Diese Flüge schweifen während des ganzen Winters in den nordischen Waldungen umher, nähern sich nach Radde auch wohl einsamstehenden Gehöften und kehren mit Beginn des Frühjahrs wieder in die Wälder zurück. Falls besondere Ereignisse, namentlich bedeutender Schneefall sie zum Wandern in südlichere Gegenden veranlassen, geschieht es, daß die Flüge sich mit anderen zusammenschlagen und die Vögel somit zuweilen sehr zahlreiche Schwärme bilden. Jn den Jahren 1790, 93, 98 und 1803 erschienen die Hakengimpel in so großer Anzahl in den Ostseeländern, daß in der Gegend von Riga allein längere Zeit allwöchentlich etwa tausend Paare gefangen werden konnten; im Jahre 1821 waren sie in Preußen sehr häufig, und auch später wurden sie während des Winters in einzelnen Gegenden unseres Vaterlandes massenhaft beobachtet.
Diesen unfreiwilligen Wanderungen in die südlich ihres Vaterlandes gelegenen Gegenden ver- danken wir den größten Theil der Kunde, welche wir von ihrem Betragen besitzen; denn über ihr Leben in der eigentlichen Heimat ist bis jetzt noch sehr wenig bekannt geworden. Die Scharen, welche bei uns ankommen, zeigen sich als höchst gesellige Vögel. Sie halten sich bei Tage truppweise zusammen, streifen gemeinschaftlich umher, gehen gemeinsam auf Nahrung aus und suchen vereint Nachts den Schlafplatz auf. Auch in der Fremde bilden die ihnen vertrauten Nadelwaldungen ihren bevorzugten Aufenthalt, und namentlich diejenigen, in denen Wachholder das Unterholz bilden, scheinen von ihnen gern aufgesucht zu werden. Jn den Laubhölzern finden sie sich weit seltener; baumlose Ebenen durch- fliegen sie so eilig als möglich.
Anfangs zeigen sie sich in der Fremde so recht als harmlose, zutrauliche Geschöpfe, als einfältige Vögel im guten Sinne, als Thiere, welche die Tücke des Menschen noch nicht erfahren haben. Sie bleiben ruhig sitzen, wenn der Beobachter oder der Jäger sich dem Baum naht, auf welchem sie sich versammelt haben; sie schauen dem Schützen dummdreist ins Rohr und lassen es, gleichsam verdutzt, geschehen, wenn dieser einen um den andern von ihnen wegfängt oder vom Baume herabschießt, ohne an Flucht zu denken. Man hat mit Erfolg versucht, einzelnen, welche sich gerade mit Fressen beschäf- tigten, an langen Ruthen befestigte Schlingen über den Kopf zu ziehen; man hat überhaupt erfahren, daß auch die plumpesten Fanganstalten gegen sie angewandt werden dürfen. Von ihrer rührenden An- hänglichkeit zu ihren Gefährten erzählen Alle, welche sie in der Freiheit beobachten konnten. So fing man auf einem Vogelherde von einer Gesellschaft, welche aus vier Stück bestand, drei auf einem Zuge und bemerkte zu nicht geringem Erstaunen, daß auch der Freigebliebene freiwillig unter das Netz kroch, gleichsam in der Absicht, das Geschick der übrigen zu theilen. Doch würde man irren, wenn man dieses Gebahren der Vögel als Dummheit ansehen wollte: Erfahrung witzigt auch sie zuletzt und macht sie mißtrauisch, scheu und vorsichtig.
Jn seinem Benehmen erinnert der Hakengimpel vielfach an die Kreuzschnäbel. Er zeigt sich durchaus als Baumvogel, welcher im Gezweig wohl heimisch, auf dem Boden hingegen fremd ist. Jn den Kronen der Bäume klettert er sehr geschickt von einem Ast zum andern, hüpft auch mit Leichtigkeit über ziemlich weite Zwischenräume; auf dem Boden dagegen benimmt er sich schwerfällig. Der Flug ist ziemlich schnell und wie bei den meisten übrigen Finken bogig, vor dem Niederlassen aber schwebend.
Recht angenehm ist die Stimme. Der Lockton ist flötend und ansprechend. dem des Gimpels ähnlich, der Gesang, welcher auch während des ganzen Winters ertönt, manchfach abwechselnd und wegen der sanften reinen Flötentöne im hohen Grade anmuthend. Während der Wintermonate bekommt man von dem reichen Liede selten eine richtige Vorstellung; der Vogel singt dann leise und abgerissen; im Frühling aber, wenn sich die Liebe in ihm regt, trägt er sein Lied mit vielem Feuer kräftig und anhaltend vor, so daß er auch Den, welcher die Leistungen der edelsten Sänger kennt, zu befriedigen versteht. Wie uns die schwedischen Naturforscher mittheilen, singt er in den tageshellen Sommernächten seiner eigentlichen Heimat besonders eifrig und wird deshalb in Norland der -- "Nachtwächter" genannt.
Aber der Vogel hat noch andere gute Eigenschaften und beweist diese auch in der Gefangenschaft. Sein sanftes zutrauliches Wesen läßt von vornherein darauf schließen, daß er bald zahm wird, falls
Hakengimpel.
Dieſe Flüge ſchweifen während des ganzen Winters in den nordiſchen Waldungen umher, nähern ſich nach Radde auch wohl einſamſtehenden Gehöften und kehren mit Beginn des Frühjahrs wieder in die Wälder zurück. Falls beſondere Ereigniſſe, namentlich bedeutender Schneefall ſie zum Wandern in ſüdlichere Gegenden veranlaſſen, geſchieht es, daß die Flüge ſich mit anderen zuſammenſchlagen und die Vögel ſomit zuweilen ſehr zahlreiche Schwärme bilden. Jn den Jahren 1790, 93, 98 und 1803 erſchienen die Hakengimpel in ſo großer Anzahl in den Oſtſeeländern, daß in der Gegend von Riga allein längere Zeit allwöchentlich etwa tauſend Paare gefangen werden konnten; im Jahre 1821 waren ſie in Preußen ſehr häufig, und auch ſpäter wurden ſie während des Winters in einzelnen Gegenden unſeres Vaterlandes maſſenhaft beobachtet.
Dieſen unfreiwilligen Wanderungen in die ſüdlich ihres Vaterlandes gelegenen Gegenden ver- danken wir den größten Theil der Kunde, welche wir von ihrem Betragen beſitzen; denn über ihr Leben in der eigentlichen Heimat iſt bis jetzt noch ſehr wenig bekannt geworden. Die Scharen, welche bei uns ankommen, zeigen ſich als höchſt geſellige Vögel. Sie halten ſich bei Tage truppweiſe zuſammen, ſtreifen gemeinſchaftlich umher, gehen gemeinſam auf Nahrung aus und ſuchen vereint Nachts den Schlafplatz auf. Auch in der Fremde bilden die ihnen vertrauten Nadelwaldungen ihren bevorzugten Aufenthalt, und namentlich diejenigen, in denen Wachholder das Unterholz bilden, ſcheinen von ihnen gern aufgeſucht zu werden. Jn den Laubhölzern finden ſie ſich weit ſeltener; baumloſe Ebenen durch- fliegen ſie ſo eilig als möglich.
Anfangs zeigen ſie ſich in der Fremde ſo recht als harmloſe, zutrauliche Geſchöpfe, als einfältige Vögel im guten Sinne, als Thiere, welche die Tücke des Menſchen noch nicht erfahren haben. Sie bleiben ruhig ſitzen, wenn der Beobachter oder der Jäger ſich dem Baum naht, auf welchem ſie ſich verſammelt haben; ſie ſchauen dem Schützen dummdreiſt ins Rohr und laſſen es, gleichſam verdutzt, geſchehen, wenn dieſer einen um den andern von ihnen wegfängt oder vom Baume herabſchießt, ohne an Flucht zu denken. Man hat mit Erfolg verſucht, einzelnen, welche ſich gerade mit Freſſen beſchäf- tigten, an langen Ruthen befeſtigte Schlingen über den Kopf zu ziehen; man hat überhaupt erfahren, daß auch die plumpeſten Fanganſtalten gegen ſie angewandt werden dürfen. Von ihrer rührenden An- hänglichkeit zu ihren Gefährten erzählen Alle, welche ſie in der Freiheit beobachten konnten. So fing man auf einem Vogelherde von einer Geſellſchaft, welche aus vier Stück beſtand, drei auf einem Zuge und bemerkte zu nicht geringem Erſtaunen, daß auch der Freigebliebene freiwillig unter das Netz kroch, gleichſam in der Abſicht, das Geſchick der übrigen zu theilen. Doch würde man irren, wenn man dieſes Gebahren der Vögel als Dummheit anſehen wollte: Erfahrung witzigt auch ſie zuletzt und macht ſie mißtrauiſch, ſcheu und vorſichtig.
Jn ſeinem Benehmen erinnert der Hakengimpel vielfach an die Kreuzſchnäbel. Er zeigt ſich durchaus als Baumvogel, welcher im Gezweig wohl heimiſch, auf dem Boden hingegen fremd iſt. Jn den Kronen der Bäume klettert er ſehr geſchickt von einem Aſt zum andern, hüpft auch mit Leichtigkeit über ziemlich weite Zwiſchenräume; auf dem Boden dagegen benimmt er ſich ſchwerfällig. Der Flug iſt ziemlich ſchnell und wie bei den meiſten übrigen Finken bogig, vor dem Niederlaſſen aber ſchwebend.
Recht angenehm iſt die Stimme. Der Lockton iſt flötend und anſprechend. dem des Gimpels ähnlich, der Geſang, welcher auch während des ganzen Winters ertönt, manchfach abwechſelnd und wegen der ſanften reinen Flötentöne im hohen Grade anmuthend. Während der Wintermonate bekommt man von dem reichen Liede ſelten eine richtige Vorſtellung; der Vogel ſingt dann leiſe und abgeriſſen; im Frühling aber, wenn ſich die Liebe in ihm regt, trägt er ſein Lied mit vielem Feuer kräftig und anhaltend vor, ſo daß er auch Den, welcher die Leiſtungen der edelſten Sänger kennt, zu befriedigen verſteht. Wie uns die ſchwediſchen Naturforſcher mittheilen, ſingt er in den tageshellen Sommernächten ſeiner eigentlichen Heimat beſonders eifrig und wird deshalb in Norland der — „Nachtwächter‟ genannt.
Aber der Vogel hat noch andere gute Eigenſchaften und beweiſt dieſe auch in der Gefangenſchaft. Sein ſanftes zutrauliches Weſen läßt von vornherein darauf ſchließen, daß er bald zahm wird, falls
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0119"n="101"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Hakengimpel.</hi></fw><lb/>
Dieſe Flüge ſchweifen während des ganzen Winters in den nordiſchen Waldungen umher, nähern ſich<lb/>
nach <hirendition="#g">Radde</hi> auch wohl einſamſtehenden Gehöften und kehren mit Beginn des Frühjahrs wieder in<lb/>
die Wälder zurück. Falls beſondere Ereigniſſe, namentlich bedeutender Schneefall ſie zum Wandern<lb/>
in ſüdlichere Gegenden veranlaſſen, geſchieht es, daß die Flüge ſich mit anderen zuſammenſchlagen<lb/>
und die Vögel ſomit zuweilen ſehr zahlreiche Schwärme bilden. Jn den Jahren 1790, 93, 98 und<lb/>
1803 erſchienen die Hakengimpel in ſo großer Anzahl in den Oſtſeeländern, daß in der Gegend von<lb/>
Riga allein längere Zeit allwöchentlich etwa tauſend Paare gefangen werden konnten; im Jahre<lb/>
1821 waren ſie in Preußen ſehr häufig, und auch ſpäter wurden ſie während des Winters in einzelnen<lb/>
Gegenden unſeres Vaterlandes maſſenhaft beobachtet.</p><lb/><p>Dieſen unfreiwilligen Wanderungen in die ſüdlich ihres Vaterlandes gelegenen Gegenden ver-<lb/>
danken wir den größten Theil der Kunde, welche wir von ihrem Betragen beſitzen; denn über ihr Leben<lb/>
in der eigentlichen Heimat iſt bis jetzt noch ſehr wenig bekannt geworden. Die Scharen, welche bei<lb/>
uns ankommen, zeigen ſich als höchſt geſellige Vögel. Sie halten ſich bei Tage truppweiſe zuſammen,<lb/>ſtreifen gemeinſchaftlich umher, gehen gemeinſam auf Nahrung aus und ſuchen vereint Nachts den<lb/>
Schlafplatz auf. Auch in der Fremde bilden die ihnen vertrauten Nadelwaldungen ihren bevorzugten<lb/>
Aufenthalt, und namentlich diejenigen, in denen Wachholder das Unterholz bilden, ſcheinen von ihnen<lb/>
gern aufgeſucht zu werden. Jn den Laubhölzern finden ſie ſich weit ſeltener; baumloſe Ebenen durch-<lb/>
fliegen ſie ſo eilig als möglich.</p><lb/><p>Anfangs zeigen ſie ſich in der Fremde ſo recht als harmloſe, zutrauliche Geſchöpfe, als einfältige<lb/>
Vögel im guten Sinne, als Thiere, welche die Tücke des Menſchen noch nicht erfahren haben. Sie<lb/>
bleiben ruhig ſitzen, wenn der Beobachter oder der Jäger ſich dem Baum naht, auf welchem ſie ſich<lb/>
verſammelt haben; ſie ſchauen dem Schützen dummdreiſt ins Rohr und laſſen es, gleichſam verdutzt,<lb/>
geſchehen, wenn dieſer einen um den andern von ihnen wegfängt oder vom Baume herabſchießt, ohne<lb/>
an Flucht zu denken. Man hat mit Erfolg verſucht, einzelnen, welche ſich gerade mit Freſſen beſchäf-<lb/>
tigten, an langen Ruthen befeſtigte Schlingen über den Kopf zu ziehen; man hat überhaupt erfahren,<lb/>
daß auch die plumpeſten Fanganſtalten gegen ſie angewandt werden dürfen. Von ihrer rührenden An-<lb/>
hänglichkeit zu ihren Gefährten erzählen Alle, welche ſie in der Freiheit beobachten konnten. So fing<lb/>
man auf einem Vogelherde von einer Geſellſchaft, welche aus vier Stück beſtand, drei auf einem Zuge<lb/>
und bemerkte zu nicht geringem Erſtaunen, daß auch der Freigebliebene freiwillig unter das Netz<lb/>
kroch, gleichſam in der Abſicht, das Geſchick der übrigen zu theilen. Doch würde man irren, wenn<lb/>
man dieſes Gebahren der Vögel als Dummheit anſehen wollte: Erfahrung witzigt auch ſie zuletzt und<lb/>
macht ſie mißtrauiſch, ſcheu und vorſichtig.</p><lb/><p>Jn ſeinem Benehmen erinnert der Hakengimpel vielfach an die Kreuzſchnäbel. Er zeigt ſich<lb/>
durchaus als Baumvogel, welcher im Gezweig wohl heimiſch, auf dem Boden hingegen fremd iſt. Jn<lb/>
den Kronen der Bäume klettert er ſehr geſchickt von einem Aſt zum andern, hüpft auch mit Leichtigkeit<lb/>
über ziemlich weite Zwiſchenräume; auf dem Boden dagegen benimmt er ſich ſchwerfällig. Der Flug<lb/>
iſt ziemlich ſchnell und wie bei den meiſten übrigen Finken bogig, vor dem Niederlaſſen aber ſchwebend.</p><lb/><p>Recht angenehm iſt die Stimme. Der Lockton iſt flötend und anſprechend. dem des Gimpels<lb/>
ähnlich, der Geſang, welcher auch während des ganzen Winters ertönt, manchfach abwechſelnd und<lb/>
wegen der ſanften reinen Flötentöne im hohen Grade anmuthend. Während der Wintermonate<lb/>
bekommt man von dem reichen Liede ſelten eine richtige Vorſtellung; der Vogel ſingt dann leiſe und<lb/>
abgeriſſen; im Frühling aber, wenn ſich die Liebe in ihm regt, trägt er ſein Lied mit vielem Feuer<lb/>
kräftig und anhaltend vor, ſo daß er auch Den, welcher die Leiſtungen der edelſten Sänger kennt, zu<lb/>
befriedigen verſteht. Wie uns die ſchwediſchen Naturforſcher mittheilen, ſingt er in den tageshellen<lb/>
Sommernächten ſeiner eigentlichen Heimat beſonders eifrig und wird deshalb in Norland der —<lb/><hirendition="#g">„Nachtwächter‟</hi> genannt.</p><lb/><p>Aber der Vogel hat noch andere gute Eigenſchaften und beweiſt dieſe auch in der Gefangenſchaft.<lb/>
Sein ſanftes zutrauliches Weſen läßt von vornherein darauf ſchließen, daß er bald zahm wird, falls<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[101/0119]
Hakengimpel.
Dieſe Flüge ſchweifen während des ganzen Winters in den nordiſchen Waldungen umher, nähern ſich
nach Radde auch wohl einſamſtehenden Gehöften und kehren mit Beginn des Frühjahrs wieder in
die Wälder zurück. Falls beſondere Ereigniſſe, namentlich bedeutender Schneefall ſie zum Wandern
in ſüdlichere Gegenden veranlaſſen, geſchieht es, daß die Flüge ſich mit anderen zuſammenſchlagen
und die Vögel ſomit zuweilen ſehr zahlreiche Schwärme bilden. Jn den Jahren 1790, 93, 98 und
1803 erſchienen die Hakengimpel in ſo großer Anzahl in den Oſtſeeländern, daß in der Gegend von
Riga allein längere Zeit allwöchentlich etwa tauſend Paare gefangen werden konnten; im Jahre
1821 waren ſie in Preußen ſehr häufig, und auch ſpäter wurden ſie während des Winters in einzelnen
Gegenden unſeres Vaterlandes maſſenhaft beobachtet.
Dieſen unfreiwilligen Wanderungen in die ſüdlich ihres Vaterlandes gelegenen Gegenden ver-
danken wir den größten Theil der Kunde, welche wir von ihrem Betragen beſitzen; denn über ihr Leben
in der eigentlichen Heimat iſt bis jetzt noch ſehr wenig bekannt geworden. Die Scharen, welche bei
uns ankommen, zeigen ſich als höchſt geſellige Vögel. Sie halten ſich bei Tage truppweiſe zuſammen,
ſtreifen gemeinſchaftlich umher, gehen gemeinſam auf Nahrung aus und ſuchen vereint Nachts den
Schlafplatz auf. Auch in der Fremde bilden die ihnen vertrauten Nadelwaldungen ihren bevorzugten
Aufenthalt, und namentlich diejenigen, in denen Wachholder das Unterholz bilden, ſcheinen von ihnen
gern aufgeſucht zu werden. Jn den Laubhölzern finden ſie ſich weit ſeltener; baumloſe Ebenen durch-
fliegen ſie ſo eilig als möglich.
Anfangs zeigen ſie ſich in der Fremde ſo recht als harmloſe, zutrauliche Geſchöpfe, als einfältige
Vögel im guten Sinne, als Thiere, welche die Tücke des Menſchen noch nicht erfahren haben. Sie
bleiben ruhig ſitzen, wenn der Beobachter oder der Jäger ſich dem Baum naht, auf welchem ſie ſich
verſammelt haben; ſie ſchauen dem Schützen dummdreiſt ins Rohr und laſſen es, gleichſam verdutzt,
geſchehen, wenn dieſer einen um den andern von ihnen wegfängt oder vom Baume herabſchießt, ohne
an Flucht zu denken. Man hat mit Erfolg verſucht, einzelnen, welche ſich gerade mit Freſſen beſchäf-
tigten, an langen Ruthen befeſtigte Schlingen über den Kopf zu ziehen; man hat überhaupt erfahren,
daß auch die plumpeſten Fanganſtalten gegen ſie angewandt werden dürfen. Von ihrer rührenden An-
hänglichkeit zu ihren Gefährten erzählen Alle, welche ſie in der Freiheit beobachten konnten. So fing
man auf einem Vogelherde von einer Geſellſchaft, welche aus vier Stück beſtand, drei auf einem Zuge
und bemerkte zu nicht geringem Erſtaunen, daß auch der Freigebliebene freiwillig unter das Netz
kroch, gleichſam in der Abſicht, das Geſchick der übrigen zu theilen. Doch würde man irren, wenn
man dieſes Gebahren der Vögel als Dummheit anſehen wollte: Erfahrung witzigt auch ſie zuletzt und
macht ſie mißtrauiſch, ſcheu und vorſichtig.
Jn ſeinem Benehmen erinnert der Hakengimpel vielfach an die Kreuzſchnäbel. Er zeigt ſich
durchaus als Baumvogel, welcher im Gezweig wohl heimiſch, auf dem Boden hingegen fremd iſt. Jn
den Kronen der Bäume klettert er ſehr geſchickt von einem Aſt zum andern, hüpft auch mit Leichtigkeit
über ziemlich weite Zwiſchenräume; auf dem Boden dagegen benimmt er ſich ſchwerfällig. Der Flug
iſt ziemlich ſchnell und wie bei den meiſten übrigen Finken bogig, vor dem Niederlaſſen aber ſchwebend.
Recht angenehm iſt die Stimme. Der Lockton iſt flötend und anſprechend. dem des Gimpels
ähnlich, der Geſang, welcher auch während des ganzen Winters ertönt, manchfach abwechſelnd und
wegen der ſanften reinen Flötentöne im hohen Grade anmuthend. Während der Wintermonate
bekommt man von dem reichen Liede ſelten eine richtige Vorſtellung; der Vogel ſingt dann leiſe und
abgeriſſen; im Frühling aber, wenn ſich die Liebe in ihm regt, trägt er ſein Lied mit vielem Feuer
kräftig und anhaltend vor, ſo daß er auch Den, welcher die Leiſtungen der edelſten Sänger kennt, zu
befriedigen verſteht. Wie uns die ſchwediſchen Naturforſcher mittheilen, ſingt er in den tageshellen
Sommernächten ſeiner eigentlichen Heimat beſonders eifrig und wird deshalb in Norland der —
„Nachtwächter‟ genannt.
Aber der Vogel hat noch andere gute Eigenſchaften und beweiſt dieſe auch in der Gefangenſchaft.
Sein ſanftes zutrauliches Weſen läßt von vornherein darauf ſchließen, daß er bald zahm wird, falls
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/119>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.