Federn, welche Stoffe mit Kerbthiergeſpinnſten verbunden werden, bilden die äußere Wandung; die innere beſteht gewöhnlich aus Wolllagen, meiſt aus Diſtelflocken, welche durch eine dünne Lage von Pferdehaaren und Schweins- borſten in ihrer Lage erhalten werden. Das Weibchen iſt der eigentliche Baumeiſter, das Männchen ergötzt es dabei durch fleißigen Gefang, bequemt ſich aber nur ſelten, bei dem Bau ſelbſtthätig mit- zuwirken.
Das Gelege enthält vier bis fünf zart- und dünnſchalige Eier, welche auf weißem oder blau- grünlichem Grund ſparſam mit violettgrauen Punkten bedeckt, am ſtumpfen Ende aber kranzartig gezeichnet ſind. Selten findet man dieſe Eier früher als im Mai, und wahrſcheinlich niſten die Paare nur einmal im Laufe des Sommers. Das Weibchen brütet allein und zeitigt die Jungen binnen 13 bis 14 Tagen. Es verläßt das Neſt nur auf Augenblicke; denn der Nahrung wegen braucht es ſich nicht zu entfernen, das Männchen trägt ihm dieſe herbei. Die zarten Jungen werden mit kleinen Kerbthierlarven, die größeren mit Kerbthieren und Sämereien gefüttert, die ausgeflogenen noch lange von den Eltern geleitet und geführt. Wie der Hänfling füttert auch der Stieglitz ſeine Kinder groß, wenn ſie vor dem Ausfliegen in einen Käfig eingeſperrt wurden.
Es hält, wenn man die Sitten des Stieglitzes kennt, nicht ſchwer, ſich ſeiner zu bemächtigen; zu- mal im Winter, wenn einzeln ſtehende Diſtelbüſche die hauptſächlichſten Futterplätze des Vogels bil- den, kann man ihn durch geſchickt aufgeſtellte Sprenkel, Leimruthen, Zug- und Schlaggarne leicht be- rücken. Jm Käfig zeigen ſich die Gefangenen zuerſt ſehr ſcheu; bald aber werden ſie zahm und zu-
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[152/0172]
Die Knacker. Sperlingsvögel. Edelfinken. Sperlinge.
Den Menſchen gegenüber zeigt er ſich ſtets vorſichtig, ſcheu aber nur dann, wenn er bereits Nach-
ſtellungen erfahren hat. Mit andern Vögeln lebt er in Frieden, läßt jedoch einen gewiſſen Muth-
willen an ihnen aus. Am häufigſten ſieht man ihn mit den Meiſen zuſammen. Seine Lockſtimme
läßt ſich am beſten durch ſeinen Namen wiedergeben; denn dieſer iſt nichts Anderes, als ein Klang-
bild der Silben „Stiglit‟, „Pickelnit und pickelnick ki kleia‟, welche er im Sitzen wie im Fliegen ver-
nehmen läßt. Ein ſanftes „Mai‟ wird als Warnungsruf gebraucht, ein rauhes „Rärärärä‟ iſt
das Zeichen unangenehmer Erregung. Die Jungen rufen „Zif litzi zi‟ u. ſ. w. Das Männchen
ſingt laut und angenehm, obgleich die einzelnen Töne denen des Bluthänflings an Klang und Fülle
weit nachſtehen. Aber der ganze Geſang wird mit viel Abwechslung und ſo fröhlich vorgetragen, daß
der Liebhaber ſeinetwegen den Stieglitz hoch in Ehren hält. Jn der Gefangenſchaft ſingt dieſer faſt
das ganze Jahr; im Freien ſchweigt er nur während der Mauſer und bei ſehr ſchlechtem Wetter.
Die Nahrung beſteht in Geſäme mancherlei Art, vorzüglich aber in den Samen der Diſteln im
weiteſten Sinne, und man darf deshalb da, wo Diſteln oder Kletten ſtehen, ſicher darauf rechnen,
Stieglitze zu bemerken. „Nichts kann reizender ſein‟, ſagt Bolle, „als einen Trupp Stieglitze auf
den ſchon abdorrenden Diſtelſtengeln ſich wiegen und aus der weißen Seite ihrer Blüthenköpfe die
Samen herauspicken zu ſehen. Es iſt dann, als ob die Pflanzen ſich zum zweiten Male und mit noch
farbenprächtigeren Blumen, als die erſten es waren, geſchmückt hätten.‟ Der Stieglitz erſcheint auf
den Diſtelbüſchen, hängt ſich geſchickt an einen Kopf an und arbeitet nun eifrig mit dem langen, ſpitzen
Schnabel, um ſich der verſteckten Samenkörner zu bemächtigen. Dabei kommen ihm, wie Gloger
es zuerſt hervorhob, die verhältnißmäßig harten und feſten Federn des Vorderkopfes wohl zu ſtatten;
ſie verhindern eine allzu leichte Abnutzung, wie ſie bei derartigen Arbeiten ſonſt unvermeidlich ſein
würde. Jm Sommer verzehrt der Stieglitz nebenbei viele Kerbthiere, und mit ihnen füttert er auch
ſeine Jungen groß. Er nützt alſo zu jeder Jahreszeit; denn durch Verminderung des ſchädlichen Un-
krauts macht er ſich nicht minder verdient, als durch Wegfangen der Kerbthiere.
Das Neſt ſteht bei uns in lichten Laubwäldern oder in Obſtpflanzungen, oft in Gärten und
unmittelbar bei den Häuſern, gewöhnlich in einer Höhe von 20 bis 24 Fuß über dem Boden. Es
wird am häufigſten in einer Aſtgabel des Wipfels angelegt und ſo gut verborgen, daß es von unten
her erſt dann geſehen wird, wenn das Laub von den Bäumen fällt. Dem Neſt des Edelfinken ſteht
es an Schönheit nach; doch iſt es immerhin ein feſter, dicht zuſammengefilzter Kunſtbau. Grüne
Baum- und Erdmosflechten, feine Würzelchen, dürre Hälmchen, Faſern und Federn, welche Stoffe
mit Kerbthiergeſpinnſten verbunden werden, bilden die äußere Wandung; die innere beſteht gewöhnlich
aus Wolllagen, meiſt aus Diſtelflocken, welche durch eine dünne Lage von Pferdehaaren und Schweins-
borſten in ihrer Lage erhalten werden. Das Weibchen iſt der eigentliche Baumeiſter, das Männchen
ergötzt es dabei durch fleißigen Gefang, bequemt ſich aber nur ſelten, bei dem Bau ſelbſtthätig mit-
zuwirken.
Das Gelege enthält vier bis fünf zart- und dünnſchalige Eier, welche auf weißem oder blau-
grünlichem Grund ſparſam mit violettgrauen Punkten bedeckt, am ſtumpfen Ende aber kranzartig
gezeichnet ſind. Selten findet man dieſe Eier früher als im Mai, und wahrſcheinlich niſten die
Paare nur einmal im Laufe des Sommers. Das Weibchen brütet allein und zeitigt die Jungen
binnen 13 bis 14 Tagen. Es verläßt das Neſt nur auf Augenblicke; denn der Nahrung wegen
braucht es ſich nicht zu entfernen, das Männchen trägt ihm dieſe herbei. Die zarten Jungen werden
mit kleinen Kerbthierlarven, die größeren mit Kerbthieren und Sämereien gefüttert, die ausgeflogenen
noch lange von den Eltern geleitet und geführt. Wie der Hänfling füttert auch der Stieglitz ſeine
Kinder groß, wenn ſie vor dem Ausfliegen in einen Käfig eingeſperrt wurden.
Es hält, wenn man die Sitten des Stieglitzes kennt, nicht ſchwer, ſich ſeiner zu bemächtigen; zu-
mal im Winter, wenn einzeln ſtehende Diſtelbüſche die hauptſächlichſten Futterplätze des Vogels bil-
den, kann man ihn durch geſchickt aufgeſtellte Sprenkel, Leimruthen, Zug- und Schlaggarne leicht be-
rücken. Jm Käfig zeigen ſich die Gefangenen zuerſt ſehr ſcheu; bald aber werden ſie zahm und zu-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/172>, abgerufen am 22.11.2024.
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