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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Nashörner.
es mit seiner Lippenspitze sehr kleine Stücken, z. B. Zuckerbrocken, geschickt einklemmen und dann
durch Umbiegen derselben auf die weit vorragende Zunge bringen kann. Alle Nahrung, welche das
Thier aufnimmt, zerkaut es sogleich, aber in rohester Weise; denn seine Speiseröhre ist weit genug,
um auch großen Stücken den Durchgang zu gewähren. Das indische Nashorn kann die rüsselartige
Ausbuchtung der Oberlippe etwa bis auf 6 Zoll verlängern und damit gleich einen tüchtigen Busch
Gras erfassen, ausreißen und in das Maul schieben. Ob etwas Erde dann mit an den Wurzeln
hängt oder nicht, ist ihm ziemlich gleichgiltig. Es schlägt allerdings erst den ausgerissenen Busch einmal
gegen den Boden, um den größten Theil der erdigen Stoffe abzuwerfen, dann aber schiebt es ihn
mit großer Seelenruhe in den weiten Rachen und würgt ihn ohne Schlingbeschwerden hinab. Sehr
gern frißt das Thier auch Wurzeln, deren es sich mit Leichtigkeit bemächtigt. Bei guter Laune macht
es sich schon seines Vergnügens halber daran, einen kleinen Baum oder Strauch aus dem Boden zu
wühlen, und fegt zu diesem Zwecke mit dem gewaltigen Horn solange unter den Wurzeln herum, bis
es schließlich den Strauch erfassen und herausheben kann. Dann werden durch andere Schläge die
Wurzeln losgebrochen und verzehrt. Dabei ist jedoch bemerkt worden, daß die verschiedenen Arten
auch eine verschiedene Auswahl ihrer Nahrung zu treffen pflegen. So behauptet man, daß die Borile
oder das zweihörnige Nashorn Afrikas durch einen Euphorbienstrauch, welchen die weißen Arten ohne
Magenbeschwerde fressen, vergiftet wird.

Das Wesen des Nashorns hat wenig Anziehendes. Es frißt entweder oder schläft, um die
übrige Welt bekümmert es sich fast gar nicht. Jm Gegensatz zu dem Elefanten lebt es nicht in Her-
den, sondern meist einzeln oder höchstens in kleinen Trupps von vier bis zehn Stücken. Unter sol-
cher Gesellschaft herrscht kein Zusammenhang: jedes Einzelne lebt für sich und thut, was ihm beliebt.
Alle Bewegungen der Thiere sind schwerfällig und plump, jedoch durchaus nicht in dem Grade, als
man wohl glauben möchte. Behende Wendungen und Biegungen kann das Nashorn freilich nicht
ausführen, und auf den Bergen springt es auch nicht mit der Leichtigkeit einer Gemse herum, in den
ebenen Gegenden aber eilt es, wenn es einmal in Bewegung gekommen ist, sehr rasch davon. Es
geht nicht, wie die anderen schweren Dickhäuter, durch gleichzeitiges Bewegen der Beine einer Seite,
sondern schreitet mit den sich gegenüberstehenden Vorder- und Hinterbeinen zugleich aus. Beim Lau-
fen hält es den Kopf gewöhnlich niedrig und gerade vor sich hin, in der Wuth aber schaukelt es ihn
wiegend hin und her und reißt mit dem Horn tiefe und weite Furchen auf. Wenn es recht erzürnt
ist, springt es auch von einer Seite zur anderen und hebt dann den stumpfen Schwanz in die Höhe.
Es kann einen sehr geschwinden und ausdauernden Trab laufen und selbst berittenen Jägern gefährlich
werden, zumal in buschreichen Gegenden, wo Mann und Pferd nicht so leicht auszuweichen ver-
mögen, während jenes plump alle ihnen im Wege stehenden Bäume niedertritt. Jm Schwimmen ist
das Nashorn natürlich Meister; doch hält es sich mehr an der Oberfläche und taucht nicht ohne Noth.
Einzelne Berichterstatter wollen beobachtet haben, daß es in Sümpfen oder Flüssen sich zum Grunde
hinabsenkte, dort mit dem Horn die Wurzeln und Ranken der Wasserpflanzen aushebe und mit sich
emporbrächte, um sie oben zu verzehren.

Unter den Sinnen der Nashörner steht das Gehör wohl oben an, dann folgt der Geruch und
auf diesen das Gefühl. Das Gesicht ist sehr wenig ausgebildet. Es wird allgemein behauptet, daß
ein Nashorn immer nur gerade nach vorn sehen könne und Menschen, welche von der Seite zu ihm hin-
schlichen, gar nicht wahrzunehmen vermöge. Jch bezweifle diese Angaben, weil ich das Gegentheil an
zahmen bemerkt habe. Jn der Wuth folgt das Nashorn dem Geruch und Gehör. Es nimmt die
Fährte des Feindes auf und spürt dieser nach, wobei es allerdings das Auge wenig braucht. Das
Gehör ist sehr fein; das Thier vernimmt das leiseste Geräusch auf große Entfernungen. Aber auch
der Geschmack ist durchaus nicht zu leugnen; denn bei zahmen beobachtete ich, daß ihnen Zucker ein
höchst erwünschter Gegenstand war und mit besonderem Wohlgefallen von ihnen verzehrt wurde. Die
Stimme besteht in einem dumpfen Grunzen, welches bei größerer Wuth in ein tönendes Blasen über-
gehen soll. Jn der Freiheit mag man dieses Blasen oft vernehmen; denn ein Nashorn ist sehr leicht

Die Nashörner.
es mit ſeiner Lippenſpitze ſehr kleine Stücken, z. B. Zuckerbrocken, geſchickt einklemmen und dann
durch Umbiegen derſelben auf die weit vorragende Zunge bringen kann. Alle Nahrung, welche das
Thier aufnimmt, zerkaut es ſogleich, aber in roheſter Weiſe; denn ſeine Speiſeröhre iſt weit genug,
um auch großen Stücken den Durchgang zu gewähren. Das indiſche Nashorn kann die rüſſelartige
Ausbuchtung der Oberlippe etwa bis auf 6 Zoll verlängern und damit gleich einen tüchtigen Buſch
Gras erfaſſen, ausreißen und in das Maul ſchieben. Ob etwas Erde dann mit an den Wurzeln
hängt oder nicht, iſt ihm ziemlich gleichgiltig. Es ſchlägt allerdings erſt den ausgeriſſenen Buſch einmal
gegen den Boden, um den größten Theil der erdigen Stoffe abzuwerfen, dann aber ſchiebt es ihn
mit großer Seelenruhe in den weiten Rachen und würgt ihn ohne Schlingbeſchwerden hinab. Sehr
gern frißt das Thier auch Wurzeln, deren es ſich mit Leichtigkeit bemächtigt. Bei guter Laune macht
es ſich ſchon ſeines Vergnügens halber daran, einen kleinen Baum oder Strauch aus dem Boden zu
wühlen, und fegt zu dieſem Zwecke mit dem gewaltigen Horn ſolange unter den Wurzeln herum, bis
es ſchließlich den Strauch erfaſſen und herausheben kann. Dann werden durch andere Schläge die
Wurzeln losgebrochen und verzehrt. Dabei iſt jedoch bemerkt worden, daß die verſchiedenen Arten
auch eine verſchiedene Auswahl ihrer Nahrung zu treffen pflegen. So behauptet man, daß die Borile
oder das zweihörnige Nashorn Afrikas durch einen Euphorbienſtrauch, welchen die weißen Arten ohne
Magenbeſchwerde freſſen, vergiftet wird.

Das Weſen des Nashorns hat wenig Anziehendes. Es frißt entweder oder ſchläft, um die
übrige Welt bekümmert es ſich faſt gar nicht. Jm Gegenſatz zu dem Elefanten lebt es nicht in Her-
den, ſondern meiſt einzeln oder höchſtens in kleinen Trupps von vier bis zehn Stücken. Unter ſol-
cher Geſellſchaft herrſcht kein Zuſammenhang: jedes Einzelne lebt für ſich und thut, was ihm beliebt.
Alle Bewegungen der Thiere ſind ſchwerfällig und plump, jedoch durchaus nicht in dem Grade, als
man wohl glauben möchte. Behende Wendungen und Biegungen kann das Nashorn freilich nicht
ausführen, und auf den Bergen ſpringt es auch nicht mit der Leichtigkeit einer Gemſe herum, in den
ebenen Gegenden aber eilt es, wenn es einmal in Bewegung gekommen iſt, ſehr raſch davon. Es
geht nicht, wie die anderen ſchweren Dickhäuter, durch gleichzeitiges Bewegen der Beine einer Seite,
ſondern ſchreitet mit den ſich gegenüberſtehenden Vorder- und Hinterbeinen zugleich aus. Beim Lau-
fen hält es den Kopf gewöhnlich niedrig und gerade vor ſich hin, in der Wuth aber ſchaukelt es ihn
wiegend hin und her und reißt mit dem Horn tiefe und weite Furchen auf. Wenn es recht erzürnt
iſt, ſpringt es auch von einer Seite zur anderen und hebt dann den ſtumpfen Schwanz in die Höhe.
Es kann einen ſehr geſchwinden und ausdauernden Trab laufen und ſelbſt berittenen Jägern gefährlich
werden, zumal in buſchreichen Gegenden, wo Mann und Pferd nicht ſo leicht auszuweichen ver-
mögen, während jenes plump alle ihnen im Wege ſtehenden Bäume niedertritt. Jm Schwimmen iſt
das Nashorn natürlich Meiſter; doch hält es ſich mehr an der Oberfläche und taucht nicht ohne Noth.
Einzelne Berichterſtatter wollen beobachtet haben, daß es in Sümpfen oder Flüſſen ſich zum Grunde
hinabſenkte, dort mit dem Horn die Wurzeln und Ranken der Waſſerpflanzen aushebe und mit ſich
emporbrächte, um ſie oben zu verzehren.

Unter den Sinnen der Nashörner ſteht das Gehör wohl oben an, dann folgt der Geruch und
auf dieſen das Gefühl. Das Geſicht iſt ſehr wenig ausgebildet. Es wird allgemein behauptet, daß
ein Nashorn immer nur gerade nach vorn ſehen könne und Menſchen, welche von der Seite zu ihm hin-
ſchlichen, gar nicht wahrzunehmen vermöge. Jch bezweifle dieſe Angaben, weil ich das Gegentheil an
zahmen bemerkt habe. Jn der Wuth folgt das Nashorn dem Geruch und Gehör. Es nimmt die
Fährte des Feindes auf und ſpürt dieſer nach, wobei es allerdings das Auge wenig braucht. Das
Gehör iſt ſehr fein; das Thier vernimmt das leiſeſte Geräuſch auf große Entfernungen. Aber auch
der Geſchmack iſt durchaus nicht zu leugnen; denn bei zahmen beobachtete ich, daß ihnen Zucker ein
höchſt erwünſchter Gegenſtand war und mit beſonderem Wohlgefallen von ihnen verzehrt wurde. Die
Stimme beſteht in einem dumpfen Grunzen, welches bei größerer Wuth in ein tönendes Blaſen über-
gehen ſoll. Jn der Freiheit mag man dieſes Blaſen oft vernehmen; denn ein Nashorn iſt ſehr leicht

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[759/0805] Die Nashörner. es mit ſeiner Lippenſpitze ſehr kleine Stücken, z. B. Zuckerbrocken, geſchickt einklemmen und dann durch Umbiegen derſelben auf die weit vorragende Zunge bringen kann. Alle Nahrung, welche das Thier aufnimmt, zerkaut es ſogleich, aber in roheſter Weiſe; denn ſeine Speiſeröhre iſt weit genug, um auch großen Stücken den Durchgang zu gewähren. Das indiſche Nashorn kann die rüſſelartige Ausbuchtung der Oberlippe etwa bis auf 6 Zoll verlängern und damit gleich einen tüchtigen Buſch Gras erfaſſen, ausreißen und in das Maul ſchieben. Ob etwas Erde dann mit an den Wurzeln hängt oder nicht, iſt ihm ziemlich gleichgiltig. Es ſchlägt allerdings erſt den ausgeriſſenen Buſch einmal gegen den Boden, um den größten Theil der erdigen Stoffe abzuwerfen, dann aber ſchiebt es ihn mit großer Seelenruhe in den weiten Rachen und würgt ihn ohne Schlingbeſchwerden hinab. Sehr gern frißt das Thier auch Wurzeln, deren es ſich mit Leichtigkeit bemächtigt. Bei guter Laune macht es ſich ſchon ſeines Vergnügens halber daran, einen kleinen Baum oder Strauch aus dem Boden zu wühlen, und fegt zu dieſem Zwecke mit dem gewaltigen Horn ſolange unter den Wurzeln herum, bis es ſchließlich den Strauch erfaſſen und herausheben kann. Dann werden durch andere Schläge die Wurzeln losgebrochen und verzehrt. Dabei iſt jedoch bemerkt worden, daß die verſchiedenen Arten auch eine verſchiedene Auswahl ihrer Nahrung zu treffen pflegen. So behauptet man, daß die Borile oder das zweihörnige Nashorn Afrikas durch einen Euphorbienſtrauch, welchen die weißen Arten ohne Magenbeſchwerde freſſen, vergiftet wird. Das Weſen des Nashorns hat wenig Anziehendes. Es frißt entweder oder ſchläft, um die übrige Welt bekümmert es ſich faſt gar nicht. Jm Gegenſatz zu dem Elefanten lebt es nicht in Her- den, ſondern meiſt einzeln oder höchſtens in kleinen Trupps von vier bis zehn Stücken. Unter ſol- cher Geſellſchaft herrſcht kein Zuſammenhang: jedes Einzelne lebt für ſich und thut, was ihm beliebt. Alle Bewegungen der Thiere ſind ſchwerfällig und plump, jedoch durchaus nicht in dem Grade, als man wohl glauben möchte. Behende Wendungen und Biegungen kann das Nashorn freilich nicht ausführen, und auf den Bergen ſpringt es auch nicht mit der Leichtigkeit einer Gemſe herum, in den ebenen Gegenden aber eilt es, wenn es einmal in Bewegung gekommen iſt, ſehr raſch davon. Es geht nicht, wie die anderen ſchweren Dickhäuter, durch gleichzeitiges Bewegen der Beine einer Seite, ſondern ſchreitet mit den ſich gegenüberſtehenden Vorder- und Hinterbeinen zugleich aus. Beim Lau- fen hält es den Kopf gewöhnlich niedrig und gerade vor ſich hin, in der Wuth aber ſchaukelt es ihn wiegend hin und her und reißt mit dem Horn tiefe und weite Furchen auf. Wenn es recht erzürnt iſt, ſpringt es auch von einer Seite zur anderen und hebt dann den ſtumpfen Schwanz in die Höhe. Es kann einen ſehr geſchwinden und ausdauernden Trab laufen und ſelbſt berittenen Jägern gefährlich werden, zumal in buſchreichen Gegenden, wo Mann und Pferd nicht ſo leicht auszuweichen ver- mögen, während jenes plump alle ihnen im Wege ſtehenden Bäume niedertritt. Jm Schwimmen iſt das Nashorn natürlich Meiſter; doch hält es ſich mehr an der Oberfläche und taucht nicht ohne Noth. Einzelne Berichterſtatter wollen beobachtet haben, daß es in Sümpfen oder Flüſſen ſich zum Grunde hinabſenkte, dort mit dem Horn die Wurzeln und Ranken der Waſſerpflanzen aushebe und mit ſich emporbrächte, um ſie oben zu verzehren. Unter den Sinnen der Nashörner ſteht das Gehör wohl oben an, dann folgt der Geruch und auf dieſen das Gefühl. Das Geſicht iſt ſehr wenig ausgebildet. Es wird allgemein behauptet, daß ein Nashorn immer nur gerade nach vorn ſehen könne und Menſchen, welche von der Seite zu ihm hin- ſchlichen, gar nicht wahrzunehmen vermöge. Jch bezweifle dieſe Angaben, weil ich das Gegentheil an zahmen bemerkt habe. Jn der Wuth folgt das Nashorn dem Geruch und Gehör. Es nimmt die Fährte des Feindes auf und ſpürt dieſer nach, wobei es allerdings das Auge wenig braucht. Das Gehör iſt ſehr fein; das Thier vernimmt das leiſeſte Geräuſch auf große Entfernungen. Aber auch der Geſchmack iſt durchaus nicht zu leugnen; denn bei zahmen beobachtete ich, daß ihnen Zucker ein höchſt erwünſchter Gegenſtand war und mit beſonderem Wohlgefallen von ihnen verzehrt wurde. Die Stimme beſteht in einem dumpfen Grunzen, welches bei größerer Wuth in ein tönendes Blaſen über- gehen ſoll. Jn der Freiheit mag man dieſes Blaſen oft vernehmen; denn ein Nashorn iſt ſehr leicht

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 759. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/805>, abgerufen am 23.11.2024.