Die stellersche Seekuh oder das nordische Borkenthier.
"Am ganzen Strande der Jnsel, sonderlich wo Bäche in die See fließen und alle Arten See- wier am häufigsten sind, hält sich zu allen Jahreszeiten die von unseren Russen Morskaja-Ko- rowa oder zu Deutsch Meerkuh in großer Menge und herdenweise auf. Da uns durch die Ver- scheuchung der Seebiber von der nördlichen Seite die Versorgung mit Nahrungsbedarf beschwerlich zu werden anfing, sannen wir auf Mittel, uns dieser Thiere zu bemeistern und unsere Nahrung, weil sie uns nahe waren, auf eine leichtere Art davon zu ziehen. Jch stellte deswegen am 21. Mai den ersten Versuch an mit einem verfertigten großen eisernen Haken, woran ein starkes und langes Seil befestigt wurde, dieses mächtige und große Seethier anzuhauen und aus Land zu schleppen, allein vergebens; denn die Haut war zu zähe und der Haken viel zu stumpf. Man änderte ihn auf verschiedene Art und stellte mehrere Proben an, die aber noch schlechter geriethen, so daß uns die Thiere mit dem Haken und daran befestigten Seil in die See entliefen. Endlich zwang uns die Noth, zum Harpuniren Anstalt zu machen. Man besserte zu dem Ende gegen Ausgang des Junius das Jollbot, so im Herbst auf den Felsen sehr beschädigt worden war, aus, setzte einen Harpunier nebst Steuermann und vier Ruderern darauf und gab jenem ein Harpun nebst einem sehr langen, wie beim Walfischfang in Ordnung gelegtes Seil in die Hand, von welchem das andere Ende am Strande von den übrigen vierzig Mann gehalten wurde. Nun ruderte man ganz stille auf die Thiere los, welche in größter Sicherheit herdenweise an den Ufern jhrer Weide im Seegrunde nach- gingen. Sobald dann der Harpunier eines derselben angehauen hatte, zogen die am Lande solches all- mählich nach dem Strande, die im Jolle Befindlichen fuhren indessen auf dasselbe zu und machten es durch ihre Bewegungen noch matter, und wenn es entkräftet schien, so stießen sie ihm allenthalben mit großen Messern und Bajonnetten in den Leib, so daß es fast alles Blut, welches wie Spring- brunnen aus den Wunden quoll, verloren hatte, und so bei vollem Wasser auf den Strand gezogen und befestigt werden konnte. Sowie dann das Wasser wieder ablief und das Thier auf trockenem Strande lag, schnitt man allenthalben das Fleisch und den Speck stückweise herunter und trug es in voller Freude nach den Wohnungen, wo das Fleisch in großen Fässern verwahrt, der Speck aber auf hohe Böcke aufgehängt wurde. Und nun sahen wir uns bald in einen solchen Ueberfluß von Nah- rung versetzt, daß wir den Bau unseres neuen Fahrzeuges, welches das Mittel zu unserer Rettung werden sollte, ohne Hindernisse fortsetzen konnten."
Mit diesen Worten beginnt der schon oft erwähnte tüchtige Naturforscher Steller, welcher im November des Jahres 1741 auf der vorher noch unbekannten Behringsinsel gestrandet war und dort zehn traurige Monate verleben mußte, seinen Bericht über eins der merkwürdigsten Seesäugethiere, über ein Geschöpf, welches bereits gänzlich ausgerottet und vernichtet worden zu sein scheint, über die nach ihrem Entdecker benannte stellersche Seekuh oder das nordische Borkenthier (Rhytina Stelleri). Bereits siebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung wurde die letzte Seekuh erlegt. Seitdem hat man wohl noch einen Schädel und eine Gaumenplatte nebst einigen wenigen Knochen des Geripps aufgefunden, aber keine lebende Morskaja mehr gesehen. Angelockt durch die gewinnverheißenden Berichte der russischen Entdeckungsgesellschaft, unter welcher Steller sich be- fand, strömten Walfischfänger und waghalsige Abenteurer in hellen Haufen nach der Behringssee und begannen dort eine so furchtbare Metzelei unter den wehrlosen Meeresbewohnern, daß die See- kühe von der Erde vertilgt wurden. Man hat sich seitdem vergeblich bemüht, wenigstens ein Stück die- ser Thiere zu erhalten. Jedes Schiff, welches nach dem Behringsmeere absegelte, ist angewiesen worden -- keins hat irgend eine Nachricht zurückgebracht.
Steller hielt das Borkenthier für den von Hernandez entdeckten Lamantin. Aus seiner Be- schreibung geht aber deutlich genug hervor, daß die Seekuh ein von den früher beschriebenen Sirenen weit verschiedenes Thier war. Anstatt der Zähne waren die Kiefern mit vier Kauplatten belegt, welche nur mit dem Zahnfleische zusammenhingen. Diese einzige Angabe genügt zur Kennzeichnung
Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.
„Am ganzen Strande der Jnſel, ſonderlich wo Bäche in die See fließen und alle Arten See- wier am häufigſten ſind, hält ſich zu allen Jahreszeiten die von unſeren Ruſſen Morskaja-Ko- rowa oder zu Deutſch Meerkuh in großer Menge und herdenweiſe auf. Da uns durch die Ver- ſcheuchung der Seebiber von der nördlichen Seite die Verſorgung mit Nahrungsbedarf beſchwerlich zu werden anfing, ſannen wir auf Mittel, uns dieſer Thiere zu bemeiſtern und unſere Nahrung, weil ſie uns nahe waren, auf eine leichtere Art davon zu ziehen. Jch ſtellte deswegen am 21. Mai den erſten Verſuch an mit einem verfertigten großen eiſernen Haken, woran ein ſtarkes und langes Seil befeſtigt wurde, dieſes mächtige und große Seethier anzuhauen und aus Land zu ſchleppen, allein vergebens; denn die Haut war zu zähe und der Haken viel zu ſtumpf. Man änderte ihn auf verſchiedene Art und ſtellte mehrere Proben an, die aber noch ſchlechter geriethen, ſo daß uns die Thiere mit dem Haken und daran befeſtigten Seil in die See entliefen. Endlich zwang uns die Noth, zum Harpuniren Anſtalt zu machen. Man beſſerte zu dem Ende gegen Ausgang des Junius das Jollbot, ſo im Herbſt auf den Felſen ſehr beſchädigt worden war, aus, ſetzte einen Harpunier nebſt Steuermann und vier Ruderern darauf und gab jenem ein Harpun nebſt einem ſehr langen, wie beim Walfiſchfang in Ordnung gelegtes Seil in die Hand, von welchem das andere Ende am Strande von den übrigen vierzig Mann gehalten wurde. Nun ruderte man ganz ſtille auf die Thiere los, welche in größter Sicherheit herdenweiſe an den Ufern jhrer Weide im Seegrunde nach- gingen. Sobald dann der Harpunier eines derſelben angehauen hatte, zogen die am Lande ſolches all- mählich nach dem Strande, die im Jolle Befindlichen fuhren indeſſen auf daſſelbe zu und machten es durch ihre Bewegungen noch matter, und wenn es entkräftet ſchien, ſo ſtießen ſie ihm allenthalben mit großen Meſſern und Bajonnetten in den Leib, ſo daß es faſt alles Blut, welches wie Spring- brunnen aus den Wunden quoll, verloren hatte, und ſo bei vollem Waſſer auf den Strand gezogen und befeſtigt werden konnte. Sowie dann das Waſſer wieder ablief und das Thier auf trockenem Strande lag, ſchnitt man allenthalben das Fleiſch und den Speck ſtückweiſe herunter und trug es in voller Freude nach den Wohnungen, wo das Fleiſch in großen Fäſſern verwahrt, der Speck aber auf hohe Böcke aufgehängt wurde. Und nun ſahen wir uns bald in einen ſolchen Ueberfluß von Nah- rung verſetzt, daß wir den Bau unſeres neuen Fahrzeuges, welches das Mittel zu unſerer Rettung werden ſollte, ohne Hinderniſſe fortſetzen konnten.‟
Mit dieſen Worten beginnt der ſchon oft erwähnte tüchtige Naturforſcher Steller, welcher im November des Jahres 1741 auf der vorher noch unbekannten Behringsinſel geſtrandet war und dort zehn traurige Monate verleben mußte, ſeinen Bericht über eins der merkwürdigſten Seeſäugethiere, über ein Geſchöpf, welches bereits gänzlich ausgerottet und vernichtet worden zu ſein ſcheint, über die nach ihrem Entdecker benannte ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier (Rhytina Stelleri). Bereits ſiebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung wurde die letzte Seekuh erlegt. Seitdem hat man wohl noch einen Schädel und eine Gaumenplatte nebſt einigen wenigen Knochen des Geripps aufgefunden, aber keine lebende Morskaja mehr geſehen. Angelockt durch die gewinnverheißenden Berichte der ruſſiſchen Entdeckungsgeſellſchaft, unter welcher Steller ſich be- fand, ſtrömten Walfiſchfänger und waghalſige Abenteurer in hellen Haufen nach der Behringsſee und begannen dort eine ſo furchtbare Metzelei unter den wehrloſen Meeresbewohnern, daß die See- kühe von der Erde vertilgt wurden. Man hat ſich ſeitdem vergeblich bemüht, wenigſtens ein Stück die- ſer Thiere zu erhalten. Jedes Schiff, welches nach dem Behringsmeere abſegelte, iſt angewieſen worden — keins hat irgend eine Nachricht zurückgebracht.
Steller hielt das Borkenthier für den von Hernandez entdeckten Lamantin. Aus ſeiner Be- ſchreibung geht aber deutlich genug hervor, daß die Seekuh ein von den früher beſchriebenen Sirenen weit verſchiedenes Thier war. Anſtatt der Zähne waren die Kiefern mit vier Kauplatten belegt, welche nur mit dem Zahnfleiſche zuſammenhingen. Dieſe einzige Angabe genügt zur Kennzeichnung
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[822/0870]
Die ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier.
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wier am häufigſten ſind, hält ſich zu allen Jahreszeiten die von unſeren Ruſſen Morskaja-Ko-
rowa oder zu Deutſch Meerkuh in großer Menge und herdenweiſe auf. Da uns durch die Ver-
ſcheuchung der Seebiber von der nördlichen Seite die Verſorgung mit Nahrungsbedarf beſchwerlich
zu werden anfing, ſannen wir auf Mittel, uns dieſer Thiere zu bemeiſtern und unſere Nahrung,
weil ſie uns nahe waren, auf eine leichtere Art davon zu ziehen. Jch ſtellte deswegen am 21. Mai
den erſten Verſuch an mit einem verfertigten großen eiſernen Haken, woran ein ſtarkes und langes
Seil befeſtigt wurde, dieſes mächtige und große Seethier anzuhauen und aus Land zu ſchleppen,
allein vergebens; denn die Haut war zu zähe und der Haken viel zu ſtumpf. Man änderte ihn auf
verſchiedene Art und ſtellte mehrere Proben an, die aber noch ſchlechter geriethen, ſo daß uns die
Thiere mit dem Haken und daran befeſtigten Seil in die See entliefen. Endlich zwang uns die
Noth, zum Harpuniren Anſtalt zu machen. Man beſſerte zu dem Ende gegen Ausgang des Junius
das Jollbot, ſo im Herbſt auf den Felſen ſehr beſchädigt worden war, aus, ſetzte einen Harpunier
nebſt Steuermann und vier Ruderern darauf und gab jenem ein Harpun nebſt einem ſehr langen,
wie beim Walfiſchfang in Ordnung gelegtes Seil in die Hand, von welchem das andere Ende am
Strande von den übrigen vierzig Mann gehalten wurde. Nun ruderte man ganz ſtille auf die
Thiere los, welche in größter Sicherheit herdenweiſe an den Ufern jhrer Weide im Seegrunde nach-
gingen. Sobald dann der Harpunier eines derſelben angehauen hatte, zogen die am Lande ſolches all-
mählich nach dem Strande, die im Jolle Befindlichen fuhren indeſſen auf daſſelbe zu und machten es
durch ihre Bewegungen noch matter, und wenn es entkräftet ſchien, ſo ſtießen ſie ihm allenthalben
mit großen Meſſern und Bajonnetten in den Leib, ſo daß es faſt alles Blut, welches wie Spring-
brunnen aus den Wunden quoll, verloren hatte, und ſo bei vollem Waſſer auf den Strand gezogen
und befeſtigt werden konnte. Sowie dann das Waſſer wieder ablief und das Thier auf trockenem
Strande lag, ſchnitt man allenthalben das Fleiſch und den Speck ſtückweiſe herunter und trug es in
voller Freude nach den Wohnungen, wo das Fleiſch in großen Fäſſern verwahrt, der Speck aber auf
hohe Böcke aufgehängt wurde. Und nun ſahen wir uns bald in einen ſolchen Ueberfluß von Nah-
rung verſetzt, daß wir den Bau unſeres neuen Fahrzeuges, welches das Mittel zu unſerer Rettung
werden ſollte, ohne Hinderniſſe fortſetzen konnten.‟
Mit dieſen Worten beginnt der ſchon oft erwähnte tüchtige Naturforſcher Steller, welcher im
November des Jahres 1741 auf der vorher noch unbekannten Behringsinſel geſtrandet war und
dort zehn traurige Monate verleben mußte, ſeinen Bericht über eins der merkwürdigſten Seeſäugethiere,
über ein Geſchöpf, welches bereits gänzlich ausgerottet und vernichtet worden zu ſein ſcheint, über
die nach ihrem Entdecker benannte ſtellerſche Seekuh oder das nordiſche Borkenthier
(Rhytina Stelleri). Bereits ſiebenundzwanzig Jahre nach der Entdeckung wurde die letzte Seekuh
erlegt. Seitdem hat man wohl noch einen Schädel und eine Gaumenplatte nebſt einigen wenigen
Knochen des Geripps aufgefunden, aber keine lebende Morskaja mehr geſehen. Angelockt durch die
gewinnverheißenden Berichte der ruſſiſchen Entdeckungsgeſellſchaft, unter welcher Steller ſich be-
fand, ſtrömten Walfiſchfänger und waghalſige Abenteurer in hellen Haufen nach der Behringsſee
und begannen dort eine ſo furchtbare Metzelei unter den wehrloſen Meeresbewohnern, daß die See-
kühe von der Erde vertilgt wurden. Man hat ſich ſeitdem vergeblich bemüht, wenigſtens ein Stück die-
ſer Thiere zu erhalten. Jedes Schiff, welches nach dem Behringsmeere abſegelte, iſt angewieſen
worden — keins hat irgend eine Nachricht zurückgebracht.
Steller hielt das Borkenthier für den von Hernandez entdeckten Lamantin. Aus ſeiner Be-
ſchreibung geht aber deutlich genug hervor, daß die Seekuh ein von den früher beſchriebenen Sirenen
weit verſchiedenes Thier war. Anſtatt der Zähne waren die Kiefern mit vier Kauplatten belegt,
welche nur mit dem Zahnfleiſche zuſammenhingen. Dieſe einzige Angabe genügt zur Kennzeichnung
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 822. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/870>, abgerufen am 23.11.2024.
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