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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Ziegen. -- Die Hausziegen.
Besitzthum ein Wasserschlauch, ein Getreidesack, ein Reibstein und eine Thonplatte, zum Rösten
ihres Mehlbreies, ist. Nachts geht es oft laut zu in der Serieba. Es gibt nicht viele Thiere, welche
sowenig schlafen, wie die Ziegen; beständig sind einige rege, selbst bei der ärgsten Dunkelheit werden
noch Gefechte ausgeführt, Wettläufe veranstaltet und Kletterkünste unternommen.

Grauenvoll aber ist der Aufruhr, wenn sich ein Raubthier, zumal ein Löwe, solcher Serieba
naht. Man glaubt, daß jede einzelne Ziege zehnerlei Stimmen zu gleicher Zeit ertönen läßt. Aus
dem muthwilligen Meckern wird ein im höchsten Grade ängstliches Blöcken oder Stöhnen; und wenn
dann die armen Eingepferchten die runden Augen des Räubers durch den Dornenzaun hindurch leuch-
ten sehen, kennt ihre Bestürzung keine Grenzen mehr. Sie rennen wie besessen in der Serieba auf
und nieder, stürzen sich wie unsinnig gegen die dornigen Wände, klettern an diesen empor und bilden
einen höchst sonderbaren Kranz der sonderbaren Umhegung. Die Nomaden wollen wahrgenommen
haben, daß der Löwe nur beim allerärgsten Hunger unter eine Ziegenherde fällt, während er den
Rinderherden aufs äußerste verderblich wird; dagegen ist der Leopard der schlimmste Feind, welchen
unsere Thiere in Afrika haben können.

Die edelen asiatischen Ziegen werden gewöhnlich aufs sorgfältigste gehütet; sie bedingen ja auch
fast einzig und allein den Wohlstand ihrer Herren.

Amerika hat die Ziege erst durch die Europäer erhalten; heutzutage ist sie hier überall verbrei-
tet; doch betreibt man ihre Zucht nicht immer räthlich; in manchen Gegenden scheint sie sogar sehr
vernachlässigt zu werden, so in Peru und Paraguay, in Brasilien und Surinam, während sie in
Chile hoch geachtet wird. Auf den Antillen hält man drei verschiedene Rassen oder Arten.

Jn Australien ist sie erst neuerdings eingeführt worden, hat aber schon eine bedeutende Ver-
breitung erlangt.

Nach den Beobachtungen, welche man bisher gemacht hat, frißt die Ziege bei uns von 576
Pflanzenarten 449. Jhre Unstetheit und Launenhaftigkeit zeigt sich sehr deutlich bei dem Aeßen; sie
hascht beständig nach neuem Genusse, pflückt allerwärts nur wenig, untersucht und nascht von Die-
sem und Jenem, und hält sich nicht einmal beim Besten auf. Ganz besonders erpicht ist sie auf das
Laub der Bäume, und deshalb richtet sie in Schonungen sehr bedeutenden Schaden an. Merkwürdi-
gerweise frißt sie auch Pflanzen, welche anderen Thieren sehr schädlich sind, ohne den geringsten
Nachtheil: so die Wolfsmilch, das Schellkraut, den Seidelbast, die Pfaffenhütchen und die Eber-
wurz, den sehr scharfen Mauerpfeffer, Huflattig, Meilisse, Salbei, Schierling, Hundspetersilie
und dergleichen, mit Vergnügen auch Rauchtabak, Cigarrenstummel, deren Nikotin anderen Thieren
entsetzlich ist, und dergleichen. Vom Genusse der Wolfsmilch bekommt sie gewöhnlich den Durchfall;
weiter schadet ihr dieses entschiedene Gift aber nicht. Eibe und Fingerhut sind Gift für sie; das Floh-
kraut, der Spindelbaum behagen ihr auch schlecht. Am liebsten sind ihr junge Blätter und Blüthen
von Hülsenpflanzen, die Blätter der Kohl- und Rübenarten und die der meisten Bäume; am gedeih-
lichsten sind ihr alle Pflanzen, welche auf trockenen, sonnigen, fruchtbaren Höhen wachsen. Alle
Wiesen, welche mit Mist oder sonst stinkiger Masse besudelt sind, können nicht als Weideplätze für
Ziegen benutzt werden: sie ekeln sich auch da noch, wo schon lange vorher gedüngt wurde. Die frei-
weidenden Ziegen bekommen nur Wasser zu trinken, die Stallziegen einen lauwarmen Trank, in
welchem Roggenkleie und etwas Salz aufgelöst ist.

Die Ziege ist schon mit einem Alter von einem halben Jahre zur Fortpflanzung geeignet. Jhre
Paarungslust, welche gewöhnlich in die Monate September bis November fällt und zuweilen sich
noch ein zweites Mal im Mai einstellt, zeigt sich durch vieles Meckern und Wedeln mit dem Schwanze
an. Läßt man ihr den Willen nicht, so wird sie leicht krank. Der Bock ist zu allen Zeiten des
Jahres brünstig und reicht, wenn er im besten Alter sich befindet, d. h. vom zweiten bis achten Jahre,
für hundert Ziegen hin. Einundzwanzig bis zweiundzwanzig Wochen nach der Paarung wirft die Ziege
ein oder zwei, seltener drei und nur ausnahmsweise vier oder fünf Junge; in diesem Falle geht aber die
Mutter oder wenigstens ihre Nachkommenschaft gewöhnlich zu Grunde. Schon wenige Minuten nach

Die Ziegen. — Die Hausziegen.
Beſitzthum ein Waſſerſchlauch, ein Getreideſack, ein Reibſtein und eine Thonplatte, zum Röſten
ihres Mehlbreies, iſt. Nachts geht es oft laut zu in der Serieba. Es gibt nicht viele Thiere, welche
ſowenig ſchlafen, wie die Ziegen; beſtändig ſind einige rege, ſelbſt bei der ärgſten Dunkelheit werden
noch Gefechte ausgeführt, Wettläufe veranſtaltet und Kletterkünſte unternommen.

Grauenvoll aber iſt der Aufruhr, wenn ſich ein Raubthier, zumal ein Löwe, ſolcher Serieba
naht. Man glaubt, daß jede einzelne Ziege zehnerlei Stimmen zu gleicher Zeit ertönen läßt. Aus
dem muthwilligen Meckern wird ein im höchſten Grade ängſtliches Blöcken oder Stöhnen; und wenn
dann die armen Eingepferchten die runden Augen des Räubers durch den Dornenzaun hindurch leuch-
ten ſehen, kennt ihre Beſtürzung keine Grenzen mehr. Sie rennen wie beſeſſen in der Serieba auf
und nieder, ſtürzen ſich wie unſinnig gegen die dornigen Wände, klettern an dieſen empor und bilden
einen höchſt ſonderbaren Kranz der ſonderbaren Umhegung. Die Nomaden wollen wahrgenommen
haben, daß der Löwe nur beim allerärgſten Hunger unter eine Ziegenherde fällt, während er den
Rinderherden aufs äußerſte verderblich wird; dagegen iſt der Leopard der ſchlimmſte Feind, welchen
unſere Thiere in Afrika haben können.

Die edelen aſiatiſchen Ziegen werden gewöhnlich aufs ſorgfältigſte gehütet; ſie bedingen ja auch
faſt einzig und allein den Wohlſtand ihrer Herren.

Amerika hat die Ziege erſt durch die Europäer erhalten; heutzutage iſt ſie hier überall verbrei-
tet; doch betreibt man ihre Zucht nicht immer räthlich; in manchen Gegenden ſcheint ſie ſogar ſehr
vernachläſſigt zu werden, ſo in Peru und Paraguay, in Braſilien und Surinam, während ſie in
Chile hoch geachtet wird. Auf den Antillen hält man drei verſchiedene Raſſen oder Arten.

Jn Auſtralien iſt ſie erſt neuerdings eingeführt worden, hat aber ſchon eine bedeutende Ver-
breitung erlangt.

Nach den Beobachtungen, welche man bisher gemacht hat, frißt die Ziege bei uns von 576
Pflanzenarten 449. Jhre Unſtetheit und Launenhaftigkeit zeigt ſich ſehr deutlich bei dem Aeßen; ſie
haſcht beſtändig nach neuem Genuſſe, pflückt allerwärts nur wenig, unterſucht und naſcht von Die-
ſem und Jenem, und hält ſich nicht einmal beim Beſten auf. Ganz beſonders erpicht iſt ſie auf das
Laub der Bäume, und deshalb richtet ſie in Schonungen ſehr bedeutenden Schaden an. Merkwürdi-
gerweiſe frißt ſie auch Pflanzen, welche anderen Thieren ſehr ſchädlich ſind, ohne den geringſten
Nachtheil: ſo die Wolfsmilch, das Schellkraut, den Seidelbaſt, die Pfaffenhütchen und die Eber-
wurz, den ſehr ſcharfen Mauerpfeffer, Huflattig, Meiliſſe, Salbei, Schierling, Hundspeterſilie
und dergleichen, mit Vergnügen auch Rauchtabak, Cigarrenſtummel, deren Nikotin anderen Thieren
entſetzlich iſt, und dergleichen. Vom Genuſſe der Wolfsmilch bekommt ſie gewöhnlich den Durchfall;
weiter ſchadet ihr dieſes entſchiedene Gift aber nicht. Eibe und Fingerhut ſind Gift für ſie; das Floh-
kraut, der Spindelbaum behagen ihr auch ſchlecht. Am liebſten ſind ihr junge Blätter und Blüthen
von Hülſenpflanzen, die Blätter der Kohl- und Rübenarten und die der meiſten Bäume; am gedeih-
lichſten ſind ihr alle Pflanzen, welche auf trockenen, ſonnigen, fruchtbaren Höhen wachſen. Alle
Wieſen, welche mit Miſt oder ſonſt ſtinkiger Maſſe beſudelt ſind, können nicht als Weideplätze für
Ziegen benutzt werden: ſie ekeln ſich auch da noch, wo ſchon lange vorher gedüngt wurde. Die frei-
weidenden Ziegen bekommen nur Waſſer zu trinken, die Stallziegen einen lauwarmen Trank, in
welchem Roggenkleie und etwas Salz aufgelöſt iſt.

Die Ziege iſt ſchon mit einem Alter von einem halben Jahre zur Fortpflanzung geeignet. Jhre
Paarungsluſt, welche gewöhnlich in die Monate September bis November fällt und zuweilen ſich
noch ein zweites Mal im Mai einſtellt, zeigt ſich durch vieles Meckern und Wedeln mit dem Schwanze
an. Läßt man ihr den Willen nicht, ſo wird ſie leicht krank. Der Bock iſt zu allen Zeiten des
Jahres brünſtig und reicht, wenn er im beſten Alter ſich befindet, d. h. vom zweiten bis achten Jahre,
für hundert Ziegen hin. Einundzwanzig bis zweiundzwanzig Wochen nach der Paarung wirft die Ziege
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[592/0622] Die Ziegen. — Die Hausziegen. Beſitzthum ein Waſſerſchlauch, ein Getreideſack, ein Reibſtein und eine Thonplatte, zum Röſten ihres Mehlbreies, iſt. Nachts geht es oft laut zu in der Serieba. Es gibt nicht viele Thiere, welche ſowenig ſchlafen, wie die Ziegen; beſtändig ſind einige rege, ſelbſt bei der ärgſten Dunkelheit werden noch Gefechte ausgeführt, Wettläufe veranſtaltet und Kletterkünſte unternommen. Grauenvoll aber iſt der Aufruhr, wenn ſich ein Raubthier, zumal ein Löwe, ſolcher Serieba naht. Man glaubt, daß jede einzelne Ziege zehnerlei Stimmen zu gleicher Zeit ertönen läßt. Aus dem muthwilligen Meckern wird ein im höchſten Grade ängſtliches Blöcken oder Stöhnen; und wenn dann die armen Eingepferchten die runden Augen des Räubers durch den Dornenzaun hindurch leuch- ten ſehen, kennt ihre Beſtürzung keine Grenzen mehr. Sie rennen wie beſeſſen in der Serieba auf und nieder, ſtürzen ſich wie unſinnig gegen die dornigen Wände, klettern an dieſen empor und bilden einen höchſt ſonderbaren Kranz der ſonderbaren Umhegung. Die Nomaden wollen wahrgenommen haben, daß der Löwe nur beim allerärgſten Hunger unter eine Ziegenherde fällt, während er den Rinderherden aufs äußerſte verderblich wird; dagegen iſt der Leopard der ſchlimmſte Feind, welchen unſere Thiere in Afrika haben können. Die edelen aſiatiſchen Ziegen werden gewöhnlich aufs ſorgfältigſte gehütet; ſie bedingen ja auch faſt einzig und allein den Wohlſtand ihrer Herren. Amerika hat die Ziege erſt durch die Europäer erhalten; heutzutage iſt ſie hier überall verbrei- tet; doch betreibt man ihre Zucht nicht immer räthlich; in manchen Gegenden ſcheint ſie ſogar ſehr vernachläſſigt zu werden, ſo in Peru und Paraguay, in Braſilien und Surinam, während ſie in Chile hoch geachtet wird. Auf den Antillen hält man drei verſchiedene Raſſen oder Arten. Jn Auſtralien iſt ſie erſt neuerdings eingeführt worden, hat aber ſchon eine bedeutende Ver- breitung erlangt. Nach den Beobachtungen, welche man bisher gemacht hat, frißt die Ziege bei uns von 576 Pflanzenarten 449. Jhre Unſtetheit und Launenhaftigkeit zeigt ſich ſehr deutlich bei dem Aeßen; ſie haſcht beſtändig nach neuem Genuſſe, pflückt allerwärts nur wenig, unterſucht und naſcht von Die- ſem und Jenem, und hält ſich nicht einmal beim Beſten auf. Ganz beſonders erpicht iſt ſie auf das Laub der Bäume, und deshalb richtet ſie in Schonungen ſehr bedeutenden Schaden an. Merkwürdi- gerweiſe frißt ſie auch Pflanzen, welche anderen Thieren ſehr ſchädlich ſind, ohne den geringſten Nachtheil: ſo die Wolfsmilch, das Schellkraut, den Seidelbaſt, die Pfaffenhütchen und die Eber- wurz, den ſehr ſcharfen Mauerpfeffer, Huflattig, Meiliſſe, Salbei, Schierling, Hundspeterſilie und dergleichen, mit Vergnügen auch Rauchtabak, Cigarrenſtummel, deren Nikotin anderen Thieren entſetzlich iſt, und dergleichen. Vom Genuſſe der Wolfsmilch bekommt ſie gewöhnlich den Durchfall; weiter ſchadet ihr dieſes entſchiedene Gift aber nicht. Eibe und Fingerhut ſind Gift für ſie; das Floh- kraut, der Spindelbaum behagen ihr auch ſchlecht. Am liebſten ſind ihr junge Blätter und Blüthen von Hülſenpflanzen, die Blätter der Kohl- und Rübenarten und die der meiſten Bäume; am gedeih- lichſten ſind ihr alle Pflanzen, welche auf trockenen, ſonnigen, fruchtbaren Höhen wachſen. Alle Wieſen, welche mit Miſt oder ſonſt ſtinkiger Maſſe beſudelt ſind, können nicht als Weideplätze für Ziegen benutzt werden: ſie ekeln ſich auch da noch, wo ſchon lange vorher gedüngt wurde. Die frei- weidenden Ziegen bekommen nur Waſſer zu trinken, die Stallziegen einen lauwarmen Trank, in welchem Roggenkleie und etwas Salz aufgelöſt iſt. Die Ziege iſt ſchon mit einem Alter von einem halben Jahre zur Fortpflanzung geeignet. Jhre Paarungsluſt, welche gewöhnlich in die Monate September bis November fällt und zuweilen ſich noch ein zweites Mal im Mai einſtellt, zeigt ſich durch vieles Meckern und Wedeln mit dem Schwanze an. Läßt man ihr den Willen nicht, ſo wird ſie leicht krank. Der Bock iſt zu allen Zeiten des Jahres brünſtig und reicht, wenn er im beſten Alter ſich befindet, d. h. vom zweiten bis achten Jahre, für hundert Ziegen hin. Einundzwanzig bis zweiundzwanzig Wochen nach der Paarung wirft die Ziege ein oder zwei, ſeltener drei und nur ausnahmsweiſe vier oder fünf Junge; in dieſem Falle geht aber die Mutter oder wenigſtens ihre Nachkommenſchaft gewöhnlich zu Grunde. Schon wenige Minuten nach

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/622>, abgerufen am 23.11.2024.