Die Steinböcke (Capra) sind unzweifelhaft die höchststehenden Ziegen; sie gehören ja zu dem edelsten Wild überhaupt. Diese Thiere bewohnen die Gebirge der alten Welt und zeigen sich ganz geeignet, noch in Höhen zu leben, in denen andere große Säugethiere verkümmern würden. Nur wenige Wiederkäuer folgen ihnen in die Hochgefilde, wo sie sich jahraus jahrein umhertreiben. So ist es allerdings nicht überall; denn schon von den in Europa lebenden Arten kommen mehrere in verhältnißmäßig geringen Höhen vor; die eigentliche Ebene aber meiden sämmtliche Steinböcke fast ängstlich. Mit dieser Lebensweise geht Hand in Hand, daß jede Steinbockart nur eine geringe Verbreitung hat. Einige neuere Naturforscher wollen zwar die verschiedenen Steinbockarten blos als Abänderungen ein und derselben Hauptart gelten lassen und nehmen nicht nur für Europa, sondern überhaupt blos eine einzige Art an, bleiben uns aber die Erklärung schuldig, wie diese Stammart sich allgemach so verbreitet hat, daß sie gegenwärtig nicht blos auf den Alpen, den Pyrenäen und dem Gebirgsstock der Sierra Nevada, sondern auch auf dem Kaukasus, den Hoch- gebirgen Asiens, den Alpengebirgen des steinigten Arabiens und Abissiniens zu finden ist. Die ziemlich bedeutenden Unterschiede, welche die Steinböcke zeigen, die Verschiedenheiten namentlich, welche sich im Gehörn offenbaren, werden von diesen Forschern als nebensächliche Dinge behandelt, und der leidige Begriff, "klimatische Abänderung", spielt eine gar große Rolle in ihren Entschei- dungen. Jch meines Theils kann solcher Ansicht nicht beipflichten. Wenn auch zugegeben werden mag, daß die Steinböcke erst durch die Verfolgungen der Menschen hier und da, z. B. auf unseren Alpen, in die Höhe getrieben worden sind, in denen sie sich jetzt ständig aufhalten, steht doch so Viel fest, daß sie nicht fähig sind, die ungeheueren Ebenen zu durchwandeln, welche zwischen den erwähn- ten Gebirgen liegen, daß wir somit schon aus diesem Grunde die verschiedenen Formen als Arten ansehen müssen. Wenn wir Dies thun, haben wir freilich in den Steinböcken ein sehr reiches Ge- schlecht vor uns; denn Europa allein zählt dann vier, vielleicht fünf verschiedene Steinbockarten. Eine derselben (Capra Ibex oder Capra alpina) bewohnt die Alpen, zwei andere die iberische Halbinsel, eine (Capra pyrenaica) die Pyrenäen, eine andere (Capra hispanica) die Sierra Nevada und die vierte (Capra caucasica), ja, vielleicht auch die fünfte (Capra Pallasi) den Kaukasus. Außerdem findet sich ein Steinbock (Capra sibirica) in Sibirien, einer (Capra cretica) auf Kreta, einer (Capra Beden) im steinigten Arabien, ein anderer (Capra Walie) in Abissinien, ein dritter (Capra armata) in der Berberei, ein vierter (Capra Skyn) und fünfter (Capra tubericornis) auf dem Himalaya, ein sechster endlich (Capra americana) auf den Rocky-Mountains in Nordamerika. Alle diese Thiere sind einander sehr ähnlich in Gestalt und Färbung und unterscheiden sich hauptsächlich blos durch das Gehörn und den Bart am Kinn; aber gerade diese beiden Merkmale will man nicht gelten lassen. Zur Zeit besitzen wir noch keineswegs Stoff genug, um über die Frage, ob hier Artverschiedenheiten zu Grunde liegen oder nicht, mit der nothwendigen Sicherheit entscheiden zu können. Unsere Museen sind bisjetzt noch keineswegs die Vorrathskammern zu den Arbeiten eines Naturforschers gewesen, wie er Vorrathskammern braucht; denn die besten Museen zeigen höchstens ein oder zwei Stücke von Stein- böcken, und von einer Sammlung der Thiere, in welcher alle Altersverschiedenheiten und mancherlei Abweichungen, wie sie ja immer vorkommen, vertreten wären, ist noch keine Rede. Uebergänge von einer zur anderen Form sind noch keineswegs nachgewiesen, und somit müssen wir die verschiedenen einstweilen wohl als Arten betrachten.
Unter allen Steinböcken geht uns selbstverständlich diejenige Art am nächsten an, welche unsere Alpen bewohnt. Mit Unrecht übersetzt man den lateinischen Namen Capra Ibex noch immer mit europäischer Steinbock; denn von allen anderen Arten unseres Erdtheiles leben sicherlich gegenwärtig ihrer noch viel mehr, als von dem Steinbock der Alpen, welcher leider seinem gänzlichen Untergange mit schnellen Schritten entgegen eilt.
Der Alpensteinbock (Capra Ibex oder Ibex alpinus) ist ein stolzes, ansehnliches, stattliches Geschöpf von 41/2 bis 5 Fuß Leibeslänge, 2 bis 3 Fuß Höhe und 11/2 bis 2 Centner Gewicht. Das
Die Steinböcke. Der Alpenſteinbock.
Die Steinböcke (Capra) ſind unzweifelhaft die höchſtſtehenden Ziegen; ſie gehören ja zu dem edelſten Wild überhaupt. Dieſe Thiere bewohnen die Gebirge der alten Welt und zeigen ſich ganz geeignet, noch in Höhen zu leben, in denen andere große Säugethiere verkümmern würden. Nur wenige Wiederkäuer folgen ihnen in die Hochgefilde, wo ſie ſich jahraus jahrein umhertreiben. So iſt es allerdings nicht überall; denn ſchon von den in Europa lebenden Arten kommen mehrere in verhältnißmäßig geringen Höhen vor; die eigentliche Ebene aber meiden ſämmtliche Steinböcke faſt ängſtlich. Mit dieſer Lebensweiſe geht Hand in Hand, daß jede Steinbockart nur eine geringe Verbreitung hat. Einige neuere Naturforſcher wollen zwar die verſchiedenen Steinbockarten blos als Abänderungen ein und derſelben Hauptart gelten laſſen und nehmen nicht nur für Europa, ſondern überhaupt blos eine einzige Art an, bleiben uns aber die Erklärung ſchuldig, wie dieſe Stammart ſich allgemach ſo verbreitet hat, daß ſie gegenwärtig nicht blos auf den Alpen, den Pyrenäen und dem Gebirgsſtock der Sierra Nevada, ſondern auch auf dem Kaukaſus, den Hoch- gebirgen Aſiens, den Alpengebirgen des ſteinigten Arabiens und Abiſſiniens zu finden iſt. Die ziemlich bedeutenden Unterſchiede, welche die Steinböcke zeigen, die Verſchiedenheiten namentlich, welche ſich im Gehörn offenbaren, werden von dieſen Forſchern als nebenſächliche Dinge behandelt, und der leidige Begriff, „klimatiſche Abänderung‟, ſpielt eine gar große Rolle in ihren Entſchei- dungen. Jch meines Theils kann ſolcher Anſicht nicht beipflichten. Wenn auch zugegeben werden mag, daß die Steinböcke erſt durch die Verfolgungen der Menſchen hier und da, z. B. auf unſeren Alpen, in die Höhe getrieben worden ſind, in denen ſie ſich jetzt ſtändig aufhalten, ſteht doch ſo Viel feſt, daß ſie nicht fähig ſind, die ungeheueren Ebenen zu durchwandeln, welche zwiſchen den erwähn- ten Gebirgen liegen, daß wir ſomit ſchon aus dieſem Grunde die verſchiedenen Formen als Arten anſehen müſſen. Wenn wir Dies thun, haben wir freilich in den Steinböcken ein ſehr reiches Ge- ſchlecht vor uns; denn Europa allein zählt dann vier, vielleicht fünf verſchiedene Steinbockarten. Eine derſelben (Capra Ibex oder Capra alpina) bewohnt die Alpen, zwei andere die iberiſche Halbinſel, eine (Capra pyrenaica) die Pyrenäen, eine andere (Capra hispanica) die Sierra Nevada und die vierte (Capra caucasica), ja, vielleicht auch die fünfte (Capra Pallasi) den Kaukaſus. Außerdem findet ſich ein Steinbock (Capra sibirica) in Sibirien, einer (Capra cretica) auf Kreta, einer (Capra Beden) im ſteinigten Arabien, ein anderer (Capra Walie) in Abiſſinien, ein dritter (Capra armata) in der Berberei, ein vierter (Capra Skyn) und fünfter (Capra tubericornis) auf dem Himalaya, ein ſechster endlich (Capra americana) auf den Rocky-Mountains in Nordamerika. Alle dieſe Thiere ſind einander ſehr ähnlich in Geſtalt und Färbung und unterſcheiden ſich hauptſächlich blos durch das Gehörn und den Bart am Kinn; aber gerade dieſe beiden Merkmale will man nicht gelten laſſen. Zur Zeit beſitzen wir noch keineswegs Stoff genug, um über die Frage, ob hier Artverſchiedenheiten zu Grunde liegen oder nicht, mit der nothwendigen Sicherheit entſcheiden zu können. Unſere Muſeen ſind bisjetzt noch keineswegs die Vorrathskammern zu den Arbeiten eines Naturforſchers geweſen, wie er Vorrathskammern braucht; denn die beſten Muſeen zeigen höchſtens ein oder zwei Stücke von Stein- böcken, und von einer Sammlung der Thiere, in welcher alle Altersverſchiedenheiten und mancherlei Abweichungen, wie ſie ja immer vorkommen, vertreten wären, iſt noch keine Rede. Uebergänge von einer zur anderen Form ſind noch keineswegs nachgewieſen, und ſomit müſſen wir die verſchiedenen einſtweilen wohl als Arten betrachten.
Unter allen Steinböcken geht uns ſelbſtverſtändlich diejenige Art am nächſten an, welche unſere Alpen bewohnt. Mit Unrecht überſetzt man den lateiniſchen Namen Capra Ibex noch immer mit europäiſcher Steinbock; denn von allen anderen Arten unſeres Erdtheiles leben ſicherlich gegenwärtig ihrer noch viel mehr, als von dem Steinbock der Alpen, welcher leider ſeinem gänzlichen Untergange mit ſchnellen Schritten entgegen eilt.
Der Alpenſteinbock (Capra Ibex oder Ibex alpinus) iſt ein ſtolzes, anſehnliches, ſtattliches Geſchöpf von 4½ bis 5 Fuß Leibeslänge, 2 bis 3 Fuß Höhe und 1½ bis 2 Centner Gewicht. Das
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Die Steinböcke. Der Alpenſteinbock.
Die Steinböcke (Capra) ſind unzweifelhaft die höchſtſtehenden Ziegen; ſie gehören ja zu dem
edelſten Wild überhaupt. Dieſe Thiere bewohnen die Gebirge der alten Welt und zeigen ſich ganz
geeignet, noch in Höhen zu leben, in denen andere große Säugethiere verkümmern würden. Nur
wenige Wiederkäuer folgen ihnen in die Hochgefilde, wo ſie ſich jahraus jahrein umhertreiben. So
iſt es allerdings nicht überall; denn ſchon von den in Europa lebenden Arten kommen mehrere in
verhältnißmäßig geringen Höhen vor; die eigentliche Ebene aber meiden ſämmtliche Steinböcke faſt
ängſtlich. Mit dieſer Lebensweiſe geht Hand in Hand, daß jede Steinbockart nur eine geringe
Verbreitung hat. Einige neuere Naturforſcher wollen zwar die verſchiedenen Steinbockarten
blos als Abänderungen ein und derſelben Hauptart gelten laſſen und nehmen nicht nur für
Europa, ſondern überhaupt blos eine einzige Art an, bleiben uns aber die Erklärung ſchuldig, wie
dieſe Stammart ſich allgemach ſo verbreitet hat, daß ſie gegenwärtig nicht blos auf den Alpen, den
Pyrenäen und dem Gebirgsſtock der Sierra Nevada, ſondern auch auf dem Kaukaſus, den Hoch-
gebirgen Aſiens, den Alpengebirgen des ſteinigten Arabiens und Abiſſiniens zu finden iſt. Die
ziemlich bedeutenden Unterſchiede, welche die Steinböcke zeigen, die Verſchiedenheiten namentlich,
welche ſich im Gehörn offenbaren, werden von dieſen Forſchern als nebenſächliche Dinge behandelt,
und der leidige Begriff, „klimatiſche Abänderung‟, ſpielt eine gar große Rolle in ihren Entſchei-
dungen. Jch meines Theils kann ſolcher Anſicht nicht beipflichten. Wenn auch zugegeben werden
mag, daß die Steinböcke erſt durch die Verfolgungen der Menſchen hier und da, z. B. auf unſeren
Alpen, in die Höhe getrieben worden ſind, in denen ſie ſich jetzt ſtändig aufhalten, ſteht doch ſo Viel
feſt, daß ſie nicht fähig ſind, die ungeheueren Ebenen zu durchwandeln, welche zwiſchen den erwähn-
ten Gebirgen liegen, daß wir ſomit ſchon aus dieſem Grunde die verſchiedenen Formen als Arten
anſehen müſſen. Wenn wir Dies thun, haben wir freilich in den Steinböcken ein ſehr reiches Ge-
ſchlecht vor uns; denn Europa allein zählt dann vier, vielleicht fünf verſchiedene Steinbockarten. Eine
derſelben (Capra Ibex oder Capra alpina) bewohnt die Alpen, zwei andere die iberiſche Halbinſel,
eine (Capra pyrenaica) die Pyrenäen, eine andere (Capra hispanica) die Sierra Nevada und die
vierte (Capra caucasica), ja, vielleicht auch die fünfte (Capra Pallasi) den Kaukaſus. Außerdem
findet ſich ein Steinbock (Capra sibirica) in Sibirien, einer (Capra cretica) auf Kreta, einer (Capra
Beden) im ſteinigten Arabien, ein anderer (Capra Walie) in Abiſſinien, ein dritter (Capra armata)
in der Berberei, ein vierter (Capra Skyn) und fünfter (Capra tubericornis) auf dem Himalaya, ein
ſechster endlich (Capra americana) auf den Rocky-Mountains in Nordamerika. Alle dieſe Thiere
ſind einander ſehr ähnlich in Geſtalt und Färbung und unterſcheiden ſich hauptſächlich blos durch das
Gehörn und den Bart am Kinn; aber gerade dieſe beiden Merkmale will man nicht gelten laſſen.
Zur Zeit beſitzen wir noch keineswegs Stoff genug, um über die Frage, ob hier Artverſchiedenheiten
zu Grunde liegen oder nicht, mit der nothwendigen Sicherheit entſcheiden zu können. Unſere Muſeen
ſind bisjetzt noch keineswegs die Vorrathskammern zu den Arbeiten eines Naturforſchers geweſen, wie
er Vorrathskammern braucht; denn die beſten Muſeen zeigen höchſtens ein oder zwei Stücke von Stein-
böcken, und von einer Sammlung der Thiere, in welcher alle Altersverſchiedenheiten und mancherlei
Abweichungen, wie ſie ja immer vorkommen, vertreten wären, iſt noch keine Rede. Uebergänge von
einer zur anderen Form ſind noch keineswegs nachgewieſen, und ſomit müſſen wir die verſchiedenen
einſtweilen wohl als Arten betrachten.
Unter allen Steinböcken geht uns ſelbſtverſtändlich diejenige Art am nächſten an, welche unſere
Alpen bewohnt. Mit Unrecht überſetzt man den lateiniſchen Namen Capra Ibex noch immer mit
europäiſcher Steinbock; denn von allen anderen Arten unſeres Erdtheiles leben ſicherlich gegenwärtig
ihrer noch viel mehr, als von dem Steinbock der Alpen, welcher leider ſeinem gänzlichen Untergange
mit ſchnellen Schritten entgegen eilt.
Der Alpenſteinbock (Capra Ibex oder Ibex alpinus) iſt ein ſtolzes, anſehnliches, ſtattliches
Geſchöpf von 4½ bis 5 Fuß Leibeslänge, 2 bis 3 Fuß Höhe und 1½ bis 2 Centner Gewicht. Das
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/597>, abgerufen am 23.11.2024.
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