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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Bezoarziege.
Sierra Nevada wohnenden Steinböcke zu bemächtigen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die
Monate Juli und August, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann:
wir kamen aber erst im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten wenigstens nicht ohne
weiteres davongehen. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit in Höhen von
10,000 Fuß über dem Meere emporzuklettern, und es stand von vorn herein zu erwarten, daß unsere
Jagd erfolglos sein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Valeta empor-
zusteigen und die hauptsächlichsten Jagdgebiete abzusuchen; das Schneegestöber und die eintretende
Kälte zwangen uns aber leider noch eher zur Umkehr als wir gewollt hatten, und so kam es, daß wir
nur die frischen Fährten des ersehnten Wildes, nicht aber die Steinböcke selbst entdecken konnten.

Mich fesselte der Ausflug besonders deshalb, weil ich die Jagdweise der Spanier dabei kennen
lernte. Diego, so hieß unser Jäger, schien in der Steinbocksjagd sehr erfahren zu sein. Er führte
mich auf wilden Pfaden und Felsgesimsen dahin, welche allerdings blos mit Haufschuhen begangen
werden konnten, weil der glattsohlige Schuh und selbst ein Alpenschuh hier entschieden nicht genug
Sicherheit im Gange gewährt haben würde. Auf solchen Wegen suchte unser Jäger immer eine ge-
wisse Höhe zu erreichen und dem Steinwilde aus dem Winde zu kommen; dann krochen wir auf Hän-
den und Füßen zu den Felsenhängen hin, legten uns, nachdem wir den Hut abgenommen, platt nieder
und schauten in die grausigen Abgründe hinab. Nun ahmte der Mann den eigenthümlichen Pfiff der
Steinböcke nach, um hierdurch etwa verborgen liegende aufzuscheuchen und vor Augen zu bringen.
Mit demselben Pfiff lockt der Jäger, wenn er gut versteckt ist, die Steinböcke nicht selten auf eine Ent-
fernung von weniger als 20 Schritten heran, weil die vorsichtigen Thiere gewöhnlich nach der Seite
hin fliehen, von wo der ihnen wohlbekannte Mahnruf kommt. Das erlegte Thier wird augenblicklich
oben ausgeweidet, mit wohlriechenden Alpenkräutern ausgefüllt und dann bis zur nächsten Meierei in
die Tiefe getragen, von wo aus man es auf Maulthieren weiterschafft. Für die Haut bezahlen die
Sammler 6 bis 8 Thaler; das Fleisch wird sehr geschätzt und in dem nahen Granada theuer verkauft.



Die Ziegen (Hircus) sind kleiner als die Steinböcke. Jhre Hörner sind mehr oder weniger zu-
sammengedrückt, beim Männchen schneidig und mit Querwülsten oder Runzeln versehen, beim Weibchen
geringelt und gerunzelt; sie fehlen aber auch nicht selten gänzlich. Jm übrigen ähneln die Ziegen
ganz den eigentlichen Steinböcken.

Auch unsere Hausziege theilt das Schicksal der übrigen Hausthiere; man weiß nicht, von
welcher Art sie abstammt. Ueber die wildlebenden Ziegen, welche namentlich Asien bewohnen, wissen
wir noch so wenig, daß wir noch nicht im Stande sind, ihre Artenzahl auch nur annähernd anzugeben.
Viele Naturforscher glauben, daß wir der Bezoarziege (Hircus Aegagrus) die Ehre zuerkennen
müssen, uns mit einem so nützlichen Hausthiere bereichert zu haben. Letzteres stimmt in der That in
allen wesentlichen Merkmalen mit ersterer überein; nur die Richtung und Windung der Hörner ist
eine andere. So viel steht fest, daß die Bezoarziege sich mit unseren Hausziegenarten fruchtbar ver-
mischt und durch Kreuzung mit derselben eine besondere Rasse hervorgebracht hat, welche als ein
echtes Mittelglied zwischen beiden Arten steht.

Die Bezoarziege ist zwar etwas kleiner, als der europäische Steinbock, aber doch bedeutend größer
als unsere Hausziege. Die Länge eines erwachsenen Bockes beträgt ungefähr 5 Fuß, die Länge des
Schwanzes 8 Zoll, die Höhe am Widerrist 3 Fuß und die am Kreuze einen Zoll mehr. Die Ziege
ist etwas kleiner. Der Leib ist ziemlich gestreckt, der Rücken schneidig, der Hals von mäßiger Länge,
der Kopf kurz, die Schnauze stumpf, die Stirn breit, längs des Nasenrückens fast gerade. Die Beine
sind verhältnißmäßig hoch und stark, die Hufe stumpf zugespitzt. Der Schwanz ist sehr kurz und
gleichmäßig mit langen, zottigen Haaren besetzt. Am Kopf fallen die verhältnißmäßig kleinen Augen
auf. Die Ohren sind mittelgroß, die Hörner des Männchens sehr lang und stark: schon bei jüngeren

Brehm, Thierleben. II. 37

Die Bezoarziege.
Sierra Nevada wohnenden Steinböcke zu bemächtigen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die
Monate Juli und Auguſt, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann:
wir kamen aber erſt im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten wenigſtens nicht ohne
weiteres davongehen. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit in Höhen von
10,000 Fuß über dem Meere emporzuklettern, und es ſtand von vorn herein zu erwarten, daß unſere
Jagd erfolglos ſein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Valeta empor-
zuſteigen und die hauptſächlichſten Jagdgebiete abzuſuchen; das Schneegeſtöber und die eintretende
Kälte zwangen uns aber leider noch eher zur Umkehr als wir gewollt hatten, und ſo kam es, daß wir
nur die friſchen Fährten des erſehnten Wildes, nicht aber die Steinböcke ſelbſt entdecken konnten.

Mich feſſelte der Ausflug beſonders deshalb, weil ich die Jagdweiſe der Spanier dabei kennen
lernte. Diego, ſo hieß unſer Jäger, ſchien in der Steinbocksjagd ſehr erfahren zu ſein. Er führte
mich auf wilden Pfaden und Felsgeſimſen dahin, welche allerdings blos mit Haufſchuhen begangen
werden konnten, weil der glattſohlige Schuh und ſelbſt ein Alpenſchuh hier entſchieden nicht genug
Sicherheit im Gange gewährt haben würde. Auf ſolchen Wegen ſuchte unſer Jäger immer eine ge-
wiſſe Höhe zu erreichen und dem Steinwilde aus dem Winde zu kommen; dann krochen wir auf Hän-
den und Füßen zu den Felſenhängen hin, legten uns, nachdem wir den Hut abgenommen, platt nieder
und ſchauten in die grauſigen Abgründe hinab. Nun ahmte der Mann den eigenthümlichen Pfiff der
Steinböcke nach, um hierdurch etwa verborgen liegende aufzuſcheuchen und vor Augen zu bringen.
Mit demſelben Pfiff lockt der Jäger, wenn er gut verſteckt iſt, die Steinböcke nicht ſelten auf eine Ent-
fernung von weniger als 20 Schritten heran, weil die vorſichtigen Thiere gewöhnlich nach der Seite
hin fliehen, von wo der ihnen wohlbekannte Mahnruf kommt. Das erlegte Thier wird augenblicklich
oben ausgeweidet, mit wohlriechenden Alpenkräutern ausgefüllt und dann bis zur nächſten Meierei in
die Tiefe getragen, von wo aus man es auf Maulthieren weiterſchafft. Für die Haut bezahlen die
Sammler 6 bis 8 Thaler; das Fleiſch wird ſehr geſchätzt und in dem nahen Granada theuer verkauft.



Die Ziegen (Hircus) ſind kleiner als die Steinböcke. Jhre Hörner ſind mehr oder weniger zu-
ſammengedrückt, beim Männchen ſchneidig und mit Querwülſten oder Runzeln verſehen, beim Weibchen
geringelt und gerunzelt; ſie fehlen aber auch nicht ſelten gänzlich. Jm übrigen ähneln die Ziegen
ganz den eigentlichen Steinböcken.

Auch unſere Hausziege theilt das Schickſal der übrigen Hausthiere; man weiß nicht, von
welcher Art ſie abſtammt. Ueber die wildlebenden Ziegen, welche namentlich Aſien bewohnen, wiſſen
wir noch ſo wenig, daß wir noch nicht im Stande ſind, ihre Artenzahl auch nur annähernd anzugeben.
Viele Naturforſcher glauben, daß wir der Bezoarziege (Hircus Aegagrus) die Ehre zuerkennen
müſſen, uns mit einem ſo nützlichen Hausthiere bereichert zu haben. Letzteres ſtimmt in der That in
allen weſentlichen Merkmalen mit erſterer überein; nur die Richtung und Windung der Hörner iſt
eine andere. So viel ſteht feſt, daß die Bezoarziege ſich mit unſeren Hausziegenarten fruchtbar ver-
miſcht und durch Kreuzung mit derſelben eine beſondere Raſſe hervorgebracht hat, welche als ein
echtes Mittelglied zwiſchen beiden Arten ſteht.

Die Bezoarziege iſt zwar etwas kleiner, als der europäiſche Steinbock, aber doch bedeutend größer
als unſere Hausziege. Die Länge eines erwachſenen Bockes beträgt ungefähr 5 Fuß, die Länge des
Schwanzes 8 Zoll, die Höhe am Widerriſt 3 Fuß und die am Kreuze einen Zoll mehr. Die Ziege
iſt etwas kleiner. Der Leib iſt ziemlich geſtreckt, der Rücken ſchneidig, der Hals von mäßiger Länge,
der Kopf kurz, die Schnauze ſtumpf, die Stirn breit, längs des Naſenrückens faſt gerade. Die Beine
ſind verhältnißmäßig hoch und ſtark, die Hufe ſtumpf zugeſpitzt. Der Schwanz iſt ſehr kurz und
gleichmäßig mit langen, zottigen Haaren beſetzt. Am Kopf fallen die verhältnißmäßig kleinen Augen
auf. Die Ohren ſind mittelgroß, die Hörner des Männchens ſehr lang und ſtark: ſchon bei jüngeren

Brehm, Thierleben. II. 37
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[577/0607] Die Bezoarziege. Sierra Nevada wohnenden Steinböcke zu bemächtigen. Die Zeit der Jagd fällt eigentlich in die Monate Juli und Auguſt, weil dann der Jäger einige Tage lang im Hochgebirge verweilen kann: wir kamen aber erſt im November in die Nähe des reichen Gebirges und wollten wenigſtens nicht ohne weiteres davongehen. Es war ein gewagtes Unternehmen, in der jetzigen Jahreszeit in Höhen von 10,000 Fuß über dem Meere emporzuklettern, und es ſtand von vorn herein zu erwarten, daß unſere Jagd erfolglos ſein würde. Dies hinderte uns jedoch nicht, bis zu dem Picacho de la Valeta empor- zuſteigen und die hauptſächlichſten Jagdgebiete abzuſuchen; das Schneegeſtöber und die eintretende Kälte zwangen uns aber leider noch eher zur Umkehr als wir gewollt hatten, und ſo kam es, daß wir nur die friſchen Fährten des erſehnten Wildes, nicht aber die Steinböcke ſelbſt entdecken konnten. Mich feſſelte der Ausflug beſonders deshalb, weil ich die Jagdweiſe der Spanier dabei kennen lernte. Diego, ſo hieß unſer Jäger, ſchien in der Steinbocksjagd ſehr erfahren zu ſein. Er führte mich auf wilden Pfaden und Felsgeſimſen dahin, welche allerdings blos mit Haufſchuhen begangen werden konnten, weil der glattſohlige Schuh und ſelbſt ein Alpenſchuh hier entſchieden nicht genug Sicherheit im Gange gewährt haben würde. Auf ſolchen Wegen ſuchte unſer Jäger immer eine ge- wiſſe Höhe zu erreichen und dem Steinwilde aus dem Winde zu kommen; dann krochen wir auf Hän- den und Füßen zu den Felſenhängen hin, legten uns, nachdem wir den Hut abgenommen, platt nieder und ſchauten in die grauſigen Abgründe hinab. Nun ahmte der Mann den eigenthümlichen Pfiff der Steinböcke nach, um hierdurch etwa verborgen liegende aufzuſcheuchen und vor Augen zu bringen. Mit demſelben Pfiff lockt der Jäger, wenn er gut verſteckt iſt, die Steinböcke nicht ſelten auf eine Ent- fernung von weniger als 20 Schritten heran, weil die vorſichtigen Thiere gewöhnlich nach der Seite hin fliehen, von wo der ihnen wohlbekannte Mahnruf kommt. Das erlegte Thier wird augenblicklich oben ausgeweidet, mit wohlriechenden Alpenkräutern ausgefüllt und dann bis zur nächſten Meierei in die Tiefe getragen, von wo aus man es auf Maulthieren weiterſchafft. Für die Haut bezahlen die Sammler 6 bis 8 Thaler; das Fleiſch wird ſehr geſchätzt und in dem nahen Granada theuer verkauft. Die Ziegen (Hircus) ſind kleiner als die Steinböcke. Jhre Hörner ſind mehr oder weniger zu- ſammengedrückt, beim Männchen ſchneidig und mit Querwülſten oder Runzeln verſehen, beim Weibchen geringelt und gerunzelt; ſie fehlen aber auch nicht ſelten gänzlich. Jm übrigen ähneln die Ziegen ganz den eigentlichen Steinböcken. Auch unſere Hausziege theilt das Schickſal der übrigen Hausthiere; man weiß nicht, von welcher Art ſie abſtammt. Ueber die wildlebenden Ziegen, welche namentlich Aſien bewohnen, wiſſen wir noch ſo wenig, daß wir noch nicht im Stande ſind, ihre Artenzahl auch nur annähernd anzugeben. Viele Naturforſcher glauben, daß wir der Bezoarziege (Hircus Aegagrus) die Ehre zuerkennen müſſen, uns mit einem ſo nützlichen Hausthiere bereichert zu haben. Letzteres ſtimmt in der That in allen weſentlichen Merkmalen mit erſterer überein; nur die Richtung und Windung der Hörner iſt eine andere. So viel ſteht feſt, daß die Bezoarziege ſich mit unſeren Hausziegenarten fruchtbar ver- miſcht und durch Kreuzung mit derſelben eine beſondere Raſſe hervorgebracht hat, welche als ein echtes Mittelglied zwiſchen beiden Arten ſteht. Die Bezoarziege iſt zwar etwas kleiner, als der europäiſche Steinbock, aber doch bedeutend größer als unſere Hausziege. Die Länge eines erwachſenen Bockes beträgt ungefähr 5 Fuß, die Länge des Schwanzes 8 Zoll, die Höhe am Widerriſt 3 Fuß und die am Kreuze einen Zoll mehr. Die Ziege iſt etwas kleiner. Der Leib iſt ziemlich geſtreckt, der Rücken ſchneidig, der Hals von mäßiger Länge, der Kopf kurz, die Schnauze ſtumpf, die Stirn breit, längs des Naſenrückens faſt gerade. Die Beine ſind verhältnißmäßig hoch und ſtark, die Hufe ſtumpf zugeſpitzt. Der Schwanz iſt ſehr kurz und gleichmäßig mit langen, zottigen Haaren beſetzt. Am Kopf fallen die verhältnißmäßig kleinen Augen auf. Die Ohren ſind mittelgroß, die Hörner des Männchens ſehr lang und ſtark: ſchon bei jüngeren Brehm, Thierleben. II. 37

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/607>, abgerufen am 23.11.2024.