Jn den meisten Lehr- und Handbüchern der Vogelkunde wird die gestaltenreiche Welt der gefie- derten Rückgratthiere mit den häßlichen, stumpfgeistigen Geiern eröffnet; einzelne Forscher hingegen haben nach dem Vorgange von Cabanis in den Singvögeln die Höchststehenden der Klasse zu erkennen geglaubt. Auf die einen oder die anderen Vögel folgt dann das bunte Heer in bunter Reihe, je nach der Anschauung des betreffenden Forschers. Einheitliche Auffassung, gleichmäßige Ordnung des Ganzen ist zur Zeit noch ein Gegenstand frommer Wünsche: ein allgemein gil- tiges System der Vögel gibt es noch nicht.
Jch sehe mit Jlliger, Kaup, Vonaparte und Anderen in den Papageien oder Sitti- chen die höchststehenden, weil am gleichmäßigsten entwickelten Vögel und halte sie allein für würdig, die Reihen und Ordnungen der Klasse zu eröffnen. Die Gründe für meine Ansicht werden weiter unten ihre Stelle finden; zunächst handelt es sich für uns darum, die nächsten Verwandten der Sit- tiche kennen zu lernen. Das System dient wesentlich dem Zwecke, Verwandtschaften, welche uns natürlich scheinen, hervorzuheben, zum Behuf, uns die Uebersicht des Ganzen zu erleichtern: ein zu- verlässiger Führer aber, wie es sein soll, ist es zur Zeit noch nicht. Wir sind noch weit entfernt, das Gesetz der verschiedenartigen Ausbildung einer Grundgestalt erkannt zu haben; wir sprechen zwar von Schöpfungsgedanken, müssen aber, wenn wir ehrlich sein wollen, zugestehen, daß wir darunter zu- nächst unsere eigenen gemeint haben wollen. Die Natur ist die Einheit: wir sind es, welche diese zersplittern, indem wir begrenzen und theilen. Hieraus geht zur Genüge hervor, daß jedes System mehr oder weniger ein künstliches und mangelhaftes ist, -- mehr oder minder ein Spiegelbild der Kenntniß Dessen, welcher es ausstellte. Es erleichtert aber das Erfassen des Ganzen und hat deshalb seine Berechtigung.
Mehr als eine solche Berechtigung beansprucht die von mir befolgte Eintheilung der Vögel nicht. Sie trennt die gesammte Klasse in einzelne Theile, welche unter sich eine bezügliche Gleichmäßigkeit zei- gen, und läßt gewisse Schöpfungsgedanken, Weisheitspredigten, mathematische Schlußfolgerungen und dergleichen beschränkt nützliche Lehren und Meinungen einzelner Weltweisen auf sich beruhen.
Die verschiedenen Vogelkundigen haben hinsichtlich einer Feststellung der Verwandtschaftsgrade der Sittiche mit anderen Vögeln widersprechende Ansichten bekundet. Sie haben diesen Vögeln daher entweder eine so vereinzelte Stellung gegeben, wie sie in der Natur wahrscheinlich nicht begründet ist, oder sie mit anderen Vögeln zusammengestellt, denen sie entschieden nur wenig ähneln. Erst der geist- volle Reichenbach, dessen umfassende Arbeiten weit weniger gewürdigt werden, als sie verdienen, stellte diejenigen Vögel, welche auch ich für die nächsten Verwandten der Sittiche halten muß, diesen
Brehm, Thierleben. III. 1
Erſte Reihe. Knacker (Enucleatores).
Jn den meiſten Lehr- und Handbüchern der Vogelkunde wird die geſtaltenreiche Welt der gefie- derten Rückgratthiere mit den häßlichen, ſtumpfgeiſtigen Geiern eröffnet; einzelne Forſcher hingegen haben nach dem Vorgange von Cabanis in den Singvögeln die Höchſtſtehenden der Klaſſe zu erkennen geglaubt. Auf die einen oder die anderen Vögel folgt dann das bunte Heer in bunter Reihe, je nach der Anſchauung des betreffenden Forſchers. Einheitliche Auffaſſung, gleichmäßige Ordnung des Ganzen iſt zur Zeit noch ein Gegenſtand frommer Wünſche: ein allgemein gil- tiges Syſtem der Vögel gibt es noch nicht.
Jch ſehe mit Jlliger, Kaup, Vonaparte und Anderen in den Papageien oder Sitti- chen die höchſtſtehenden, weil am gleichmäßigſten entwickelten Vögel und halte ſie allein für würdig, die Reihen und Ordnungen der Klaſſe zu eröffnen. Die Gründe für meine Anſicht werden weiter unten ihre Stelle finden; zunächſt handelt es ſich für uns darum, die nächſten Verwandten der Sit- tiche kennen zu lernen. Das Syſtem dient weſentlich dem Zwecke, Verwandtſchaften, welche uns natürlich ſcheinen, hervorzuheben, zum Behuf, uns die Ueberſicht des Ganzen zu erleichtern: ein zu- verläſſiger Führer aber, wie es ſein ſoll, iſt es zur Zeit noch nicht. Wir ſind noch weit entfernt, das Geſetz der verſchiedenartigen Ausbildung einer Grundgeſtalt erkannt zu haben; wir ſprechen zwar von Schöpfungsgedanken, müſſen aber, wenn wir ehrlich ſein wollen, zugeſtehen, daß wir darunter zu- nächſt unſere eigenen gemeint haben wollen. Die Natur iſt die Einheit: wir ſind es, welche dieſe zerſplittern, indem wir begrenzen und theilen. Hieraus geht zur Genüge hervor, daß jedes Syſtem mehr oder weniger ein künſtliches und mangelhaftes iſt, — mehr oder minder ein Spiegelbild der Kenntniß Deſſen, welcher es auſſtellte. Es erleichtert aber das Erfaſſen des Ganzen und hat deshalb ſeine Berechtigung.
Mehr als eine ſolche Berechtigung beanſprucht die von mir befolgte Eintheilung der Vögel nicht. Sie trennt die geſammte Klaſſe in einzelne Theile, welche unter ſich eine bezügliche Gleichmäßigkeit zei- gen, und läßt gewiſſe Schöpfungsgedanken, Weisheitspredigten, mathematiſche Schlußfolgerungen und dergleichen beſchränkt nützliche Lehren und Meinungen einzelner Weltweiſen auf ſich beruhen.
Die verſchiedenen Vogelkundigen haben hinſichtlich einer Feſtſtellung der Verwandtſchaftsgrade der Sittiche mit anderen Vögeln widerſprechende Anſichten bekundet. Sie haben dieſen Vögeln daher entweder eine ſo vereinzelte Stellung gegeben, wie ſie in der Natur wahrſcheinlich nicht begründet iſt, oder ſie mit anderen Vögeln zuſammengeſtellt, denen ſie entſchieden nur wenig ähneln. Erſt der geiſt- volle Reichenbach, deſſen umfaſſende Arbeiten weit weniger gewürdigt werden, als ſie verdienen, ſtellte diejenigen Vögel, welche auch ich für die nächſten Verwandten der Sittiche halten muß, dieſen
Brehm, Thierleben. III. 1
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Erſte Reihe.
Knacker (Enucleatores).
Jn den meiſten Lehr- und Handbüchern der Vogelkunde wird die geſtaltenreiche Welt der gefie-
derten Rückgratthiere mit den häßlichen, ſtumpfgeiſtigen Geiern eröffnet; einzelne Forſcher hingegen
haben nach dem Vorgange von Cabanis in den Singvögeln die Höchſtſtehenden der Klaſſe zu
erkennen geglaubt. Auf die einen oder die anderen Vögel folgt dann das bunte Heer in bunter
Reihe, je nach der Anſchauung des betreffenden Forſchers. Einheitliche Auffaſſung, gleichmäßige
Ordnung des Ganzen iſt zur Zeit noch ein Gegenſtand frommer Wünſche: ein allgemein gil-
tiges Syſtem der Vögel gibt es noch nicht.
Jch ſehe mit Jlliger, Kaup, Vonaparte und Anderen in den Papageien oder Sitti-
chen die höchſtſtehenden, weil am gleichmäßigſten entwickelten Vögel und halte ſie allein für würdig,
die Reihen und Ordnungen der Klaſſe zu eröffnen. Die Gründe für meine Anſicht werden weiter
unten ihre Stelle finden; zunächſt handelt es ſich für uns darum, die nächſten Verwandten der Sit-
tiche kennen zu lernen. Das Syſtem dient weſentlich dem Zwecke, Verwandtſchaften, welche uns
natürlich ſcheinen, hervorzuheben, zum Behuf, uns die Ueberſicht des Ganzen zu erleichtern: ein zu-
verläſſiger Führer aber, wie es ſein ſoll, iſt es zur Zeit noch nicht. Wir ſind noch weit entfernt, das
Geſetz der verſchiedenartigen Ausbildung einer Grundgeſtalt erkannt zu haben; wir ſprechen zwar von
Schöpfungsgedanken, müſſen aber, wenn wir ehrlich ſein wollen, zugeſtehen, daß wir darunter zu-
nächſt unſere eigenen gemeint haben wollen. Die Natur iſt die Einheit: wir ſind es, welche dieſe
zerſplittern, indem wir begrenzen und theilen. Hieraus geht zur Genüge hervor, daß jedes Syſtem
mehr oder weniger ein künſtliches und mangelhaftes iſt, — mehr oder minder ein Spiegelbild der
Kenntniß Deſſen, welcher es auſſtellte. Es erleichtert aber das Erfaſſen des Ganzen und hat deshalb
ſeine Berechtigung.
Mehr als eine ſolche Berechtigung beanſprucht die von mir befolgte Eintheilung der Vögel nicht.
Sie trennt die geſammte Klaſſe in einzelne Theile, welche unter ſich eine bezügliche Gleichmäßigkeit zei-
gen, und läßt gewiſſe Schöpfungsgedanken, Weisheitspredigten, mathematiſche Schlußfolgerungen und
dergleichen beſchränkt nützliche Lehren und Meinungen einzelner Weltweiſen auf ſich beruhen.
Die verſchiedenen Vogelkundigen haben hinſichtlich einer Feſtſtellung der Verwandtſchaftsgrade
der Sittiche mit anderen Vögeln widerſprechende Anſichten bekundet. Sie haben dieſen Vögeln daher
entweder eine ſo vereinzelte Stellung gegeben, wie ſie in der Natur wahrſcheinlich nicht begründet iſt,
oder ſie mit anderen Vögeln zuſammengeſtellt, denen ſie entſchieden nur wenig ähneln. Erſt der geiſt-
volle Reichenbach, deſſen umfaſſende Arbeiten weit weniger gewürdigt werden, als ſie verdienen,
ſtellte diejenigen Vögel, welche auch ich für die nächſten Verwandten der Sittiche halten muß, dieſen
Brehm, Thierleben. III. 1
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/13>, abgerufen am 21.11.2024.
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