Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die sich nicht nach einer schöneren Sonne sehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, desto bunter, manchfaltiger wird das Leben dieser Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt."
Höchst verschiedenartig ist die Lebensweise dieser Allverbreiteten. Die einen sind Baum-, die an- deren Erdthiere; diese leben im Wasser, jene in unterirdischen, selbst gegrabenen Höhlen; die einen im Gebüsch, die anderen im freien Felde. Alle sind mehr oder weniger bewegliche Geschöpfe, welche, je nach der Verschiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder schwimmen. Dabei sind sie meistens scharfsinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder besonders geistig befähigt. Die große Mehrzahl Aller ist ein geistarmes oder wenigstens sehr unbedeu- tendes Gesindel, welches wohl scheu, nicht aber vorsichtig oder listig ist und sich auch sonst niemals durch irgendwelche hervorragende geistige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweise, andere in Familien und nicht wenige scharenweise zusammen, vertragen sich gut auch mit anderen Thieren, ohne sich jedoch mit diesen zu befassen, und einzelne spielen unter sich recht lustig. Bosheit und Tücke, Wildheit und Unverschämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B. die Ratten. Bei Gefahr ziehen sich alle so schleunig als möglich nach ihren Verstecken zurück; aber nur die allerwenigsten sind klug genug, Verfolgungen auf listige Weise zu vereiteln. Alle Nager nähren sich hauptsächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja selbst Holzfasern werden von ihnen verzehrt. Ein- zelne aber nehmen auch thierische Stoffe zu sich und sind wirkliche Allesfresser. Eigenthümlich ist, daß viele, welche zu schwach sind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des Winters zu widerstehen, Vorräthe einsammeln und diese in unterirdischen Kammern aufspeichern. Ueberhaupt sind die Nager die Baumeister unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten sich wahrhaft künstliche Wohnungen, welche schon seit den ältesten Zeiten die Bewunderung der Menschen erregt haben. Hierbei scheint jedoch weit weniger ihr Verstand, als ein unbewußter Trieb maßgebend zu sein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall ist. Nicht wenige verbringen den Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, sie verfallen in Erstarrung und erhalten sich von ihrem im Sommer reichlich aufgespeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinsicht herabgestimmten Lebens- thätigkeiten nun gemachsam verzehrt wird.
Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager ist ihre Bedeutung für die Natur eine sehr erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrschen und verwüsten, hätten sie nicht ein in Wirklichkeit ungezähltes Heer von Feinden gegen sich und wären sie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen sie geführt wird, erhält in ihrer erstaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht, welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraschend und ist dennoch wahr, wenn angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfrist seine Nachkommenschaft auf Tausend bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menschlichen Besitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz- lichen Gegenständen und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhause verursachen einen Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Mensch ist also gezwungen, sich dem Heer der Feinde unserer Thiere anzuschließen, und er übt nur das Recht des selbstsüchtigen Stärkeren, wenn er alle Mittel in Anwendung bringt, um sich solches Ungeziefers zu entwehren.
Eigentlich befreunden kann sich der Mensch nur mit höchst wenigen Gliedern dieser zahlreichen Ordnung, und von diesen wenigen sind nur Einzelne der Zähmung würdig. Sie gewähren hier- durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleisch und Fell.
Ueber die Eintheilung der Nagethiere sind die Forscher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden mehr, die Anderen weniger Familien. Uns werden die von mir erwählten Nager einen genügenden Ueberblick der Ordnung verschaffen.
Die Nager.
Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die ſich nicht nach einer ſchöneren Sonne ſehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, deſto bunter, manchfaltiger wird das Leben dieſer Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt.‟
Höchſt verſchiedenartig iſt die Lebensweiſe dieſer Allverbreiteten. Die einen ſind Baum-, die an- deren Erdthiere; dieſe leben im Waſſer, jene in unterirdiſchen, ſelbſt gegrabenen Höhlen; die einen im Gebüſch, die anderen im freien Felde. Alle ſind mehr oder weniger bewegliche Geſchöpfe, welche, je nach der Verſchiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder ſchwimmen. Dabei ſind ſie meiſtens ſcharfſinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder beſonders geiſtig befähigt. Die große Mehrzahl Aller iſt ein geiſtarmes oder wenigſtens ſehr unbedeu- tendes Geſindel, welches wohl ſcheu, nicht aber vorſichtig oder liſtig iſt und ſich auch ſonſt niemals durch irgendwelche hervorragende geiſtige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweiſe, andere in Familien und nicht wenige ſcharenweiſe zuſammen, vertragen ſich gut auch mit anderen Thieren, ohne ſich jedoch mit dieſen zu befaſſen, und einzelne ſpielen unter ſich recht luſtig. Bosheit und Tücke, Wildheit und Unverſchämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B. die Ratten. Bei Gefahr ziehen ſich alle ſo ſchleunig als möglich nach ihren Verſtecken zurück; aber nur die allerwenigſten ſind klug genug, Verfolgungen auf liſtige Weiſe zu vereiteln. Alle Nager nähren ſich hauptſächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja ſelbſt Holzfaſern werden von ihnen verzehrt. Ein- zelne aber nehmen auch thieriſche Stoffe zu ſich und ſind wirkliche Allesfreſſer. Eigenthümlich iſt, daß viele, welche zu ſchwach ſind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des Winters zu widerſtehen, Vorräthe einſammeln und dieſe in unterirdiſchen Kammern aufſpeichern. Ueberhaupt ſind die Nager die Baumeiſter unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten ſich wahrhaft künſtliche Wohnungen, welche ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Bewunderung der Menſchen erregt haben. Hierbei ſcheint jedoch weit weniger ihr Verſtand, als ein unbewußter Trieb maßgebend zu ſein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall iſt. Nicht wenige verbringen den Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, ſie verfallen in Erſtarrung und erhalten ſich von ihrem im Sommer reichlich aufgeſpeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinſicht herabgeſtimmten Lebens- thätigkeiten nun gemachſam verzehrt wird.
Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager iſt ihre Bedeutung für die Natur eine ſehr erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrſchen und verwüſten, hätten ſie nicht ein in Wirklichkeit ungezähltes Heer von Feinden gegen ſich und wären ſie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen ſie geführt wird, erhält in ihrer erſtaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht, welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraſchend und iſt dennoch wahr, wenn angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfriſt ſeine Nachkommenſchaft auf Tauſend bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menſchlichen Beſitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz- lichen Gegenſtänden und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhauſe verurſachen einen Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Menſch iſt alſo gezwungen, ſich dem Heer der Feinde unſerer Thiere anzuſchließen, und er übt nur das Recht des ſelbſtſüchtigen Stärkeren, wenn er alle Mittel in Anwendung bringt, um ſich ſolches Ungeziefers zu entwehren.
Eigentlich befreunden kann ſich der Menſch nur mit höchſt wenigen Gliedern dieſer zahlreichen Ordnung, und von dieſen wenigen ſind nur Einzelne der Zähmung würdig. Sie gewähren hier- durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleiſch und Fell.
Ueber die Eintheilung der Nagethiere ſind die Forſcher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden mehr, die Anderen weniger Familien. Uns werden die von mir erwählten Nager einen genügenden Ueberblick der Ordnung verſchaffen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0075"n="61"/><fwplace="top"type="header">Die Nager.</fw><lb/>
Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die ſich<lb/>
nicht nach einer ſchöneren Sonne ſehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, deſto bunter,<lb/>
manchfaltiger wird das Leben dieſer Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt.‟</p><lb/><p>Höchſt verſchiedenartig iſt die Lebensweiſe dieſer Allverbreiteten. Die einen ſind Baum-, die an-<lb/>
deren Erdthiere; dieſe leben im Waſſer, jene in unterirdiſchen, ſelbſt gegrabenen Höhlen; die einen im<lb/>
Gebüſch, die anderen im freien Felde. Alle ſind mehr oder weniger bewegliche Geſchöpfe, welche, je<lb/>
nach der Verſchiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder<lb/>ſchwimmen. Dabei ſind ſie meiſtens ſcharfſinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder<lb/>
beſonders geiſtig befähigt. Die große Mehrzahl Aller iſt ein geiſtarmes oder wenigſtens ſehr unbedeu-<lb/>
tendes Geſindel, welches wohl ſcheu, nicht aber vorſichtig oder liſtig iſt und ſich auch ſonſt niemals<lb/>
durch irgendwelche hervorragende geiſtige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweiſe, andere<lb/>
in Familien und nicht wenige ſcharenweiſe zuſammen, vertragen ſich gut auch mit anderen Thieren,<lb/>
ohne ſich jedoch mit dieſen zu befaſſen, und einzelne ſpielen unter ſich recht luſtig. Bosheit und<lb/>
Tücke, Wildheit und Unverſchämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B.<lb/>
die <hirendition="#g">Ratten.</hi> Bei Gefahr ziehen ſich alle ſo ſchleunig als möglich nach ihren Verſtecken zurück; aber<lb/>
nur die allerwenigſten ſind klug genug, Verfolgungen auf liſtige Weiſe zu vereiteln. Alle Nager<lb/>
nähren ſich hauptſächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte<lb/>
aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja ſelbſt Holzfaſern werden von ihnen verzehrt. Ein-<lb/>
zelne aber nehmen auch thieriſche Stoffe zu ſich und ſind wirkliche Allesfreſſer. Eigenthümlich iſt,<lb/>
daß viele, welche zu ſchwach ſind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des<lb/>
Winters zu widerſtehen, Vorräthe einſammeln und dieſe in unterirdiſchen Kammern aufſpeichern.<lb/>
Ueberhaupt ſind die Nager die Baumeiſter unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten<lb/>ſich wahrhaft künſtliche Wohnungen, welche ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Bewunderung der<lb/>
Menſchen erregt haben. Hierbei ſcheint jedoch weit weniger ihr Verſtand, als ein unbewußter Trieb<lb/>
maßgebend zu ſein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall iſt. Nicht wenige verbringen den<lb/>
Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, ſie verfallen in Erſtarrung und erhalten ſich von ihrem im<lb/>
Sommer reichlich aufgeſpeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinſicht herabgeſtimmten Lebens-<lb/>
thätigkeiten nun gemachſam verzehrt wird.</p><lb/><p>Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager iſt ihre Bedeutung für die Natur eine ſehr<lb/>
erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrſchen und verwüſten, hätten ſie nicht ein in Wirklichkeit<lb/>
ungezähltes Heer von Feinden gegen ſich und wären ſie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei<lb/>
Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen ſie<lb/>
geführt wird, erhält in ihrer erſtaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht,<lb/>
welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraſchend und iſt dennoch wahr, wenn<lb/>
angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfriſt ſeine Nachkommenſchaft auf Tauſend<lb/>
bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menſchlichen<lb/>
Beſitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz-<lb/>
lichen Gegenſtänden und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhauſe verurſachen einen<lb/>
Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Menſch iſt alſo<lb/>
gezwungen, ſich dem Heer der Feinde unſerer Thiere anzuſchließen, und er übt nur das Recht des<lb/>ſelbſtſüchtigen Stärkeren, wenn er <hirendition="#g">alle</hi> Mittel in Anwendung bringt, um ſich ſolches Ungeziefers zu<lb/>
entwehren.</p><lb/><p>Eigentlich befreunden kann ſich der Menſch nur mit höchſt wenigen Gliedern dieſer zahlreichen<lb/>
Ordnung, und von dieſen wenigen ſind nur Einzelne der Zähmung würdig. <hirendition="#g">Sie</hi> gewähren hier-<lb/>
durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleiſch und Fell.</p><lb/><p>Ueber die Eintheilung der Nagethiere ſind die Forſcher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden<lb/>
mehr, die Anderen weniger Familien. <hirendition="#g">Uns</hi> werden die von mir erwählten Nager einen genügenden<lb/>
Ueberblick der Ordnung verſchaffen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[61/0075]
Die Nager.
Schneehöhen der Alpen, in den weiten, öden Flächen des Nordens findet man noch Nager, die ſich
nicht nach einer ſchöneren Sonne ſehnen. Aber je reicher und üppiger die Pflanzenwelt, deſto bunter,
manchfaltiger wird das Leben dieſer Thierordnung, die kaum ein Fleckchen Erde unbewohnt läßt.‟
Höchſt verſchiedenartig iſt die Lebensweiſe dieſer Allverbreiteten. Die einen ſind Baum-, die an-
deren Erdthiere; dieſe leben im Waſſer, jene in unterirdiſchen, ſelbſt gegrabenen Höhlen; die einen im
Gebüſch, die anderen im freien Felde. Alle ſind mehr oder weniger bewegliche Geſchöpfe, welche, je
nach der Verſchiedenheit ihrer Wohnorte, entweder vortrefflich laufen oder klettern oder graben oder
ſchwimmen. Dabei ſind ſie meiſtens ſcharfſinnig, munter und lebhaft, nicht aber auch klug oder
beſonders geiſtig befähigt. Die große Mehrzahl Aller iſt ein geiſtarmes oder wenigſtens ſehr unbedeu-
tendes Geſindel, welches wohl ſcheu, nicht aber vorſichtig oder liſtig iſt und ſich auch ſonſt niemals
durch irgendwelche hervorragende geiſtige Thätigkeiten auszeichnet. Manche leben paarweiſe, andere
in Familien und nicht wenige ſcharenweiſe zuſammen, vertragen ſich gut auch mit anderen Thieren,
ohne ſich jedoch mit dieſen zu befaſſen, und einzelne ſpielen unter ſich recht luſtig. Bosheit und
Tücke, Wildheit und Unverſchämtheit, hervorgegangen aus Ueberlegung, äußern nur wenige, z. B.
die Ratten. Bei Gefahr ziehen ſich alle ſo ſchleunig als möglich nach ihren Verſtecken zurück; aber
nur die allerwenigſten ſind klug genug, Verfolgungen auf liſtige Weiſe zu vereiteln. Alle Nager
nähren ſich hauptſächlich von pflanzlichen Stoffen. Wurzeln, Rinden, Blätter, Blüthen, Früchte
aller Art, Kraut, Gras, mehlige Knollen, ja ſelbſt Holzfaſern werden von ihnen verzehrt. Ein-
zelne aber nehmen auch thieriſche Stoffe zu ſich und ſind wirkliche Allesfreſſer. Eigenthümlich iſt,
daß viele, welche zu ſchwach ſind, größere Wanderungen zu unternehmen oder der Strenge des
Winters zu widerſtehen, Vorräthe einſammeln und dieſe in unterirdiſchen Kammern aufſpeichern.
Ueberhaupt ſind die Nager die Baumeiſter unter den Säugethieren, und einzelne von ihnen errichten
ſich wahrhaft künſtliche Wohnungen, welche ſchon ſeit den älteſten Zeiten die Bewunderung der
Menſchen erregt haben. Hierbei ſcheint jedoch weit weniger ihr Verſtand, als ein unbewußter Trieb
maßgebend zu ſein, wie es bei den Vögeln eben auch der Fall iſt. Nicht wenige verbringen den
Winter in einem todtenähnlichen Schlafe, ſie verfallen in Erſtarrung und erhalten ſich von ihrem im
Sommer reichlich aufgeſpeicherten Fette, welches bei den in jeder Hinſicht herabgeſtimmten Lebens-
thätigkeiten nun gemachſam verzehrt wird.
Jm Verhältniß zu der geringen Größe der Nager iſt ihre Bedeutung für die Natur eine ſehr
erhebliche. Sie würden die ganze Erde beherrſchen und verwüſten, hätten ſie nicht ein in Wirklichkeit
ungezähltes Heer von Feinden gegen ſich und wären ſie nicht Seuchen und Krankheiten mancherlei
Art in hohem Grade unterworfen. Der ununterbrochene Vertilgungskrieg, welcher gegen ſie
geführt wird, erhält in ihrer erſtaunlichen Fruchtbarkeit und Vermehrungsfähigkeit ein Gegengewicht,
welches nur zu oft zum überwiegenden wird. Es klingt überraſchend und iſt dennoch wahr, wenn
angegeben wird, daß ein Nagerpärchen binnen Jahresfriſt ſeine Nachkommenſchaft auf Tauſend
bringen kann. Solche erzeugungstüchtige Arten werden oft zu furchtbaren Feinden des menſchlichen
Beſitzthums. Jhre Wühlerei in Feld und Garten, ihr Zernagen und Abbeißen von allerlei nütz-
lichen Gegenſtänden und Pflanzen, ihre Räubereien im Speicher und Wohnhauſe verurſachen einen
Schaden, welcher von dem Nutzen nicht entfernt erreicht werden kann. Der Menſch iſt alſo
gezwungen, ſich dem Heer der Feinde unſerer Thiere anzuſchließen, und er übt nur das Recht des
ſelbſtſüchtigen Stärkeren, wenn er alle Mittel in Anwendung bringt, um ſich ſolches Ungeziefers zu
entwehren.
Eigentlich befreunden kann ſich der Menſch nur mit höchſt wenigen Gliedern dieſer zahlreichen
Ordnung, und von dieſen wenigen ſind nur Einzelne der Zähmung würdig. Sie gewähren hier-
durch einen geringen Nutzen; von anderen verwendet man Fleiſch und Fell.
Ueber die Eintheilung der Nagethiere ſind die Forſcher noch nicht ganz einig. Die Einen bilden
mehr, die Anderen weniger Familien. Uns werden die von mir erwählten Nager einen genügenden
Ueberblick der Ordnung verſchaffen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/75>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.