Sande eine Vertiefung aus. Kaum war unser Bot etwa fünfhundert Schritt weit weggesegelt, da erschienen in geringer Entfernung im Wasser die sämmtlichen Seehunde wieder und lauschten neu- gierig mit scheinbarem Wohlgefallen den von uns nachgeahmten Tönen. Dabei richteten sie sich fast bis zur halben Körperhöhe über die Wasseroberfläche empor und näherten sich, merkwürdig genug, in diesen Körperstellungen dem Ufer der Jnsel immer mehr. Als wir nun die höheren, schwächeren Töne nachahmten, welche gewöhnlich die Männchen hören lassen, kamen die viel größeren Weibchen zuerst an das Land gekrochen und naheten sich bald darauf unserm Lager, den Locktönen folgend, ob- gleich sie unsere hervorragenden Köpfe gewißlich sehen konnten. Wir suchten uns Jeder einen See- hund aus, legten auf ihn an und entluden unsere Gewehre zu gleicher Zeit, und Jeder sah, als sich der Pulverdampf verzogen hatte, den erwählten Seehund regungslos vor sich liegen. Aber auch die Uebrigen, welche sämmtlich gelandet waren, geberdeten sich, als wären sie gleichfalls von unseren Schüssen getroffen worden. Wir hätten, wären wir ruhiger und mehr vorbereitet gewesen, sehr gut noch unsere beiden übrigen Schüsse auf die nicht getroffenen abfeuern können. Erst, als wir auf- sprangen, kam Bewegung in diese, wie vom Blitz getroffenen Körper." --
"Ungefähr acht Monate nach der Paarung, in den Monaten Mai, Juni und Juli, wirft das Weibchen eins, seltener zwei Junge auf öden, unbewohnten Jnseln, am liebsten an sandigen Stellen des Strandes, in Höhlen, sonst auch auf Felsblöcken und endlich auf Eisfeldern. Die Jungen kommen im vollkommen ausgebildeten Zustande zur Welt, sind aber mit einem dichten, weißen, zarten Pelz bedeckt, welcher sie am Schwimmen und noch mehr am Tauchen hindert, jedoch bald mit dem glatt anliegenden und steifen Jugendkleide vertauscht wird. Bis zu dieser Zeit bleiben die Weibchen auf dem Lande bei den Jungen. Letztere werden nur kurze Zeit von der Mutter gesäugt, entweder auf dem Strande oder zuletzt in ganz seichtem Wasser, bei Gefahr gewarnt und nöthigen- falls zwischen den Vorderfüßen einem sicheren Orte zugeschleppt. Das Wachsthum geht so rasch vor sich, daß die Jungen bereits nach Ablauf eines Jahres mehr als die Hälfte ihrer Größe erreicht haben." So berichten uns die Naturforscher, welche die Seehunde im Freileben beobachten konnten. Jch habe mit aller Absicht diesen Bericht wiedergegeben, obgleich ich selbst Beobachtungen gemacht habe, welche ihn in einiger Hinsicht ergänzen und berichtigen dürften. Zu meiner großen Freude konnte ich nämlich das Jugendleben des Seehundes mit aller Muße in unserem Thiergarten beobachten.
Gelegentlich eines Besuches bei einem der hamburger Thierhändler sah ich einen weiblichen See- hund, dessen Umfang zu frohen Hoffnungen berechtigte. Obgleich nun dieses Thier durch zwei Wunden, welche es beim Einfangen erhalten hatte, entstellt und als Schaustück werthlos war, be- schloß ich doch, es zu kaufen, weil ich annehmen durfte, Gelegenheit zu mir wichtigen Beobachtungen zu finden. Soviel ich wußte, hatten trächtige Seehunde schon wiederholt in der Gefangenschaft ge- boren; die Jungen waren aber immer sofort nach ihrer Geburt gestorben. Wir sollten glücklicher sein, vielleicht nur deshalb, weil wir der trächtigen Seehündin einen kleinen Teich unseres Gartens zum Wohnsitz anwiesen.
Die Geburt des wohlausgetragenen Jungen erfolgte am 30. Juni in den frühen Morgen- stunden vor Ankunft der Wärter; denn diese sahen bei ihrem Eintritt in den Garten das Junge bereits neben der Alten im Wasser spielen. Auf dem Lande fanden wir neben einer ziemlichen Menge von Blut und dem Mutterkuchen auch das ganze Jugendkleid des Neugeborenen, einen nicht unbedeu- tenden Haufen seidenweicher, kurzer, aber gewellter Haare. Sie lagen sämmtlich auf einer Stelle von geringem Umfang und schienen bereits im Mutterleib abgestreift worden zu sein. Das Junge hatte keine Spur des Wollkleides mehr an sich. Seine Färbung ähnelte vollständig der seiner Mutter; nur waren die einzelnen Farben frischer und glänzender. Die Augen waren geöffnet und schauten klar und munter in die Welt. Selbst die Bewegungen des jungen Weltbürgers waren schon ganz die seiner Eltern: sie waren im Wasser genau ebenso meisterhaft, auf dem Lande genau ebenso ungeschickt. Das junge Thier schien in den ersten Stunden seines Lebens außerhalb des Mutterleibes bereits alle Fer-
Die Seehunde. Allgemeines.
Sande eine Vertiefung aus. Kaum war unſer Bot etwa fünfhundert Schritt weit weggeſegelt, da erſchienen in geringer Entfernung im Waſſer die ſämmtlichen Seehunde wieder und lauſchten neu- gierig mit ſcheinbarem Wohlgefallen den von uns nachgeahmten Tönen. Dabei richteten ſie ſich faſt bis zur halben Körperhöhe über die Waſſeroberfläche empor und näherten ſich, merkwürdig genug, in dieſen Körperſtellungen dem Ufer der Jnſel immer mehr. Als wir nun die höheren, ſchwächeren Töne nachahmten, welche gewöhnlich die Männchen hören laſſen, kamen die viel größeren Weibchen zuerſt an das Land gekrochen und naheten ſich bald darauf unſerm Lager, den Locktönen folgend, ob- gleich ſie unſere hervorragenden Köpfe gewißlich ſehen konnten. Wir ſuchten uns Jeder einen See- hund aus, legten auf ihn an und entluden unſere Gewehre zu gleicher Zeit, und Jeder ſah, als ſich der Pulverdampf verzogen hatte, den erwählten Seehund regungslos vor ſich liegen. Aber auch die Uebrigen, welche ſämmtlich gelandet waren, geberdeten ſich, als wären ſie gleichfalls von unſeren Schüſſen getroffen worden. Wir hätten, wären wir ruhiger und mehr vorbereitet geweſen, ſehr gut noch unſere beiden übrigen Schüſſe auf die nicht getroffenen abfeuern können. Erſt, als wir auf- ſprangen, kam Bewegung in dieſe, wie vom Blitz getroffenen Körper.‟ —
„Ungefähr acht Monate nach der Paarung, in den Monaten Mai, Juni und Juli, wirft das Weibchen eins, ſeltener zwei Junge auf öden, unbewohnten Jnſeln, am liebſten an ſandigen Stellen des Strandes, in Höhlen, ſonſt auch auf Felsblöcken und endlich auf Eisfeldern. Die Jungen kommen im vollkommen ausgebildeten Zuſtande zur Welt, ſind aber mit einem dichten, weißen, zarten Pelz bedeckt, welcher ſie am Schwimmen und noch mehr am Tauchen hindert, jedoch bald mit dem glatt anliegenden und ſteifen Jugendkleide vertauſcht wird. Bis zu dieſer Zeit bleiben die Weibchen auf dem Lande bei den Jungen. Letztere werden nur kurze Zeit von der Mutter geſäugt, entweder auf dem Strande oder zuletzt in ganz ſeichtem Waſſer, bei Gefahr gewarnt und nöthigen- falls zwiſchen den Vorderfüßen einem ſicheren Orte zugeſchleppt. Das Wachsthum geht ſo raſch vor ſich, daß die Jungen bereits nach Ablauf eines Jahres mehr als die Hälfte ihrer Größe erreicht haben.‟ So berichten uns die Naturforſcher, welche die Seehunde im Freileben beobachten konnten. Jch habe mit aller Abſicht dieſen Bericht wiedergegeben, obgleich ich ſelbſt Beobachtungen gemacht habe, welche ihn in einiger Hinſicht ergänzen und berichtigen dürften. Zu meiner großen Freude konnte ich nämlich das Jugendleben des Seehundes mit aller Muße in unſerem Thiergarten beobachten.
Gelegentlich eines Beſuches bei einem der hamburger Thierhändler ſah ich einen weiblichen See- hund, deſſen Umfang zu frohen Hoffnungen berechtigte. Obgleich nun dieſes Thier durch zwei Wunden, welche es beim Einfangen erhalten hatte, entſtellt und als Schauſtück werthlos war, be- ſchloß ich doch, es zu kaufen, weil ich annehmen durfte, Gelegenheit zu mir wichtigen Beobachtungen zu finden. Soviel ich wußte, hatten trächtige Seehunde ſchon wiederholt in der Gefangenſchaft ge- boren; die Jungen waren aber immer ſofort nach ihrer Geburt geſtorben. Wir ſollten glücklicher ſein, vielleicht nur deshalb, weil wir der trächtigen Seehündin einen kleinen Teich unſeres Gartens zum Wohnſitz anwieſen.
Die Geburt des wohlausgetragenen Jungen erfolgte am 30. Juni in den frühen Morgen- ſtunden vor Ankunft der Wärter; denn dieſe ſahen bei ihrem Eintritt in den Garten das Junge bereits neben der Alten im Waſſer ſpielen. Auf dem Lande fanden wir neben einer ziemlichen Menge von Blut und dem Mutterkuchen auch das ganze Jugendkleid des Neugeborenen, einen nicht unbedeu- tenden Haufen ſeidenweicher, kurzer, aber gewellter Haare. Sie lagen ſämmtlich auf einer Stelle von geringem Umfang und ſchienen bereits im Mutterleib abgeſtreift worden zu ſein. Das Junge hatte keine Spur des Wollkleides mehr an ſich. Seine Färbung ähnelte vollſtändig der ſeiner Mutter; nur waren die einzelnen Farben friſcher und glänzender. Die Augen waren geöffnet und ſchauten klar und munter in die Welt. Selbſt die Bewegungen des jungen Weltbürgers waren ſchon ganz die ſeiner Eltern: ſie waren im Waſſer genau ebenſo meiſterhaft, auf dem Lande genau ebenſo ungeſchickt. Das junge Thier ſchien in den erſten Stunden ſeines Lebens außerhalb des Mutterleibes bereits alle Fer-
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[795/0843]
Die Seehunde. Allgemeines.
Sande eine Vertiefung aus. Kaum war unſer Bot etwa fünfhundert Schritt weit weggeſegelt, da
erſchienen in geringer Entfernung im Waſſer die ſämmtlichen Seehunde wieder und lauſchten neu-
gierig mit ſcheinbarem Wohlgefallen den von uns nachgeahmten Tönen. Dabei richteten ſie ſich faſt
bis zur halben Körperhöhe über die Waſſeroberfläche empor und näherten ſich, merkwürdig genug,
in dieſen Körperſtellungen dem Ufer der Jnſel immer mehr. Als wir nun die höheren, ſchwächeren
Töne nachahmten, welche gewöhnlich die Männchen hören laſſen, kamen die viel größeren Weibchen
zuerſt an das Land gekrochen und naheten ſich bald darauf unſerm Lager, den Locktönen folgend, ob-
gleich ſie unſere hervorragenden Köpfe gewißlich ſehen konnten. Wir ſuchten uns Jeder einen See-
hund aus, legten auf ihn an und entluden unſere Gewehre zu gleicher Zeit, und Jeder ſah, als ſich
der Pulverdampf verzogen hatte, den erwählten Seehund regungslos vor ſich liegen. Aber auch die
Uebrigen, welche ſämmtlich gelandet waren, geberdeten ſich, als wären ſie gleichfalls von unſeren
Schüſſen getroffen worden. Wir hätten, wären wir ruhiger und mehr vorbereitet geweſen, ſehr gut
noch unſere beiden übrigen Schüſſe auf die nicht getroffenen abfeuern können. Erſt, als wir auf-
ſprangen, kam Bewegung in dieſe, wie vom Blitz getroffenen Körper.‟ —
„Ungefähr acht Monate nach der Paarung, in den Monaten Mai, Juni und Juli, wirft das
Weibchen eins, ſeltener zwei Junge auf öden, unbewohnten Jnſeln, am liebſten an ſandigen Stellen
des Strandes, in Höhlen, ſonſt auch auf Felsblöcken und endlich auf Eisfeldern. Die Jungen
kommen im vollkommen ausgebildeten Zuſtande zur Welt, ſind aber mit einem dichten, weißen,
zarten Pelz bedeckt, welcher ſie am Schwimmen und noch mehr am Tauchen hindert, jedoch bald mit
dem glatt anliegenden und ſteifen Jugendkleide vertauſcht wird. Bis zu dieſer Zeit bleiben die
Weibchen auf dem Lande bei den Jungen. Letztere werden nur kurze Zeit von der Mutter geſäugt,
entweder auf dem Strande oder zuletzt in ganz ſeichtem Waſſer, bei Gefahr gewarnt und nöthigen-
falls zwiſchen den Vorderfüßen einem ſicheren Orte zugeſchleppt. Das Wachsthum geht ſo raſch vor
ſich, daß die Jungen bereits nach Ablauf eines Jahres mehr als die Hälfte ihrer Größe erreicht
haben.‟ So berichten uns die Naturforſcher, welche die Seehunde im Freileben beobachten konnten.
Jch habe mit aller Abſicht dieſen Bericht wiedergegeben, obgleich ich ſelbſt Beobachtungen gemacht
habe, welche ihn in einiger Hinſicht ergänzen und berichtigen dürften. Zu meiner großen Freude
konnte ich nämlich das Jugendleben des Seehundes mit aller Muße in unſerem Thiergarten
beobachten.
Gelegentlich eines Beſuches bei einem der hamburger Thierhändler ſah ich einen weiblichen See-
hund, deſſen Umfang zu frohen Hoffnungen berechtigte. Obgleich nun dieſes Thier durch zwei
Wunden, welche es beim Einfangen erhalten hatte, entſtellt und als Schauſtück werthlos war, be-
ſchloß ich doch, es zu kaufen, weil ich annehmen durfte, Gelegenheit zu mir wichtigen Beobachtungen
zu finden. Soviel ich wußte, hatten trächtige Seehunde ſchon wiederholt in der Gefangenſchaft ge-
boren; die Jungen waren aber immer ſofort nach ihrer Geburt geſtorben. Wir ſollten glücklicher
ſein, vielleicht nur deshalb, weil wir der trächtigen Seehündin einen kleinen Teich unſeres Gartens
zum Wohnſitz anwieſen.
Die Geburt des wohlausgetragenen Jungen erfolgte am 30. Juni in den frühen Morgen-
ſtunden vor Ankunft der Wärter; denn dieſe ſahen bei ihrem Eintritt in den Garten das Junge
bereits neben der Alten im Waſſer ſpielen. Auf dem Lande fanden wir neben einer ziemlichen Menge
von Blut und dem Mutterkuchen auch das ganze Jugendkleid des Neugeborenen, einen nicht unbedeu-
tenden Haufen ſeidenweicher, kurzer, aber gewellter Haare. Sie lagen ſämmtlich auf einer Stelle von
geringem Umfang und ſchienen bereits im Mutterleib abgeſtreift worden zu ſein. Das Junge hatte keine
Spur des Wollkleides mehr an ſich. Seine Färbung ähnelte vollſtändig der ſeiner Mutter; nur waren
die einzelnen Farben friſcher und glänzender. Die Augen waren geöffnet und ſchauten klar und
munter in die Welt. Selbſt die Bewegungen des jungen Weltbürgers waren ſchon ganz die ſeiner
Eltern: ſie waren im Waſſer genau ebenſo meiſterhaft, auf dem Lande genau ebenſo ungeſchickt. Das
junge Thier ſchien in den erſten Stunden ſeines Lebens außerhalb des Mutterleibes bereits alle Fer-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 795. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/843>, abgerufen am 23.11.2024.
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