Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Bluthänfling.
gewählt werden und so gleichsam eine zweite Lage bilden. Zur eigentlichen Ausfütterung wird Thier-
und Pflanzenwolle vorzugsweise, namentlich aber auch Pferdehaar benutzt. Das Gelege enthält vier
bis fünf Eier, welche auf weißbläulichem Grunde mit einzelnen blaßrothen, dunkelrothen und zimmt-
braunen Punkten und Strichelchen gezeichnet sind. Sie werden vom Weibchen allein in dreizehn bis
vierzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber von beiden Eltern gemeinschaftlich aufgefüttert und noch
nach dem Ausfliegen lange geführt, namentlich die der letzten Brut. Während das Weibchen auf
dem Neste sitzt, kommt das Männchen oft herbei geflogen und singt von einem der nächsten Bäume
herab sehr eifrig.

Jm Gegensatz zu den Edelfinken leben die Hänflinge auch während der Paarungs- und Brutzeit
in Frieden zusammen. Die Männchen mehrerer nahe bei einander brütenden Weibchen machen ihre
Ausflüge nicht selten gemeinschaftlich und singen dann auch, ohne sich zu zanken, zusammen neben den
Nestern. Von einem Pärchen, welches unter den Augen meines Vaters brütete, erzählt dieser Fol-
gendes:

"Jch entdeckte das Nest, als die Jungen kielten und hatte viele Gelegenheit, das Betragen der
Alten und Jungen genau zu beobachten. Die letzteren saßen ruhig im Neste und ließen, solange sie
noch keine Federn hatten, ihre Stimme nur hören, wenn die Alten geflogen kamen oder sie fütterten.
Als sie befiedert waren, verhielten sie sich ganz ruhig, selbst wenn sie Nahrung bekamen. Sie wurden
ziemlich schnell flügg. Eines Tages, als sie völlig befiedert waren, flatterten sie alle mit den Flügeln
und versuchten die Bewegungen mit denselben bis gegen Abend; am Morgen darauf waren sie alle
ausgeflogen und zwar mit Tagesanbruch. Sie hielten sich nun in der Nähe des Nestes in dichtbelaub-
ten Bäumen verborgen und waren bald da, bald dort, bis sie sich mit den Alten entfernten."

"Diese machten mir außerordentliche Freude; sie waren so zahm, daß sie sich im Füttern der
Jungen nicht stören ließen, wenn ich in der Laube saß, selbst nicht, wenn mehrere Personen darin
sprachen. Dies ist bei diesen Vögeln, die sonst scheu sind, sehr auffallend."

"Sie fütterten ihre Jungen stets in Zwischenräumen von zwölf bis sechszehn Minuten, kamen
immer zusammen geflogen, setzten sich auf einen über die Laube hervorragenden Apfelbaum, lockten
ganz leise und flatterten nun dem Neste zu. Sie näherten sich ihm jedes Mal von ein und derselben
Seite und gaben jedem Jungen Etwas in den Kropf, so daß nie einer derselben verkürzt wurde. Das
Männchen fütterte immer zuerst, und wenn dieses fertig war, kam das Weibchen; das Männchen
wartete, bis jenes den Kropf geleert hatte, und dann flogen beide mit einander fort, wobei sie gewöhn-
lich ihren Lockton hören ließen. Ein einziges Mal kam das Weibchen allein, und ein einziges Mal
fütterte es die Jungen früher, als das Männchen."

"Ehe das Weibchen das Nest verließ, reinigte es dasselbe von dem Unrathe der Jungen; es warf
aber den Koth derselben nicht herab, sondern verschluckte ihn und spie ihn fern vom Neste wieder aus.
Das Männchen unterzog sich dieser Reinigung nicht; ein einziges Mal nur sah ich, daß es den Koth
der Jungen aufnahm. Ohne Zweifel trägt der Bluthänfling den Unrath der Jungen weit vom Neste
weg, damit dieses nicht durch denselben verrathen wird; ich habe etwas Aehnliches auch bei andern
Vögeln bemerkt."

"Als die Jungen ausgeflogen waren, hielten sich die Alten immer in ihrer Nähe auf und führ-
ten und fütterten sie noch lange Zeit."

Das Hänflingspaar verläßt seine Eier nur äußerst selten, seine Jungen nie; die Alten füttern
diese vielmehr auch dann noch groß, wenn man sie mit dem Nest in einen Käfig sperrt. Dies geschieht
von den Liebhabern sehr häufig, um sich die Mühe des Selbstauffütterns zu ersparen, und meines
Wissens ist noch kein Fall vorgekommen, daß die alten Hänflinge sich dadurch hätten abhalten lassen,
ihren elterlichen Pflichten Genüge zu leisten. Man kann das Elternpaar nach und nach durch die
Jungen aus ihrem eigentlichen Wohngebiet weglocken, indem man den Bauer, in welchem letztere ein-
gesperrt sind, allgemach weiter und weiter von der ursprünglichen Brutstelle entfernt, vielleicht seinem

Bluthänfling.
gewählt werden und ſo gleichſam eine zweite Lage bilden. Zur eigentlichen Ausfütterung wird Thier-
und Pflanzenwolle vorzugsweiſe, namentlich aber auch Pferdehaar benutzt. Das Gelege enthält vier
bis fünf Eier, welche auf weißbläulichem Grunde mit einzelnen blaßrothen, dunkelrothen und zimmt-
braunen Punkten und Strichelchen gezeichnet ſind. Sie werden vom Weibchen allein in dreizehn bis
vierzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber von beiden Eltern gemeinſchaftlich aufgefüttert und noch
nach dem Ausfliegen lange geführt, namentlich die der letzten Brut. Während das Weibchen auf
dem Neſte ſitzt, kommt das Männchen oft herbei geflogen und ſingt von einem der nächſten Bäume
herab ſehr eifrig.

Jm Gegenſatz zu den Edelfinken leben die Hänflinge auch während der Paarungs- und Brutzeit
in Frieden zuſammen. Die Männchen mehrerer nahe bei einander brütenden Weibchen machen ihre
Ausflüge nicht ſelten gemeinſchaftlich und ſingen dann auch, ohne ſich zu zanken, zuſammen neben den
Neſtern. Von einem Pärchen, welches unter den Augen meines Vaters brütete, erzählt dieſer Fol-
gendes:

„Jch entdeckte das Neſt, als die Jungen kielten und hatte viele Gelegenheit, das Betragen der
Alten und Jungen genau zu beobachten. Die letzteren ſaßen ruhig im Neſte und ließen, ſolange ſie
noch keine Federn hatten, ihre Stimme nur hören, wenn die Alten geflogen kamen oder ſie fütterten.
Als ſie befiedert waren, verhielten ſie ſich ganz ruhig, ſelbſt wenn ſie Nahrung bekamen. Sie wurden
ziemlich ſchnell flügg. Eines Tages, als ſie völlig befiedert waren, flatterten ſie alle mit den Flügeln
und verſuchten die Bewegungen mit denſelben bis gegen Abend; am Morgen darauf waren ſie alle
ausgeflogen und zwar mit Tagesanbruch. Sie hielten ſich nun in der Nähe des Neſtes in dichtbelaub-
ten Bäumen verborgen und waren bald da, bald dort, bis ſie ſich mit den Alten entfernten.‟

„Dieſe machten mir außerordentliche Freude; ſie waren ſo zahm, daß ſie ſich im Füttern der
Jungen nicht ſtören ließen, wenn ich in der Laube ſaß, ſelbſt nicht, wenn mehrere Perſonen darin
ſprachen. Dies iſt bei dieſen Vögeln, die ſonſt ſcheu ſind, ſehr auffallend.‟

„Sie fütterten ihre Jungen ſtets in Zwiſchenräumen von zwölf bis ſechszehn Minuten, kamen
immer zuſammen geflogen, ſetzten ſich auf einen über die Laube hervorragenden Apfelbaum, lockten
ganz leiſe und flatterten nun dem Neſte zu. Sie näherten ſich ihm jedes Mal von ein und derſelben
Seite und gaben jedem Jungen Etwas in den Kropf, ſo daß nie einer derſelben verkürzt wurde. Das
Männchen fütterte immer zuerſt, und wenn dieſes fertig war, kam das Weibchen; das Männchen
wartete, bis jenes den Kropf geleert hatte, und dann flogen beide mit einander fort, wobei ſie gewöhn-
lich ihren Lockton hören ließen. Ein einziges Mal kam das Weibchen allein, und ein einziges Mal
fütterte es die Jungen früher, als das Männchen.‟

„Ehe das Weibchen das Neſt verließ, reinigte es daſſelbe von dem Unrathe der Jungen; es warf
aber den Koth derſelben nicht herab, ſondern verſchluckte ihn und ſpie ihn fern vom Neſte wieder aus.
Das Männchen unterzog ſich dieſer Reinigung nicht; ein einziges Mal nur ſah ich, daß es den Koth
der Jungen aufnahm. Ohne Zweifel trägt der Bluthänfling den Unrath der Jungen weit vom Neſte
weg, damit dieſes nicht durch denſelben verrathen wird; ich habe etwas Aehnliches auch bei andern
Vögeln bemerkt.‟

„Als die Jungen ausgeflogen waren, hielten ſich die Alten immer in ihrer Nähe auf und führ-
ten und fütterten ſie noch lange Zeit.‟

Das Hänflingspaar verläßt ſeine Eier nur äußerſt ſelten, ſeine Jungen nie; die Alten füttern
dieſe vielmehr auch dann noch groß, wenn man ſie mit dem Neſt in einen Käfig ſperrt. Dies geſchieht
von den Liebhabern ſehr häufig, um ſich die Mühe des Selbſtauffütterns zu erſparen, und meines
Wiſſens iſt noch kein Fall vorgekommen, daß die alten Hänflinge ſich dadurch hätten abhalten laſſen,
ihren elterlichen Pflichten Genüge zu leiſten. Man kann das Elternpaar nach und nach durch die
Jungen aus ihrem eigentlichen Wohngebiet weglocken, indem man den Bauer, in welchem letztere ein-
geſperrt ſind, allgemach weiter und weiter von der urſprünglichen Brutſtelle entfernt, vielleicht ſeinem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0161" n="143"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Bluthänfling.</hi></fw><lb/>
gewählt werden und &#x017F;o gleich&#x017F;am eine zweite Lage bilden. Zur eigentlichen Ausfütterung wird Thier-<lb/>
und Pflanzenwolle vorzugswei&#x017F;e, namentlich aber auch Pferdehaar benutzt. Das Gelege enthält vier<lb/>
bis fünf Eier, welche auf weißbläulichem Grunde mit einzelnen blaßrothen, dunkelrothen und zimmt-<lb/>
braunen Punkten und Strichelchen gezeichnet &#x017F;ind. Sie werden vom Weibchen allein in dreizehn bis<lb/>
vierzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber von beiden Eltern gemein&#x017F;chaftlich aufgefüttert und noch<lb/>
nach dem Ausfliegen lange geführt, namentlich die der letzten Brut. Während das Weibchen auf<lb/>
dem Ne&#x017F;te &#x017F;itzt, kommt das Männchen oft herbei geflogen und &#x017F;ingt von einem der näch&#x017F;ten Bäume<lb/>
herab &#x017F;ehr eifrig.</p><lb/>
          <p>Jm Gegen&#x017F;atz zu den Edelfinken leben die Hänflinge auch während der Paarungs- und Brutzeit<lb/>
in Frieden zu&#x017F;ammen. Die Männchen mehrerer nahe bei einander brütenden Weibchen machen ihre<lb/>
Ausflüge nicht &#x017F;elten gemein&#x017F;chaftlich und &#x017F;ingen dann auch, ohne &#x017F;ich zu zanken, zu&#x017F;ammen neben den<lb/>
Ne&#x017F;tern. Von einem Pärchen, welches unter den Augen meines Vaters brütete, erzählt die&#x017F;er Fol-<lb/>
gendes:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Jch entdeckte das Ne&#x017F;t, als die Jungen kielten und hatte viele Gelegenheit, das Betragen der<lb/>
Alten und Jungen genau zu beobachten. Die letzteren &#x017F;aßen ruhig im Ne&#x017F;te und ließen, &#x017F;olange &#x017F;ie<lb/>
noch keine Federn hatten, ihre Stimme nur hören, wenn die Alten geflogen kamen oder &#x017F;ie fütterten.<lb/>
Als &#x017F;ie befiedert waren, verhielten &#x017F;ie &#x017F;ich ganz ruhig, &#x017F;elb&#x017F;t wenn &#x017F;ie Nahrung bekamen. Sie wurden<lb/>
ziemlich &#x017F;chnell flügg. Eines Tages, als &#x017F;ie völlig befiedert waren, flatterten &#x017F;ie alle mit den Flügeln<lb/>
und ver&#x017F;uchten die Bewegungen mit den&#x017F;elben bis gegen Abend; am Morgen darauf waren &#x017F;ie alle<lb/>
ausgeflogen und zwar mit Tagesanbruch. Sie hielten &#x017F;ich nun in der Nähe des Ne&#x017F;tes in dichtbelaub-<lb/>
ten Bäumen verborgen und waren bald da, bald dort, bis &#x017F;ie &#x017F;ich mit den Alten entfernten.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die&#x017F;e machten mir außerordentliche Freude; &#x017F;ie waren &#x017F;o zahm, daß &#x017F;ie &#x017F;ich im Füttern der<lb/>
Jungen nicht &#x017F;tören ließen, wenn ich in der Laube &#x017F;aß, &#x017F;elb&#x017F;t nicht, wenn mehrere Per&#x017F;onen darin<lb/>
&#x017F;prachen. Dies i&#x017F;t bei die&#x017F;en Vögeln, die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;cheu &#x017F;ind, &#x017F;ehr auffallend.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie fütterten ihre Jungen &#x017F;tets in Zwi&#x017F;chenräumen von zwölf bis &#x017F;echszehn Minuten, kamen<lb/>
immer zu&#x017F;ammen geflogen, &#x017F;etzten &#x017F;ich auf einen über die Laube hervorragenden Apfelbaum, lockten<lb/>
ganz lei&#x017F;e und flatterten nun dem Ne&#x017F;te zu. Sie näherten &#x017F;ich ihm jedes Mal von ein und der&#x017F;elben<lb/>
Seite und gaben jedem Jungen Etwas in den Kropf, &#x017F;o daß nie einer der&#x017F;elben verkürzt wurde. Das<lb/>
Männchen fütterte immer zuer&#x017F;t, und wenn die&#x017F;es fertig war, kam das Weibchen; das Männchen<lb/>
wartete, bis jenes den Kropf geleert hatte, und dann flogen beide mit einander fort, wobei &#x017F;ie gewöhn-<lb/>
lich ihren Lockton hören ließen. Ein einziges Mal kam das Weibchen allein, und ein einziges Mal<lb/>
fütterte es die Jungen früher, als das Männchen.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ehe das Weibchen das Ne&#x017F;t verließ, reinigte es da&#x017F;&#x017F;elbe von dem Unrathe der Jungen; es warf<lb/>
aber den Koth der&#x017F;elben nicht herab, &#x017F;ondern ver&#x017F;chluckte ihn und &#x017F;pie ihn fern vom Ne&#x017F;te wieder aus.<lb/>
Das Männchen unterzog &#x017F;ich die&#x017F;er Reinigung nicht; ein einziges Mal nur &#x017F;ah ich, daß es den Koth<lb/>
der Jungen aufnahm. Ohne Zweifel trägt der Bluthänfling den Unrath der Jungen weit vom Ne&#x017F;te<lb/>
weg, damit die&#x017F;es nicht durch den&#x017F;elben verrathen wird; ich habe etwas Aehnliches auch bei andern<lb/>
Vögeln bemerkt.&#x201F;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Als die Jungen ausgeflogen waren, hielten &#x017F;ich die Alten immer in ihrer Nähe auf und führ-<lb/>
ten und fütterten &#x017F;ie noch lange Zeit.&#x201F;</p><lb/>
          <p>Das Hänflingspaar verläßt &#x017F;eine Eier nur äußer&#x017F;t &#x017F;elten, &#x017F;eine Jungen nie; die Alten füttern<lb/>
die&#x017F;e vielmehr auch dann noch groß, wenn man &#x017F;ie mit dem Ne&#x017F;t in einen Käfig &#x017F;perrt. Dies ge&#x017F;chieht<lb/>
von den Liebhabern &#x017F;ehr häufig, um &#x017F;ich die Mühe des Selb&#x017F;tauffütterns zu er&#x017F;paren, und meines<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens i&#x017F;t noch kein Fall vorgekommen, daß die alten Hänflinge &#x017F;ich dadurch hätten abhalten la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
ihren elterlichen Pflichten Genüge zu lei&#x017F;ten. Man kann das Elternpaar nach und nach durch die<lb/>
Jungen aus ihrem eigentlichen Wohngebiet weglocken, indem man den Bauer, in welchem letztere ein-<lb/>
ge&#x017F;perrt &#x017F;ind, allgemach weiter und weiter von der ur&#x017F;prünglichen Brut&#x017F;telle entfernt, vielleicht &#x017F;einem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0161] Bluthänfling. gewählt werden und ſo gleichſam eine zweite Lage bilden. Zur eigentlichen Ausfütterung wird Thier- und Pflanzenwolle vorzugsweiſe, namentlich aber auch Pferdehaar benutzt. Das Gelege enthält vier bis fünf Eier, welche auf weißbläulichem Grunde mit einzelnen blaßrothen, dunkelrothen und zimmt- braunen Punkten und Strichelchen gezeichnet ſind. Sie werden vom Weibchen allein in dreizehn bis vierzehn Tagen ausgebrütet, die Jungen aber von beiden Eltern gemeinſchaftlich aufgefüttert und noch nach dem Ausfliegen lange geführt, namentlich die der letzten Brut. Während das Weibchen auf dem Neſte ſitzt, kommt das Männchen oft herbei geflogen und ſingt von einem der nächſten Bäume herab ſehr eifrig. Jm Gegenſatz zu den Edelfinken leben die Hänflinge auch während der Paarungs- und Brutzeit in Frieden zuſammen. Die Männchen mehrerer nahe bei einander brütenden Weibchen machen ihre Ausflüge nicht ſelten gemeinſchaftlich und ſingen dann auch, ohne ſich zu zanken, zuſammen neben den Neſtern. Von einem Pärchen, welches unter den Augen meines Vaters brütete, erzählt dieſer Fol- gendes: „Jch entdeckte das Neſt, als die Jungen kielten und hatte viele Gelegenheit, das Betragen der Alten und Jungen genau zu beobachten. Die letzteren ſaßen ruhig im Neſte und ließen, ſolange ſie noch keine Federn hatten, ihre Stimme nur hören, wenn die Alten geflogen kamen oder ſie fütterten. Als ſie befiedert waren, verhielten ſie ſich ganz ruhig, ſelbſt wenn ſie Nahrung bekamen. Sie wurden ziemlich ſchnell flügg. Eines Tages, als ſie völlig befiedert waren, flatterten ſie alle mit den Flügeln und verſuchten die Bewegungen mit denſelben bis gegen Abend; am Morgen darauf waren ſie alle ausgeflogen und zwar mit Tagesanbruch. Sie hielten ſich nun in der Nähe des Neſtes in dichtbelaub- ten Bäumen verborgen und waren bald da, bald dort, bis ſie ſich mit den Alten entfernten.‟ „Dieſe machten mir außerordentliche Freude; ſie waren ſo zahm, daß ſie ſich im Füttern der Jungen nicht ſtören ließen, wenn ich in der Laube ſaß, ſelbſt nicht, wenn mehrere Perſonen darin ſprachen. Dies iſt bei dieſen Vögeln, die ſonſt ſcheu ſind, ſehr auffallend.‟ „Sie fütterten ihre Jungen ſtets in Zwiſchenräumen von zwölf bis ſechszehn Minuten, kamen immer zuſammen geflogen, ſetzten ſich auf einen über die Laube hervorragenden Apfelbaum, lockten ganz leiſe und flatterten nun dem Neſte zu. Sie näherten ſich ihm jedes Mal von ein und derſelben Seite und gaben jedem Jungen Etwas in den Kropf, ſo daß nie einer derſelben verkürzt wurde. Das Männchen fütterte immer zuerſt, und wenn dieſes fertig war, kam das Weibchen; das Männchen wartete, bis jenes den Kropf geleert hatte, und dann flogen beide mit einander fort, wobei ſie gewöhn- lich ihren Lockton hören ließen. Ein einziges Mal kam das Weibchen allein, und ein einziges Mal fütterte es die Jungen früher, als das Männchen.‟ „Ehe das Weibchen das Neſt verließ, reinigte es daſſelbe von dem Unrathe der Jungen; es warf aber den Koth derſelben nicht herab, ſondern verſchluckte ihn und ſpie ihn fern vom Neſte wieder aus. Das Männchen unterzog ſich dieſer Reinigung nicht; ein einziges Mal nur ſah ich, daß es den Koth der Jungen aufnahm. Ohne Zweifel trägt der Bluthänfling den Unrath der Jungen weit vom Neſte weg, damit dieſes nicht durch denſelben verrathen wird; ich habe etwas Aehnliches auch bei andern Vögeln bemerkt.‟ „Als die Jungen ausgeflogen waren, hielten ſich die Alten immer in ihrer Nähe auf und führ- ten und fütterten ſie noch lange Zeit.‟ Das Hänflingspaar verläßt ſeine Eier nur äußerſt ſelten, ſeine Jungen nie; die Alten füttern dieſe vielmehr auch dann noch groß, wenn man ſie mit dem Neſt in einen Käfig ſperrt. Dies geſchieht von den Liebhabern ſehr häufig, um ſich die Mühe des Selbſtauffütterns zu erſparen, und meines Wiſſens iſt noch kein Fall vorgekommen, daß die alten Hänflinge ſich dadurch hätten abhalten laſſen, ihren elterlichen Pflichten Genüge zu leiſten. Man kann das Elternpaar nach und nach durch die Jungen aus ihrem eigentlichen Wohngebiet weglocken, indem man den Bauer, in welchem letztere ein- geſperrt ſind, allgemach weiter und weiter von der urſprünglichen Brutſtelle entfernt, vielleicht ſeinem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/161
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/161>, abgerufen am 22.11.2024.