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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Gayal. Der Gaur.
Rinder nicht erheblich ab. Er hält sich in Herden zusammen, geht morgens, abends und bei hellen
Nächten auf Nahrung aus, zieht sich vor der drückenden Mittagshitze in die dichtesten Wälder zurück
und ruht dort wiederkäuend im Schatten; er liebt das Wasser, nicht aber auch den Schmuz, und
meidet deshalb Sümpfe, während er sich gern in klaren Bergwässern kühlt. Sein Wesen wird als
sanft und zutraulich geschildert. Dem Menschen weicht er schon von weitem aus, und niemals wagt
er einen Angriff auf ihn. Gegen Raubthiere aber vertheidigt er sich muthig; er soll selbst den Tiger
und den Panther in die Flucht schlagen. Seine scharfen Sinne sichern und seine Gewandtheit
und Schnelligkeit im Lauf retten ihn, wenn er sich überhaupt zur Flucht anschickt.

Jn manchen Gegenden Ostindiens wird der Gayal gejagt und dann sein Fleisch und Fell be-
nutzt; weit häufiger aber fängt man ihn lebend ein. Die Kukis ermöglichen Dies durch eine
besondere List. Sie ballen aus Salz, Erde und Baumwolle Kugeln von der Größe eines Mannes-
kopfes zusammen und ziehen mit ihren zahmen Gayals den wilden entgegen. Sobald die gezähmten
sich mit ihren freien Brüdern vereinigt haben, werfen die Kukis ihre Salzkugeln aus, und die wilden
Ochsen, welche durch die zahmen an bestimmte Orte geführt werden, bemerken sehr bald, daß in
den Ballen eine große Leckerei für sie enthalten ist. Sie beschäftigen sich bald angelegentlich mit dem
Belecken dieser Kugeln und fahren darin um so eifriger fort, je mehr die durch die Baumwolle gut
verbundene Masse Widerstand leistet. Listig sorgen die Kukis für immer neue Zufuhr, und so
halten sich die Herden monatelang zusammen und machen sich mit ihr und die Wildlinge mit sich innig
vertraut. Jetzt nahen sich die Leute, welche sich anfangs in einem gewissen Abstande verhielten, um
ihr Wild nicht in Unruhe zu versetzen, mit zahmen Gayals mehr und mehr der großen Herde, ge-
wöhnen diese nach und nach an den Anblick des Menschen, begeben sich dann mitten unter sie und
streicheln ruhig und gelassen ihren zahmen Thieren Hals und Rücken, werfen dabei den wilden neuen
Köder zu, strecken wohl auch ihre Hand nach einem und dem anderen aus und schmeicheln ihnen, wie
vorher den zahmen; kurz, sie gewöhnen die Rinder nun auch an sich selbst und lehren sie, ohne irgend-
welchen Zwang anzuwenden, ihnen zu folgen, bis sie eines schönen Tages die ganze Gesellschaft nach
ihrem Dorfe führen. Die Gutmüthigkeit der Gayals ist so groß, daß sie sich dann auch die eugere
Gefangenschaft gleichgiltig gefallen lassen; ja, sie sollen sich nach und nach so an ihr Dorf gewöhnen,
daß die Kukis, wenn sie ihren Wohnsitz mit einem anderen vertauschen wollen, genöthigt sind,
ihre Hütten zu verbrennen, weil die Herden sonst immer wieder in die früheren Ställe zurück-
kehren würden.

Bei einigen Hindustämmen gilt der Gayal, wie der Zebu, für ein heiliges Thier. Man wagt
es nicht, ihn zu tödten, sondern treibt ihn nur nach den heiligen Hainen auf die Weide, wenn man
den Göttern ein Opfer bringen will. Jn anderen Ländern dieses großen Reiches verwendet man da-
gegen die neu eingefangenen zuweilen zu Stiergefechten und ißt dort auch ohne Gewissensbisse ihr
Fleisch. Zahme Herden besitzen namentlich die Gebirgsvölker der Provinzen Thipura, Silhead
und Tschidagong. Jn der Neuzeit haben die Engländer versucht, das wichtige Thier in Bengalen
einzuführen.

Auch dem zahmen Gayal sagen nur waldige, schattige Gegenden zu; in den heißen Landstrichen
geht er sehr leicht zu Grunde. Zur Arbeit wird er nirgends verwendet; die Kukis verschmähen es so-
gar, von seiner Milch Gebrauch zu machen.

Ueber die Fortpflanzung weiß man nur, daß die Kuh nach acht- bis neunmonatlicher Tragzeit ein
einziges Kalb zur Welt bringt und dieses durch acht bis neun Monate säugt. Das nächste Jahr
soll sie immer gelte gehen.

Bisjetzt hat man nur versucht, den Gayal mit dem Zebu zu kreuzen und davon gute Erfolge
erzielt. Doch fehlen hierüber noch ausführlichere Beobachtungen.

Mit diesem schönen Rind hat man bisher vielfach den Gaur (Bos Gaurus) verwechselt. Er
hat in der That große Aehnlichkeit mit dem Gayal. Seine Wirbelsäule besteht aber aus 13 rip-

Brehm, Thierleben. II. 42

Der Gayal. Der Gaur.
Rinder nicht erheblich ab. Er hält ſich in Herden zuſammen, geht morgens, abends und bei hellen
Nächten auf Nahrung aus, zieht ſich vor der drückenden Mittagshitze in die dichteſten Wälder zurück
und ruht dort wiederkäuend im Schatten; er liebt das Waſſer, nicht aber auch den Schmuz, und
meidet deshalb Sümpfe, während er ſich gern in klaren Bergwäſſern kühlt. Sein Weſen wird als
ſanft und zutraulich geſchildert. Dem Menſchen weicht er ſchon von weitem aus, und niemals wagt
er einen Angriff auf ihn. Gegen Raubthiere aber vertheidigt er ſich muthig; er ſoll ſelbſt den Tiger
und den Panther in die Flucht ſchlagen. Seine ſcharfen Sinne ſichern und ſeine Gewandtheit
und Schnelligkeit im Lauf retten ihn, wenn er ſich überhaupt zur Flucht anſchickt.

Jn manchen Gegenden Oſtindiens wird der Gayal gejagt und dann ſein Fleiſch und Fell be-
nutzt; weit häufiger aber fängt man ihn lebend ein. Die Kukis ermöglichen Dies durch eine
beſondere Liſt. Sie ballen aus Salz, Erde und Baumwolle Kugeln von der Größe eines Mannes-
kopfes zuſammen und ziehen mit ihren zahmen Gayals den wilden entgegen. Sobald die gezähmten
ſich mit ihren freien Brüdern vereinigt haben, werfen die Kukis ihre Salzkugeln aus, und die wilden
Ochſen, welche durch die zahmen an beſtimmte Orte geführt werden, bemerken ſehr bald, daß in
den Ballen eine große Leckerei für ſie enthalten iſt. Sie beſchäftigen ſich bald angelegentlich mit dem
Belecken dieſer Kugeln und fahren darin um ſo eifriger fort, je mehr die durch die Baumwolle gut
verbundene Maſſe Widerſtand leiſtet. Liſtig ſorgen die Kukis für immer neue Zufuhr, und ſo
halten ſich die Herden monatelang zuſammen und machen ſich mit ihr und die Wildlinge mit ſich innig
vertraut. Jetzt nahen ſich die Leute, welche ſich anfangs in einem gewiſſen Abſtande verhielten, um
ihr Wild nicht in Unruhe zu verſetzen, mit zahmen Gayals mehr und mehr der großen Herde, ge-
wöhnen dieſe nach und nach an den Anblick des Menſchen, begeben ſich dann mitten unter ſie und
ſtreicheln ruhig und gelaſſen ihren zahmen Thieren Hals und Rücken, werfen dabei den wilden neuen
Köder zu, ſtrecken wohl auch ihre Hand nach einem und dem anderen aus und ſchmeicheln ihnen, wie
vorher den zahmen; kurz, ſie gewöhnen die Rinder nun auch an ſich ſelbſt und lehren ſie, ohne irgend-
welchen Zwang anzuwenden, ihnen zu folgen, bis ſie eines ſchönen Tages die ganze Geſellſchaft nach
ihrem Dorfe führen. Die Gutmüthigkeit der Gayals iſt ſo groß, daß ſie ſich dann auch die eugere
Gefangenſchaft gleichgiltig gefallen laſſen; ja, ſie ſollen ſich nach und nach ſo an ihr Dorf gewöhnen,
daß die Kukis, wenn ſie ihren Wohnſitz mit einem anderen vertauſchen wollen, genöthigt ſind,
ihre Hütten zu verbrennen, weil die Herden ſonſt immer wieder in die früheren Ställe zurück-
kehren würden.

Bei einigen Hinduſtämmen gilt der Gayal, wie der Zebu, für ein heiliges Thier. Man wagt
es nicht, ihn zu tödten, ſondern treibt ihn nur nach den heiligen Hainen auf die Weide, wenn man
den Göttern ein Opfer bringen will. Jn anderen Ländern dieſes großen Reiches verwendet man da-
gegen die neu eingefangenen zuweilen zu Stiergefechten und ißt dort auch ohne Gewiſſensbiſſe ihr
Fleiſch. Zahme Herden beſitzen namentlich die Gebirgsvölker der Provinzen Thipura, Silhead
und Tſchidagong. Jn der Neuzeit haben die Engländer verſucht, das wichtige Thier in Bengalen
einzuführen.

Auch dem zahmen Gayal ſagen nur waldige, ſchattige Gegenden zu; in den heißen Landſtrichen
geht er ſehr leicht zu Grunde. Zur Arbeit wird er nirgends verwendet; die Kukis verſchmähen es ſo-
gar, von ſeiner Milch Gebrauch zu machen.

Ueber die Fortpflanzung weiß man nur, daß die Kuh nach acht- bis neunmonatlicher Tragzeit ein
einziges Kalb zur Welt bringt und dieſes durch acht bis neun Monate ſäugt. Das nächſte Jahr
ſoll ſie immer gelte gehen.

Bisjetzt hat man nur verſucht, den Gayal mit dem Zebu zu kreuzen und davon gute Erfolge
erzielt. Doch fehlen hierüber noch ausführlichere Beobachtungen.

Mit dieſem ſchönen Rind hat man bisher vielfach den Gaur (Bos Gaurus) verwechſelt. Er
hat in der That große Aehnlichkeit mit dem Gayal. Seine Wirbelſäule beſteht aber aus 13 rip-

Brehm, Thierleben. II. 42
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[657/0691] Der Gayal. Der Gaur. Rinder nicht erheblich ab. Er hält ſich in Herden zuſammen, geht morgens, abends und bei hellen Nächten auf Nahrung aus, zieht ſich vor der drückenden Mittagshitze in die dichteſten Wälder zurück und ruht dort wiederkäuend im Schatten; er liebt das Waſſer, nicht aber auch den Schmuz, und meidet deshalb Sümpfe, während er ſich gern in klaren Bergwäſſern kühlt. Sein Weſen wird als ſanft und zutraulich geſchildert. Dem Menſchen weicht er ſchon von weitem aus, und niemals wagt er einen Angriff auf ihn. Gegen Raubthiere aber vertheidigt er ſich muthig; er ſoll ſelbſt den Tiger und den Panther in die Flucht ſchlagen. Seine ſcharfen Sinne ſichern und ſeine Gewandtheit und Schnelligkeit im Lauf retten ihn, wenn er ſich überhaupt zur Flucht anſchickt. Jn manchen Gegenden Oſtindiens wird der Gayal gejagt und dann ſein Fleiſch und Fell be- nutzt; weit häufiger aber fängt man ihn lebend ein. Die Kukis ermöglichen Dies durch eine beſondere Liſt. Sie ballen aus Salz, Erde und Baumwolle Kugeln von der Größe eines Mannes- kopfes zuſammen und ziehen mit ihren zahmen Gayals den wilden entgegen. Sobald die gezähmten ſich mit ihren freien Brüdern vereinigt haben, werfen die Kukis ihre Salzkugeln aus, und die wilden Ochſen, welche durch die zahmen an beſtimmte Orte geführt werden, bemerken ſehr bald, daß in den Ballen eine große Leckerei für ſie enthalten iſt. Sie beſchäftigen ſich bald angelegentlich mit dem Belecken dieſer Kugeln und fahren darin um ſo eifriger fort, je mehr die durch die Baumwolle gut verbundene Maſſe Widerſtand leiſtet. Liſtig ſorgen die Kukis für immer neue Zufuhr, und ſo halten ſich die Herden monatelang zuſammen und machen ſich mit ihr und die Wildlinge mit ſich innig vertraut. Jetzt nahen ſich die Leute, welche ſich anfangs in einem gewiſſen Abſtande verhielten, um ihr Wild nicht in Unruhe zu verſetzen, mit zahmen Gayals mehr und mehr der großen Herde, ge- wöhnen dieſe nach und nach an den Anblick des Menſchen, begeben ſich dann mitten unter ſie und ſtreicheln ruhig und gelaſſen ihren zahmen Thieren Hals und Rücken, werfen dabei den wilden neuen Köder zu, ſtrecken wohl auch ihre Hand nach einem und dem anderen aus und ſchmeicheln ihnen, wie vorher den zahmen; kurz, ſie gewöhnen die Rinder nun auch an ſich ſelbſt und lehren ſie, ohne irgend- welchen Zwang anzuwenden, ihnen zu folgen, bis ſie eines ſchönen Tages die ganze Geſellſchaft nach ihrem Dorfe führen. Die Gutmüthigkeit der Gayals iſt ſo groß, daß ſie ſich dann auch die eugere Gefangenſchaft gleichgiltig gefallen laſſen; ja, ſie ſollen ſich nach und nach ſo an ihr Dorf gewöhnen, daß die Kukis, wenn ſie ihren Wohnſitz mit einem anderen vertauſchen wollen, genöthigt ſind, ihre Hütten zu verbrennen, weil die Herden ſonſt immer wieder in die früheren Ställe zurück- kehren würden. Bei einigen Hinduſtämmen gilt der Gayal, wie der Zebu, für ein heiliges Thier. Man wagt es nicht, ihn zu tödten, ſondern treibt ihn nur nach den heiligen Hainen auf die Weide, wenn man den Göttern ein Opfer bringen will. Jn anderen Ländern dieſes großen Reiches verwendet man da- gegen die neu eingefangenen zuweilen zu Stiergefechten und ißt dort auch ohne Gewiſſensbiſſe ihr Fleiſch. Zahme Herden beſitzen namentlich die Gebirgsvölker der Provinzen Thipura, Silhead und Tſchidagong. Jn der Neuzeit haben die Engländer verſucht, das wichtige Thier in Bengalen einzuführen. Auch dem zahmen Gayal ſagen nur waldige, ſchattige Gegenden zu; in den heißen Landſtrichen geht er ſehr leicht zu Grunde. Zur Arbeit wird er nirgends verwendet; die Kukis verſchmähen es ſo- gar, von ſeiner Milch Gebrauch zu machen. Ueber die Fortpflanzung weiß man nur, daß die Kuh nach acht- bis neunmonatlicher Tragzeit ein einziges Kalb zur Welt bringt und dieſes durch acht bis neun Monate ſäugt. Das nächſte Jahr ſoll ſie immer gelte gehen. Bisjetzt hat man nur verſucht, den Gayal mit dem Zebu zu kreuzen und davon gute Erfolge erzielt. Doch fehlen hierüber noch ausführlichere Beobachtungen. Mit dieſem ſchönen Rind hat man bisher vielfach den Gaur (Bos Gaurus) verwechſelt. Er hat in der That große Aehnlichkeit mit dem Gayal. Seine Wirbelſäule beſteht aber aus 13 rip- Brehm, Thierleben. II. 42

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 657. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/691>, abgerufen am 23.11.2024.