Centner. Das Fleisch ist schön mit Fett durchwachsen, im Geschmack aber von dem des zahmen Rin- des wenig verschieden."
"Einer der Parkwärter war so glücklich, ein jung eingefangenes Paar aufzuziehen und durch sanfte Behandlung zu zähmen. Beide Thiere zeigten sich so gutmüthig, wie echte Hausthiere. Der Bulle wurde achtzehn Jahre alt, die Kuh lebte nicht länger, als fünf oder sechs Jahre. Man paarte sie mit einem Landbullen; allein die Kälber blieben ihr außerordentlich ähnlich. Sie gab wenig, aber fette Milch. -- Jm Zustande der Wildheit sterben nur sehr wenige an Krankheiten."
Black erzählt 1851 von den im Park von Hamilton lebenden wilden Rindern, daß sie bei Tage auf den ausgedehnten Triften weiden, und abends in den Wald sich zurückziehen. Die gereizten Bullen sind äußerst rachsüchtig. Ein Vogelsteller, welcher auf einen Baum gejagt worden war, mußte dort sechs Stunden verharren, weil ihn der wüthende Ochse hartnäckig belagerte. Als er sah, daß ihm sein Feind unerreichbar war, zitterte er am ganzen Leibe vor Wuth, grunzte und stürmte mit Kopf und Huf gegen den Baum. So tobte er sich müde und legte sich nieder. Sobald aber der Mann sich rührte, sprang er wüthend wieder auf und raste von neuem. Einige Schäfer erlösten den Ge- ängstigten. -- Ein Schreiber wurde ebenfalls auf einen Baum gejagt und mußte dort nicht nur die ganze Nacht verweilen, sondern die Belagerung auch noch bis nachmittags zwei Uhr aushalten.
"Ereignet es sich," sagt Fitzinger in seinem großen Werke über die Säugethiere, "daß ein fremder Mensch den Park besucht, und glückt es ihm zufällig, in die Nähe einer Herde zu gelangen, so scharren die Stiere, sowie sie den Fremden nur erblicken, durch zwei- oder dreimaliges Stampfen mit den Vorderbeinen auf dem Boden die Erde auf. Die ganze Herde nimmt hierauf im raschen Galopp die Flucht, doch entfernt sie sich nicht weiter, als höchstens auf ungefähr vierhundert Fuß, rennt in einem weiten Kreise einige Male um den Fremden herum und kehrt sich plötzlich gegen denselben, wor- auf sie mit drohend in die Höhe gehobenen Köpfen gerade auf ihn losgeht, und wenn sie ihm auf 80 bis 100 Fuß in die Nähe gekommen, stutzend anhält, um den Gegenstand, welcher sie in Schrecken ver- setzt, mit wilden Blicken ins Auge zu fassen. Auf die geringste Bewegung, die der hierdurch in Angst versetzte Mensch unwillkürlich macht, nimmt die ganze Herde wieder mit gleicher Schnelligkeit die Flucht, entfernt sich aber nicht mehr so weit, wie früher. Sie rennt nun in einem engeren Kreise herum, hält wieder an und kommt mit drohender und trotzender Miene, doch langsamen und ruhigen Schrittes bis auf sechzig Fuß an ihn heran. Hier macht sie abermals Halt, rennt wieder davon und wiederholt Dies noch mehrere Male, dabei die Entfernungen immer verkürzend. So kommt sie endlich dem Menschen so nahe, daß dieser es für gerathen finden muß, einen der günstigen Augenblicke, wo die Herde vor ihm flieht, zu benutzen, um sich eiligst zu entfernen und zunächst vor den Blicken der Herde zu verstecken; denn immer bleibt es gewagt, die Thiere in ihrer Einsamkeit zu stören."
Die Art und Weise, wie die Jagd auf diesen Stier noch bis kurz vor Ende des verflossenen Jahrhunderts betrieben wurde, erinnert lebhaft an die in alter Zeit bestandenen Jagden. Wenn es in der Umgegend bekannt wurde, daß ein Stier der wilden Herde an einem bestimmten Tage geschossen werden sollte, versammelten sich die Einwohner der ganzen Nachbarschaft, theils zu Pferde, theils zu Fuße, sämmtlich mit Flinten wohl bewaffnet. Nicht selten erschienen zu einer solchen Jagd fünf- bis sechshundert Jäger, von denen oft mehr als hundert beritten waren. Die Unberittenen nahmen ihre Plätze auf den Mauern ein, welche den großen Park umzäunen, oder kletterten mit ihren Gewehren auf die Bäume in der Umgegend des freien Platzes, auf welchem der bestimmte Stier erlegt werden sollte, während die Reiter den Wald durchstreiften, und die Herde nach jenem freien Orte hintrieben. War Dies gelungen und hatte man den rings von Pferden eingeschlossenen Stier einmal so ziemlich in seine Gewalt gebracht, so stieg einer von den Reitern, dem die Ehre zugedacht gewesen, die erste Kugel abzufeuern, von seinem Pferde ab und schoß auf das ungestüme und durch die Angst in die höchste Wildheit versetzte Thier. Hierauf feuerten alle übrigen, welche zu Schusse kommen konnten, und oft geschah es, daß mehr als dreißig Mal nach dem Stier geschossen wurde, ehe man ihn tödtete. Durch den heftigen Schmerz der Wunden und das lärmende Geschrei der Jäger in rasende Wuth versetzt, achtete das
Die eigentlichen Rinder. — Das ſchottiſche Rind.
Centner. Das Fleiſch iſt ſchön mit Fett durchwachſen, im Geſchmack aber von dem des zahmen Rin- des wenig verſchieden.‟
„Einer der Parkwärter war ſo glücklich, ein jung eingefangenes Paar aufzuziehen und durch ſanfte Behandlung zu zähmen. Beide Thiere zeigten ſich ſo gutmüthig, wie echte Hausthiere. Der Bulle wurde achtzehn Jahre alt, die Kuh lebte nicht länger, als fünf oder ſechs Jahre. Man paarte ſie mit einem Landbullen; allein die Kälber blieben ihr außerordentlich ähnlich. Sie gab wenig, aber fette Milch. — Jm Zuſtande der Wildheit ſterben nur ſehr wenige an Krankheiten.‟
Black erzählt 1851 von den im Park von Hamilton lebenden wilden Rindern, daß ſie bei Tage auf den ausgedehnten Triften weiden, und abends in den Wald ſich zurückziehen. Die gereizten Bullen ſind äußerſt rachſüchtig. Ein Vogelſteller, welcher auf einen Baum gejagt worden war, mußte dort ſechs Stunden verharren, weil ihn der wüthende Ochſe hartnäckig belagerte. Als er ſah, daß ihm ſein Feind unerreichbar war, zitterte er am ganzen Leibe vor Wuth, grunzte und ſtürmte mit Kopf und Huf gegen den Baum. So tobte er ſich müde und legte ſich nieder. Sobald aber der Mann ſich rührte, ſprang er wüthend wieder auf und raſte von neuem. Einige Schäfer erlöſten den Ge- ängſtigten. — Ein Schreiber wurde ebenfalls auf einen Baum gejagt und mußte dort nicht nur die ganze Nacht verweilen, ſondern die Belagerung auch noch bis nachmittags zwei Uhr aushalten.
„Ereignet es ſich,‟ ſagt Fitzinger in ſeinem großen Werke über die Säugethiere, „daß ein fremder Menſch den Park beſucht, und glückt es ihm zufällig, in die Nähe einer Herde zu gelangen, ſo ſcharren die Stiere, ſowie ſie den Fremden nur erblicken, durch zwei- oder dreimaliges Stampfen mit den Vorderbeinen auf dem Boden die Erde auf. Die ganze Herde nimmt hierauf im raſchen Galopp die Flucht, doch entfernt ſie ſich nicht weiter, als höchſtens auf ungefähr vierhundert Fuß, rennt in einem weiten Kreiſe einige Male um den Fremden herum und kehrt ſich plötzlich gegen denſelben, wor- auf ſie mit drohend in die Höhe gehobenen Köpfen gerade auf ihn losgeht, und wenn ſie ihm auf 80 bis 100 Fuß in die Nähe gekommen, ſtutzend anhält, um den Gegenſtand, welcher ſie in Schrecken ver- ſetzt, mit wilden Blicken ins Auge zu faſſen. Auf die geringſte Bewegung, die der hierdurch in Angſt verſetzte Menſch unwillkürlich macht, nimmt die ganze Herde wieder mit gleicher Schnelligkeit die Flucht, entfernt ſich aber nicht mehr ſo weit, wie früher. Sie rennt nun in einem engeren Kreiſe herum, hält wieder an und kommt mit drohender und trotzender Miene, doch langſamen und ruhigen Schrittes bis auf ſechzig Fuß an ihn heran. Hier macht ſie abermals Halt, rennt wieder davon und wiederholt Dies noch mehrere Male, dabei die Entfernungen immer verkürzend. So kommt ſie endlich dem Menſchen ſo nahe, daß dieſer es für gerathen finden muß, einen der günſtigen Augenblicke, wo die Herde vor ihm flieht, zu benutzen, um ſich eiligſt zu entfernen und zunächſt vor den Blicken der Herde zu verſtecken; denn immer bleibt es gewagt, die Thiere in ihrer Einſamkeit zu ſtören.‟
Die Art und Weiſe, wie die Jagd auf dieſen Stier noch bis kurz vor Ende des verfloſſenen Jahrhunderts betrieben wurde, erinnert lebhaft an die in alter Zeit beſtandenen Jagden. Wenn es in der Umgegend bekannt wurde, daß ein Stier der wilden Herde an einem beſtimmten Tage geſchoſſen werden ſollte, verſammelten ſich die Einwohner der ganzen Nachbarſchaft, theils zu Pferde, theils zu Fuße, ſämmtlich mit Flinten wohl bewaffnet. Nicht ſelten erſchienen zu einer ſolchen Jagd fünf- bis ſechshundert Jäger, von denen oft mehr als hundert beritten waren. Die Unberittenen nahmen ihre Plätze auf den Mauern ein, welche den großen Park umzäunen, oder kletterten mit ihren Gewehren auf die Bäume in der Umgegend des freien Platzes, auf welchem der beſtimmte Stier erlegt werden ſollte, während die Reiter den Wald durchſtreiften, und die Herde nach jenem freien Orte hintrieben. War Dies gelungen und hatte man den rings von Pferden eingeſchloſſenen Stier einmal ſo ziemlich in ſeine Gewalt gebracht, ſo ſtieg einer von den Reitern, dem die Ehre zugedacht geweſen, die erſte Kugel abzufeuern, von ſeinem Pferde ab und ſchoß auf das ungeſtüme und durch die Angſt in die höchſte Wildheit verſetzte Thier. Hierauf feuerten alle übrigen, welche zu Schuſſe kommen konnten, und oft geſchah es, daß mehr als dreißig Mal nach dem Stier geſchoſſen wurde, ehe man ihn tödtete. Durch den heftigen Schmerz der Wunden und das lärmende Geſchrei der Jäger in raſende Wuth verſetzt, achtete das
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Die eigentlichen Rinder. — Das ſchottiſche Rind.
Centner. Das Fleiſch iſt ſchön mit Fett durchwachſen, im Geſchmack aber von dem des zahmen Rin-
des wenig verſchieden.‟
„Einer der Parkwärter war ſo glücklich, ein jung eingefangenes Paar aufzuziehen und durch
ſanfte Behandlung zu zähmen. Beide Thiere zeigten ſich ſo gutmüthig, wie echte Hausthiere. Der
Bulle wurde achtzehn Jahre alt, die Kuh lebte nicht länger, als fünf oder ſechs Jahre. Man paarte ſie
mit einem Landbullen; allein die Kälber blieben ihr außerordentlich ähnlich. Sie gab wenig, aber
fette Milch. — Jm Zuſtande der Wildheit ſterben nur ſehr wenige an Krankheiten.‟
Black erzählt 1851 von den im Park von Hamilton lebenden wilden Rindern, daß ſie bei Tage
auf den ausgedehnten Triften weiden, und abends in den Wald ſich zurückziehen. Die gereizten
Bullen ſind äußerſt rachſüchtig. Ein Vogelſteller, welcher auf einen Baum gejagt worden war, mußte
dort ſechs Stunden verharren, weil ihn der wüthende Ochſe hartnäckig belagerte. Als er ſah, daß ihm
ſein Feind unerreichbar war, zitterte er am ganzen Leibe vor Wuth, grunzte und ſtürmte mit Kopf
und Huf gegen den Baum. So tobte er ſich müde und legte ſich nieder. Sobald aber der Mann
ſich rührte, ſprang er wüthend wieder auf und raſte von neuem. Einige Schäfer erlöſten den Ge-
ängſtigten. — Ein Schreiber wurde ebenfalls auf einen Baum gejagt und mußte dort nicht nur die
ganze Nacht verweilen, ſondern die Belagerung auch noch bis nachmittags zwei Uhr aushalten.
„Ereignet es ſich,‟ ſagt Fitzinger in ſeinem großen Werke über die Säugethiere, „daß ein
fremder Menſch den Park beſucht, und glückt es ihm zufällig, in die Nähe einer Herde zu gelangen, ſo
ſcharren die Stiere, ſowie ſie den Fremden nur erblicken, durch zwei- oder dreimaliges Stampfen mit
den Vorderbeinen auf dem Boden die Erde auf. Die ganze Herde nimmt hierauf im raſchen Galopp
die Flucht, doch entfernt ſie ſich nicht weiter, als höchſtens auf ungefähr vierhundert Fuß, rennt in
einem weiten Kreiſe einige Male um den Fremden herum und kehrt ſich plötzlich gegen denſelben, wor-
auf ſie mit drohend in die Höhe gehobenen Köpfen gerade auf ihn losgeht, und wenn ſie ihm auf 80
bis 100 Fuß in die Nähe gekommen, ſtutzend anhält, um den Gegenſtand, welcher ſie in Schrecken ver-
ſetzt, mit wilden Blicken ins Auge zu faſſen. Auf die geringſte Bewegung, die der hierdurch in Angſt
verſetzte Menſch unwillkürlich macht, nimmt die ganze Herde wieder mit gleicher Schnelligkeit die
Flucht, entfernt ſich aber nicht mehr ſo weit, wie früher. Sie rennt nun in einem engeren Kreiſe
herum, hält wieder an und kommt mit drohender und trotzender Miene, doch langſamen und ruhigen
Schrittes bis auf ſechzig Fuß an ihn heran. Hier macht ſie abermals Halt, rennt wieder davon und
wiederholt Dies noch mehrere Male, dabei die Entfernungen immer verkürzend. So kommt ſie endlich
dem Menſchen ſo nahe, daß dieſer es für gerathen finden muß, einen der günſtigen Augenblicke, wo die
Herde vor ihm flieht, zu benutzen, um ſich eiligſt zu entfernen und zunächſt vor den Blicken der Herde
zu verſtecken; denn immer bleibt es gewagt, die Thiere in ihrer Einſamkeit zu ſtören.‟
Die Art und Weiſe, wie die Jagd auf dieſen Stier noch bis kurz vor Ende des verfloſſenen
Jahrhunderts betrieben wurde, erinnert lebhaft an die in alter Zeit beſtandenen Jagden. Wenn es
in der Umgegend bekannt wurde, daß ein Stier der wilden Herde an einem beſtimmten Tage geſchoſſen
werden ſollte, verſammelten ſich die Einwohner der ganzen Nachbarſchaft, theils zu Pferde, theils zu
Fuße, ſämmtlich mit Flinten wohl bewaffnet. Nicht ſelten erſchienen zu einer ſolchen Jagd fünf- bis
ſechshundert Jäger, von denen oft mehr als hundert beritten waren. Die Unberittenen nahmen ihre
Plätze auf den Mauern ein, welche den großen Park umzäunen, oder kletterten mit ihren Gewehren
auf die Bäume in der Umgegend des freien Platzes, auf welchem der beſtimmte Stier erlegt werden
ſollte, während die Reiter den Wald durchſtreiften, und die Herde nach jenem freien Orte hintrieben.
War Dies gelungen und hatte man den rings von Pferden eingeſchloſſenen Stier einmal ſo ziemlich in
ſeine Gewalt gebracht, ſo ſtieg einer von den Reitern, dem die Ehre zugedacht geweſen, die erſte Kugel
abzufeuern, von ſeinem Pferde ab und ſchoß auf das ungeſtüme und durch die Angſt in die höchſte
Wildheit verſetzte Thier. Hierauf feuerten alle übrigen, welche zu Schuſſe kommen konnten, und oft
geſchah es, daß mehr als dreißig Mal nach dem Stier geſchoſſen wurde, ehe man ihn tödtete. Durch den
heftigen Schmerz der Wunden und das lärmende Geſchrei der Jäger in raſende Wuth verſetzt, achtete das
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/702>, abgerufen am 23.11.2024.
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