stutzig, Blitz und Donner und Sturm bringt sie gänzlich außer Fassung und vereitelt gär häufig die größten Anstrengungen des Menschen.
Jn den Steppen von Rußland und Asien sind die Hirten oft recht übel daran. Bei Schnee- gestöber und Sturm zertrennen sich die Herden, rennen wie unsinnig mitten in die Steppe hinaus, stürzen sich in Gewässer, selbst in das Meer, bleiben dumm an ein und derselben Stelle stehen, lassen sich geduldig einschneien und erfrieren, ohne daß sie daran dächten, sich irgendwie vor dem Wetter zu sichern oder auch nur nach Nahrung umherzuspähen. Manchmal gehen Tausende an einem Tage zu Grunde. Auch in Rußland benutzt man die Ziege, um die Schafe zu führen; allein selbst sie ist nicht immer im Stande, dem dummen Vieh die nöthige Leitung angedeihen zu lassen. Ein alter Hirt schildert, wie Kohl erzählt, die Noth, welche Schneestürme über Herden und Hirten bringen, mit lebendigen Worten:
"Wir weideten unser Sieben in der Steppe von Otschakow an 2000 Schafe und 150 Ziegen. Es war gerade zum ersten Mal, daß wir austrieben, im März. Das Wetter war freundlich, und es gab schon frisches Gras. Gegen Abend aber sing es an zu regnen, und es erhob sich ein kalter Wind. Bald verwandelte sich der Regen in Schnee; es wurde kälter, unsere Kleider starrten, und einige Stunden nach Sonnenuntergang stürmte und brauste der Wind aus Nordosten, so daß uns Hören und Sehen verging. Wir befanden uns nur in geringer Entfernung von Stall und Woh- nung, und versuchten es, die Behausung zu erreichen. Der Wind hatte indeß die Schafe in Bewe- gung gesetzt und trieb sie immer mehr von der Wohnung ab. Wir wollten nun die Geisböcke, denen die Herde zu folgen gewohnt ist, zum Wenden bringen; aber so muthig diese Thiere zu allen Ereignissen sind, so sehr fürchten sie die kalten Stürme. Wir rannten auf und ab, schlugen und trieben zurück und stemmten uns gegen Sturm und Herde, aber die Schafe drängten und drückten auf einander, und der Knäuel wälzte sich unaufhaltsam die ganze Nacht weiter und weiter fort. Als der Morgen kam, sahen wir Nichts, als rund um uns her lauter Schnee und finstere Sturm- wüste. Am Tage blies der Sturm nicht minder wüthend, und die Herde ging fast noch rascher vor- wärts, als in der Nacht, wo sie von der dicken Finsterniß noch mitunter gehemmt ward. Wir überließen uns unserem Schicksale; es ging im Geschwindschritt fort, wir selber voran, das Schaf- getrappel blöckend und schreiend, die Ochsen mit dem Vorrathwagen im Trabe, und die Rotte un- serer Hunde heulend hinterdrein. Die Ziegen verschwanden uns noch an diesem Tage; überall war unser Weg mit dem todt zurückbleibenden Vieh zerstreut. Gegen Abend ging es etwas gemacher; denn die Schafe wurden vom Hunger und Laufen matter. Allein leider sanken auch uns zugleich die Kräfte. Zwei von uns erklärten sich krank und verkrochen sich im Wagen unter die Pelze. Es wurde Nacht, und wir entdeckten immer noch nirgends ein rettendes Gehöfte oder Dorf. Jn dieser Nacht ging es uns noch schlimmer, als in der vorigen, und da wir wußten, daß der Sturm uns gerade auf die schroffe Küste des Meeres zutrieb, so erwarteten wir alle Augenblick, mitsammt unserem dummen Vieh ins Meer hinabzustürzen. Es erkrankte noch einer von unseren Leuten. Als es Tag wurde, sahen wir einige Häuser uns zur Seite aus dem Schneenebel hervorblicken. Allein obgleich sie uns ganz nahe waren, höchstens dreißig Schritt vom äußersten Flügel unserer Herde, so kehrten sich doch unsere dummen Thiere an gar Nichts und hielten immer den ihnen vom Winde vorgezeichneten Strich. Mit den Schafen ringend, verloren wir endlich selber die Gelegenheit, zu den Häusern zu gelangen, so vollständig waren wir in der Gewalt des wüthenden Sturmes. Wir sahen die Häuser verschwinden und wären, so nahe der Rettung, doch noch verloren gewesen, wenn nicht das Geheul unserer Hunde die Leute aufmerksam gemacht hätte. Es waren deutsche An- siedler, und Der, welcher unsere Noth entdeckte, schlug sogleich bei seinen Nachbarn und Knechten Lärm. Diese warfen sich nun, funfzehn Mann an der Zahl, mit frischer Gewalt unseren Schafen entgegen und zogen und schleppten sie, uns und unsere Kranken allmählich in ihre Häuser und Höfe. Unterwegs waren uns alle unsere Ziegen und fünfhundert Schafe verloren gegangen. Aber in dem Gehöfte gingen uns auch noch viele zu Grunde; denn so wie die Thiere den Schutz gewahrten, den
Die Schafe. Allgemeines.
ſtutzig, Blitz und Donner und Sturm bringt ſie gänzlich außer Faſſung und vereitelt gär häufig die größten Anſtrengungen des Menſchen.
Jn den Steppen von Rußland und Aſien ſind die Hirten oft recht übel daran. Bei Schnee- geſtöber und Sturm zertrennen ſich die Herden, rennen wie unſinnig mitten in die Steppe hinaus, ſtürzen ſich in Gewäſſer, ſelbſt in das Meer, bleiben dumm an ein und derſelben Stelle ſtehen, laſſen ſich geduldig einſchneien und erfrieren, ohne daß ſie daran dächten, ſich irgendwie vor dem Wetter zu ſichern oder auch nur nach Nahrung umherzuſpähen. Manchmal gehen Tauſende an einem Tage zu Grunde. Auch in Rußland benutzt man die Ziege, um die Schafe zu führen; allein ſelbſt ſie iſt nicht immer im Stande, dem dummen Vieh die nöthige Leitung angedeihen zu laſſen. Ein alter Hirt ſchildert, wie Kohl erzählt, die Noth, welche Schneeſtürme über Herden und Hirten bringen, mit lebendigen Worten:
„Wir weideten unſer Sieben in der Steppe von Otſchakow an 2000 Schafe und 150 Ziegen. Es war gerade zum erſten Mal, daß wir austrieben, im März. Das Wetter war freundlich, und es gab ſchon friſches Gras. Gegen Abend aber ſing es an zu regnen, und es erhob ſich ein kalter Wind. Bald verwandelte ſich der Regen in Schnee; es wurde kälter, unſere Kleider ſtarrten, und einige Stunden nach Sonnenuntergang ſtürmte und brauſte der Wind aus Nordoſten, ſo daß uns Hören und Sehen verging. Wir befanden uns nur in geringer Entfernung von Stall und Woh- nung, und verſuchten es, die Behauſung zu erreichen. Der Wind hatte indeß die Schafe in Bewe- gung geſetzt und trieb ſie immer mehr von der Wohnung ab. Wir wollten nun die Geisböcke, denen die Herde zu folgen gewohnt iſt, zum Wenden bringen; aber ſo muthig dieſe Thiere zu allen Ereigniſſen ſind, ſo ſehr fürchten ſie die kalten Stürme. Wir rannten auf und ab, ſchlugen und trieben zurück und ſtemmten uns gegen Sturm und Herde, aber die Schafe drängten und drückten auf einander, und der Knäuel wälzte ſich unaufhaltſam die ganze Nacht weiter und weiter fort. Als der Morgen kam, ſahen wir Nichts, als rund um uns her lauter Schnee und finſtere Sturm- wüſte. Am Tage blies der Sturm nicht minder wüthend, und die Herde ging faſt noch raſcher vor- wärts, als in der Nacht, wo ſie von der dicken Finſterniß noch mitunter gehemmt ward. Wir überließen uns unſerem Schickſale; es ging im Geſchwindſchritt fort, wir ſelber voran, das Schaf- getrappel blöckend und ſchreiend, die Ochſen mit dem Vorrathwagen im Trabe, und die Rotte un- ſerer Hunde heulend hinterdrein. Die Ziegen verſchwanden uns noch an dieſem Tage; überall war unſer Weg mit dem todt zurückbleibenden Vieh zerſtreut. Gegen Abend ging es etwas gemacher; denn die Schafe wurden vom Hunger und Laufen matter. Allein leider ſanken auch uns zugleich die Kräfte. Zwei von uns erklärten ſich krank und verkrochen ſich im Wagen unter die Pelze. Es wurde Nacht, und wir entdeckten immer noch nirgends ein rettendes Gehöfte oder Dorf. Jn dieſer Nacht ging es uns noch ſchlimmer, als in der vorigen, und da wir wußten, daß der Sturm uns gerade auf die ſchroffe Küſte des Meeres zutrieb, ſo erwarteten wir alle Augenblick, mitſammt unſerem dummen Vieh ins Meer hinabzuſtürzen. Es erkrankte noch einer von unſeren Leuten. Als es Tag wurde, ſahen wir einige Häuſer uns zur Seite aus dem Schneenebel hervorblicken. Allein obgleich ſie uns ganz nahe waren, höchſtens dreißig Schritt vom äußerſten Flügel unſerer Herde, ſo kehrten ſich doch unſere dummen Thiere an gar Nichts und hielten immer den ihnen vom Winde vorgezeichneten Strich. Mit den Schafen ringend, verloren wir endlich ſelber die Gelegenheit, zu den Häuſern zu gelangen, ſo vollſtändig waren wir in der Gewalt des wüthenden Sturmes. Wir ſahen die Häuſer verſchwinden und wären, ſo nahe der Rettung, doch noch verloren geweſen, wenn nicht das Geheul unſerer Hunde die Leute aufmerkſam gemacht hätte. Es waren deutſche An- ſiedler, und Der, welcher unſere Noth entdeckte, ſchlug ſogleich bei ſeinen Nachbarn und Knechten Lärm. Dieſe warfen ſich nun, funfzehn Mann an der Zahl, mit friſcher Gewalt unſeren Schafen entgegen und zogen und ſchleppten ſie, uns und unſere Kranken allmählich in ihre Häuſer und Höfe. Unterwegs waren uns alle unſere Ziegen und fünfhundert Schafe verloren gegangen. Aber in dem Gehöfte gingen uns auch noch viele zu Grunde; denn ſo wie die Thiere den Schutz gewahrten, den
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Die Schafe. Allgemeines.
ſtutzig, Blitz und Donner und Sturm bringt ſie gänzlich außer Faſſung und vereitelt gär häufig die
größten Anſtrengungen des Menſchen.
Jn den Steppen von Rußland und Aſien ſind die Hirten oft recht übel daran. Bei Schnee-
geſtöber und Sturm zertrennen ſich die Herden, rennen wie unſinnig mitten in die Steppe hinaus,
ſtürzen ſich in Gewäſſer, ſelbſt in das Meer, bleiben dumm an ein und derſelben Stelle ſtehen, laſſen ſich
geduldig einſchneien und erfrieren, ohne daß ſie daran dächten, ſich irgendwie vor dem Wetter zu
ſichern oder auch nur nach Nahrung umherzuſpähen. Manchmal gehen Tauſende an einem Tage zu
Grunde. Auch in Rußland benutzt man die Ziege, um die Schafe zu führen; allein ſelbſt ſie iſt
nicht immer im Stande, dem dummen Vieh die nöthige Leitung angedeihen zu laſſen. Ein alter
Hirt ſchildert, wie Kohl erzählt, die Noth, welche Schneeſtürme über Herden und Hirten bringen,
mit lebendigen Worten:
„Wir weideten unſer Sieben in der Steppe von Otſchakow an 2000 Schafe und 150 Ziegen.
Es war gerade zum erſten Mal, daß wir austrieben, im März. Das Wetter war freundlich, und es
gab ſchon friſches Gras. Gegen Abend aber ſing es an zu regnen, und es erhob ſich ein kalter
Wind. Bald verwandelte ſich der Regen in Schnee; es wurde kälter, unſere Kleider ſtarrten, und
einige Stunden nach Sonnenuntergang ſtürmte und brauſte der Wind aus Nordoſten, ſo daß uns
Hören und Sehen verging. Wir befanden uns nur in geringer Entfernung von Stall und Woh-
nung, und verſuchten es, die Behauſung zu erreichen. Der Wind hatte indeß die Schafe in Bewe-
gung geſetzt und trieb ſie immer mehr von der Wohnung ab. Wir wollten nun die Geisböcke,
denen die Herde zu folgen gewohnt iſt, zum Wenden bringen; aber ſo muthig dieſe Thiere zu allen
Ereigniſſen ſind, ſo ſehr fürchten ſie die kalten Stürme. Wir rannten auf und ab, ſchlugen und
trieben zurück und ſtemmten uns gegen Sturm und Herde, aber die Schafe drängten und drückten
auf einander, und der Knäuel wälzte ſich unaufhaltſam die ganze Nacht weiter und weiter fort.
Als der Morgen kam, ſahen wir Nichts, als rund um uns her lauter Schnee und finſtere Sturm-
wüſte. Am Tage blies der Sturm nicht minder wüthend, und die Herde ging faſt noch raſcher vor-
wärts, als in der Nacht, wo ſie von der dicken Finſterniß noch mitunter gehemmt ward. Wir
überließen uns unſerem Schickſale; es ging im Geſchwindſchritt fort, wir ſelber voran, das Schaf-
getrappel blöckend und ſchreiend, die Ochſen mit dem Vorrathwagen im Trabe, und die Rotte un-
ſerer Hunde heulend hinterdrein. Die Ziegen verſchwanden uns noch an dieſem Tage; überall war
unſer Weg mit dem todt zurückbleibenden Vieh zerſtreut. Gegen Abend ging es etwas gemacher;
denn die Schafe wurden vom Hunger und Laufen matter. Allein leider ſanken auch uns zugleich
die Kräfte. Zwei von uns erklärten ſich krank und verkrochen ſich im Wagen unter die Pelze.
Es wurde Nacht, und wir entdeckten immer noch nirgends ein rettendes Gehöfte oder Dorf. Jn
dieſer Nacht ging es uns noch ſchlimmer, als in der vorigen, und da wir wußten, daß der Sturm
uns gerade auf die ſchroffe Küſte des Meeres zutrieb, ſo erwarteten wir alle Augenblick, mitſammt
unſerem dummen Vieh ins Meer hinabzuſtürzen. Es erkrankte noch einer von unſeren Leuten.
Als es Tag wurde, ſahen wir einige Häuſer uns zur Seite aus dem Schneenebel hervorblicken.
Allein obgleich ſie uns ganz nahe waren, höchſtens dreißig Schritt vom äußerſten Flügel unſerer
Herde, ſo kehrten ſich doch unſere dummen Thiere an gar Nichts und hielten immer den ihnen vom
Winde vorgezeichneten Strich. Mit den Schafen ringend, verloren wir endlich ſelber die Gelegenheit,
zu den Häuſern zu gelangen, ſo vollſtändig waren wir in der Gewalt des wüthenden Sturmes.
Wir ſahen die Häuſer verſchwinden und wären, ſo nahe der Rettung, doch noch verloren geweſen,
wenn nicht das Geheul unſerer Hunde die Leute aufmerkſam gemacht hätte. Es waren deutſche An-
ſiedler, und Der, welcher unſere Noth entdeckte, ſchlug ſogleich bei ſeinen Nachbarn und Knechten
Lärm. Dieſe warfen ſich nun, funfzehn Mann an der Zahl, mit friſcher Gewalt unſeren Schafen
entgegen und zogen und ſchleppten ſie, uns und unſere Kranken allmählich in ihre Häuſer und Höfe.
Unterwegs waren uns alle unſere Ziegen und fünfhundert Schafe verloren gegangen. Aber in dem
Gehöfte gingen uns auch noch viele zu Grunde; denn ſo wie die Thiere den Schutz gewahrten, den
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/645>, abgerufen am 23.11.2024.
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