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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Vielhufer oder Dickhäuter. -- Die Klippschliefer.
immer Wachen auf den vorragendsten Felsspitzen, und ein Warnungszeichen von diesen ist hinreichend,
die eiligste Flucht der ganzen Gesellschaft zu veranlassen.

Hinsichtlich ihrer Bewegungen und ihres Wesens erscheinen die Klippschliefer so recht als Das,
was sie sind: als eigenthümliche Mittelglieder zwischen den plumpen Vielhufern und den behen-
den Nagern. Wenn sie auf ebenem Boden dahinlaufen, hat ihr Gang etwas verhältnißmäßig
Schwerfälliges: sie bewegen die Beine mit jener bekannten Ruhe der Dickhäuter oder besser: sie
schleichen nur dicht an der Erde weg, als ob sie fürchteten, gesehen zu werden. Nach einigen, wenigen
Schritten stehen sie still und sichern; dann geht es in derselben Art weiter. Anders ist es, wenn sie
erschreckt wurden. Dann springen sie in kurzen Sätzen dahin, immer so eilig als möglich dem Felsen
zu, und hier nun zeigen sie sich in ihrer vollen Beweglichkeit. Sie klettern meisterhaft. Die
Sohlen ihrer Füße sind vortrefflich geeignet, sie hierin zu unterstützen. Der Ballen ist weich, aber
dennoch rauh, und deshalb gewährt jeder Tritt die bei schneller Bewegung auf geneigten Flächen un-
bedingt nothwendige Sicherheit. Mich haben die Klippschliefer lebhaft an die Eidechsen mit Klebe-
fingern, die sogenannten Geckos, erinnert. Obwohl sie nicht, wie diese beweglichen Thiere, an der
unteren Seite wagrechter Flächen hingehen können, geben sie doch ihnen im übrigen nicht das Geringste
nach. Sie laufen aufwärts oder kopfunterst an fast senkrechten Flächen mit derselben Sicherheit dahin,
als ob sie auf ebenem Boden gingen; sie kleben sich an halsbrechenden Stellen förmlich an den Felfen
an. Jn Winkeln oder Ritzen steigen sie äußerst behend auf und nieder. Sie halten sich an jeder be-
liebigen Stelle fest, indem sie sich mit dem Rücken an die eine Wand der Ritze, mit den Beinen aber
an die andere stemmen. Dabei sind sie geübte und gewandte Springer. Auf Sätze von zehn, ja
funfzehn Fuß Höhe kommt es ihnen nicht an; man sieht sie selbst an zwanzig, dreißig Fuß hohen,
senkrechten, ja überhängenden Wänden nach Art der Katzen herabgleiten, indem sie etwa Dreiviertel
der Höhe an der Wand herunterlaufen und dann, plötzlich von ihr abspringend, mit aller Sicherheit
auf einem neuen Steine fußen. Wahrscheinlich ähneln sie in ihren Bewegungen am meisten den
Murmelthieren oder den Wollmäusen.

Jhr Betragen deutet auf große Sanftmuth, ja fast Einfalt, verbunden mit unglaublicher Aengst-
lichkeit und Furchtsamkeit. Sie sind höchst gesellig; denn man sieht sie fast niemals einzeln oder darf,
wenn Dies wirklich der Fall sein sollte, bestimmt darauf rechnen, daß die übrigen Glieder der Gesell-
schaft nur nicht zur Stelle sind. An dem einmal gewählten Wohnplatze halten sie treulich fest, derselbe
mag so groß oder so klein sein, als er will. Zuweilen genügt ihnen ein einzelner großer Felsblock;
man sieht sie höchstens heute auf dieser, morgen auf jener Seite desselben. Bei gutem Wetter lagern sie
sich reihenweis in der faulsten Stellung auf passenden Steinen hin, die Vorderfüße ganz eingezogen,
die hinteren weit ausgestreckt, wie Kaninchen es manchmal zu thun pflegen. Einige Wachen bleiben
aber auch dann immer ausgestellt.

Es scheint, daß die Klippschliefer ihren größeren Verwandten auch darin ähneln, daß sie keine
Kostverächter sind und unglaublich viel verzehren. Jhre Heimat ist an würzigen Gebirgs- und Alpen-
pflanzen so reich, daß sie wohl niemals Mangel leiden. Jch sah sie wiederholt am Fuße der Felsen
weiden und zwar ganz in der Weise, wie Wiederkäuer es zu thun pflegen. Sie beißen die Gräser
mit ihren Zähnen ab und bewegen die Kinnladen so, wie die Zweihufer, wenn sie wiederkäuen.
Einige frühere Forscher haben geglaubt, daß sie wirklich die eingenommenen Speisen nochmals durch-
kauten; ich habe aber bei allen denen -- bei den ruhenden wenigstens, -- welche ich sehr genau beob-
achten konnte, niemals davon Etwas bemerkt. Wie es scheint, trinken sie gar nicht oder nur sehr
wenig. Zwei Orte, in der Nähe des Bogosdorfes Mensa, welche von Klippschliefern bewohnt sind,
liegen in einer auf bedeutende Strecken hin vollkommen wasserleeren Ebene, welche die furchtsamen
Thiere sicherlich nicht zu überschreiten wagen. Zur Zeit, als ich sie beobachtete, regnete es freilich noch
wiederholt, und sie bekamen hierdurch Gelegenheit zum Trinken; allein die Bewohner des Dorfes ver-
sicherten mich, daß jene Klippschliefer auch während der Zeit der Dürre ihre Wohnsitze nicht verließen.

Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Die Klippſchliefer.
immer Wachen auf den vorragendſten Felsſpitzen, und ein Warnungszeichen von dieſen iſt hinreichend,
die eiligſte Flucht der ganzen Geſellſchaft zu veranlaſſen.

Hinſichtlich ihrer Bewegungen und ihres Weſens erſcheinen die Klippſchliefer ſo recht als Das,
was ſie ſind: als eigenthümliche Mittelglieder zwiſchen den plumpen Vielhufern und den behen-
den Nagern. Wenn ſie auf ebenem Boden dahinlaufen, hat ihr Gang etwas verhältnißmäßig
Schwerfälliges: ſie bewegen die Beine mit jener bekannten Ruhe der Dickhäuter oder beſſer: ſie
ſchleichen nur dicht an der Erde weg, als ob ſie fürchteten, geſehen zu werden. Nach einigen, wenigen
Schritten ſtehen ſie ſtill und ſichern; dann geht es in derſelben Art weiter. Anders iſt es, wenn ſie
erſchreckt wurden. Dann ſpringen ſie in kurzen Sätzen dahin, immer ſo eilig als möglich dem Felſen
zu, und hier nun zeigen ſie ſich in ihrer vollen Beweglichkeit. Sie klettern meiſterhaft. Die
Sohlen ihrer Füße ſind vortrefflich geeignet, ſie hierin zu unterſtützen. Der Ballen iſt weich, aber
dennoch rauh, und deshalb gewährt jeder Tritt die bei ſchneller Bewegung auf geneigten Flächen un-
bedingt nothwendige Sicherheit. Mich haben die Klippſchliefer lebhaft an die Eidechſen mit Klebe-
fingern, die ſogenannten Geckos, erinnert. Obwohl ſie nicht, wie dieſe beweglichen Thiere, an der
unteren Seite wagrechter Flächen hingehen können, geben ſie doch ihnen im übrigen nicht das Geringſte
nach. Sie laufen aufwärts oder kopfunterſt an faſt ſenkrechten Flächen mit derſelben Sicherheit dahin,
als ob ſie auf ebenem Boden gingen; ſie kleben ſich an halsbrechenden Stellen förmlich an den Felfen
an. Jn Winkeln oder Ritzen ſteigen ſie äußerſt behend auf und nieder. Sie halten ſich an jeder be-
liebigen Stelle feſt, indem ſie ſich mit dem Rücken an die eine Wand der Ritze, mit den Beinen aber
an die andere ſtemmen. Dabei ſind ſie geübte und gewandte Springer. Auf Sätze von zehn, ja
funfzehn Fuß Höhe kommt es ihnen nicht an; man ſieht ſie ſelbſt an zwanzig, dreißig Fuß hohen,
ſenkrechten, ja überhängenden Wänden nach Art der Katzen herabgleiten, indem ſie etwa Dreiviertel
der Höhe an der Wand herunterlaufen und dann, plötzlich von ihr abſpringend, mit aller Sicherheit
auf einem neuen Steine fußen. Wahrſcheinlich ähneln ſie in ihren Bewegungen am meiſten den
Murmelthieren oder den Wollmäuſen.

Jhr Betragen deutet auf große Sanftmuth, ja faſt Einfalt, verbunden mit unglaublicher Aengſt-
lichkeit und Furchtſamkeit. Sie ſind höchſt geſellig; denn man ſieht ſie faſt niemals einzeln oder darf,
wenn Dies wirklich der Fall ſein ſollte, beſtimmt darauf rechnen, daß die übrigen Glieder der Geſell-
ſchaft nur nicht zur Stelle ſind. An dem einmal gewählten Wohnplatze halten ſie treulich feſt, derſelbe
mag ſo groß oder ſo klein ſein, als er will. Zuweilen genügt ihnen ein einzelner großer Felsblock;
man ſieht ſie höchſtens heute auf dieſer, morgen auf jener Seite deſſelben. Bei gutem Wetter lagern ſie
ſich reihenweis in der faulſten Stellung auf paſſenden Steinen hin, die Vorderfüße ganz eingezogen,
die hinteren weit ausgeſtreckt, wie Kaninchen es manchmal zu thun pflegen. Einige Wachen bleiben
aber auch dann immer ausgeſtellt.

Es ſcheint, daß die Klippſchliefer ihren größeren Verwandten auch darin ähneln, daß ſie keine
Koſtverächter ſind und unglaublich viel verzehren. Jhre Heimat iſt an würzigen Gebirgs- und Alpen-
pflanzen ſo reich, daß ſie wohl niemals Mangel leiden. Jch ſah ſie wiederholt am Fuße der Felſen
weiden und zwar ganz in der Weiſe, wie Wiederkäuer es zu thun pflegen. Sie beißen die Gräſer
mit ihren Zähnen ab und bewegen die Kinnladen ſo, wie die Zweihufer, wenn ſie wiederkäuen.
Einige frühere Forſcher haben geglaubt, daß ſie wirklich die eingenommenen Speiſen nochmals durch-
kauten; ich habe aber bei allen denen — bei den ruhenden wenigſtens, — welche ich ſehr genau beob-
achten konnte, niemals davon Etwas bemerkt. Wie es ſcheint, trinken ſie gar nicht oder nur ſehr
wenig. Zwei Orte, in der Nähe des Bogosdorfes Menſa, welche von Klippſchliefern bewohnt ſind,
liegen in einer auf bedeutende Strecken hin vollkommen waſſerleeren Ebene, welche die furchtſamen
Thiere ſicherlich nicht zu überſchreiten wagen. Zur Zeit, als ich ſie beobachtete, regnete es freilich noch
wiederholt, und ſie bekamen hierdurch Gelegenheit zum Trinken; allein die Bewohner des Dorfes ver-
ſicherten mich, daß jene Klippſchliefer auch während der Zeit der Dürre ihre Wohnſitze nicht verließen.

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[724/0764] Die Vielhufer oder Dickhäuter. — Die Klippſchliefer. immer Wachen auf den vorragendſten Felsſpitzen, und ein Warnungszeichen von dieſen iſt hinreichend, die eiligſte Flucht der ganzen Geſellſchaft zu veranlaſſen. Hinſichtlich ihrer Bewegungen und ihres Weſens erſcheinen die Klippſchliefer ſo recht als Das, was ſie ſind: als eigenthümliche Mittelglieder zwiſchen den plumpen Vielhufern und den behen- den Nagern. Wenn ſie auf ebenem Boden dahinlaufen, hat ihr Gang etwas verhältnißmäßig Schwerfälliges: ſie bewegen die Beine mit jener bekannten Ruhe der Dickhäuter oder beſſer: ſie ſchleichen nur dicht an der Erde weg, als ob ſie fürchteten, geſehen zu werden. Nach einigen, wenigen Schritten ſtehen ſie ſtill und ſichern; dann geht es in derſelben Art weiter. Anders iſt es, wenn ſie erſchreckt wurden. Dann ſpringen ſie in kurzen Sätzen dahin, immer ſo eilig als möglich dem Felſen zu, und hier nun zeigen ſie ſich in ihrer vollen Beweglichkeit. Sie klettern meiſterhaft. Die Sohlen ihrer Füße ſind vortrefflich geeignet, ſie hierin zu unterſtützen. Der Ballen iſt weich, aber dennoch rauh, und deshalb gewährt jeder Tritt die bei ſchneller Bewegung auf geneigten Flächen un- bedingt nothwendige Sicherheit. Mich haben die Klippſchliefer lebhaft an die Eidechſen mit Klebe- fingern, die ſogenannten Geckos, erinnert. Obwohl ſie nicht, wie dieſe beweglichen Thiere, an der unteren Seite wagrechter Flächen hingehen können, geben ſie doch ihnen im übrigen nicht das Geringſte nach. Sie laufen aufwärts oder kopfunterſt an faſt ſenkrechten Flächen mit derſelben Sicherheit dahin, als ob ſie auf ebenem Boden gingen; ſie kleben ſich an halsbrechenden Stellen förmlich an den Felfen an. Jn Winkeln oder Ritzen ſteigen ſie äußerſt behend auf und nieder. Sie halten ſich an jeder be- liebigen Stelle feſt, indem ſie ſich mit dem Rücken an die eine Wand der Ritze, mit den Beinen aber an die andere ſtemmen. Dabei ſind ſie geübte und gewandte Springer. Auf Sätze von zehn, ja funfzehn Fuß Höhe kommt es ihnen nicht an; man ſieht ſie ſelbſt an zwanzig, dreißig Fuß hohen, ſenkrechten, ja überhängenden Wänden nach Art der Katzen herabgleiten, indem ſie etwa Dreiviertel der Höhe an der Wand herunterlaufen und dann, plötzlich von ihr abſpringend, mit aller Sicherheit auf einem neuen Steine fußen. Wahrſcheinlich ähneln ſie in ihren Bewegungen am meiſten den Murmelthieren oder den Wollmäuſen. Jhr Betragen deutet auf große Sanftmuth, ja faſt Einfalt, verbunden mit unglaublicher Aengſt- lichkeit und Furchtſamkeit. Sie ſind höchſt geſellig; denn man ſieht ſie faſt niemals einzeln oder darf, wenn Dies wirklich der Fall ſein ſollte, beſtimmt darauf rechnen, daß die übrigen Glieder der Geſell- ſchaft nur nicht zur Stelle ſind. An dem einmal gewählten Wohnplatze halten ſie treulich feſt, derſelbe mag ſo groß oder ſo klein ſein, als er will. Zuweilen genügt ihnen ein einzelner großer Felsblock; man ſieht ſie höchſtens heute auf dieſer, morgen auf jener Seite deſſelben. Bei gutem Wetter lagern ſie ſich reihenweis in der faulſten Stellung auf paſſenden Steinen hin, die Vorderfüße ganz eingezogen, die hinteren weit ausgeſtreckt, wie Kaninchen es manchmal zu thun pflegen. Einige Wachen bleiben aber auch dann immer ausgeſtellt. Es ſcheint, daß die Klippſchliefer ihren größeren Verwandten auch darin ähneln, daß ſie keine Koſtverächter ſind und unglaublich viel verzehren. Jhre Heimat iſt an würzigen Gebirgs- und Alpen- pflanzen ſo reich, daß ſie wohl niemals Mangel leiden. Jch ſah ſie wiederholt am Fuße der Felſen weiden und zwar ganz in der Weiſe, wie Wiederkäuer es zu thun pflegen. Sie beißen die Gräſer mit ihren Zähnen ab und bewegen die Kinnladen ſo, wie die Zweihufer, wenn ſie wiederkäuen. Einige frühere Forſcher haben geglaubt, daß ſie wirklich die eingenommenen Speiſen nochmals durch- kauten; ich habe aber bei allen denen — bei den ruhenden wenigſtens, — welche ich ſehr genau beob- achten konnte, niemals davon Etwas bemerkt. Wie es ſcheint, trinken ſie gar nicht oder nur ſehr wenig. Zwei Orte, in der Nähe des Bogosdorfes Menſa, welche von Klippſchliefern bewohnt ſind, liegen in einer auf bedeutende Strecken hin vollkommen waſſerleeren Ebene, welche die furchtſamen Thiere ſicherlich nicht zu überſchreiten wagen. Zur Zeit, als ich ſie beobachtete, regnete es freilich noch wiederholt, und ſie bekamen hierdurch Gelegenheit zum Trinken; allein die Bewohner des Dorfes ver- ſicherten mich, daß jene Klippſchliefer auch während der Zeit der Dürre ihre Wohnſitze nicht verließen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/764>, abgerufen am 23.11.2024.