sind bedeutend kleiner und um mehr als einen Centner leichter; ihre Hörner sind dünner, fast gerade, wenig gerunzelt und lichter.
Die unbewohnten Gegenden des innerasiatischen Alpenzuges bilden die Heimat des Argali. Er reicht von der großen Tatarei bis nach Jndien und China und von dem kalten Ostsibirien über den ganzen Altai weg. Früher war er an den Quellenseen des Jrtjsch und Jenisei häufig; gegen- wärtig findet er sich noch in den Gebirgen der Mongolei und Songorei, sowie in den Wüsten der Tatarei in ziemlicher Anzahl, während er in Kamtschatka nach Radde's Beobachtungen nicht mehr gesunden, sondern durch das amerikanische Wildschaf vertreten wird. Jn Daurien ist er, wie Radde ebenfalls mittheilt, erst im Jahre 1832 ausgerottet worden. Der sehr kalte, schneereiche Winter von 1831 zu 1832 vernichtete den dort lebenden Bestand der schönen Thiere bis auf sechs Schafe, und diese wurden von den Kosaken erlegt. Seitdem hat man im russischen Daurien kein Stück mehr ge- spürt und wird, da alle Wildschafe Standthiere sind, wohl auch keins wieder zu sehen bekommen.
Der Argali meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge, aber auch bedeutendere Höhen. Bergzüge von zwei- bis dreitausend Fuß Höhe, deren Abhänge spärlich bewaldet und deren Thäler breitsohlig sind, bilden seine bevorzugten Wohnplätze. Hier lebt er, im Winter, wie im Sommer, auf annähernd demselben Gebiet; denn er wechselt höchstens von einem Bergzug zum anderen.
Gewöhnlich sieht man das Thier in Rudeln von 8 bis 10 Stücken. Der stärkste Widder führt den Trupp an. Zur Paarungszeit gibt es gewaltige Kämpfe unter den männlichen Gliedern, und wie bei anderen Schafen stößt der Stärkere den Schwächeren rücksichtslos in den Abgrund, falls der Besiegte es nicht vorzieht, sein Heil in der Flucht zu suchen. Jm März lammt das Schaf. Es bringt ein oder zwei Junge zur Welt, grau von Farbe, kraus von Haar, welche nach zwei Monaten schwarze Hörnerchen erhalten, die anfangs wie Dolche geradeaus stehen. Die Lämmer folgen der Mutter gleich vom ersten Tage ihres Lebens und bleiben bei ihr bis zur nächsten Paarungszeit.
Während des Sommers nährt sich der Argali von den in den Alpenthälern sehr üppig wachsen- den Pflanzen, während des Winters begnügt er sich mit Mos, Flechten und vertrocknetem Grase. Dann steigt er auf die Felsspitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten bloßgelegt hat. Salzige Stellen werden des allbeliebten Leckerbissens wegen oft besucht. Bei Un- wohlsein reinigt er sich mit Küchenschellen und anderen scharfen Anemonen. Solange der Schnee nicht allzudicht liegt, bekümmert der Winter trotz seiner Armuth ihn wenig. Sein dichtes Vließ schützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird gesagt, daß er sich bei dichtem Schneefall ein- schneien lasse, wie der Hase im Lager, und unter seiner Schneedecke so stätig verweile, daß es dem Jäger möglich werde, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: -- wahrscheinlich aber gilt Dies höch- stens für solche Winter, welche ihn bereits aufs äußerste heruntergebracht haben. Der noch kräftige Argali ist so leicht nicht zu berücken. Er ist mit scharfen Sinnen begabt und ungeachtet seiner Stärke sehr furchtsam. Wenn er auch nur von fern einen Menschen erblickt, ergreift er sofort die Flucht: der leitende Widder geht voran und das ganze Rudel folgt ihm in höchster Eile nach. Dabei laufen die Thiere in wirklich wunderbarer Weise auf den gefährlichsten Felsengesimsen dahin, setzen kühn über Abgründe und klettern im Nothfalle meisterhaft an Stellen empor, wo der Fuß eines Menschen keinen Halt mehr findet.
Die Jagd ist der Oertlichkeit halber ohnehin außerordentlich schwierig, und der Argali würde allen Nachstellungen leicht entgehen, besäße er nicht eine dumme Neugierde. welche ihn oft geraden Wegs der Gefahr entgegentreibt. Jn einigen Gegenden Sibiriens hängen die Jäger ihre Kleider auf eine Stange, in der Hoffnung, daß diese Puppe den Argali beschäftigen möge, während sie auf Um- wegen sich dem Wilde nahen. Außerdem stellt man Fallen und Schlingen auf den erkundeten Wech- seln auf oder gebraucht, zumal in ebeneren Gegenden, flinke Hunde, welche das gewaltige Wildschaf stellen und dem Jäger hierdurch Zeit gewähren, sich schußgerecht zu nahen. An eine Vertheidigung seiner Haut denkt der Argali nicht; er flieht vor dem Menschen ebenso ängstlich, wie vor dem Hunde. Demungeachtet erfordert seine Jagd alljährlich Opfer: das Gebirge selbst ist und bleibt gefährlich.
Der Argali.
ſind bedeutend kleiner und um mehr als einen Centner leichter; ihre Hörner ſind dünner, faſt gerade, wenig gerunzelt und lichter.
Die unbewohnten Gegenden des inneraſiatiſchen Alpenzuges bilden die Heimat des Argali. Er reicht von der großen Tatarei bis nach Jndien und China und von dem kalten Oſtſibirien über den ganzen Altai weg. Früher war er an den Quellenſeen des Jrtjſch und Jeniſei häufig; gegen- wärtig findet er ſich noch in den Gebirgen der Mongolei und Songorei, ſowie in den Wüſten der Tatarei in ziemlicher Anzahl, während er in Kamtſchatka nach Radde’s Beobachtungen nicht mehr geſunden, ſondern durch das amerikaniſche Wildſchaf vertreten wird. Jn Daurien iſt er, wie Radde ebenfalls mittheilt, erſt im Jahre 1832 ausgerottet worden. Der ſehr kalte, ſchneereiche Winter von 1831 zu 1832 vernichtete den dort lebenden Beſtand der ſchönen Thiere bis auf ſechs Schafe, und dieſe wurden von den Koſaken erlegt. Seitdem hat man im ruſſiſchen Daurien kein Stück mehr ge- ſpürt und wird, da alle Wildſchafe Standthiere ſind, wohl auch keins wieder zu ſehen bekommen.
Der Argali meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge, aber auch bedeutendere Höhen. Bergzüge von zwei- bis dreitauſend Fuß Höhe, deren Abhänge ſpärlich bewaldet und deren Thäler breitſohlig ſind, bilden ſeine bevorzugten Wohnplätze. Hier lebt er, im Winter, wie im Sommer, auf annähernd demſelben Gebiet; denn er wechſelt höchſtens von einem Bergzug zum anderen.
Gewöhnlich ſieht man das Thier in Rudeln von 8 bis 10 Stücken. Der ſtärkſte Widder führt den Trupp an. Zur Paarungszeit gibt es gewaltige Kämpfe unter den männlichen Gliedern, und wie bei anderen Schafen ſtößt der Stärkere den Schwächeren rückſichtslos in den Abgrund, falls der Beſiegte es nicht vorzieht, ſein Heil in der Flucht zu ſuchen. Jm März lammt das Schaf. Es bringt ein oder zwei Junge zur Welt, grau von Farbe, kraus von Haar, welche nach zwei Monaten ſchwarze Hörnerchen erhalten, die anfangs wie Dolche geradeaus ſtehen. Die Lämmer folgen der Mutter gleich vom erſten Tage ihres Lebens und bleiben bei ihr bis zur nächſten Paarungszeit.
Während des Sommers nährt ſich der Argali von den in den Alpenthälern ſehr üppig wachſen- den Pflanzen, während des Winters begnügt er ſich mit Mos, Flechten und vertrocknetem Graſe. Dann ſteigt er auf die Felsſpitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten bloßgelegt hat. Salzige Stellen werden des allbeliebten Leckerbiſſens wegen oft beſucht. Bei Un- wohlſein reinigt er ſich mit Küchenſchellen und anderen ſcharfen Anemonen. Solange der Schnee nicht allzudicht liegt, bekümmert der Winter trotz ſeiner Armuth ihn wenig. Sein dichtes Vließ ſchützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird geſagt, daß er ſich bei dichtem Schneefall ein- ſchneien laſſe, wie der Haſe im Lager, und unter ſeiner Schneedecke ſo ſtätig verweile, daß es dem Jäger möglich werde, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: — wahrſcheinlich aber gilt Dies höch- ſtens für ſolche Winter, welche ihn bereits aufs äußerſte heruntergebracht haben. Der noch kräftige Argali iſt ſo leicht nicht zu berücken. Er iſt mit ſcharfen Sinnen begabt und ungeachtet ſeiner Stärke ſehr furchtſam. Wenn er auch nur von fern einen Menſchen erblickt, ergreift er ſofort die Flucht: der leitende Widder geht voran und das ganze Rudel folgt ihm in höchſter Eile nach. Dabei laufen die Thiere in wirklich wunderbarer Weiſe auf den gefährlichſten Felſengeſimſen dahin, ſetzen kühn über Abgründe und klettern im Nothfalle meiſterhaft an Stellen empor, wo der Fuß eines Menſchen keinen Halt mehr findet.
Die Jagd iſt der Oertlichkeit halber ohnehin außerordentlich ſchwierig, und der Argali würde allen Nachſtellungen leicht entgehen, beſäße er nicht eine dumme Neugierde. welche ihn oft geraden Wegs der Gefahr entgegentreibt. Jn einigen Gegenden Sibiriens hängen die Jäger ihre Kleider auf eine Stange, in der Hoffnung, daß dieſe Puppe den Argali beſchäftigen möge, während ſie auf Um- wegen ſich dem Wilde nahen. Außerdem ſtellt man Fallen und Schlingen auf den erkundeten Wech- ſeln auf oder gebraucht, zumal in ebeneren Gegenden, flinke Hunde, welche das gewaltige Wildſchaf ſtellen und dem Jäger hierdurch Zeit gewähren, ſich ſchußgerecht zu nahen. An eine Vertheidigung ſeiner Haut denkt der Argali nicht; er flieht vor dem Menſchen ebenſo ängſtlich, wie vor dem Hunde. Demungeachtet erfordert ſeine Jagd alljährlich Opfer: das Gebirge ſelbſt iſt und bleibt gefährlich.
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[605/0635]
Der Argali.
ſind bedeutend kleiner und um mehr als einen Centner leichter; ihre Hörner ſind dünner, faſt gerade,
wenig gerunzelt und lichter.
Die unbewohnten Gegenden des inneraſiatiſchen Alpenzuges bilden die Heimat des Argali.
Er reicht von der großen Tatarei bis nach Jndien und China und von dem kalten Oſtſibirien über
den ganzen Altai weg. Früher war er an den Quellenſeen des Jrtjſch und Jeniſei häufig; gegen-
wärtig findet er ſich noch in den Gebirgen der Mongolei und Songorei, ſowie in den Wüſten der
Tatarei in ziemlicher Anzahl, während er in Kamtſchatka nach Radde’s Beobachtungen nicht mehr
geſunden, ſondern durch das amerikaniſche Wildſchaf vertreten wird. Jn Daurien iſt er, wie Radde
ebenfalls mittheilt, erſt im Jahre 1832 ausgerottet worden. Der ſehr kalte, ſchneereiche Winter von
1831 zu 1832 vernichtete den dort lebenden Beſtand der ſchönen Thiere bis auf ſechs Schafe, und
dieſe wurden von den Koſaken erlegt. Seitdem hat man im ruſſiſchen Daurien kein Stück mehr ge-
ſpürt und wird, da alle Wildſchafe Standthiere ſind, wohl auch keins wieder zu ſehen bekommen.
Der Argali meidet feuchte, waldbedeckte Gebirge, aber auch bedeutendere Höhen. Bergzüge
von zwei- bis dreitauſend Fuß Höhe, deren Abhänge ſpärlich bewaldet und deren Thäler breitſohlig
ſind, bilden ſeine bevorzugten Wohnplätze. Hier lebt er, im Winter, wie im Sommer, auf annähernd
demſelben Gebiet; denn er wechſelt höchſtens von einem Bergzug zum anderen.
Gewöhnlich ſieht man das Thier in Rudeln von 8 bis 10 Stücken. Der ſtärkſte Widder führt
den Trupp an. Zur Paarungszeit gibt es gewaltige Kämpfe unter den männlichen Gliedern, und
wie bei anderen Schafen ſtößt der Stärkere den Schwächeren rückſichtslos in den Abgrund, falls der
Beſiegte es nicht vorzieht, ſein Heil in der Flucht zu ſuchen. Jm März lammt das Schaf. Es
bringt ein oder zwei Junge zur Welt, grau von Farbe, kraus von Haar, welche nach zwei Monaten
ſchwarze Hörnerchen erhalten, die anfangs wie Dolche geradeaus ſtehen. Die Lämmer folgen der
Mutter gleich vom erſten Tage ihres Lebens und bleiben bei ihr bis zur nächſten Paarungszeit.
Während des Sommers nährt ſich der Argali von den in den Alpenthälern ſehr üppig wachſen-
den Pflanzen, während des Winters begnügt er ſich mit Mos, Flechten und vertrocknetem Graſe.
Dann ſteigt er auf die Felsſpitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten
bloßgelegt hat. Salzige Stellen werden des allbeliebten Leckerbiſſens wegen oft beſucht. Bei Un-
wohlſein reinigt er ſich mit Küchenſchellen und anderen ſcharfen Anemonen. Solange der Schnee
nicht allzudicht liegt, bekümmert der Winter trotz ſeiner Armuth ihn wenig. Sein dichtes Vließ
ſchützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird geſagt, daß er ſich bei dichtem Schneefall ein-
ſchneien laſſe, wie der Haſe im Lager, und unter ſeiner Schneedecke ſo ſtätig verweile, daß es dem
Jäger möglich werde, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: — wahrſcheinlich aber gilt Dies höch-
ſtens für ſolche Winter, welche ihn bereits aufs äußerſte heruntergebracht haben. Der noch kräftige
Argali iſt ſo leicht nicht zu berücken. Er iſt mit ſcharfen Sinnen begabt und ungeachtet ſeiner Stärke
ſehr furchtſam. Wenn er auch nur von fern einen Menſchen erblickt, ergreift er ſofort die Flucht:
der leitende Widder geht voran und das ganze Rudel folgt ihm in höchſter Eile nach. Dabei laufen
die Thiere in wirklich wunderbarer Weiſe auf den gefährlichſten Felſengeſimſen dahin, ſetzen kühn
über Abgründe und klettern im Nothfalle meiſterhaft an Stellen empor, wo der Fuß eines Menſchen
keinen Halt mehr findet.
Die Jagd iſt der Oertlichkeit halber ohnehin außerordentlich ſchwierig, und der Argali würde
allen Nachſtellungen leicht entgehen, beſäße er nicht eine dumme Neugierde. welche ihn oft geraden
Wegs der Gefahr entgegentreibt. Jn einigen Gegenden Sibiriens hängen die Jäger ihre Kleider auf
eine Stange, in der Hoffnung, daß dieſe Puppe den Argali beſchäftigen möge, während ſie auf Um-
wegen ſich dem Wilde nahen. Außerdem ſtellt man Fallen und Schlingen auf den erkundeten Wech-
ſeln auf oder gebraucht, zumal in ebeneren Gegenden, flinke Hunde, welche das gewaltige Wildſchaf
ſtellen und dem Jäger hierdurch Zeit gewähren, ſich ſchußgerecht zu nahen. An eine Vertheidigung
ſeiner Haut denkt der Argali nicht; er flieht vor dem Menſchen ebenſo ängſtlich, wie vor dem Hunde.
Demungeachtet erfordert ſeine Jagd alljährlich Opfer: das Gebirge ſelbſt iſt und bleibt gefährlich.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/635>, abgerufen am 23.11.2024.
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