nachdem sie sich satt getrunken oder satt geleckt hat. Erst der Hunger, so scheint es, treibt sie wie- der von dannen. Bei guter Weide wird sie im Herbst sehr feist; im Winter aber leidet sie oft große Noth. Der Schnee deckt dann fußhoch ihren Weidegrund, und die Arme muß sich mit der spär- lichsten Nahrung begnügen. Dann kommt sie sehr vom Leibe, das Gehen im Schnee ermattet sie, und oft genug geht sie erbärmlich zu Grunde.
Um diese Zeit ist es nicht schwer, sich der Gabelgemse zu bemächtigen. Ein Jäger, welcher Schneeschuhe zu gebrauchen weiß, kann das entkräftete Thier ohne große Mühe lebendig fangen. Man hat wiederholt versucht, die Gefangenen zu zähmen, aber nur sehr wenige erhalten können. Die älteren Stücke, welche man im Winter bei tiefem Schnee einfangen konnte, zeigten sich, in einem umschlossenen Gehege frei gelassen, höchst liebenswürdig, ja fast zuthunlich, aber nur solange, als ihre Abspannung und Entkräftung währte. Sobald die Hungersnoth überstanden war, regte sich die Sehnsucht nach der unbegrenzten Freiheit in ihnen, und sie zeigten ihre ursprüngliche Wildheit wieder. Dann rannten und sprangen sie wie unsinnig gegen die Umzäunung ihres Geheges an und wütheten in diesem so lange, bis sie sich tödtlich geschädigt hatten. Auch die bald nach der Geburt aufgenommenen Kälber sterben gewöhnlich nach kurzer Gefangenschaft; freilich hat man bisher ver- säumt, ihnen eine Ziege zur Ernährerin zu geben, somit das sicherste Mittel zu ihrer Erhaltung noch nicht angewendet. Nur ein einziger Thierfreund war nach Audubon's Bericht so glücklich, eine Gabelgemse groß zu ziehen. Er hatte dieselbe jung in der Prairie aufgenommen und sorgsam gepflegt. Das Thier war äußerst liebenswürdig, es folgte seinem Gebieter, wie ein Hund, auf dem Fuße nach, stieg mit ihm die Treppen herauf oder herunter und wußte bald im ganzen Hause Bescheid. Durch einen Wapitihirsch, welchen derselbe Mann ebenfalls in der Gefangenschaft hielt, fand es lei- der ein unnatürliches Ende.
Man jagt die Gabelgemse nur im Nothfall, wenn man kein Bisonfleisch haben kann; denn das Wildpret wird nicht besonders geschätzt. Die Amerikaner verschmähen es, selbst wenn es geräuchert wurde, der Prinz aber rühmt es und versichert, daß es ihm oft zur Nahrung gedient habe. Audu- bon preist die Leber als einen Leckerbissen. Das leichte, weiche, aber wenig haltbare Leder wird hauptsächlich von den Jndianern verwendet, gewöhnlich zur Anfertigung ihrer Hemden. Der Euro- päer fängt die Gabelgemse in Fallgruben oder durch Nachjagen auf einem sehr schnellen leichtfüßigen Pferde oder gebraucht endlich die Pirschbüchse. Der Jndianer benutzt die Neugier des Wildes, nimmt die sonderbarsten Stellungen an, führt mit Armen und Beinen allerlei auffallende Bewegun- gen aus und nähert sich so mehr und mehr den überraschten Thieren, welche gar nicht selten wie Bildsäulen stehen bleiben und schließlich das Opfer des listigen Jägers werden. Audubon erprobte die Wahrheit dieser Angabe. "Während einer unserer Jagdausflüge," sagt er, "kamen wir in Sicht einer Antilope und beschlossen, sie in der angegebenen Weise in Erstaunen zu setzen. Wir legten uns also auf den Rücken in das Gras und erhoben erst eines unserer Beine und dann das andere in die Luft. Merkwürdig genug, die Antilope ging langsam gegen uns an, obwohl mit größter Vorsicht und mit entschiedenem Mißtrauen. Aber sie nahete sich uns doch mehr und mehr und kam wirklich in Schußnähe." Es wird versichert, daß die Jndianer diese Jagd niemand anders abgelernt haben, als Freund Jsegrimm, welcher durch ähnliche Kniffe zum Ziele kommt. Der Wolf ist überhaupt als der schlimmste Feind der Gabelgemse anzusehen; ihm fallen, namentlich bei tiefem Schnee, gar viele dieser schönen Geschöpfe zur Beute.
Von der antilopenarmen Westhälfte der Erde kehren wir wieder in das eigentliche Vaterland unserer Thiere zurück, um uns zunächst mit einer der eigenthümlichsten Gestalten der gesammten Familie vertraut zu machen. Jch meine eine Antilope, von welcher bereits die Alten eine ziemlich richtige Beschreibung gaben, obgleich sie dieselbe nur von Hörensagen kannten: den Kudu der Kap- länder, den Tedal der Araber, den Agaseen der Abissinier (Strepsiceros capensis). Unsere
Die Gabelgemſe.
nachdem ſie ſich ſatt getrunken oder ſatt geleckt hat. Erſt der Hunger, ſo ſcheint es, treibt ſie wie- der von dannen. Bei guter Weide wird ſie im Herbſt ſehr feiſt; im Winter aber leidet ſie oft große Noth. Der Schnee deckt dann fußhoch ihren Weidegrund, und die Arme muß ſich mit der ſpär- lichſten Nahrung begnügen. Dann kommt ſie ſehr vom Leibe, das Gehen im Schnee ermattet ſie, und oft genug geht ſie erbärmlich zu Grunde.
Um dieſe Zeit iſt es nicht ſchwer, ſich der Gabelgemſe zu bemächtigen. Ein Jäger, welcher Schneeſchuhe zu gebrauchen weiß, kann das entkräftete Thier ohne große Mühe lebendig fangen. Man hat wiederholt verſucht, die Gefangenen zu zähmen, aber nur ſehr wenige erhalten können. Die älteren Stücke, welche man im Winter bei tiefem Schnee einfangen konnte, zeigten ſich, in einem umſchloſſenen Gehege frei gelaſſen, höchſt liebenswürdig, ja faſt zuthunlich, aber nur ſolange, als ihre Abſpannung und Entkräftung währte. Sobald die Hungersnoth überſtanden war, regte ſich die Sehnſucht nach der unbegrenzten Freiheit in ihnen, und ſie zeigten ihre urſprüngliche Wildheit wieder. Dann rannten und ſprangen ſie wie unſinnig gegen die Umzäunung ihres Geheges an und wütheten in dieſem ſo lange, bis ſie ſich tödtlich geſchädigt hatten. Auch die bald nach der Geburt aufgenommenen Kälber ſterben gewöhnlich nach kurzer Gefangenſchaft; freilich hat man bisher ver- ſäumt, ihnen eine Ziege zur Ernährerin zu geben, ſomit das ſicherſte Mittel zu ihrer Erhaltung noch nicht angewendet. Nur ein einziger Thierfreund war nach Audubon’s Bericht ſo glücklich, eine Gabelgemſe groß zu ziehen. Er hatte dieſelbe jung in der Prairie aufgenommen und ſorgſam gepflegt. Das Thier war äußerſt liebenswürdig, es folgte ſeinem Gebieter, wie ein Hund, auf dem Fuße nach, ſtieg mit ihm die Treppen herauf oder herunter und wußte bald im ganzen Hauſe Beſcheid. Durch einen Wapitihirſch, welchen derſelbe Mann ebenfalls in der Gefangenſchaft hielt, fand es lei- der ein unnatürliches Ende.
Man jagt die Gabelgemſe nur im Nothfall, wenn man kein Biſonfleiſch haben kann; denn das Wildpret wird nicht beſonders geſchätzt. Die Amerikaner verſchmähen es, ſelbſt wenn es geräuchert wurde, der Prinz aber rühmt es und verſichert, daß es ihm oft zur Nahrung gedient habe. Audu- bon preiſt die Leber als einen Leckerbiſſen. Das leichte, weiche, aber wenig haltbare Leder wird hauptſächlich von den Jndianern verwendet, gewöhnlich zur Anfertigung ihrer Hemden. Der Euro- päer fängt die Gabelgemſe in Fallgruben oder durch Nachjagen auf einem ſehr ſchnellen leichtfüßigen Pferde oder gebraucht endlich die Pirſchbüchſe. Der Jndianer benutzt die Neugier des Wildes, nimmt die ſonderbarſten Stellungen an, führt mit Armen und Beinen allerlei auffallende Bewegun- gen aus und nähert ſich ſo mehr und mehr den überraſchten Thieren, welche gar nicht ſelten wie Bildſäulen ſtehen bleiben und ſchließlich das Opfer des liſtigen Jägers werden. Audubon erprobte die Wahrheit dieſer Angabe. „Während einer unſerer Jagdausflüge,‟ ſagt er, „kamen wir in Sicht einer Antilope und beſchloſſen, ſie in der angegebenen Weiſe in Erſtaunen zu ſetzen. Wir legten uns alſo auf den Rücken in das Gras und erhoben erſt eines unſerer Beine und dann das andere in die Luft. Merkwürdig genug, die Antilope ging langſam gegen uns an, obwohl mit größter Vorſicht und mit entſchiedenem Mißtrauen. Aber ſie nahete ſich uns doch mehr und mehr und kam wirklich in Schußnähe.‟ Es wird verſichert, daß die Jndianer dieſe Jagd niemand anders abgelernt haben, als Freund Jſegrimm, welcher durch ähnliche Kniffe zum Ziele kommt. Der Wolf iſt überhaupt als der ſchlimmſte Feind der Gabelgemſe anzuſehen; ihm fallen, namentlich bei tiefem Schnee, gar viele dieſer ſchönen Geſchöpfe zur Beute.
Von der antilopenarmen Weſthälfte der Erde kehren wir wieder in das eigentliche Vaterland unſerer Thiere zurück, um uns zunächſt mit einer der eigenthümlichſten Geſtalten der geſammten Familie vertraut zu machen. Jch meine eine Antilope, von welcher bereits die Alten eine ziemlich richtige Beſchreibung gaben, obgleich ſie dieſelbe nur von Hörenſagen kannten: den Kudu der Kap- länder, den Tedal der Araber, den Agaſeen der Abiſſinier (Strepsiceros capensis). Unſere
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Die Gabelgemſe.
nachdem ſie ſich ſatt getrunken oder ſatt geleckt hat. Erſt der Hunger, ſo ſcheint es, treibt ſie wie-
der von dannen. Bei guter Weide wird ſie im Herbſt ſehr feiſt; im Winter aber leidet ſie oft große
Noth. Der Schnee deckt dann fußhoch ihren Weidegrund, und die Arme muß ſich mit der ſpär-
lichſten Nahrung begnügen. Dann kommt ſie ſehr vom Leibe, das Gehen im Schnee ermattet ſie,
und oft genug geht ſie erbärmlich zu Grunde.
Um dieſe Zeit iſt es nicht ſchwer, ſich der Gabelgemſe zu bemächtigen. Ein Jäger, welcher
Schneeſchuhe zu gebrauchen weiß, kann das entkräftete Thier ohne große Mühe lebendig fangen.
Man hat wiederholt verſucht, die Gefangenen zu zähmen, aber nur ſehr wenige erhalten können.
Die älteren Stücke, welche man im Winter bei tiefem Schnee einfangen konnte, zeigten ſich, in
einem umſchloſſenen Gehege frei gelaſſen, höchſt liebenswürdig, ja faſt zuthunlich, aber nur ſolange,
als ihre Abſpannung und Entkräftung währte. Sobald die Hungersnoth überſtanden war, regte ſich
die Sehnſucht nach der unbegrenzten Freiheit in ihnen, und ſie zeigten ihre urſprüngliche Wildheit
wieder. Dann rannten und ſprangen ſie wie unſinnig gegen die Umzäunung ihres Geheges an und
wütheten in dieſem ſo lange, bis ſie ſich tödtlich geſchädigt hatten. Auch die bald nach der Geburt
aufgenommenen Kälber ſterben gewöhnlich nach kurzer Gefangenſchaft; freilich hat man bisher ver-
ſäumt, ihnen eine Ziege zur Ernährerin zu geben, ſomit das ſicherſte Mittel zu ihrer Erhaltung noch
nicht angewendet. Nur ein einziger Thierfreund war nach Audubon’s Bericht ſo glücklich, eine
Gabelgemſe groß zu ziehen. Er hatte dieſelbe jung in der Prairie aufgenommen und ſorgſam gepflegt.
Das Thier war äußerſt liebenswürdig, es folgte ſeinem Gebieter, wie ein Hund, auf dem Fuße
nach, ſtieg mit ihm die Treppen herauf oder herunter und wußte bald im ganzen Hauſe Beſcheid.
Durch einen Wapitihirſch, welchen derſelbe Mann ebenfalls in der Gefangenſchaft hielt, fand es lei-
der ein unnatürliches Ende.
Man jagt die Gabelgemſe nur im Nothfall, wenn man kein Biſonfleiſch haben kann; denn das
Wildpret wird nicht beſonders geſchätzt. Die Amerikaner verſchmähen es, ſelbſt wenn es geräuchert
wurde, der Prinz aber rühmt es und verſichert, daß es ihm oft zur Nahrung gedient habe. Audu-
bon preiſt die Leber als einen Leckerbiſſen. Das leichte, weiche, aber wenig haltbare Leder wird
hauptſächlich von den Jndianern verwendet, gewöhnlich zur Anfertigung ihrer Hemden. Der Euro-
päer fängt die Gabelgemſe in Fallgruben oder durch Nachjagen auf einem ſehr ſchnellen leichtfüßigen
Pferde oder gebraucht endlich die Pirſchbüchſe. Der Jndianer benutzt die Neugier des Wildes,
nimmt die ſonderbarſten Stellungen an, führt mit Armen und Beinen allerlei auffallende Bewegun-
gen aus und nähert ſich ſo mehr und mehr den überraſchten Thieren, welche gar nicht ſelten wie
Bildſäulen ſtehen bleiben und ſchließlich das Opfer des liſtigen Jägers werden. Audubon erprobte
die Wahrheit dieſer Angabe. „Während einer unſerer Jagdausflüge,‟ ſagt er, „kamen wir in Sicht
einer Antilope und beſchloſſen, ſie in der angegebenen Weiſe in Erſtaunen zu ſetzen. Wir legten uns
alſo auf den Rücken in das Gras und erhoben erſt eines unſerer Beine und dann das andere in die
Luft. Merkwürdig genug, die Antilope ging langſam gegen uns an, obwohl mit größter Vorſicht
und mit entſchiedenem Mißtrauen. Aber ſie nahete ſich uns doch mehr und mehr und kam wirklich
in Schußnähe.‟ Es wird verſichert, daß die Jndianer dieſe Jagd niemand anders abgelernt haben,
als Freund Jſegrimm, welcher durch ähnliche Kniffe zum Ziele kommt. Der Wolf iſt überhaupt als
der ſchlimmſte Feind der Gabelgemſe anzuſehen; ihm fallen, namentlich bei tiefem Schnee, gar viele
dieſer ſchönen Geſchöpfe zur Beute.
Von der antilopenarmen Weſthälfte der Erde kehren wir wieder in das eigentliche Vaterland
unſerer Thiere zurück, um uns zunächſt mit einer der eigenthümlichſten Geſtalten der geſammten
Familie vertraut zu machen. Jch meine eine Antilope, von welcher bereits die Alten eine ziemlich
richtige Beſchreibung gaben, obgleich ſie dieſelbe nur von Hörenſagen kannten: den Kudu der Kap-
länder, den Tedal der Araber, den Agaſeen der Abiſſinier (Strepsiceros capensis). Unſere
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/569>, abgerufen am 23.11.2024.
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