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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Bison.

Hinsichtlich der geistigen Fähigkeiten unterscheidet sich der amerikanische Wildochse nicht von an-
deren Verwandten. Er ist wenig begabt, gutmüthig und furchtsam, schneller Erregungen unfähig;
aber er kann gereizt alle Rücksichten vergessen, welche er sonst zu nehmen pflegt, und dann sehr
muthig, boshaft und rachsüchtig werden. An Gefangenen bemerkt man leichter, als an den Wild-
lebenden, daß der Geist doch bildsam ist. Auch jene beweisen hinlänglich, daß sie zwischen Nütz-
lichem und Schädlichem zu unterscheiden wissen; bei diesen nimmt man nach und nach wahr, daß sie
für ihre Verhältnisse ein Verständniß gewinnen, welches man ihnen eigentlich nicht zutraut. Sie sind
der Zähmung durchaus nicht unzugänglich, wie früher oft behauptet worden ist; sie treten vielmehr
mit dem Menschen, welcher sie recht zu behandeln weiß, in ein fast freundschaftliches Verhältniß:
ihren Wärter lernen sie kennen und in gewissem Grade lieben. Aber freilich währt es lange, ehe sie
ihre angeborne Scheu ablegen und sich zu einer Aenderung ihrer vorgefaßten Meinung bequemen.
Der Stier zeigt sich unter allen Umständen selbstbewußter, anspruchsvoller, herrschsüchtiger und des-
halb muthiger und kampfeslustiger, als die Kuh.

Die Stimme des Bison ist ein dumpfes, nicht eben lautes Brüllen, mehr ein Grollen in tiefer
Brust, als ein Blöcken. Wenn Tausende und Abertausende zugleich sich vernehmen lassen, einen sich
die Stimmen zu einem unbeschreiblichen Getön, welches wohl am richtigsten mit dem Rollen fernen
Donners verglichen werden dürfte.

Die Aeßung ist verschieden, je nach der Jahreszeit. Während des Sommers bietet das frische,
saftige Gras der Prairien den grasenden Bisonten ein gedeihliches Futter, und die Wirkungen der
guten Nahrung machen sich dann an ihnen auch bald bemerklich. Jm Winter müssen sie mit geringer
Nahrung vorlieb nehmen: sie sind dann zufrieden, wenn sie neben Zweigspitzen und verdorrten Blät-
tern dürres Gras, Flechten und Mos erlangen können. Daß sie zwischen gutem und schlechtem
Futter mit Bewußtsein unterscheiden, unterliegt gar keinem Zweifel: sie bevorzugen gar wohl das
bessere, falls sie es nur haben können; aber sie sind genügsam und begnügen sich deshalb auch mit
dem Geringsten.

Viele sind der Gefahren, welche das Leben des Visons bedrohen. Auch da, wo der Mensch
und die anderen Feinde ihm nicht nachstellen, hat er, um mit Darwin zu reden, "zu kämpfen um
das Dasein". Der Winter ist gar ein böser Feind: er vernichtet Hunderte unserer Rinder, nachdem
er sie erst entkräftete und ermattete. Zwar ist der Bison wohl gerüstet, ihm zu widerstehen: sein
dichtes Wollfilz schützt ihn unter günstigen Umständen genügend gegen die Witterung, und der Haar-
wechsel seines Kleides steht, wie zu erwarten, in so genauem Einklang mit der Jahreszeit, daß ihn,
so zu sagen, der Winter unvermuthet nicht überrascht. Aber die Umstände können sehr traurig wer-
den, wenn die Schneedecke allzuhoch den Boden bedeckt, und das nach Nahrung suchende Thier trotz
aller Anstrengungen nicht genug Aeßung findet, um sein Bedürfuiß zu befriedigen. Dann verzehrt
sich rasch das Feist, welches er während des Sommers sich sammelte, die Entkräftung nimmt mehr
und mehr überhand, und damit verschwindet die Möglichkeit, sich zu erhalten. Das ermattete Thier
bleibt endlich mit verzweifelnder Entsagung ruhig liegen und läßt sich widerstandslos unter der
Schneedecke begraben. Jäher noch endet der Winter sein Dasein, wenn das Thier einer Eisdecke über
die Flüsse mehr vertraut, als es sollte. Seine Gewohnheit, in dichtgedrängten Scharen zu wan-
dern, wird ihm dann oft verderblich. Unter der ungeheuern Last einer Bisonherde bricht die Eis-
decke; die Thiere stürzen ins Wasser, bemühen sich vergeblich, festen Boden wieder zu gewinnen,
werden von Hunderten, welche nachdrängen, verhindert und gehen elendiglich zu Grunde. Jn ganz
ähnlicher Weise kommen viele Bisonten um, wenn sie im Sommer über die Flüsse setzen, und an einer
Stelle landen wollen, wo Triebsand oder jäher Schlamm ihnen das Aussteigen zum Lande erschwert.
Jhre ganz ungeheure Kraft ist dann nicht genügend, die Hindernisse zu überwinden; sie versinken
Angesichts des sicheren Bodens, im Laufe von Stunden vielleicht, aber unaufhaltsam in den
zähen Brei.

Der Biſon.

Hinſichtlich der geiſtigen Fähigkeiten unterſcheidet ſich der amerikaniſche Wildochſe nicht von an-
deren Verwandten. Er iſt wenig begabt, gutmüthig und furchtſam, ſchneller Erregungen unfähig;
aber er kann gereizt alle Rückſichten vergeſſen, welche er ſonſt zu nehmen pflegt, und dann ſehr
muthig, boshaft und rachſüchtig werden. An Gefangenen bemerkt man leichter, als an den Wild-
lebenden, daß der Geiſt doch bildſam iſt. Auch jene beweiſen hinlänglich, daß ſie zwiſchen Nütz-
lichem und Schädlichem zu unterſcheiden wiſſen; bei dieſen nimmt man nach und nach wahr, daß ſie
für ihre Verhältniſſe ein Verſtändniß gewinnen, welches man ihnen eigentlich nicht zutraut. Sie ſind
der Zähmung durchaus nicht unzugänglich, wie früher oft behauptet worden iſt; ſie treten vielmehr
mit dem Menſchen, welcher ſie recht zu behandeln weiß, in ein faſt freundſchaftliches Verhältniß:
ihren Wärter lernen ſie kennen und in gewiſſem Grade lieben. Aber freilich währt es lange, ehe ſie
ihre angeborne Scheu ablegen und ſich zu einer Aenderung ihrer vorgefaßten Meinung bequemen.
Der Stier zeigt ſich unter allen Umſtänden ſelbſtbewußter, anſpruchsvoller, herrſchſüchtiger und des-
halb muthiger und kampfesluſtiger, als die Kuh.

Die Stimme des Biſon iſt ein dumpfes, nicht eben lautes Brüllen, mehr ein Grollen in tiefer
Bruſt, als ein Blöcken. Wenn Tauſende und Abertauſende zugleich ſich vernehmen laſſen, einen ſich
die Stimmen zu einem unbeſchreiblichen Getön, welches wohl am richtigſten mit dem Rollen fernen
Donners verglichen werden dürfte.

Die Aeßung iſt verſchieden, je nach der Jahreszeit. Während des Sommers bietet das friſche,
ſaftige Gras der Prairien den graſenden Biſonten ein gedeihliches Futter, und die Wirkungen der
guten Nahrung machen ſich dann an ihnen auch bald bemerklich. Jm Winter müſſen ſie mit geringer
Nahrung vorlieb nehmen: ſie ſind dann zufrieden, wenn ſie neben Zweigſpitzen und verdorrten Blät-
tern dürres Gras, Flechten und Mos erlangen können. Daß ſie zwiſchen gutem und ſchlechtem
Futter mit Bewußtſein unterſcheiden, unterliegt gar keinem Zweifel: ſie bevorzugen gar wohl das
beſſere, falls ſie es nur haben können; aber ſie ſind genügſam und begnügen ſich deshalb auch mit
dem Geringſten.

Viele ſind der Gefahren, welche das Leben des Viſons bedrohen. Auch da, wo der Menſch
und die anderen Feinde ihm nicht nachſtellen, hat er, um mit Darwin zu reden, „zu kämpfen um
das Daſein‟. Der Winter iſt gar ein böſer Feind: er vernichtet Hunderte unſerer Rinder, nachdem
er ſie erſt entkräftete und ermattete. Zwar iſt der Biſon wohl gerüſtet, ihm zu widerſtehen: ſein
dichtes Wollfilz ſchützt ihn unter günſtigen Umſtänden genügend gegen die Witterung, und der Haar-
wechſel ſeines Kleides ſteht, wie zu erwarten, in ſo genauem Einklang mit der Jahreszeit, daß ihn,
ſo zu ſagen, der Winter unvermuthet nicht überraſcht. Aber die Umſtände können ſehr traurig wer-
den, wenn die Schneedecke allzuhoch den Boden bedeckt, und das nach Nahrung ſuchende Thier trotz
aller Anſtrengungen nicht genug Aeßung findet, um ſein Bedürfuiß zu befriedigen. Dann verzehrt
ſich raſch das Feiſt, welches er während des Sommers ſich ſammelte, die Entkräftung nimmt mehr
und mehr überhand, und damit verſchwindet die Möglichkeit, ſich zu erhalten. Das ermattete Thier
bleibt endlich mit verzweifelnder Entſagung ruhig liegen und läßt ſich widerſtandslos unter der
Schneedecke begraben. Jäher noch endet der Winter ſein Daſein, wenn das Thier einer Eisdecke über
die Flüſſe mehr vertraut, als es ſollte. Seine Gewohnheit, in dichtgedrängten Scharen zu wan-
dern, wird ihm dann oft verderblich. Unter der ungeheuern Laſt einer Biſonherde bricht die Eis-
decke; die Thiere ſtürzen ins Waſſer, bemühen ſich vergeblich, feſten Boden wieder zu gewinnen,
werden von Hunderten, welche nachdrängen, verhindert und gehen elendiglich zu Grunde. Jn ganz
ähnlicher Weiſe kommen viele Biſonten um, wenn ſie im Sommer über die Flüſſe ſetzen, und an einer
Stelle landen wollen, wo Triebſand oder jäher Schlamm ihnen das Auſſteigen zum Lande erſchwert.
Jhre ganz ungeheure Kraft iſt dann nicht genügend, die Hinderniſſe zu überwinden; ſie verſinken
Angeſichts des ſicheren Bodens, im Laufe von Stunden vielleicht, aber unaufhaltſam in den
zähen Brei.

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[651/0685] Der Biſon. Hinſichtlich der geiſtigen Fähigkeiten unterſcheidet ſich der amerikaniſche Wildochſe nicht von an- deren Verwandten. Er iſt wenig begabt, gutmüthig und furchtſam, ſchneller Erregungen unfähig; aber er kann gereizt alle Rückſichten vergeſſen, welche er ſonſt zu nehmen pflegt, und dann ſehr muthig, boshaft und rachſüchtig werden. An Gefangenen bemerkt man leichter, als an den Wild- lebenden, daß der Geiſt doch bildſam iſt. Auch jene beweiſen hinlänglich, daß ſie zwiſchen Nütz- lichem und Schädlichem zu unterſcheiden wiſſen; bei dieſen nimmt man nach und nach wahr, daß ſie für ihre Verhältniſſe ein Verſtändniß gewinnen, welches man ihnen eigentlich nicht zutraut. Sie ſind der Zähmung durchaus nicht unzugänglich, wie früher oft behauptet worden iſt; ſie treten vielmehr mit dem Menſchen, welcher ſie recht zu behandeln weiß, in ein faſt freundſchaftliches Verhältniß: ihren Wärter lernen ſie kennen und in gewiſſem Grade lieben. Aber freilich währt es lange, ehe ſie ihre angeborne Scheu ablegen und ſich zu einer Aenderung ihrer vorgefaßten Meinung bequemen. Der Stier zeigt ſich unter allen Umſtänden ſelbſtbewußter, anſpruchsvoller, herrſchſüchtiger und des- halb muthiger und kampfesluſtiger, als die Kuh. Die Stimme des Biſon iſt ein dumpfes, nicht eben lautes Brüllen, mehr ein Grollen in tiefer Bruſt, als ein Blöcken. Wenn Tauſende und Abertauſende zugleich ſich vernehmen laſſen, einen ſich die Stimmen zu einem unbeſchreiblichen Getön, welches wohl am richtigſten mit dem Rollen fernen Donners verglichen werden dürfte. Die Aeßung iſt verſchieden, je nach der Jahreszeit. Während des Sommers bietet das friſche, ſaftige Gras der Prairien den graſenden Biſonten ein gedeihliches Futter, und die Wirkungen der guten Nahrung machen ſich dann an ihnen auch bald bemerklich. Jm Winter müſſen ſie mit geringer Nahrung vorlieb nehmen: ſie ſind dann zufrieden, wenn ſie neben Zweigſpitzen und verdorrten Blät- tern dürres Gras, Flechten und Mos erlangen können. Daß ſie zwiſchen gutem und ſchlechtem Futter mit Bewußtſein unterſcheiden, unterliegt gar keinem Zweifel: ſie bevorzugen gar wohl das beſſere, falls ſie es nur haben können; aber ſie ſind genügſam und begnügen ſich deshalb auch mit dem Geringſten. Viele ſind der Gefahren, welche das Leben des Viſons bedrohen. Auch da, wo der Menſch und die anderen Feinde ihm nicht nachſtellen, hat er, um mit Darwin zu reden, „zu kämpfen um das Daſein‟. Der Winter iſt gar ein böſer Feind: er vernichtet Hunderte unſerer Rinder, nachdem er ſie erſt entkräftete und ermattete. Zwar iſt der Biſon wohl gerüſtet, ihm zu widerſtehen: ſein dichtes Wollfilz ſchützt ihn unter günſtigen Umſtänden genügend gegen die Witterung, und der Haar- wechſel ſeines Kleides ſteht, wie zu erwarten, in ſo genauem Einklang mit der Jahreszeit, daß ihn, ſo zu ſagen, der Winter unvermuthet nicht überraſcht. Aber die Umſtände können ſehr traurig wer- den, wenn die Schneedecke allzuhoch den Boden bedeckt, und das nach Nahrung ſuchende Thier trotz aller Anſtrengungen nicht genug Aeßung findet, um ſein Bedürfuiß zu befriedigen. Dann verzehrt ſich raſch das Feiſt, welches er während des Sommers ſich ſammelte, die Entkräftung nimmt mehr und mehr überhand, und damit verſchwindet die Möglichkeit, ſich zu erhalten. Das ermattete Thier bleibt endlich mit verzweifelnder Entſagung ruhig liegen und läßt ſich widerſtandslos unter der Schneedecke begraben. Jäher noch endet der Winter ſein Daſein, wenn das Thier einer Eisdecke über die Flüſſe mehr vertraut, als es ſollte. Seine Gewohnheit, in dichtgedrängten Scharen zu wan- dern, wird ihm dann oft verderblich. Unter der ungeheuern Laſt einer Biſonherde bricht die Eis- decke; die Thiere ſtürzen ins Waſſer, bemühen ſich vergeblich, feſten Boden wieder zu gewinnen, werden von Hunderten, welche nachdrängen, verhindert und gehen elendiglich zu Grunde. Jn ganz ähnlicher Weiſe kommen viele Biſonten um, wenn ſie im Sommer über die Flüſſe ſetzen, und an einer Stelle landen wollen, wo Triebſand oder jäher Schlamm ihnen das Auſſteigen zum Lande erſchwert. Jhre ganz ungeheure Kraft iſt dann nicht genügend, die Hinderniſſe zu überwinden; ſie verſinken Angeſichts des ſicheren Bodens, im Laufe von Stunden vielleicht, aber unaufhaltſam in den zähen Brei.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/685>, abgerufen am 23.11.2024.