tigkeiten seines Geschlechts sich angeeignet zu haben. Es schwamm ausgezeichnet auf dem Bauche, wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Wasser die verschiedensten Stellungen an und geberdete sich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage seiner Geburt gelang es uns, den kleinen bereits wehrhaften Gesellen zu wiegen und zu messen: das Gewicht betrug 171/2 Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.
Es war im höchsten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte schien sichtlich erfreut über ihren Sprößling zu sein und spielte in täppischer Weise gleich in den ersten Tagen mit ihm, zuerst im Wasser, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutschten mehrmals auf das Land hinauf, und die Alte lud dann das Junge durch ein heiseres Gebrüll zu sich ein oder berührte es sanft mit ihren Vorderflossen. Sie offenbarte in jeder Hinsicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge schien, altklug, seine Mutter bereits vollkommen zu verstehen. Jn Beider Spielen gab sich die gegenseitige Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Wasser auf, dicht neben einander, dann berührten sie sich mit den Schnauzen, als wollten sie sich küssen. Die Alte ließ das Junge immer voraus schwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr Kind auch wohl ab und zu durch sanfte Schläge nach der von ihr beabsichtigten Richtung hin. Nur wenn es auf das Land gehen sollte, gab sie die zu nehmende Richtung an. Schon abends saugte das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche sich zu diesem Ende auf die Seite legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, sechs bis zehn Mal täglich, zu der Alten gekrochen, um sich Nahrung zu erbitten. Jm Wasser saugte es nie; wenigstens haben wir es nicht gesehen.
Der Neugeborene wuchs überraschend schnell; er nahm sichtlich zu an Größe und Umfang; seine Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, sein Verständniß für die Umgebung größer. Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsstellungen an: die behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterflossen gefaltet hoch emporhob und mit ihnen spielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche seines Alters war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er sich scheu und ängstlich, und so gelang es uns erst in der sechsten Woche seines Lebens, ihn zum zweiten Male auf die Wage zu bringen. Um diese Zeit hatte er gerade das Doppelte seines Gewichts erlangt, unge- achtet er bis dahin nur gesäugt und noch keine Fischkost zu sich genommen hatte.
Zu unserm großen Bedauern verloren wir das schöne Thier in der achten Woche seines Lebens. Es war unmöglich, es an Fischkost zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fische be- saßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar versuchte sich der Junge an den ihm vorgeworfenen Fischen; doch schien ihm die Nahrung schlecht zu bekommen. Er magerte mehr und mehr ab und lag eines Morgens todt auf seinem beliebtesten Ruheplatze.
Sehr möglich ist, daß die jungen Seehunde zuerst keine Fische, sondern vielleicht Krabben und andere niedere Seethiere fressen, welche die Alten auch nicht verschmähen. Daß Diese Fischnahrung jeder anderen vorziehen und namentlich Dorsche, Barsche, Flundern, Heringe, am liebsten aber Salme fressen, ist bekannt und ebensowohl auch, daß sie das Fleisch von Vögeln und kleinen Säuge- thieren hartnäckig verschmähen, wenigstens in der Gefangenschaft. Jch kenne nur ein einziges Bei- spiel, daß ein gefangener Seehund von seinem Pfleger nach und nach auch an andere Kost, an Pferde- fleisch nämlich, gewöhnt werden konnte.
Für manche nordischen Völkerschaften ist der Seehund, so zu sagen, das wichtigste aller Thiere. Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch wir Europäer wissen das glatte, schöne, wasserdichte Fell wohl zu schätzen und den Thran, ja selbst das Fleisch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs eifrigste verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abscheulichsten Weise; denn man führt einen höchst grausamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd
Floſſenfüßer. — Die Seehunde. Allgemeines.
tigkeiten ſeines Geſchlechts ſich angeeignet zu haben. Es ſchwamm ausgezeichnet auf dem Bauche, wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Waſſer die verſchiedenſten Stellungen an und geberdete ſich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage ſeiner Geburt gelang es uns, den kleinen bereits wehrhaften Geſellen zu wiegen und zu meſſen: das Gewicht betrug 17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.
Es war im höchſten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte ſchien ſichtlich erfreut über ihren Sprößling zu ſein und ſpielte in täppiſcher Weiſe gleich in den erſten Tagen mit ihm, zuerſt im Waſſer, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutſchten mehrmals auf das Land hinauf, und die Alte lud dann das Junge durch ein heiſeres Gebrüll zu ſich ein oder berührte es ſanft mit ihren Vorderfloſſen. Sie offenbarte in jeder Hinſicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge ſchien, altklug, ſeine Mutter bereits vollkommen zu verſtehen. Jn Beider Spielen gab ſich die gegenſeitige Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Waſſer auf, dicht neben einander, dann berührten ſie ſich mit den Schnauzen, als wollten ſie ſich küſſen. Die Alte ließ das Junge immer voraus ſchwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr Kind auch wohl ab und zu durch ſanfte Schläge nach der von ihr beabſichtigten Richtung hin. Nur wenn es auf das Land gehen ſollte, gab ſie die zu nehmende Richtung an. Schon abends ſaugte das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche ſich zu dieſem Ende auf die Seite legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, ſechs bis zehn Mal täglich, zu der Alten gekrochen, um ſich Nahrung zu erbitten. Jm Waſſer ſaugte es nie; wenigſtens haben wir es nicht geſehen.
Der Neugeborene wuchs überraſchend ſchnell; er nahm ſichtlich zu an Größe und Umfang; ſeine Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, ſein Verſtändniß für die Umgebung größer. Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsſtellungen an: die behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterfloſſen gefaltet hoch emporhob und mit ihnen ſpielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche ſeines Alters war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er ſich ſcheu und ängſtlich, und ſo gelang es uns erſt in der ſechſten Woche ſeines Lebens, ihn zum zweiten Male auf die Wage zu bringen. Um dieſe Zeit hatte er gerade das Doppelte ſeines Gewichts erlangt, unge- achtet er bis dahin nur geſäugt und noch keine Fiſchkoſt zu ſich genommen hatte.
Zu unſerm großen Bedauern verloren wir das ſchöne Thier in der achten Woche ſeines Lebens. Es war unmöglich, es an Fiſchkoſt zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fiſche be- ſaßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar verſuchte ſich der Junge an den ihm vorgeworfenen Fiſchen; doch ſchien ihm die Nahrung ſchlecht zu bekommen. Er magerte mehr und mehr ab und lag eines Morgens todt auf ſeinem beliebteſten Ruheplatze.
Sehr möglich iſt, daß die jungen Seehunde zuerſt keine Fiſche, ſondern vielleicht Krabben und andere niedere Seethiere freſſen, welche die Alten auch nicht verſchmähen. Daß Dieſe Fiſchnahrung jeder anderen vorziehen und namentlich Dorſche, Barſche, Flundern, Heringe, am liebſten aber Salme freſſen, iſt bekannt und ebenſowohl auch, daß ſie das Fleiſch von Vögeln und kleinen Säuge- thieren hartnäckig verſchmähen, wenigſtens in der Gefangenſchaft. Jch kenne nur ein einziges Bei- ſpiel, daß ein gefangener Seehund von ſeinem Pfleger nach und nach auch an andere Koſt, an Pferde- fleiſch nämlich, gewöhnt werden konnte.
Für manche nordiſchen Völkerſchaften iſt der Seehund, ſo zu ſagen, das wichtigſte aller Thiere. Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch wir Europäer wiſſen das glatte, ſchöne, waſſerdichte Fell wohl zu ſchätzen und den Thran, ja ſelbſt das Fleiſch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs eifrigſte verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abſcheulichſten Weiſe; denn man führt einen höchſt grauſamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd
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[796/0844]
Floſſenfüßer. — Die Seehunde. Allgemeines.
tigkeiten ſeines Geſchlechts ſich angeeignet zu haben. Es ſchwamm ausgezeichnet auf dem Bauche,
wie auf dem Rücken, tauchte leicht und lange, nahm im Waſſer die verſchiedenſten Stellungen an
und geberdete ſich mit einem Wort durchaus wie ein Alter. Aber es war auch als ein merkwürdig
ausgebildetes und auffallend großes Thier zur Welt gekommen. Noch am Tage ſeiner Geburt gelang
es uns, den kleinen bereits wehrhaften Geſellen zu wiegen und zu meſſen: das Gewicht betrug
17½ Pfund, die Länge 2 Fuß 8 Zoll.
Es war im höchſten Grade anziehend, die beiden Thiere zu beobachten. Die Alte ſchien ſichtlich
erfreut über ihren Sprößling zu ſein und ſpielte in täppiſcher Weiſe gleich in den erſten Tagen mit ihm,
zuerſt im Waſſer, dann aber auch auf dem Lande. Beide rutſchten mehrmals auf das Land hinauf,
und die Alte lud dann das Junge durch ein heiſeres Gebrüll zu ſich ein oder berührte es ſanft mit
ihren Vorderfloſſen. Sie offenbarte in jeder Hinſicht die größte Zärtlichkeit, und das Junge ſchien,
altklug, ſeine Mutter bereits vollkommen zu verſtehen. Jn Beider Spielen gab ſich die gegenſeitige
Anhänglichkeit deutlich genug zu erkennen. Von Zeit zu Zeit tauchten beide Köpfe im Waſſer auf,
dicht neben einander, dann berührten ſie ſich mit den Schnauzen, als wollten ſie ſich küſſen. Die
Alte ließ das Junge immer voraus ſchwimmen und folgte ihm bei jeder Bewegung nach, trieb ihr
Kind auch wohl ab und zu durch ſanfte Schläge nach der von ihr beabſichtigten Richtung hin. Nur
wenn es auf das Land gehen ſollte, gab ſie die zu nehmende Richtung an. Schon abends ſaugte
das Junge unter hörbarem Schmatzen kräftig an der Alten, welche ſich zu dieſem Ende auf die Seite
legte und durch Knurren den Säugling herbeirief. Später kam es, ſechs bis zehn Mal täglich, zu
der Alten gekrochen, um ſich Nahrung zu erbitten. Jm Waſſer ſaugte es nie; wenigſtens haben wir
es nicht geſehen.
Der Neugeborene wuchs überraſchend ſchnell; er nahm ſichtlich zu an Größe und Umfang; ſeine
Bewegungen wurden mit jedem Tage freier und kühner, ſein Verſtändniß für die Umgebung größer.
Ungefähr acht Tage nach der Geburt nahm er auch auf dem Lande alle Seehundsſtellungen an: die
behagliche faule Lage auf den Seiten und auf dem Rücken, die gekrümmte, wobei er die Hinterfloſſen
gefaltet hoch emporhob und mit ihnen ſpielte, und ähnliche mehr. Jn der dritten Woche ſeines Alters
war er vollkommen zum Seehunde geworden. Den Wärtern gegenüber zeigte er ſich ſcheu und
ängſtlich, und ſo gelang es uns erſt in der ſechſten Woche ſeines Lebens, ihn zum zweiten Male auf
die Wage zu bringen. Um dieſe Zeit hatte er gerade das Doppelte ſeines Gewichts erlangt, unge-
achtet er bis dahin nur geſäugt und noch keine Fiſchkoſt zu ſich genommen hatte.
Zu unſerm großen Bedauern verloren wir das ſchöne Thier in der achten Woche ſeines Lebens.
Es war unmöglich, es an Fiſchkoſt zu gewöhnen, vielleicht, weil wir nicht die geeigneten Fiſche be-
ſaßen, und der Alten ging nach und nach die Milch aus. Zwar verſuchte ſich der Junge an den ihm
vorgeworfenen Fiſchen; doch ſchien ihm die Nahrung ſchlecht zu bekommen. Er magerte mehr und
mehr ab und lag eines Morgens todt auf ſeinem beliebteſten Ruheplatze.
Sehr möglich iſt, daß die jungen Seehunde zuerſt keine Fiſche, ſondern vielleicht Krabben und
andere niedere Seethiere freſſen, welche die Alten auch nicht verſchmähen. Daß Dieſe Fiſchnahrung
jeder anderen vorziehen und namentlich Dorſche, Barſche, Flundern, Heringe, am liebſten aber
Salme freſſen, iſt bekannt und ebenſowohl auch, daß ſie das Fleiſch von Vögeln und kleinen Säuge-
thieren hartnäckig verſchmähen, wenigſtens in der Gefangenſchaft. Jch kenne nur ein einziges Bei-
ſpiel, daß ein gefangener Seehund von ſeinem Pfleger nach und nach auch an andere Koſt, an Pferde-
fleiſch nämlich, gewöhnt werden konnte.
Für manche nordiſchen Völkerſchaften iſt der Seehund, ſo zu ſagen, das wichtigſte aller Thiere.
Dem Grönländer ermöglicht die Robbe das Leben; er nützt jeden Theil ihres Leibes. Jedoch auch
wir Europäer wiſſen das glatte, ſchöne, waſſerdichte Fell wohl zu ſchätzen und den Thran, ja ſelbſt
das Fleiſch zu würdigen. So kommt es, daß der Seehund eigentlich in der ganzen Welt aufs
eifrigſte verfolgt wird. Man verfährt dabei in der abſcheulichſten Weiſe; denn man führt einen höchſt
grauſamen Vernichtungskampf gegen das Thier, ohne Erbarmen, ohne Schonung. Die Robbenjagd
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 796. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/844>, abgerufen am 23.11.2024.
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