Unter dem zahlreichen Heer der Sperlingsvögel finden sich mehrere, welche in demselben Sinne die Papageien unter den Finken genannt werden dürfen, wie wir die Unzertrennlichen die Sper- linge unter den Sittichen nannten. Sie sind gewissermaßen Uebergangsglieder der einen Ordnung zur anderen. Namentlich bei einer Familie der sperlingsartigen Vögel, bei den Kreuzschnäbeln, ist die Papageiähnlichkeit von jeher anerkannt worden. Diese Thiere sind nicht blos den Sittichen in ihrem Leibesbau ähnlich, sondern auch in ihrem Wesen und Betragen, in ihren Bewegungen und gewissen Eigenthümlichkeiten.
Die Kreuzschnäbel (Loxiae) bilden, obgleich bis jetzt nur wenige Arten bekannt geworden sind, eine eigene Familie im engeren Sinne; denn sie unterscheiden sich von allen übrigen Finken und nicht blos von diesen, sondern von den übrigen Vögeln überhaupt durch die Bildung ihres Schnabels. Bis jetzt kennt man nur noch einen Vogel, welcher ihnen ähnelt, keineswegs aber in so hohem Grade, daß alle Forscher ihn als Verwandten anerkennen sollten. Man hat die Kreuzschnäbel früher mit anderen dickschnäbligen Sperlingsvögeln in eine und dieselbe Familie vereinigt oder den Hakengimpel zu ihnen gestellt, niemals aber verkannt, daß die Aehnlichkeit, welche zwischen Kreuzschnäbeln und andern Sper- lingsvögeln besteht, ungleich geringer ist, als zwischen sämmtlichen übrigen Gliedern der Ordnung.
Bei genauerer Betrachtung zeigen sich die Kreuzschnäbel als durchaus eigenthümlich gestaltete Vögel. Der gedrungene Leib ist nicht das Bezeichnende an ihnen -- denn ihn haben sie mit vielen andern Sper- lingsvögeln gemein: der Kreuzschnabel aber, welchen auch das Volk sehr richtig als ihr wichtigstes Merkmal aufgefaßt hat, bleibt ihr unbestrittenes Eigenthum. Dieser Schnabel ist dick und gleich von der Stirn aus stark gebogen: sein Rücken ist hoch und zugerundet; die breiten Kinnladen fallen plötz- lich ab und endigen in scharfen, vorn neben einander hingebogenen Spitzen. Der Oberkiefer schlägt bald rechts bald links über den unteren hinweg, ohne daß man hierbei von einem bestimmten Gesetz sprechen könnte: es gibt eben oder annähernd soviel Rechtsschnäbler oder Rechtsschläger, als Links- schnäbler oder Linksschläger. Beachtenswerth, obschon sehr erklärlich, ist die mit dem Kreuzschnabel in Beziehung stehende ungleichzeitige Entwickelung der Muskeln und Knochen des Kopfes, eine Folge der einseitigen Bewegung, welche die Vögel mit dem Unterkiefer ausüben. Jm Vergleich zu den übrigen finkenartigen Vögeln erscheint der ganze Kopf groß und stark. Der Leib ist kurz, aber schmal und hoch, der Kamm des Brustbeins sehr lang und gewölbt, der Bauch kurz und schmal, der Hals stark, fast wie bei den Spechten; das Gefieder ist dicht und weich; die Flügel sind ziemlich lang, schmal, spitzig; die Steuerfedern sind stark, schmal, kurz, die seitlichen bedeutend länger, als die mittleren. Schenkel und Schienbein sind einwärts gebogen, kurz, stark und fleischig; die Fußwurzeln kurz und kräftig, die Zehen lang und mit derben gekrümmten und spitzen Nägeln versehen. Die kleinen Augen steheu her- vor; die rundlichen Nasenlöcher liegen dicht an der Stirn und sind durch haarartige Federn ganz oder fast ganz bedeckt. Der innere Leibesbau weicht kaum von dem anderer Finken ab.
Wie die meisten Ordnungsverwandten leben auch die Kreuzschnäbel in Gesellschaften, welche die Waldungen selten verlassen und auf deren Bäumen ihren Unterhalt finden. Aber sie sind strenger, als andere Finken, an bestimmte Waldbäume gebunden: nur Schwarzhölzer bieten ihnen die Erfor- dernisse zu ihrem Leben. Jm Laubwald halten sie sich nicht oder nur flüchtig während des Durchzugs auf. So streng begrenzt aber ihr Aufenthalt ist, so unbegrenzt ist ihre Heimat. Man kann vielleicht sagen, daß der Norden sie am häufigsten beherbergt, darf ihn aber keineswegs ihre ausschließliche Heimat nennen. Die Kreuzschnäbel haben keine Heimat. Sie sind die Zigeuner unter den Vögeln; sie leben überall und nirgends. Wie jenes merkwürdige Volk erscheinen sie plötzlich in einer be- stimmten Gegend, verweilen hier geraume Zeit, thun vom ersten Tage an heimisch, liegen auch wohl dem Fortpflanzungsgeschäft ob und verschwinden ebenso plötzlich wieder, als sie gekommen. Jhre Wanderungen stehen allerdings im Einklang mit dem zeitweiligen Reichthum der Nadelwaldungen: wenn der Waldsamen gerathen ist, pflegen sie sich einzufinden. Doch ist auch hierin keine bestimmte Regel festzustellen. Zu manchen Zeiten leben sie jahrelang nach einander bei uns in Deutschland, zu anderen vergehen viele Jahre, ehe sie einmal sich zeigen. Wenn und wo sie aber auch erscheinen
Allgemeines.
Unter dem zahlreichen Heer der Sperlingsvögel finden ſich mehrere, welche in demſelben Sinne die Papageien unter den Finken genannt werden dürfen, wie wir die Unzertrennlichen die Sper- linge unter den Sittichen nannten. Sie ſind gewiſſermaßen Uebergangsglieder der einen Ordnung zur anderen. Namentlich bei einer Familie der ſperlingsartigen Vögel, bei den Kreuzſchnäbeln, iſt die Papageiähnlichkeit von jeher anerkannt worden. Dieſe Thiere ſind nicht blos den Sittichen in ihrem Leibesbau ähnlich, ſondern auch in ihrem Weſen und Betragen, in ihren Bewegungen und gewiſſen Eigenthümlichkeiten.
Die Kreuzſchnäbel (Loxiae) bilden, obgleich bis jetzt nur wenige Arten bekannt geworden ſind, eine eigene Familie im engeren Sinne; denn ſie unterſcheiden ſich von allen übrigen Finken und nicht blos von dieſen, ſondern von den übrigen Vögeln überhaupt durch die Bildung ihres Schnabels. Bis jetzt kennt man nur noch einen Vogel, welcher ihnen ähnelt, keineswegs aber in ſo hohem Grade, daß alle Forſcher ihn als Verwandten anerkennen ſollten. Man hat die Kreuzſchnäbel früher mit anderen dickſchnäbligen Sperlingsvögeln in eine und dieſelbe Familie vereinigt oder den Hakengimpel zu ihnen geſtellt, niemals aber verkannt, daß die Aehnlichkeit, welche zwiſchen Kreuzſchnäbeln und andern Sper- lingsvögeln beſteht, ungleich geringer iſt, als zwiſchen ſämmtlichen übrigen Gliedern der Ordnung.
Bei genauerer Betrachtung zeigen ſich die Kreuzſchnäbel als durchaus eigenthümlich geſtaltete Vögel. Der gedrungene Leib iſt nicht das Bezeichnende an ihnen — denn ihn haben ſie mit vielen andern Sper- lingsvögeln gemein: der Kreuzſchnabel aber, welchen auch das Volk ſehr richtig als ihr wichtigſtes Merkmal aufgefaßt hat, bleibt ihr unbeſtrittenes Eigenthum. Dieſer Schnabel iſt dick und gleich von der Stirn aus ſtark gebogen: ſein Rücken iſt hoch und zugerundet; die breiten Kinnladen fallen plötz- lich ab und endigen in ſcharfen, vorn neben einander hingebogenen Spitzen. Der Oberkiefer ſchlägt bald rechts bald links über den unteren hinweg, ohne daß man hierbei von einem beſtimmten Geſetz ſprechen könnte: es gibt eben oder annähernd ſoviel Rechtsſchnäbler oder Rechtsſchläger, als Links- ſchnäbler oder Linksſchläger. Beachtenswerth, obſchon ſehr erklärlich, iſt die mit dem Kreuzſchnabel in Beziehung ſtehende ungleichzeitige Entwickelung der Muskeln und Knochen des Kopfes, eine Folge der einſeitigen Bewegung, welche die Vögel mit dem Unterkiefer ausüben. Jm Vergleich zu den übrigen finkenartigen Vögeln erſcheint der ganze Kopf groß und ſtark. Der Leib iſt kurz, aber ſchmal und hoch, der Kamm des Bruſtbeins ſehr lang und gewölbt, der Bauch kurz und ſchmal, der Hals ſtark, faſt wie bei den Spechten; das Gefieder iſt dicht und weich; die Flügel ſind ziemlich lang, ſchmal, ſpitzig; die Steuerfedern ſind ſtark, ſchmal, kurz, die ſeitlichen bedeutend länger, als die mittleren. Schenkel und Schienbein ſind einwärts gebogen, kurz, ſtark und fleiſchig; die Fußwurzeln kurz und kräftig, die Zehen lang und mit derben gekrümmten und ſpitzen Nägeln verſehen. Die kleinen Augen ſteheu her- vor; die rundlichen Naſenlöcher liegen dicht an der Stirn und ſind durch haarartige Federn ganz oder faſt ganz bedeckt. Der innere Leibesbau weicht kaum von dem anderer Finken ab.
Wie die meiſten Ordnungsverwandten leben auch die Kreuzſchnäbel in Geſellſchaften, welche die Waldungen ſelten verlaſſen und auf deren Bäumen ihren Unterhalt finden. Aber ſie ſind ſtrenger, als andere Finken, an beſtimmte Waldbäume gebunden: nur Schwarzhölzer bieten ihnen die Erfor- derniſſe zu ihrem Leben. Jm Laubwald halten ſie ſich nicht oder nur flüchtig während des Durchzugs auf. So ſtreng begrenzt aber ihr Aufenthalt iſt, ſo unbegrenzt iſt ihre Heimat. Man kann vielleicht ſagen, daß der Norden ſie am häufigſten beherbergt, darf ihn aber keineswegs ihre ausſchließliche Heimat nennen. Die Kreuzſchnäbel haben keine Heimat. Sie ſind die Zigeuner unter den Vögeln; ſie leben überall und nirgends. Wie jenes merkwürdige Volk erſcheinen ſie plötzlich in einer be- ſtimmten Gegend, verweilen hier geraume Zeit, thun vom erſten Tage an heimiſch, liegen auch wohl dem Fortpflanzungsgeſchäft ob und verſchwinden ebenſo plötzlich wieder, als ſie gekommen. Jhre Wanderungen ſtehen allerdings im Einklang mit dem zeitweiligen Reichthum der Nadelwaldungen: wenn der Waldſamen gerathen iſt, pflegen ſie ſich einzufinden. Doch iſt auch hierin keine beſtimmte Regel feſtzuſtellen. Zu manchen Zeiten leben ſie jahrelang nach einander bei uns in Deutſchland, zu anderen vergehen viele Jahre, ehe ſie einmal ſich zeigen. Wenn und wo ſie aber auch erſcheinen
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Allgemeines.
Unter dem zahlreichen Heer der Sperlingsvögel finden ſich mehrere, welche in demſelben Sinne
die Papageien unter den Finken genannt werden dürfen, wie wir die Unzertrennlichen die Sper-
linge unter den Sittichen nannten. Sie ſind gewiſſermaßen Uebergangsglieder der einen Ordnung
zur anderen. Namentlich bei einer Familie der ſperlingsartigen Vögel, bei den Kreuzſchnäbeln,
iſt die Papageiähnlichkeit von jeher anerkannt worden. Dieſe Thiere ſind nicht blos den Sittichen
in ihrem Leibesbau ähnlich, ſondern auch in ihrem Weſen und Betragen, in ihren Bewegungen und
gewiſſen Eigenthümlichkeiten.
Die Kreuzſchnäbel (Loxiae) bilden, obgleich bis jetzt nur wenige Arten bekannt geworden ſind,
eine eigene Familie im engeren Sinne; denn ſie unterſcheiden ſich von allen übrigen Finken und nicht
blos von dieſen, ſondern von den übrigen Vögeln überhaupt durch die Bildung ihres Schnabels. Bis
jetzt kennt man nur noch einen Vogel, welcher ihnen ähnelt, keineswegs aber in ſo hohem Grade, daß
alle Forſcher ihn als Verwandten anerkennen ſollten. Man hat die Kreuzſchnäbel früher mit anderen
dickſchnäbligen Sperlingsvögeln in eine und dieſelbe Familie vereinigt oder den Hakengimpel zu ihnen
geſtellt, niemals aber verkannt, daß die Aehnlichkeit, welche zwiſchen Kreuzſchnäbeln und andern Sper-
lingsvögeln beſteht, ungleich geringer iſt, als zwiſchen ſämmtlichen übrigen Gliedern der Ordnung.
Bei genauerer Betrachtung zeigen ſich die Kreuzſchnäbel als durchaus eigenthümlich geſtaltete Vögel.
Der gedrungene Leib iſt nicht das Bezeichnende an ihnen — denn ihn haben ſie mit vielen andern Sper-
lingsvögeln gemein: der Kreuzſchnabel aber, welchen auch das Volk ſehr richtig als ihr wichtigſtes
Merkmal aufgefaßt hat, bleibt ihr unbeſtrittenes Eigenthum. Dieſer Schnabel iſt dick und gleich von
der Stirn aus ſtark gebogen: ſein Rücken iſt hoch und zugerundet; die breiten Kinnladen fallen plötz-
lich ab und endigen in ſcharfen, vorn neben einander hingebogenen Spitzen. Der Oberkiefer ſchlägt
bald rechts bald links über den unteren hinweg, ohne daß man hierbei von einem beſtimmten Geſetz
ſprechen könnte: es gibt eben oder annähernd ſoviel Rechtsſchnäbler oder Rechtsſchläger, als Links-
ſchnäbler oder Linksſchläger. Beachtenswerth, obſchon ſehr erklärlich, iſt die mit dem Kreuzſchnabel in
Beziehung ſtehende ungleichzeitige Entwickelung der Muskeln und Knochen des Kopfes, eine Folge der
einſeitigen Bewegung, welche die Vögel mit dem Unterkiefer ausüben. Jm Vergleich zu den übrigen
finkenartigen Vögeln erſcheint der ganze Kopf groß und ſtark. Der Leib iſt kurz, aber ſchmal und hoch,
der Kamm des Bruſtbeins ſehr lang und gewölbt, der Bauch kurz und ſchmal, der Hals ſtark, faſt wie
bei den Spechten; das Gefieder iſt dicht und weich; die Flügel ſind ziemlich lang, ſchmal, ſpitzig;
die Steuerfedern ſind ſtark, ſchmal, kurz, die ſeitlichen bedeutend länger, als die mittleren. Schenkel
und Schienbein ſind einwärts gebogen, kurz, ſtark und fleiſchig; die Fußwurzeln kurz und kräftig, die
Zehen lang und mit derben gekrümmten und ſpitzen Nägeln verſehen. Die kleinen Augen ſteheu her-
vor; die rundlichen Naſenlöcher liegen dicht an der Stirn und ſind durch haarartige Federn ganz oder
faſt ganz bedeckt. Der innere Leibesbau weicht kaum von dem anderer Finken ab.
Wie die meiſten Ordnungsverwandten leben auch die Kreuzſchnäbel in Geſellſchaften, welche die
Waldungen ſelten verlaſſen und auf deren Bäumen ihren Unterhalt finden. Aber ſie ſind ſtrenger,
als andere Finken, an beſtimmte Waldbäume gebunden: nur Schwarzhölzer bieten ihnen die Erfor-
derniſſe zu ihrem Leben. Jm Laubwald halten ſie ſich nicht oder nur flüchtig während des Durchzugs
auf. So ſtreng begrenzt aber ihr Aufenthalt iſt, ſo unbegrenzt iſt ihre Heimat. Man kann vielleicht
ſagen, daß der Norden ſie am häufigſten beherbergt, darf ihn aber keineswegs ihre ausſchließliche
Heimat nennen. Die Kreuzſchnäbel haben keine Heimat. Sie ſind die Zigeuner unter den Vögeln;
ſie leben überall und nirgends. Wie jenes merkwürdige Volk erſcheinen ſie plötzlich in einer be-
ſtimmten Gegend, verweilen hier geraume Zeit, thun vom erſten Tage an heimiſch, liegen auch
wohl dem Fortpflanzungsgeſchäft ob und verſchwinden ebenſo plötzlich wieder, als ſie gekommen. Jhre
Wanderungen ſtehen allerdings im Einklang mit dem zeitweiligen Reichthum der Nadelwaldungen:
wenn der Waldſamen gerathen iſt, pflegen ſie ſich einzufinden. Doch iſt auch hierin keine beſtimmte
Regel feſtzuſtellen. Zu manchen Zeiten leben ſie jahrelang nach einander bei uns in Deutſchland, zu
anderen vergehen viele Jahre, ehe ſie einmal ſich zeigen. Wenn und wo ſie aber auch erſcheinen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 3. Hildburghausen, 1866, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben03_1866/107>, abgerufen am 25.11.2024.
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