Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Bartenwale. -- Der Walfisch.
soll der Wal andere seines Gleichen in erstaunlicher Entfernung wahrnehmen können; über Wasser
dagegen soll sein Auge nicht weit reichen. Das Gehör ist so stumpf, daß er nach Scoresby einen
lauten Schrei, selbst in der Entfernung einer Schiffslänge, nicht vernimmt; dagegen macht ihn bei
ruhigem Wetter ein geringes Plätschern im Wasser aufmerksam und spornt ihn zur Flucht an. Ein
Vogel, welcher sich ihm auf die Haut setzt, erregt sein Entsetzen; er taucht dann gewöhnlich mit
größter Schnelligkeit in die Tiefe. Vögel erscheinen blos deshalb auf ihm, um die Unmassen von
Schmarotzerthieren, welche sich in seiner Haut eingefressen haben, abzulesen, und das Hacken und das
Ausleeren dieser Thiere vermittelst des Schnabels mag dem Walfisch nicht eben behagen. Die Ober-
haut des Thieres scheint überhaupt ziemlich gefühlvoll zu sein. So merkt es eine Witterungs-
veränderung im voraus; denn vor jedem Sturm oder Gewitter überfällt es eine große Un-
ruhe, und es tobt dann heftig in den Fluthen umher. Unter seinen geistigen Eigenschaften dürfte
blos seine Anhänglichkeit an andere und die Mutterliebe erwähnenswerth sein. Andere Anzeigen des
Verstandes hat man nicht beobachtet. Der Walfisch rächt sich nicht einmal für die ihm angethane Be-
leidigung oder die ihm beigebrachten Verwundungen.

Die Nahrung besteht in Weich- und Krustenthieren, zumal Flossenfüßern und vor allen der
nördlichen Klio, welche in Unmenge das Eismeer überdeckt. Außerdem verzehrt er noch Ringel-
würmer und zwar diejenigen Arten, welche frei im Meere herumschwimmen. Fische scheint er nur
zufällig mit aufzunehmen und große kann er, seines engen Schlundes wegen, gar nicht ver-
schlingen.

Wenn der Wal sich vollkommen ungestört weiß, nähert er sich alle zwei bis drei Minuten der
Oberfläche, um zu athmen und nimmt dann rasch nach einander vier bis sechs Mal Luft ein. Der
Strahl, welchen er auswirft, steigt nicht selten bis vierzig Fuß in die Höhe und kann somit auf eine
Entfernung von einer oder anderthalb Seemeile gesehen werden. Seefahrer vergleichen die Strahlen
einer Herde von Walfischen mit den rauchenden Schornsteinen einer Fabrikstadt, lassen aber dabei frei-
lich ihrer Einbildungskraft völlig freien Spielraum. Scoresby gibt an, daß der Wal, auch wenn
er auf Nahrung ausgeht, funfzehn bis zwanzig Minuten, wenn er verwundet, aber sogar eine halbe
bis beinahe eine ganze Stunde unter Wasser verweilen könne. Die Angabe scheint mir zu hoch gegriffen
zu sein. Der genannte Beobachter fügt hinzu, daß ein Wal, welcher etwa 40 Minuten lang unter
Wasser verweilte, ganz erschöpft wieder an die Oberfläche komme, wahrscheinlich in Folge des unge-
heuren Wasserdruckes, den er in der Tiefe des Meeres aushalten mußte, eines Druckes, welcher mehr
als 100,000 Centner betragen soll.

Eine Stimme hat man von dem Walfisch noch niemals wahrgenommen, und Scoresby
glaubt, daß er gar nicht im Stande wäre, Töne auszustoßen. Der Naturforscher kann dieser Mei-
nung nicht beipflichten, weil der Kehlkopf des Wales wie der des Finnfisches gebaut ist und man
von diesem schon mehr als ein Mal ein Gebrüll gehört hat.

Bei recht gutem Wetter hat man den Walfisch auch während seines Schlafes beobachtet. Er
liegt dann wie ein Leichnam auf der Oberfläche, ohne sich zu rühren, hält sich aber durch die Brust-
flossen immer im Gleichgewicht.

Jn den nordischen Meeren paaren sich Walfische zwischen Anfang Junis und Ende Julis. Um
diese Zeit zeigen beide Geschlechter große Erregung und treiben alle die Künste und Spiele, welche ich
schon oben beschrieben habe. Nach zehn Monaten, möglicherweise aber auch nach zweiundzwanzig
oder gar vierunddreißig, im März und April nämlich, bringt das Weibchen ein einziges Junge,
höchst selten auch Zwillinge zur Welt. Dieses ist schon ein recht tüchtiges Thier von zehn bis vierzehn
Fuß Länge und entsprechendem Umfang und Gewicht. Die Jungen wachsen außerordentlich rasch; noch
als Säuglinge haben sie bereits eine Länge von etwa 20 Fuß, einen Umfang von 15 Fuß und fünf
Tonnen oder 11,200 Pfund erreicht. Sie folgen ihrer Mutter über ein Jahr lang, bis die Barten
so weit gewachsen sind, daß sie selbst ihre Nahrung sich erwerben können. "Ohngeachtet des
Stumpfsinnes der Wale," sagt Scoresby, "ist doch die mütterliche Liebe außerordentlich groß.

Die Bartenwale. — Der Walfiſch.
ſoll der Wal andere ſeines Gleichen in erſtaunlicher Entfernung wahrnehmen können; über Waſſer
dagegen ſoll ſein Auge nicht weit reichen. Das Gehör iſt ſo ſtumpf, daß er nach Scoresby einen
lauten Schrei, ſelbſt in der Entfernung einer Schiffslänge, nicht vernimmt; dagegen macht ihn bei
ruhigem Wetter ein geringes Plätſchern im Waſſer aufmerkſam und ſpornt ihn zur Flucht an. Ein
Vogel, welcher ſich ihm auf die Haut ſetzt, erregt ſein Entſetzen; er taucht dann gewöhnlich mit
größter Schnelligkeit in die Tiefe. Vögel erſcheinen blos deshalb auf ihm, um die Unmaſſen von
Schmarotzerthieren, welche ſich in ſeiner Haut eingefreſſen haben, abzuleſen, und das Hacken und das
Ausleeren dieſer Thiere vermittelſt des Schnabels mag dem Walfiſch nicht eben behagen. Die Ober-
haut des Thieres ſcheint überhaupt ziemlich gefühlvoll zu ſein. So merkt es eine Witterungs-
veränderung im voraus; denn vor jedem Sturm oder Gewitter überfällt es eine große Un-
ruhe, und es tobt dann heftig in den Fluthen umher. Unter ſeinen geiſtigen Eigenſchaften dürfte
blos ſeine Anhänglichkeit an andere und die Mutterliebe erwähnenswerth ſein. Andere Anzeigen des
Verſtandes hat man nicht beobachtet. Der Walfiſch rächt ſich nicht einmal für die ihm angethane Be-
leidigung oder die ihm beigebrachten Verwundungen.

Die Nahrung beſteht in Weich- und Kruſtenthieren, zumal Floſſenfüßern und vor allen der
nördlichen Klio, welche in Unmenge das Eismeer überdeckt. Außerdem verzehrt er noch Ringel-
würmer und zwar diejenigen Arten, welche frei im Meere herumſchwimmen. Fiſche ſcheint er nur
zufällig mit aufzunehmen und große kann er, ſeines engen Schlundes wegen, gar nicht ver-
ſchlingen.

Wenn der Wal ſich vollkommen ungeſtört weiß, nähert er ſich alle zwei bis drei Minuten der
Oberfläche, um zu athmen und nimmt dann raſch nach einander vier bis ſechs Mal Luft ein. Der
Strahl, welchen er auswirft, ſteigt nicht ſelten bis vierzig Fuß in die Höhe und kann ſomit auf eine
Entfernung von einer oder anderthalb Seemeile geſehen werden. Seefahrer vergleichen die Strahlen
einer Herde von Walfiſchen mit den rauchenden Schornſteinen einer Fabrikſtadt, laſſen aber dabei frei-
lich ihrer Einbildungskraft völlig freien Spielraum. Scoresby gibt an, daß der Wal, auch wenn
er auf Nahrung ausgeht, funfzehn bis zwanzig Minuten, wenn er verwundet, aber ſogar eine halbe
bis beinahe eine ganze Stunde unter Waſſer verweilen könne. Die Angabe ſcheint mir zu hoch gegriffen
zu ſein. Der genannte Beobachter fügt hinzu, daß ein Wal, welcher etwa 40 Minuten lang unter
Waſſer verweilte, ganz erſchöpft wieder an die Oberfläche komme, wahrſcheinlich in Folge des unge-
heuren Waſſerdruckes, den er in der Tiefe des Meeres aushalten mußte, eines Druckes, welcher mehr
als 100,000 Centner betragen ſoll.

Eine Stimme hat man von dem Walfiſch noch niemals wahrgenommen, und Scoresby
glaubt, daß er gar nicht im Stande wäre, Töne auszuſtoßen. Der Naturforſcher kann dieſer Mei-
nung nicht beipflichten, weil der Kehlkopf des Wales wie der des Finnfiſches gebaut iſt und man
von dieſem ſchon mehr als ein Mal ein Gebrüll gehört hat.

Bei recht gutem Wetter hat man den Walfiſch auch während ſeines Schlafes beobachtet. Er
liegt dann wie ein Leichnam auf der Oberfläche, ohne ſich zu rühren, hält ſich aber durch die Bruſt-
floſſen immer im Gleichgewicht.

Jn den nordiſchen Meeren paaren ſich Walfiſche zwiſchen Anfang Junis und Ende Julis. Um
dieſe Zeit zeigen beide Geſchlechter große Erregung und treiben alle die Künſte und Spiele, welche ich
ſchon oben beſchrieben habe. Nach zehn Monaten, möglicherweiſe aber auch nach zweiundzwanzig
oder gar vierunddreißig, im März und April nämlich, bringt das Weibchen ein einziges Junge,
höchſt ſelten auch Zwillinge zur Welt. Dieſes iſt ſchon ein recht tüchtiges Thier von zehn bis vierzehn
Fuß Länge und entſprechendem Umfang und Gewicht. Die Jungen wachſen außerordentlich raſch; noch
als Säuglinge haben ſie bereits eine Länge von etwa 20 Fuß, einen Umfang von 15 Fuß und fünf
Tonnen oder 11,200 Pfund erreicht. Sie folgen ihrer Mutter über ein Jahr lang, bis die Barten
ſo weit gewachſen ſind, daß ſie ſelbſt ihre Nahrung ſich erwerben können. „Ohngeachtet des
Stumpfſinnes der Wale,‟ ſagt Scoresby, „iſt doch die mütterliche Liebe außerordentlich groß.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0920" n="870"/><fw place="top" type="header">Die Bartenwale. &#x2014; Der Walfi&#x017F;ch.</fw><lb/>
&#x017F;oll der Wal andere &#x017F;eines Gleichen in er&#x017F;taunlicher Entfernung wahrnehmen können; über Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
dagegen &#x017F;oll &#x017F;ein Auge nicht weit reichen. Das Gehör i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;tumpf, daß er nach <hi rendition="#g">Scoresby</hi> einen<lb/>
lauten Schrei, &#x017F;elb&#x017F;t in der Entfernung einer Schiffslänge, nicht vernimmt; dagegen macht ihn bei<lb/>
ruhigem Wetter ein geringes Plät&#x017F;chern im Wa&#x017F;&#x017F;er aufmerk&#x017F;am und &#x017F;pornt ihn zur Flucht an. Ein<lb/>
Vogel, welcher &#x017F;ich ihm auf die Haut &#x017F;etzt, erregt &#x017F;ein Ent&#x017F;etzen; er taucht dann gewöhnlich mit<lb/>
größter Schnelligkeit in die Tiefe. Vögel er&#x017F;cheinen blos deshalb auf ihm, um die Unma&#x017F;&#x017F;en von<lb/>
Schmarotzerthieren, welche &#x017F;ich in &#x017F;einer Haut eingefre&#x017F;&#x017F;en haben, abzule&#x017F;en, und das Hacken und das<lb/>
Ausleeren die&#x017F;er Thiere vermittel&#x017F;t des Schnabels mag dem Walfi&#x017F;ch nicht eben behagen. Die Ober-<lb/>
haut des Thieres &#x017F;cheint überhaupt ziemlich gefühlvoll zu &#x017F;ein. So merkt es eine Witterungs-<lb/>
veränderung im voraus; denn vor jedem Sturm oder Gewitter überfällt es eine große Un-<lb/>
ruhe, und es tobt dann heftig in den Fluthen umher. Unter &#x017F;einen gei&#x017F;tigen Eigen&#x017F;chaften dürfte<lb/>
blos &#x017F;eine Anhänglichkeit an andere und die Mutterliebe erwähnenswerth &#x017F;ein. Andere Anzeigen des<lb/>
Ver&#x017F;tandes hat man nicht beobachtet. Der Walfi&#x017F;ch rächt &#x017F;ich nicht einmal für die ihm angethane Be-<lb/>
leidigung oder die ihm beigebrachten Verwundungen.</p><lb/>
              <p>Die Nahrung be&#x017F;teht in Weich- und Kru&#x017F;tenthieren, zumal Flo&#x017F;&#x017F;enfüßern und vor allen der<lb/>
nördlichen <hi rendition="#g">Klio,</hi> welche in Unmenge das Eismeer überdeckt. Außerdem verzehrt er noch Ringel-<lb/>
würmer und zwar diejenigen Arten, welche frei im Meere herum&#x017F;chwimmen. Fi&#x017F;che &#x017F;cheint er nur<lb/>
zufällig mit aufzunehmen und große kann er, &#x017F;eines engen Schlundes wegen, gar nicht ver-<lb/>
&#x017F;chlingen.</p><lb/>
              <p>Wenn der Wal &#x017F;ich vollkommen unge&#x017F;tört weiß, nähert er &#x017F;ich alle zwei bis drei Minuten der<lb/>
Oberfläche, um zu athmen und nimmt dann ra&#x017F;ch nach einander vier bis &#x017F;echs Mal Luft ein. Der<lb/>
Strahl, welchen er auswirft, &#x017F;teigt nicht &#x017F;elten bis vierzig Fuß in die Höhe und kann &#x017F;omit auf eine<lb/>
Entfernung von einer oder anderthalb Seemeile ge&#x017F;ehen werden. Seefahrer vergleichen die Strahlen<lb/>
einer Herde von Walfi&#x017F;chen mit den rauchenden Schorn&#x017F;teinen einer Fabrik&#x017F;tadt, la&#x017F;&#x017F;en aber dabei frei-<lb/>
lich ihrer Einbildungskraft völlig freien Spielraum. <hi rendition="#g">Scoresby</hi> gibt an, daß der Wal, auch wenn<lb/>
er auf Nahrung ausgeht, funfzehn bis zwanzig Minuten, wenn er verwundet, aber &#x017F;ogar eine halbe<lb/>
bis beinahe eine ganze Stunde unter Wa&#x017F;&#x017F;er verweilen könne. Die Angabe &#x017F;cheint mir zu hoch gegriffen<lb/>
zu &#x017F;ein. Der genannte Beobachter fügt hinzu, daß ein Wal, welcher etwa 40 Minuten lang unter<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er verweilte, ganz er&#x017F;chöpft wieder an die Oberfläche komme, wahr&#x017F;cheinlich in Folge des unge-<lb/>
heuren Wa&#x017F;&#x017F;erdruckes, den er in der Tiefe des Meeres aushalten mußte, eines Druckes, welcher mehr<lb/>
als 100,000 Centner betragen &#x017F;oll.</p><lb/>
              <p>Eine Stimme hat man von dem Walfi&#x017F;ch noch niemals wahrgenommen, und <hi rendition="#g">Scoresby</hi><lb/>
glaubt, daß er gar nicht im Stande wäre, Töne auszu&#x017F;toßen. Der Naturfor&#x017F;cher kann die&#x017F;er Mei-<lb/>
nung nicht beipflichten, weil der Kehlkopf des Wales wie der des Finnfi&#x017F;ches gebaut i&#x017F;t und man<lb/>
von die&#x017F;em &#x017F;chon mehr als ein Mal ein Gebrüll gehört hat.</p><lb/>
              <p>Bei recht gutem Wetter hat man den Walfi&#x017F;ch auch während &#x017F;eines Schlafes beobachtet. Er<lb/>
liegt dann wie ein Leichnam auf der Oberfläche, ohne &#x017F;ich zu rühren, hält &#x017F;ich aber durch die Bru&#x017F;t-<lb/>
flo&#x017F;&#x017F;en immer im Gleichgewicht.</p><lb/>
              <p>Jn den nordi&#x017F;chen Meeren paaren &#x017F;ich Walfi&#x017F;che zwi&#x017F;chen Anfang Junis und Ende Julis. Um<lb/>
die&#x017F;e Zeit zeigen beide Ge&#x017F;chlechter große Erregung und treiben alle die Kün&#x017F;te und Spiele, welche ich<lb/>
&#x017F;chon oben be&#x017F;chrieben habe. Nach zehn Monaten, möglicherwei&#x017F;e aber auch nach zweiundzwanzig<lb/>
oder gar vierunddreißig, im März und April nämlich, bringt das Weibchen ein einziges Junge,<lb/>
höch&#x017F;t &#x017F;elten auch Zwillinge zur Welt. Die&#x017F;es i&#x017F;t &#x017F;chon ein recht tüchtiges Thier von zehn bis vierzehn<lb/>
Fuß Länge und ent&#x017F;prechendem Umfang und Gewicht. Die Jungen wach&#x017F;en außerordentlich ra&#x017F;ch; noch<lb/>
als Säuglinge haben &#x017F;ie bereits eine Länge von etwa 20 Fuß, einen Umfang von 15 Fuß und fünf<lb/>
Tonnen oder 11,200 Pfund erreicht. Sie folgen ihrer Mutter über ein Jahr lang, bis die Barten<lb/>
&#x017F;o weit gewach&#x017F;en &#x017F;ind, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ihre Nahrung &#x017F;ich erwerben können. &#x201E;Ohngeachtet des<lb/>
Stumpf&#x017F;innes der Wale,&#x201F; &#x017F;agt <hi rendition="#g">Scoresby,</hi> &#x201E;i&#x017F;t doch die mütterliche Liebe außerordentlich groß.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[870/0920] Die Bartenwale. — Der Walfiſch. ſoll der Wal andere ſeines Gleichen in erſtaunlicher Entfernung wahrnehmen können; über Waſſer dagegen ſoll ſein Auge nicht weit reichen. Das Gehör iſt ſo ſtumpf, daß er nach Scoresby einen lauten Schrei, ſelbſt in der Entfernung einer Schiffslänge, nicht vernimmt; dagegen macht ihn bei ruhigem Wetter ein geringes Plätſchern im Waſſer aufmerkſam und ſpornt ihn zur Flucht an. Ein Vogel, welcher ſich ihm auf die Haut ſetzt, erregt ſein Entſetzen; er taucht dann gewöhnlich mit größter Schnelligkeit in die Tiefe. Vögel erſcheinen blos deshalb auf ihm, um die Unmaſſen von Schmarotzerthieren, welche ſich in ſeiner Haut eingefreſſen haben, abzuleſen, und das Hacken und das Ausleeren dieſer Thiere vermittelſt des Schnabels mag dem Walfiſch nicht eben behagen. Die Ober- haut des Thieres ſcheint überhaupt ziemlich gefühlvoll zu ſein. So merkt es eine Witterungs- veränderung im voraus; denn vor jedem Sturm oder Gewitter überfällt es eine große Un- ruhe, und es tobt dann heftig in den Fluthen umher. Unter ſeinen geiſtigen Eigenſchaften dürfte blos ſeine Anhänglichkeit an andere und die Mutterliebe erwähnenswerth ſein. Andere Anzeigen des Verſtandes hat man nicht beobachtet. Der Walfiſch rächt ſich nicht einmal für die ihm angethane Be- leidigung oder die ihm beigebrachten Verwundungen. Die Nahrung beſteht in Weich- und Kruſtenthieren, zumal Floſſenfüßern und vor allen der nördlichen Klio, welche in Unmenge das Eismeer überdeckt. Außerdem verzehrt er noch Ringel- würmer und zwar diejenigen Arten, welche frei im Meere herumſchwimmen. Fiſche ſcheint er nur zufällig mit aufzunehmen und große kann er, ſeines engen Schlundes wegen, gar nicht ver- ſchlingen. Wenn der Wal ſich vollkommen ungeſtört weiß, nähert er ſich alle zwei bis drei Minuten der Oberfläche, um zu athmen und nimmt dann raſch nach einander vier bis ſechs Mal Luft ein. Der Strahl, welchen er auswirft, ſteigt nicht ſelten bis vierzig Fuß in die Höhe und kann ſomit auf eine Entfernung von einer oder anderthalb Seemeile geſehen werden. Seefahrer vergleichen die Strahlen einer Herde von Walfiſchen mit den rauchenden Schornſteinen einer Fabrikſtadt, laſſen aber dabei frei- lich ihrer Einbildungskraft völlig freien Spielraum. Scoresby gibt an, daß der Wal, auch wenn er auf Nahrung ausgeht, funfzehn bis zwanzig Minuten, wenn er verwundet, aber ſogar eine halbe bis beinahe eine ganze Stunde unter Waſſer verweilen könne. Die Angabe ſcheint mir zu hoch gegriffen zu ſein. Der genannte Beobachter fügt hinzu, daß ein Wal, welcher etwa 40 Minuten lang unter Waſſer verweilte, ganz erſchöpft wieder an die Oberfläche komme, wahrſcheinlich in Folge des unge- heuren Waſſerdruckes, den er in der Tiefe des Meeres aushalten mußte, eines Druckes, welcher mehr als 100,000 Centner betragen ſoll. Eine Stimme hat man von dem Walfiſch noch niemals wahrgenommen, und Scoresby glaubt, daß er gar nicht im Stande wäre, Töne auszuſtoßen. Der Naturforſcher kann dieſer Mei- nung nicht beipflichten, weil der Kehlkopf des Wales wie der des Finnfiſches gebaut iſt und man von dieſem ſchon mehr als ein Mal ein Gebrüll gehört hat. Bei recht gutem Wetter hat man den Walfiſch auch während ſeines Schlafes beobachtet. Er liegt dann wie ein Leichnam auf der Oberfläche, ohne ſich zu rühren, hält ſich aber durch die Bruſt- floſſen immer im Gleichgewicht. Jn den nordiſchen Meeren paaren ſich Walfiſche zwiſchen Anfang Junis und Ende Julis. Um dieſe Zeit zeigen beide Geſchlechter große Erregung und treiben alle die Künſte und Spiele, welche ich ſchon oben beſchrieben habe. Nach zehn Monaten, möglicherweiſe aber auch nach zweiundzwanzig oder gar vierunddreißig, im März und April nämlich, bringt das Weibchen ein einziges Junge, höchſt ſelten auch Zwillinge zur Welt. Dieſes iſt ſchon ein recht tüchtiges Thier von zehn bis vierzehn Fuß Länge und entſprechendem Umfang und Gewicht. Die Jungen wachſen außerordentlich raſch; noch als Säuglinge haben ſie bereits eine Länge von etwa 20 Fuß, einen Umfang von 15 Fuß und fünf Tonnen oder 11,200 Pfund erreicht. Sie folgen ihrer Mutter über ein Jahr lang, bis die Barten ſo weit gewachſen ſind, daß ſie ſelbſt ihre Nahrung ſich erwerben können. „Ohngeachtet des Stumpfſinnes der Wale,‟ ſagt Scoresby, „iſt doch die mütterliche Liebe außerordentlich groß.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/920
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 870. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/920>, abgerufen am 23.11.2024.