wälzte sich die glitzernde Masse in die See. Nun bestiegen wir unsere Fahrzeuge wieder und fuhren langsam in die Bucht hinein. Die ganze Schar der Seehunde, bestimmt über funfzig an der Zahl, folgte uns voller Neugier, was in dem Boote vorgehe, zu sehen. Bald tauchten sie unter, bald auf; kam einer zufällig ganz dicht bei dem Bote auf, und man erhob das Gewehr zum Schusse, so beeilte er sich mit großem Geplätscher, wieder unter die Oberfläche des Wassers zu kommen. Sobald ein Schuß fiel, verschwanden alle Köpfe, kamen aber sogleich wieder dicht bei uns empor. -- Wenn der Seehund einen guten Schuß in den Kopf erhalten hat, treibt er oft oben, oft aber sinkt er und bleibt verloren; niemals war er auf der Stelle todt, Schläge auf den Kopf betäuben nur für den Augenblick, wenn sie nicht kräftig wiederholt werden. Selbst nachdem ihnen die Gurgel abgeschnitten war, habe ich sie noch lange sich mit den Zähnen wehren gesehen. Es wurden alte, zweijährige und einjährige Meerhunde erlegt."
"Nach Beobachtungen von Alters her darf man nie über die Hälfte der auf dem Later besind- lichen Thiere, besonders aber nicht alle Männchen erschlagen. Sind drei Männchen auf dem Later, so kann man den größten und kleinsten tödten, den, welcher in der Mitte steht, muß man am Leben lassen. Von dem Weibchen, Apner genannt, erlegt man die fettesten; neugeborene Junge und deren Mütter bleiben am Leben. Jn den Latern, wo man eine Laterne braucht, macht der unver- muthete Anblick des Lichtes die Seehunde erblinden und verwirrt, in den Latern hingegen, deren Oeffnungen das Tageslicht nicht ganz verdecken, sehen die Seehunde besser als die Leute, und dann hört man bei der Ankunft des Botes ein starkes Brüllen und Brummen. Der größte Brimmil (wahrscheinlich Brummer), der deswegen auch Latu-Verjar (Vertheidiger des Later) genannt wird, erhebt sich sogleich, will den Leuten den Eingang verwehren und springt vor ihnen mit geöffnetem Rachen auf den Klippen vor- und rückwärts. Da der Seehund höher steht und den ersten Mann überragt, so glückt es diesem selten, ihn zu erschlagen, falls er nicht zurückspringt und jenem zur Seite oder in den Rücken kommt. Das Richtigste ist, daß der Vordermann dem Seehunde die erho- bene Keule entgegenhält, sollte dieser ihm auch die Vordertatzen auf die Schultern legen; während dessen achtet der Latu-Verjar nicht auf den Hintermann, der ihm den Schlag gibt. Kann der Seehund den Schlag mit dem Maule auffangen, so ist kein Mensch so stark, ihm die Keule zu entreißen oder zu entwinden. Wird der Latu-Verjar mehrere Male getroffen und entkömmt dennoch, so verläßt er die- sen Later und begibt sich nach anderen Höhlen, welches die Ursache sein soll, warum so viele Later jetzt verlassen sind. Handfeste Leute sagen, daß sie eben so gern gegen einen erbosten Stier angehen wollen, als gegen einen Latu-Verjar, besonders, wenn der zweite Mann dem ersten nicht schnell ge- nug folgen kann. Mittelgroße Seehunde scheinen Nebenbuhler des Latu-Verjar zu sein, welche, wenn sie geschont werden, das Later bestimmt wieder besuchen, ja sogar fremde Weibchen mit sich bringen. Jst das Junge so groß, daß die Mutter es bei dem Lärm, den die Ankunft des Botes verursacht, in die See stoßen kann, so thut sie es und sucht mit ihm zu entkommen. Jst Dies nicht der Fall, so bleibt sie bei dem Jungen oder kehrt doch gleich zu demselben zurück, falls sie es auch im ersten Augenblicke verlassen haben sollte, so daß man die Jungen befühlen kann, ob sie fett sind, ohne daß sie von der Stelle wiche, es sei denn, daß man sie durch Geschrei und Lärm wegschrecke."
Dem deutschen Gaumen will das wilde Fleisch des Seehunds nicht behagen; schon die Schweden aber finden es kostbar, und für alle hochnordische Völkerschaften ist es Lebensbedürfniß. Die Grönländer scheinen unter allen Völkern diejenigen zu sein, welche nicht nur am geschicktesten Seehunde zu jagen verstehen, sondern ihre Beute auch am manchfaltigsten zu verwenden wissen. Sie verfolgen das Thier mit ihren leichten Boten im Meere oft meilenweit. "Die Grönländer," sagt Fabri- cius, "sind große Meister darin, die Ruder leicht und nett zu gebrauchen, so daß man kaum einen Laut davon hört. Wenn nun ein Seehund auftaucht, so gibt man auf sein Gebahren Acht, um daraus auf die Art, ihn anzugreifen, zu schließen. Jst er sicher, so strebt man nur aus aller Macht darnach, um so nahe als möglich zu kommen, um nicht fehl zu werfen. Das Einzige, was hierbei zu beachten
Die Seehunde. Allgemeines.
wälzte ſich die glitzernde Maſſe in die See. Nun beſtiegen wir unſere Fahrzeuge wieder und fuhren langſam in die Bucht hinein. Die ganze Schar der Seehunde, beſtimmt über funfzig an der Zahl, folgte uns voller Neugier, was in dem Boote vorgehe, zu ſehen. Bald tauchten ſie unter, bald auf; kam einer zufällig ganz dicht bei dem Bote auf, und man erhob das Gewehr zum Schuſſe, ſo beeilte er ſich mit großem Geplätſcher, wieder unter die Oberfläche des Waſſers zu kommen. Sobald ein Schuß fiel, verſchwanden alle Köpfe, kamen aber ſogleich wieder dicht bei uns empor. — Wenn der Seehund einen guten Schuß in den Kopf erhalten hat, treibt er oft oben, oft aber ſinkt er und bleibt verloren; niemals war er auf der Stelle todt, Schläge auf den Kopf betäuben nur für den Augenblick, wenn ſie nicht kräftig wiederholt werden. Selbſt nachdem ihnen die Gurgel abgeſchnitten war, habe ich ſie noch lange ſich mit den Zähnen wehren geſehen. Es wurden alte, zweijährige und einjährige Meerhunde erlegt.‟
„Nach Beobachtungen von Alters her darf man nie über die Hälfte der auf dem Later beſind- lichen Thiere, beſonders aber nicht alle Männchen erſchlagen. Sind drei Männchen auf dem Later, ſo kann man den größten und kleinſten tödten, den, welcher in der Mitte ſteht, muß man am Leben laſſen. Von dem Weibchen, Apner genannt, erlegt man die fetteſten; neugeborene Junge und deren Mütter bleiben am Leben. Jn den Latern, wo man eine Laterne braucht, macht der unver- muthete Anblick des Lichtes die Seehunde erblinden und verwirrt, in den Latern hingegen, deren Oeffnungen das Tageslicht nicht ganz verdecken, ſehen die Seehunde beſſer als die Leute, und dann hört man bei der Ankunft des Botes ein ſtarkes Brüllen und Brummen. Der größte Brimmil (wahrſcheinlich Brummer), der deswegen auch Latu-Verjar (Vertheidiger des Later) genannt wird, erhebt ſich ſogleich, will den Leuten den Eingang verwehren und ſpringt vor ihnen mit geöffnetem Rachen auf den Klippen vor- und rückwärts. Da der Seehund höher ſteht und den erſten Mann überragt, ſo glückt es dieſem ſelten, ihn zu erſchlagen, falls er nicht zurückſpringt und jenem zur Seite oder in den Rücken kommt. Das Richtigſte iſt, daß der Vordermann dem Seehunde die erho- bene Keule entgegenhält, ſollte dieſer ihm auch die Vordertatzen auf die Schultern legen; während deſſen achtet der Latu-Verjar nicht auf den Hintermann, der ihm den Schlag gibt. Kann der Seehund den Schlag mit dem Maule auffangen, ſo iſt kein Menſch ſo ſtark, ihm die Keule zu entreißen oder zu entwinden. Wird der Latu-Verjar mehrere Male getroffen und entkömmt dennoch, ſo verläßt er die- ſen Later und begibt ſich nach anderen Höhlen, welches die Urſache ſein ſoll, warum ſo viele Later jetzt verlaſſen ſind. Handfeſte Leute ſagen, daß ſie eben ſo gern gegen einen erboſten Stier angehen wollen, als gegen einen Latu-Verjar, beſonders, wenn der zweite Mann dem erſten nicht ſchnell ge- nug folgen kann. Mittelgroße Seehunde ſcheinen Nebenbuhler des Latu-Verjar zu ſein, welche, wenn ſie geſchont werden, das Later beſtimmt wieder beſuchen, ja ſogar fremde Weibchen mit ſich bringen. Jſt das Junge ſo groß, daß die Mutter es bei dem Lärm, den die Ankunft des Botes verurſacht, in die See ſtoßen kann, ſo thut ſie es und ſucht mit ihm zu entkommen. Jſt Dies nicht der Fall, ſo bleibt ſie bei dem Jungen oder kehrt doch gleich zu demſelben zurück, falls ſie es auch im erſten Augenblicke verlaſſen haben ſollte, ſo daß man die Jungen befühlen kann, ob ſie fett ſind, ohne daß ſie von der Stelle wiche, es ſei denn, daß man ſie durch Geſchrei und Lärm wegſchrecke.‟
Dem deutſchen Gaumen will das wilde Fleiſch des Seehunds nicht behagen; ſchon die Schweden aber finden es koſtbar, und für alle hochnordiſche Völkerſchaften iſt es Lebensbedürfniß. Die Grönländer ſcheinen unter allen Völkern diejenigen zu ſein, welche nicht nur am geſchickteſten Seehunde zu jagen verſtehen, ſondern ihre Beute auch am manchfaltigſten zu verwenden wiſſen. Sie verfolgen das Thier mit ihren leichten Boten im Meere oft meilenweit. „Die Grönländer,‟ ſagt Fabri- cius, „ſind große Meiſter darin, die Ruder leicht und nett zu gebrauchen, ſo daß man kaum einen Laut davon hört. Wenn nun ein Seehund auftaucht, ſo gibt man auf ſein Gebahren Acht, um daraus auf die Art, ihn anzugreifen, zu ſchließen. Jſt er ſicher, ſo ſtrebt man nur aus aller Macht darnach, um ſo nahe als möglich zu kommen, um nicht fehl zu werfen. Das Einzige, was hierbei zu beachten
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Die Seehunde. Allgemeines.
wälzte ſich die glitzernde Maſſe in die See. Nun beſtiegen wir unſere Fahrzeuge wieder und fuhren
langſam in die Bucht hinein. Die ganze Schar der Seehunde, beſtimmt über funfzig an der Zahl,
folgte uns voller Neugier, was in dem Boote vorgehe, zu ſehen. Bald tauchten ſie unter, bald auf;
kam einer zufällig ganz dicht bei dem Bote auf, und man erhob das Gewehr zum Schuſſe, ſo beeilte
er ſich mit großem Geplätſcher, wieder unter die Oberfläche des Waſſers zu kommen. Sobald ein
Schuß fiel, verſchwanden alle Köpfe, kamen aber ſogleich wieder dicht bei uns empor. — Wenn der
Seehund einen guten Schuß in den Kopf erhalten hat, treibt er oft oben, oft aber ſinkt er und
bleibt verloren; niemals war er auf der Stelle todt, Schläge auf den Kopf betäuben nur für den
Augenblick, wenn ſie nicht kräftig wiederholt werden. Selbſt nachdem ihnen die Gurgel abgeſchnitten
war, habe ich ſie noch lange ſich mit den Zähnen wehren geſehen. Es wurden alte, zweijährige und
einjährige Meerhunde erlegt.‟
„Nach Beobachtungen von Alters her darf man nie über die Hälfte der auf dem Later beſind-
lichen Thiere, beſonders aber nicht alle Männchen erſchlagen. Sind drei Männchen auf dem Later,
ſo kann man den größten und kleinſten tödten, den, welcher in der Mitte ſteht, muß man am Leben
laſſen. Von dem Weibchen, Apner genannt, erlegt man die fetteſten; neugeborene Junge und
deren Mütter bleiben am Leben. Jn den Latern, wo man eine Laterne braucht, macht der unver-
muthete Anblick des Lichtes die Seehunde erblinden und verwirrt, in den Latern hingegen, deren
Oeffnungen das Tageslicht nicht ganz verdecken, ſehen die Seehunde beſſer als die Leute, und dann
hört man bei der Ankunft des Botes ein ſtarkes Brüllen und Brummen. Der größte Brimmil
(wahrſcheinlich Brummer), der deswegen auch Latu-Verjar (Vertheidiger des Later) genannt wird,
erhebt ſich ſogleich, will den Leuten den Eingang verwehren und ſpringt vor ihnen mit geöffnetem
Rachen auf den Klippen vor- und rückwärts. Da der Seehund höher ſteht und den erſten Mann
überragt, ſo glückt es dieſem ſelten, ihn zu erſchlagen, falls er nicht zurückſpringt und jenem zur
Seite oder in den Rücken kommt. Das Richtigſte iſt, daß der Vordermann dem Seehunde die erho-
bene Keule entgegenhält, ſollte dieſer ihm auch die Vordertatzen auf die Schultern legen; während deſſen
achtet der Latu-Verjar nicht auf den Hintermann, der ihm den Schlag gibt. Kann der Seehund den
Schlag mit dem Maule auffangen, ſo iſt kein Menſch ſo ſtark, ihm die Keule zu entreißen oder zu
entwinden. Wird der Latu-Verjar mehrere Male getroffen und entkömmt dennoch, ſo verläßt er die-
ſen Later und begibt ſich nach anderen Höhlen, welches die Urſache ſein ſoll, warum ſo viele Later
jetzt verlaſſen ſind. Handfeſte Leute ſagen, daß ſie eben ſo gern gegen einen erboſten Stier angehen
wollen, als gegen einen Latu-Verjar, beſonders, wenn der zweite Mann dem erſten nicht ſchnell ge-
nug folgen kann. Mittelgroße Seehunde ſcheinen Nebenbuhler des Latu-Verjar zu ſein, welche,
wenn ſie geſchont werden, das Later beſtimmt wieder beſuchen, ja ſogar fremde Weibchen mit
ſich bringen. Jſt das Junge ſo groß, daß die Mutter es bei dem Lärm, den die Ankunft des
Botes verurſacht, in die See ſtoßen kann, ſo thut ſie es und ſucht mit ihm zu entkommen. Jſt
Dies nicht der Fall, ſo bleibt ſie bei dem Jungen oder kehrt doch gleich zu demſelben zurück,
falls ſie es auch im erſten Augenblicke verlaſſen haben ſollte, ſo daß man die Jungen befühlen
kann, ob ſie fett ſind, ohne daß ſie von der Stelle wiche, es ſei denn, daß man ſie durch
Geſchrei und Lärm wegſchrecke.‟
Dem deutſchen Gaumen will das wilde Fleiſch des Seehunds nicht behagen; ſchon die
Schweden aber finden es koſtbar, und für alle hochnordiſche Völkerſchaften iſt es Lebensbedürfniß.
Die Grönländer ſcheinen unter allen Völkern diejenigen zu ſein, welche nicht nur am geſchickteſten
Seehunde zu jagen verſtehen, ſondern ihre Beute auch am manchfaltigſten zu verwenden wiſſen. Sie
verfolgen das Thier mit ihren leichten Boten im Meere oft meilenweit. „Die Grönländer,‟ ſagt Fabri-
cius, „ſind große Meiſter darin, die Ruder leicht und nett zu gebrauchen, ſo daß man kaum einen Laut
davon hört. Wenn nun ein Seehund auftaucht, ſo gibt man auf ſein Gebahren Acht, um daraus auf
die Art, ihn anzugreifen, zu ſchließen. Jſt er ſicher, ſo ſtrebt man nur aus aller Macht darnach, um
ſo nahe als möglich zu kommen, um nicht fehl zu werfen. Das Einzige, was hierbei zu beachten
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 799. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/847>, abgerufen am 23.11.2024.
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