Mit Sicherheit hat man nur zwei dieser Sippe angehörige Mitglieder unterschieden: den nörd- lichen und den südlichen Walfisch. Beide sind sich außerordentlich ähnlich; doch bleibt der südliche hinter dem nordischen immer an Größe zurück, hat auch einen kleineren Kopf, eine breitere Schnauze, kürzere Barten, größere Brustflossen, eine weniger tief ausgeschnittene Schwanzfinne und dunklere Färbung, sowie verschiedene Eigenthümlichkeiten im Geripp, unter anderen zwei Rippen- paare mehr. Wir lernen beide Arten genügend kennen, wenn wir die über den nordischen Wal ge- machten Beobachtungen zusammenstellen.
Unzählige Seefahrer und Schriftsteller haben über dieses ebenso auffallende, als nützliche Geschöpf berichtet; unter Allen aber danken wir dem Engländer Scoresby die ausführlichste und genaueste Beschreibung des Walfisches. Der dem Menschen angeborene Hang zur Uebertrei- bung des Wunderbaren hat sich auch bei dem nordischen Walfische gezeigt. Jn vielen älteren Schrif- ten und selbst noch in manchen von unwissenden Schriftstellern der Neuzeit zusammengestellten Be- schreibungen finden wir die Angabe, daß es in früheren Zeiten Walfische von 150 bis 200 Fuß Länge gegeben habe, und daß nur die unablässige Nachstellung des Menschen die Ursache wäre, wenn die heutigen Wale höchstens 80 bis 100 Schuh lang würden. Diese Angaben sind als völlig aus der Luft gegriffene anzusehen. Scoresby, welcher selbst beim Fang von dreihundertzweiund- zwanzig Walen zugegen war, fand unter ihnen keinen von mehr als 60 Fuß Länge; der größte, den er beobachtete, maß blos 58 Fuß. Nur Karl Gisecke berichtet von einem im Jahre 1813 gefangenen Walfisch, welcher 67 Schuh lang war, und im Anfang dieses Jahrhunderts wurde einer bei Spitzbergen harpunirt, welcher ungefähr dieselbe Länge und 15 fußlange Barten besaß. Diese beiden sind die größten, von deren Fang wir überhaupt Kunde haben; denn auch die Seefahrer, welche vor mehr als drei- bis vierhundert Jahren auf den Walfischfang auszogen, sprechen nur von 60 Fuß langen Walen. Und ein solches Thier ist und bleibt auch immer eine wahrhaft un- geheuerliche, staunenerregende Erscheinung! Bei dieser Länge besitzt das Ungethüm einen Umfang hinter den Brustflossen von mehr als 30 bis 40 Fuß und ein Gewicht von gegen 300,000 Pfund: ein Gewicht, welches etwa von 30 Elefanten, 40 Nashörnern oder Flußpferden und 200 Stieren aufgehoben würde.
Der Walfisch (Balaena Mystieetus) ist ein unförmliches Geschöpf, welches in allen seinen Gliedern Mißverhältnisse zeigt. Der ungeheure Kopf nimmt drei bis vier Zehntel oder durchschnitt- lich ein Drittel der Gesammtlänge des Leibes ein. Das Maul mißt 16 bis 20 Fuß in der Länge und 10 bis 12 Fuß in der Breite: es gibt Raum genug für ein Bot mitsammt seiner Mann- schaft. Der vollkommen runde Leib, welcher nicht durch einen sichtbaren Hals vom Kopfe geschie- den ist, trägt 7 bis 9 Fuß lange, 4 bis 5 Fuß breite, längliche, eiförmig gestaltete, sehr biegsame und bewegliche Brustflossen und eine ungeheuer große Schwanzfinne von 5 bis 6 Fuß in der Länge und 18 bis 26 Fuß in der Breite -- ein Nuder oder Steuer, welches gegen 200 Geviertfuß Fläche besitzt. Die Spritzlöcher liegen bei dem erwachsenen Thiere etwa 10 Fuß von dem Schnauzenende entfernt, auf der höchsten Stelle des Kopfes, und sind etwa 11/2 Fuß lange, Sförmig gestaltete, schmale Längsspalten. Die Augen, welche kaum größer sind, als die eines Rindes, stehen seitlich am Kopfe, schräg über und hinter den Mundwinkeln. Der Hörgang ist so eng, daß man kaum den kleinen Finger hineinstecken kann, außerdem aber noch, wie bei den meisten Walen, verschließ- bar und also dem Wasser unzugänglich. Barten besitzt der Walfisch 316 bis 350 auf jeder Seite des riesigen Rachens. Die längsten stehen in der Mitte des Kiefers; von da an verkürzen sie sich nach beiden Seiten hin. Barten von funfzehn Fuß Länge werden außerordentlich selten getroffen. Bei Walen von 50 Fuß Länge messen sie gewöhnlich 10 bis 11 Fuß, bei einer Breite von eben- soviel Zollen. Die Zunge liegt unbeweglich im Kiefer; sie ist mit ihrer ganzen Unterseite an diesem festgewachsen, sehr groß und so weich, daß der geringste Druck eine tiefe Mulde in ihr hinterläßt, so weich, daß ein Mann, welcher sich auf sie niederlegen wollte, in ihr versinken würde: sie ist
Die Bartenwale. — Der Walfiſch.
Mit Sicherheit hat man nur zwei dieſer Sippe angehörige Mitglieder unterſchieden: den nörd- lichen und den ſüdlichen Walfiſch. Beide ſind ſich außerordentlich ähnlich; doch bleibt der ſüdliche hinter dem nordiſchen immer an Größe zurück, hat auch einen kleineren Kopf, eine breitere Schnauze, kürzere Barten, größere Bruſtfloſſen, eine weniger tief ausgeſchnittene Schwanzfinne und dunklere Färbung, ſowie verſchiedene Eigenthümlichkeiten im Geripp, unter anderen zwei Rippen- paare mehr. Wir lernen beide Arten genügend kennen, wenn wir die über den nordiſchen Wal ge- machten Beobachtungen zuſammenſtellen.
Unzählige Seefahrer und Schriftſteller haben über dieſes ebenſo auffallende, als nützliche Geſchöpf berichtet; unter Allen aber danken wir dem Engländer Scoresby die ausführlichſte und genaueſte Beſchreibung des Walfiſches. Der dem Menſchen angeborene Hang zur Uebertrei- bung des Wunderbaren hat ſich auch bei dem nordiſchen Walfiſche gezeigt. Jn vielen älteren Schrif- ten und ſelbſt noch in manchen von unwiſſenden Schriftſtellern der Neuzeit zuſammengeſtellten Be- ſchreibungen finden wir die Angabe, daß es in früheren Zeiten Walfiſche von 150 bis 200 Fuß Länge gegeben habe, und daß nur die unabläſſige Nachſtellung des Menſchen die Urſache wäre, wenn die heutigen Wale höchſtens 80 bis 100 Schuh lang würden. Dieſe Angaben ſind als völlig aus der Luft gegriffene anzuſehen. Scoresby, welcher ſelbſt beim Fang von dreihundertzweiund- zwanzig Walen zugegen war, fand unter ihnen keinen von mehr als 60 Fuß Länge; der größte, den er beobachtete, maß blos 58 Fuß. Nur Karl Giſecke berichtet von einem im Jahre 1813 gefangenen Walfiſch, welcher 67 Schuh lang war, und im Anfang dieſes Jahrhunderts wurde einer bei Spitzbergen harpunirt, welcher ungefähr dieſelbe Länge und 15 fußlange Barten beſaß. Dieſe beiden ſind die größten, von deren Fang wir überhaupt Kunde haben; denn auch die Seefahrer, welche vor mehr als drei- bis vierhundert Jahren auf den Walfiſchfang auszogen, ſprechen nur von 60 Fuß langen Walen. Und ein ſolches Thier iſt und bleibt auch immer eine wahrhaft un- geheuerliche, ſtaunenerregende Erſcheinung! Bei dieſer Länge beſitzt das Ungethüm einen Umfang hinter den Bruſtfloſſen von mehr als 30 bis 40 Fuß und ein Gewicht von gegen 300,000 Pfund: ein Gewicht, welches etwa von 30 Elefanten, 40 Nashörnern oder Flußpferden und 200 Stieren aufgehoben würde.
Der Walfiſch (Balaena Mystieetus) iſt ein unförmliches Geſchöpf, welches in allen ſeinen Gliedern Mißverhältniſſe zeigt. Der ungeheure Kopf nimmt drei bis vier Zehntel oder durchſchnitt- lich ein Drittel der Geſammtlänge des Leibes ein. Das Maul mißt 16 bis 20 Fuß in der Länge und 10 bis 12 Fuß in der Breite: es gibt Raum genug für ein Bot mitſammt ſeiner Mann- ſchaft. Der vollkommen runde Leib, welcher nicht durch einen ſichtbaren Hals vom Kopfe geſchie- den iſt, trägt 7 bis 9 Fuß lange, 4 bis 5 Fuß breite, längliche, eiförmig geſtaltete, ſehr biegſame und bewegliche Bruſtfloſſen und eine ungeheuer große Schwanzfinne von 5 bis 6 Fuß in der Länge und 18 bis 26 Fuß in der Breite — ein Nuder oder Steuer, welches gegen 200 Geviertfuß Fläche beſitzt. Die Spritzlöcher liegen bei dem erwachſenen Thiere etwa 10 Fuß von dem Schnauzenende entfernt, auf der höchſten Stelle des Kopfes, und ſind etwa 1½ Fuß lange, Sförmig geſtaltete, ſchmale Längsſpalten. Die Augen, welche kaum größer ſind, als die eines Rindes, ſtehen ſeitlich am Kopfe, ſchräg über und hinter den Mundwinkeln. Der Hörgang iſt ſo eng, daß man kaum den kleinen Finger hineinſtecken kann, außerdem aber noch, wie bei den meiſten Walen, verſchließ- bar und alſo dem Waſſer unzugänglich. Barten beſitzt der Walfiſch 316 bis 350 auf jeder Seite des rieſigen Rachens. Die längſten ſtehen in der Mitte des Kiefers; von da an verkürzen ſie ſich nach beiden Seiten hin. Barten von funfzehn Fuß Länge werden außerordentlich ſelten getroffen. Bei Walen von 50 Fuß Länge meſſen ſie gewöhnlich 10 bis 11 Fuß, bei einer Breite von eben- ſoviel Zollen. Die Zunge liegt unbeweglich im Kiefer; ſie iſt mit ihrer ganzen Unterſeite an dieſem feſtgewachſen, ſehr groß und ſo weich, daß der geringſte Druck eine tiefe Mulde in ihr hinterläßt, ſo weich, daß ein Mann, welcher ſich auf ſie niederlegen wollte, in ihr verſinken würde: ſie iſt
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Die Bartenwale. — Der Walfiſch.
Mit Sicherheit hat man nur zwei dieſer Sippe angehörige Mitglieder unterſchieden: den nörd-
lichen und den ſüdlichen Walfiſch. Beide ſind ſich außerordentlich ähnlich; doch bleibt der ſüdliche
hinter dem nordiſchen immer an Größe zurück, hat auch einen kleineren Kopf, eine breitere
Schnauze, kürzere Barten, größere Bruſtfloſſen, eine weniger tief ausgeſchnittene Schwanzfinne und
dunklere Färbung, ſowie verſchiedene Eigenthümlichkeiten im Geripp, unter anderen zwei Rippen-
paare mehr. Wir lernen beide Arten genügend kennen, wenn wir die über den nordiſchen Wal ge-
machten Beobachtungen zuſammenſtellen.
Unzählige Seefahrer und Schriftſteller haben über dieſes ebenſo auffallende, als nützliche
Geſchöpf berichtet; unter Allen aber danken wir dem Engländer Scoresby die ausführlichſte
und genaueſte Beſchreibung des Walfiſches. Der dem Menſchen angeborene Hang zur Uebertrei-
bung des Wunderbaren hat ſich auch bei dem nordiſchen Walfiſche gezeigt. Jn vielen älteren Schrif-
ten und ſelbſt noch in manchen von unwiſſenden Schriftſtellern der Neuzeit zuſammengeſtellten Be-
ſchreibungen finden wir die Angabe, daß es in früheren Zeiten Walfiſche von 150 bis 200 Fuß
Länge gegeben habe, und daß nur die unabläſſige Nachſtellung des Menſchen die Urſache wäre,
wenn die heutigen Wale höchſtens 80 bis 100 Schuh lang würden. Dieſe Angaben ſind als völlig
aus der Luft gegriffene anzuſehen. Scoresby, welcher ſelbſt beim Fang von dreihundertzweiund-
zwanzig Walen zugegen war, fand unter ihnen keinen von mehr als 60 Fuß Länge; der größte,
den er beobachtete, maß blos 58 Fuß. Nur Karl Giſecke berichtet von einem im Jahre 1813
gefangenen Walfiſch, welcher 67 Schuh lang war, und im Anfang dieſes Jahrhunderts wurde einer
bei Spitzbergen harpunirt, welcher ungefähr dieſelbe Länge und 15 fußlange Barten beſaß. Dieſe
beiden ſind die größten, von deren Fang wir überhaupt Kunde haben; denn auch die Seefahrer,
welche vor mehr als drei- bis vierhundert Jahren auf den Walfiſchfang auszogen, ſprechen nur
von 60 Fuß langen Walen. Und ein ſolches Thier iſt und bleibt auch immer eine wahrhaft un-
geheuerliche, ſtaunenerregende Erſcheinung! Bei dieſer Länge beſitzt das Ungethüm einen Umfang
hinter den Bruſtfloſſen von mehr als 30 bis 40 Fuß und ein Gewicht von gegen 300,000 Pfund:
ein Gewicht, welches etwa von 30 Elefanten, 40 Nashörnern oder Flußpferden und 200 Stieren
aufgehoben würde.
Der Walfiſch (Balaena Mystieetus) iſt ein unförmliches Geſchöpf, welches in allen ſeinen
Gliedern Mißverhältniſſe zeigt. Der ungeheure Kopf nimmt drei bis vier Zehntel oder durchſchnitt-
lich ein Drittel der Geſammtlänge des Leibes ein. Das Maul mißt 16 bis 20 Fuß in der Länge
und 10 bis 12 Fuß in der Breite: es gibt Raum genug für ein Bot mitſammt ſeiner Mann-
ſchaft. Der vollkommen runde Leib, welcher nicht durch einen ſichtbaren Hals vom Kopfe geſchie-
den iſt, trägt 7 bis 9 Fuß lange, 4 bis 5 Fuß breite, längliche, eiförmig geſtaltete, ſehr biegſame
und bewegliche Bruſtfloſſen und eine ungeheuer große Schwanzfinne von 5 bis 6 Fuß in der Länge
und 18 bis 26 Fuß in der Breite — ein Nuder oder Steuer, welches gegen 200 Geviertfuß Fläche
beſitzt. Die Spritzlöcher liegen bei dem erwachſenen Thiere etwa 10 Fuß von dem Schnauzenende
entfernt, auf der höchſten Stelle des Kopfes, und ſind etwa 1½ Fuß lange, Sförmig geſtaltete,
ſchmale Längsſpalten. Die Augen, welche kaum größer ſind, als die eines Rindes, ſtehen ſeitlich
am Kopfe, ſchräg über und hinter den Mundwinkeln. Der Hörgang iſt ſo eng, daß man kaum
den kleinen Finger hineinſtecken kann, außerdem aber noch, wie bei den meiſten Walen, verſchließ-
bar und alſo dem Waſſer unzugänglich. Barten beſitzt der Walfiſch 316 bis 350 auf jeder
Seite des rieſigen Rachens. Die längſten ſtehen in der Mitte des Kiefers; von da an verkürzen
ſie ſich nach beiden Seiten hin. Barten von funfzehn Fuß Länge werden außerordentlich ſelten getroffen.
Bei Walen von 50 Fuß Länge meſſen ſie gewöhnlich 10 bis 11 Fuß, bei einer Breite von eben-
ſoviel Zollen. Die Zunge liegt unbeweglich im Kiefer; ſie iſt mit ihrer ganzen Unterſeite an dieſem
feſtgewachſen, ſehr groß und ſo weich, daß der geringſte Druck eine tiefe Mulde in ihr hinterläßt,
ſo weich, daß ein Mann, welcher ſich auf ſie niederlegen wollte, in ihr verſinken würde: ſie iſt
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/916>, abgerufen am 23.11.2024.
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